Ποιειν Και Πραττειν - create and do

Wortlos 2003

 

 

 

 

Wortlos

 

von

 

Hatto Fischer

 

 

Athen und Akropolis vom Likavitos Berg aus gesehen

 

 

 

Inhalt

 

Wortlos

Ein stumpfes Meer

Inspiration bei Nacht

Leichte Punkte

Schritte in Athen

Die Puppe im Schaufenster

Singe mir das Lied von der wahren Liebe

Windiges Brüssel

Tanz am Fels

Wortlose Häuser

 

 

 

 

 

@Poiein kai Prattein

Athen 2003 – Berlin 2016

Zweite Fassung 29.12.2016

 

Wortlos

für Ernst Schnabel

 

Die menschliche Sprache

wird nach und nach

wortlos

 

wenn einmal

der Mythos der Liebe

verloren, ja seit Heraklit

unvermittelt bleibt.

 

Woher die Zeichen des Lebens

auch nehmen,

wenn selbst die Sehnsucht

nach Rückkehr ausbleibt

und die Stadt

im Meer versinkt: Atlantis!

 

Ein anderes Zeichen ist eine am Stuhl

hängende Bluse von ihr.

Er wartet auf ihre Liebe

doch erst im Schweigen

vernimmt er

den Wind

der auf seinem Streifzug

durch leere Straßen

raus zum Meer fegt.

 

Zurück bleibt er versunken im Denken,

im vergeblichen Warten auf sie,

bis überrascht beim Lesen

in Schnabels Buch über Dädalus,

er den Sinn des Augenmaßes begreift

wenn zwischen den Säulen geschaut,

nur das Nichts als perfekter Abstand

sichtbar wird.

 

Ja, im ewigen Nichts

verbleibt das menschliche Sein

im Unmessbaren,

weil erst dann Leben

als das unverstandene Etwas

verstanden wird. So kann

das schweigsam gewordene Denken

auf dem poetischen Boden der Akropolis

verharren, um die Säulen des Parthenon

wortlos zu ehren.

 

 

Ein stumpfes Mehr

 

...gestern am Meer, heute wieder in der Stadt.

Bereits gestern Abend, auf der Rückkehr, gab es kein Entkommen mehr.

Der Verkehr stockte. Die Landschaft war zwei geteilt:

auf der einen Straßenseite rollten sie noch,

auf der anderen standen sie still.

Sofern war die Begrüßung der Stadt nur ein stumpfes Mehr!

 

Einzig und allein im Lichtschatten vom Vollmond.

zittriges Silber, gleich einer in die Luft geflippte Münze

als Kontrast zum Nachthimmel, um zu wissen

„heads or tails“,

um zu besagen welches Schicksal einen erwartet

 

Wenn Konturen des in Rot getränkten Abendhimmels

die Stadtlandschaft füllt und alle einem tiefen Schweigen verfallen sind

weil nun Zeit für eine Andacht besteht, wird klar wohin

wenn einmal das Warten vorbei, der Aufbruch kommt.

 

Die Tragik erklang oftmals im Mythos, doch ausgeklammert blieb die Stadt

deren Autofahrer nicht mehr wie einst der Fluss zum Meer wollen, stattdessen

nur nach Hause oder zur Arbeit, weil für sie das Weiterkommen im Leben

zum stumpfen Mehr wurde. Die Stadtbrandung des Verkehrs lässt das Meer verstummen.

 

Der Verkehrsökonom erklärt auf diese Weise bedarf es kein Wissen der Knappheit mehr,

das Leben im Überfluss ohnehin nur noch das, was jedem an Geduld beim Warten abverlangt wird.

Also kein fundiertes Wissen mehr, sondern etwas jenseits des nächtlichen Dialogs aufgeschriebenes

über den Falter im Brennpunkt der Glühbirne als Zeichen des gerade noch Entkommens.

 

Falls die Überlebenskraft nicht allzu stark, Vögel sich nicht rechtzeitig davon machen können,

bleibt Begreifen der Umstände an Schmerzen das worin die Ziele verschwinden und nur Touristen

noch in Andacht vor Ruinen der Vergangenheit stehen, während sonst wo und überall

die Arbeitenden aus dem Umkreis der Fragen ihre Antworten müde nach Hause schleppen.

 

 

Inspiration bei Nacht

 

Das Gewölbe, ein Dach voller Sterne,

schaut auf die Erde liebevoll,

wo die nächtliche Zeit schnell vergeht

und am nächsten Morgen nach Erwachen

schöne, kühle Melodien hörbar sind.

 

Geboren im ständigen Wind,

zur Leidenschaft der Freundschaft erkoren,

wird aus dem Lachen ein Kissen

worunter Träume von der Zukunft

seit Kindheit zu verstecken sind.

 

Gäbe es noch mehr solche Gedanken

im Mondschein zu überprüfen

wäre gewiss die Nacht dazu bereit

diese Träume philosophisch zu deuten,

aber die Uhr der Schwarzseher, die tickt weiter.

 

Es laufen die Stunden auf nackten Sohlen

über den Holzboden zum Fenster hinaus,

hinauf zum Mond, so als sei der Vagabund

im Kind auferstanden, um mittels der Phantasie

gleich einem Vogel davon zu fliegen,

immer weiter bis ins ferne östliche Land

wovon Marco Polo erzählte,

dass es dort keine Zeit zum Verschnaufen gäbe,

denn der Handel auf dem Marktplatz

sei gleich einem Rätsel wer was verlangt

und bereit sei zu bezahlen. So dann erklärt er

warum Frauen mehr wissen als was sein Buch

über seine Reisen dem Leser vorenthält.

 

Abstand nahm die Zukunft

von der Gegenwart um für morgens alles

vorzubereiten

- dabei entglitt dem schlafenden Kind

das Buch. Es fiel unendlich langsam zu Boden.

 

Etwas brannte auf dem Herd an.

Draußen versammelten sich die Menschen

zum Protest gegen den kommenden Tag.

Jemand rief:

„Die Zeit zum Pochen an der Tür sei gekommen!“

 

Kinder öffnen die Tür und laufen raus,

zurück bleiben die Mütter mit ihren Ängsten.

Sie schauen den Kindern nach während die

auf ihre Fahrräder sich schwingen

und alsbald aus dem Blick verschwinden.

Noch lange verharren die zurückgebliebenen Mütter

in der offenen Tür.

 

Ein normales Leben

ist gleich dem Gedicht

das einsilbig wird,

sobald das Lachen vergeht.

 

Ohne zu wissen wie Angst entsteht

rücken schwere Zeiten heran,

während Kinder nachmittags zurückkehren,

und wärmende Hände verlangen.

Sie fragen außerdem warum es kein Licht

auf der anderen Straßenseite gibt,

da wo viele im Schatten des Lebens

immer noch auf die Sonne warten.

 

In der großen Bucht

hinterlegt die Fähre eine Furche

gleich einem Pflug auf dem Ackerfeld.

Sie hinterlässt Spuren im Wasser.

 

Wissend dass die Erde sich dreht

und die ganze Erde wiederum

ruhig den Weltraum durchquert,

besagt das der Globus will wissen

wie es um die Träume steht.

 

Wer hilft auf der Suche nach Leben,

allein des Frohsinns wegen?

Noch schwerer ist der Widerspruch

zwischen arm und reich zu ertragen.

 

Vieles erinnert an die Zeit als die Glocken

der Kirche von St. Job in Uccle läuteten,

um die schweigsame Gemeinde aufzufordern

doch endlich zum Gebet zu kommen,

aber vergeblich als ob keiner in jenem Stadtteil

von Brüssel das im Jahr 2000 vernahm.

 

Dies dann ist das Negative einer Stadt

die der Ungewissheit den Vorzug gibt,

um den Kindern das Verstehen zu überlassen,

und all das ehe es dunkel wird weil es wieder regnet.

In Brüssel wird darum die Lampe erneut angeknipst,

weil bereits am Tag alles einer Schattenskizze gleicht.

Draußen hält der Regen fast dauerhaft an,

so dann bleibt das Gemüt zu tiefst bedrückt.

Das wird bildhaft evident insofern der Protest erstarkt

angesichts den ewigen Wolken am Horizont

im demjenigen der aus den Süden kam

und vergeblich im Norden auf Sonnenschein wartet.

 

Die Kunst der Zeichnung findet sich in der Nacht

mit einer einzelnen Linie der Ehrlichkeit ein,

aber nur weil der Entwurf erst dann gelingt

sobald der Bleistift der Hand entgleitet

und das Unsichtbare selbstständig zeichnet.

 

Lasse nicht das Denken alleine ins Parlament gehen, .

denn die Menschen in trostlosen Gegenden

wollen nicht dass sie in Vergessenheit geraten.

Da sind ebenso die Kinder hinter verschlossenen Fenstern

wo sie bis zum letzten Regentropfen verharren,

immerzu wartend auf die Chance hinaus zu stürmen

oder nur aufzuatmen wenn das Licht herein schaut,

um neue Möglichkeiten zum Spielen entstehen zu lassen.

Wer vernimmt aber den Ruf der Entdeckung

wenn in einer besonderen Nacht aus Inspiration

zur Freude der Träume schlichte Lieder erklingen?

 

 

Leichte Punkte

 

Leichte Punkte

machen die sieben Tage der Woche aus,

wenn leicht nach hinten oder vorne geschaut

die knarrende Tür vom Wind gepackt

sanft die Neugierde an stupst,

um die auferstandene Unruhe mit der Frage,

wo bleibt die Gewissheit für den kommenden Tag,

zu durchleuchten.

 

 

Schritte in Athen

 

Schritte

zeichnen sich ab

beim Gehen entlang der Skoufa Straße.

Als mögliche Spur des Nachdenkens

fragen sie

wohin des Weges,

wohin mit dieser wortlos gewordenen Sprache?

Einmal drinnen im Büro und einfach nur

zum Fenster raus schauen,

das geht nicht. Warum nicht?

Tagsüber sind ohnehin hier die Vorhänge zugezogen,

denn im Schatten des Lichtes lebt es sich kühler.

So bleibt der Brief

als Antwort des Fremden

unbeachtet im Café liegen,

während Herausforderer der Gesellschaft

nicht immer wortlos vorbei gehen.

Die Schreie der Anarchisten hallen nach.

Zuerst aber gehen viele Scheiben in die Brüche.

 

Da gibt es die Schulen, die berufstätigen Eltern,

bärtige Männer auf Motorrädern,

schöne Frauen gleich Modelle auf dem Laufsteg

in Kolonaki, dem Viertel der Einflussreichen.

Den Kontrast bilden die Vororte von Athen

mit ihrem eigenen Verkehr

in weit verzweigten Straßen,

so als seien die Jahre endlos an einem Tag verstrichen

und die typischen Häusern mit ihren Balkonen dahin eilende Charakterzüge

gleich einer rapide dahin schwindenden Lebensweise,

obwohl gerade noch das Dorf verlassen, heute aber

neben den Reklameschildern und Baustellen

alles sich im Gewühl der Moderne verliert.

 

In dieser Stadt zu leben heißt nicht zu verstehen

wie Zeit spurlos vergehen kann,

doch so was behaupten bloß die Akrobaten des Medienzirkus,

aber ihre metaphorischen Kunststücke

vermögen es nicht länger die Kinder zum Lachen zu bringen.

 

So bleibt Leben in Athen eine zweifelhafte Angelegenheit

die mit dem Verschwinden freier Flächen und klassischen Häuser

eine neue 'skyline' samt neuen Transportwegen entstehen lässt,

schließlich kehrten die Olympischen Spiele nach Athen zurück,

und so kamen die neuen Schnellstraßen, die Metro und eine Straßenbahn,

doch der Verkehr in Richtung Vororte, der stockt trotzdem jeden Tag.

 

Die Schritte die jeder in Athen

an diesem wie an jedem anderen Tag unternehmen kann,

sie gehen einher mit dem Rhythmus der Zeit als Lebenspuls,

wobei das Treiben und das Geschobene jederzeit zu fühlen ist.

Doch das Hupen ist keine Antwort auf die ungelösten Probleme,

etwas anderes das irrationale Verhalten der alten Frauen

die Wasser verschwenden, weil sie ohne Maß es benutzen,

um vor deren Türen die verstaubten Straßen putzen zu wollen.

 

 

Die Puppe im Schaufenster

H.S.

 

Da stand eine Puppe im Schaufenster,

ganz nackt.

Fragt das Kind, was macht die da?

Sie war eine lebensgroße Imitation

des Glanzes vergangener Zeiten.

Bestückt mit schwarzem Haar, egal ob Perücke oder echt,

betrübte sie doch alle

obwohl es allmählich zu regnen

aufgehört hatten.

Spuren an Wasser blieben

in ihrem Haar zurück

doch keiner wusste

wie die da hinkamen.

War sie einmal kurz draußen gewesen,

aber keiner hat das wohl gesehen?

Ob Rätsel oder Schimmer an Licht,

sie ließ etwas Hoffnung erkennen,

jenseits vom Hören und Sehen,

weil einfach eine gute Geschichte.

Sie wurde kreuz und quer erzählt,

wie es dazu kam die Puppe

ins Schaufenster zu stellen.

Ihretwegen gaben die Leute zu erkennen

kaum noch die Zeiten zu verstehen.

Das war nach der Wende als in Leipzig

als der Eindruck entstehen konnte

in Plagwitz mit den alten Industrieanlagen

und vielen Brücken über dem Kanal,

dass sich hier etwas tun wird. Der Manager

vom Aufbauwerk sah das bereits voraus!

Er nahm sich eine Person zur Seite

und flüsterte ganz leise, um nicht gehört zu werden:

„da sind mehr als nur Steine zu holen.“

Besonders entwickelt hatte sich Plagwitz

in jener innovativen Zeit als noch

Druckermaschinen gefragt waren,

und die Leipziger Buchmesse fluorierte.

Kurzum nach der Wende wartete

das still gewordene Industrieviertel

auf eine noch nicht ausgemachte Zukunft,

obwohl bereits manche EU Experten

entlang einem kahlen Gang

in einem just neu errichteten Hotel eilten.

Die Wanduhr schlug soeben zehn

als die Liebe gleich einem Storch

zur Tür herein stelzte und den Manager

mit dem roten Schnabel stupste,

ihn hinaus zur Tür schob,

hinein in die Straßen von Leipzig

und ihn bis zum Neuen Rathaus bugsierte.

An dessen Wänden und auf großen Tafeln

hingen Überlegungen zum Aufbau der Stadt.

Sie entsprachen einer Stadtphilosophie die besagt

Wasser bilde den Anfang, behutsame Stadterneuerung

nach Vorstellungen von Iris Reuther die Fortsetzung.

Doch am Ende war nicht ganz klar was jeder sich wünsche,

aber zumindest Stroh bleibt Stroh und Geld immer nötig.

Und die Puppe, sie blieb da stehen, wo sie immer war.

Man sah es ihr an, kniff sie doch die Augen zusammen

und machte den Eindruck über hell seherische Kräfte zu verfügen.

Sie gab das mit leicht nieder gedrückten Augen kund,

oder geschah das nur aus Scham?

Oder wegen einer verborgenen Begierde

die sich gleich um die Ecke kund tut,

da wo die Dresdner Bank ihre Kunden

über den letzten Aktienstand informiert?

Just dann zogen viele Kinder vorbei, sangen Lieder.

Ihre Stimmen waren still zu hören als sie längst

um die nächste Straßenecke verschwunden waren.

Zurück in seinem Büro, hörte der Manager nicht den Gesang.

Er dachte über die Puppe im Schaufenster nach.

Er fühlte sich von ihr gestört, als ob die einzige Zeugin

wie er denkt in EU Projekten vorgehen zu können,

nämlich etwas krumm, kaum nachhaltig.

Darum verwünschte er sie als sei sie das Gewissen schlechthin.

Er wünschte sich sie mit einem Verband

von Kopf bis Fuß eingewickelt zu sehen,

und selbst die Augen sollten verbunden sein.

Er dachte ohne Gewissen könne er mit seinen Geschäften

eher Tiefensee überzeugen, aber das war auch nicht ausgemacht.

In der Abfolge wurde ohnehin nicht verbindlich miteinander gesprochen.

Gleichzeitig holte der Hausmeister die Ratshausfahne vom Mast herunter.

Als Symbol der Stadtverwaltung blieb sie einfach links liegen,

weit ab von Akten voller unerledigter Rechnungen,

und noch mehr unsichtbar im Hintergrund,

die Anträge derjenigen die darauf warteten ihr erstes Geld

mittels Projekte mit dem Westen zu verdienen.

All das gehört zu den seltsamen Geschichten von Europäischen Projekten

als ob sie unauffindbare Spuren entlang einem verlassenen Strand seien

und bloß der einsilbige Einsiedler sich erinnern könne,

da war doch etwas als die seltsamen Vögel aus Brüssel kamen.

Doch zurück zur Stadtmitte, plötzlich fingen an

die aufgeschreckten Leute zu schreien an.

Hatte sich die Puppe im Schaufenster womöglich bewegt,

das fragte sich einst Edmund Husserl zur Wahrnehmung von Mensch?

Die Frage ging unter im Glockengeläut die das Geschrei übertönte.

Zuletzt hupten auch noch die Fußballfans und es entstand solch ein Gebrüll

bis alles nur lauter und schriller wurde, aber keinen Sinn mehr machte.

Erst eine viertel Stunde später klang alles ab; es wurde leiser, immer leiser,

und dann ganz still. Erst dann schenkten die versammelten Menschen

ihre ganze Aufmerksamkeit der Puppe wieder.

Und so geschah es: eine seltsame Stimmung machte sich breit,

stiftete Unglaube. Die seelische Lage litt enorm darunter.

Manche meinten einfach die Puppe sei ein Spott auf den Menschen

und ließe keine andere Vermutung zu als reine Provokation.

Einmal solch ein Urteil gefällt, eilten viele nach Hause zurück,

in der Hoffnung dieses Mal Akte der Willkür vermeiden zu können,

um dann doch mit dem Rücken zur Wand eine viertel Stunde

zurück versetzt, sie sich nach all den jüngsten Erlebnissen fragten,

warum sie nicht ihr Gesicht offen in der Straße zeigen würden.

Schließlich waren sie jeden Montag zur Demonstration gegangen,

sodann entschieden sie sich die Puppe aus dem schweigenden Schaufenster zu nehmen,

um sie ins Abendgebet in der Thomaskirche mitzunehmen.

Vorstellbar ist das ließ den Pfarrer sprachlos werden.

Doch da war bereits die Puppe als das Gewissen verschwunden.

 

 

Singe mir das Lied von der wahren Liebe

 

lange blieb der stein

still und schweigsam

ohne blick nach oben

am Straßenrande liegen

 

kein ton nirgends wo

ortlos

oder wortlos

ungewollter weise

verblieben

die geschichten

ohne erzähler

 

jemand schrieb von einem land

ohne liebe

ohne wahrheit

 

ist nur eine antwort möglich

dann bitte

singe mir das lied von der liebe

zu einer frau und nicht zu einem land

 

 

Windiges Brüssel

 

Welches Wort versagt

angesichts des Windes?

 

Gesichter von gestern

drücken an Scheiben,

dicht daneben

spiegeln sich Gefühle

und deuten Schmerzen an.

 

Im Winter halten die Stunden an.

Züge gleiten surrealistisch dahin

ohne den Regen anhalten zu können.

Es stehen im matten Laternenlicht

an der Ecke

die Männer mit Aktentaschen

und warten geduldig

bis der Bus endlich kommt.

 

Nach Verlassen der Büros

im Europäischen Parlament

werden auf dem Platz Luxemburg

politischen Gerüchte aufgeschnappt.

Viele bekannte und weniger Bekannte

versammeln sich dort zum Plaudern.

Zu erinnern sei an Guido Westerwelle

der hier mal verweilte und mit 54 Jahren

am Krebs starb. Er hatte geglaubt

ihn überwunden zu haben.

So kann alles trotz Chemo täuschen.

 

Wegen der zerriebenen Neuheit der Integration

gilt Europa als eingeholte Vergangenheit der Zukunft.

Symbol dafür ist die Drehtür durch die jeder zur Kommission gelangt

mit dem Hinweis alles Gesagte sei nicht verbindlich.

 

Das Buch von Stefan Zweig, Sternstunden der Menschheit,

liegt vergessen auf einer Parkbank

nicht unweit vom Parlament,

Nur der Wind zeigt Interesse.

Lässig blättert er das Buch durch

bis die unsichtbaren Finger

bei der Geschichte vom Fall Konstantinopel ruhen.

Auch jene handelt von nicht eingehaltenen Verträgen

und welch ein Misstrauen und mangelnde Solidarität

darauf folgt. Dem modernen Griechenland ergeht es ähnlich.

.

Angesichts der Finanzkrise definiert sich Liebe

als alte Angelegenheit.

 

Für die Fremden in dieser Hauptstadt von Europa

bleiben zerriebene Zitronenblätter in der Hand

Erinnerungen an den Geruch des Südens

wobei in der Küche der Geschmack die Herkunft verrät.

 

Dauernd fragt der schmunzelnde Wind

die Kinder ob es für ihn obwohl

ein zerzauster Gast ein Bett gäbe.

 

Mehr noch, die hinterlassene Spur des Windes

gleicht einem Besen der durch die Stadt eilt

und der das Trocknen und Kämmen der Haare

als etwas Überflüssiges erscheinen lässt.

 

Begleitet von ihrem Mann

schiebt die Frau den Kinderwagen

an der großen Techno-Uhr vorbei.

Es fällt dabei ein unstimmiges Weltbild auf

wie Kinder zu erziehen seien.

Hier hält der Wind inne – Atemwende:

nach Celan bleibt es bei windigen Straßen,

in denen verwirrte Stimmen zu hören sind,

so als seien Worte keine Zeugen mehr

während auf der Suche nach der europäischen Sprache

jeder sich im Behördenland vergeblich umhört.

Bleibt nur der Trost dass die Muttersprache konkret

im Vergleich zum 'interkulturellen Dialog' bleibt.

 

Wegen des Wechsels von Nation zu Brüssel

herrscht ein heilloses Durcheinander

und lässt die Suche nach Europa sein.

Denn es gibt keinen Ausweg

aus dem Labyrinth der Institutionen,

es sei denn alle befreien sich

vom Opfergang zum Minotaurus

der weiterhin Wahrheiten verschluckt.

Auch wegen der Hast im Alltag

bleiben die Menschen die Entfremdung

etwas entrückt und näheren sich langsam.

So lassen sie verschiedene Sprachen zu

und auch eine andere Verständigung

die dann praktisch wird wenn wahr.

 

Obwohl es gestern noch die Bäume gab,

heute aber die Schnellstraße die Landschaft durchzieht,

machen nur noch wenige politischen Debatten deutlich,

dass es die Dialektik zwischen öffentlicher Wahrheit

und öffentlichen Räumen überhaupt noch gibt.

 

Allein der suchende Mensch erkennt sein Gesicht

im Spiegel seines Wunsches nach weniger Bürokratie.

 

 

Tanz am Fels

 

Lass den Traum sein,

er gleitet ohnehin herab

weil er glaubt er sei ein Drache

der singende Drähte übersteigen kann,

aber dann wird er vom Winde gepackt

der durch die Straßen saust.

Das geschieht solange

bis der Dieb der Zeit

ihn am Kragen packt

und den Traum verschleppt,

um ihn dann vor dem Fels der Zukunft

einfach stehen zu lassen.

 

Dort beginnt der Traum gleich einem Hut

vor dem Fels zu tanzen:

flink die Beine, die Arme ausgestreckt.

Der Traum wirbelt und wirbelt wie die Derwische

bis das Gesicht einer Zwiebel gleicht.

Bei diesem Anblick kann jeder weinen,

aber auch lachen. Vergessen sind die Sorgen

wenn solch eine Vorstellung Wirklichkeit wird

und Bäume dem Fluss sagen wo die Fische

sich nahe den Stromschnellen tummeln.

Bald darauf gleicht der Traum tanzenden Bienen

nachdem sie neue Quellen an Nektar entdeckten.

Es schauen zu die Fichten die ihre Häupter

ganz sanft im Wind wiegen. Es naht der Schlaf

für den nun erschöpften Traum.

 

Doch selbst danach, im Schlaf, tanzen die Beine.

Die Bewegung überrascht den Körper.

Im Grunde gleicht das dem Glück eines Kindes

das ähnlich zur Meerestiefe wunderbare Töne

aufsteigen lässt, solange bis Wellen sich ans Ufer

wie Seehunde legen, wartend bis der Traum

den Tanz am Fels erneut aufnimmt.

 

Der Traum entfernt sich vom Tod, hin zum Leben.

Zurück bleibt das fatale Denken weil es dem Negativen

nichts entgegen zu setzen vermag. Mittels Sprünge

durch die Luft vermag der Traum die Schwerkraft

zur Freude aller spielend leicht zu überwinden.

Bald gleicht der Traumtanz den dahin eilenden Fischen

die es verstanden den Netzen der Fischer zu entrinnen –

und so hinterlässt der Traum Spuren im Sand,

um die erlebte Zukunft am Fels zu skizzieren.

 

 

Wortlose Häuser

 

Wortlos sind die dicht an-einander stehende Häuser

wenn am Rande ihrer prekären Existenz

wie heute Abend in Athen erneut der Fall

ein Schutzhelm eines Motorradfahrers

nach einem fürchterlichen Unfall

am Straßenrand liegen geblieben ist.

Als Zeichen eines verlorenen Lebens

sagt der Helm mehr im Schweigen aus.

Aber auch andere Streifen am Horizont

sind wortlos wenn folgend dem Blick

von Piräus hinaus zur Insel von Ägina.

Zurückkommend von dort naht die Fähre

dem Geruch des Hafens von Piräus

fast wie eine hochnäsige Dame.

Zu sehen sind die Säulen auf der Akropolis,

worunter in der Plaka die Häuser sich dem Fels anschmiegen.

Unweit davon tauchen die Menschen in den dichten Verkehr

zwischen Syntagma und Omonia Platz ein.

Alle scheinen dahin zu eilen als ob Leben

kein Denken im Gehen mehr sein kann,

sondern nur ein und die selbe Ausweglosigkeit

im Stadtgewühl. Dennoch finden sie sich zurecht,

und das tagein, tagaus bis selbst nach Mitternacht

wenn keine Metro mehr durch die Museen fährt.

Zur Begründung des Leben genügen ihnen Witze

und kleine Geschichten erzählt im Café.

Ihre Erinnerungen steigen wie Visionen mit dem Rauch

auf und verleihen den vom Leben gekennzeichneten Gesichtern

nachträglich einen vollen Ausdruck an Zufriedenheit.

Im Blick auf die klassischen Bauten der Universität von Athen

wird einem bewusst eine besondere klassische Schönheit.

Auch besagen die Wandbilder, dass der Mythos

noch heute weiter lebt, aber bloß andeutungsweise

den die Geschichte seit der Antike ist sehr komplex.

Der Mann im Büroladen weiß darüber Bescheid.

Er sieht was die Jurastudenten auf der anderen Straßenseite wollen

denn die Rechtsfakultät existiert in einem Land

in dem das Gesetz, also der Nomos, nicht sehr geschätzt wird.

Für solch einen Beruf zu studieren und sich zu engagieren

setzt voraus eine Menge an Wissen und Geschick.

Die meisten von ihnen werden in Büros

von bereits bekannten Rechtsanwälte arbeiten

oder sie beraten Politiker egal die 'Couleur'.

Touristen kommen und gehen ebenso,

bleiben ab und zu stehen, schauen sich um,

nehmen ein Fotos meistens von sich selber,

und klettern dann zum Likavitoshügel rauf.

Einmal oben bei der Kapelle angelangt,

hören sie die Glocken die ihren Ton

über die ganze Stadt hinweg senden.

Herab schauend auf all die flachen Dächer der Häuser,

kommt einem der Gedanke, dass sie einen gerade dazu einladen

von einem Dach zum anderen zu springen,

so als sei die Stadt ein einzigartiges Trampoline.

Auf einem Dach schleicht die Katze um eine Vase voller Blumen,

während auf einem anderen eine stehen gelassene Leiter

unendlich viele Assoziationen evoziert. Das Gefühl hier zu leben

lässt den Körper entspannen weil inmitten einer lebendigen Gegenwart.

Der Mensch will von Natur aus frei sein, darum mag er es nicht

wenn das Konkrete mit dem Metaphysischen verbunden wird.

Das kann die Kirche oder ein verrückter Philosoph tun.

Eher erlaubt das Wetter eine Freiheit ständig draußen sein zu können,

und das in einer Stadt die nicht unabhängig von der Natur existieren kann.

Das verdeutlichen die wortkargen Felsen die plötzlich hervorragen.

Sie sagen mehr aus als eine aus dem Boden gestampfte Stadt.

Im Blick über die Akropolis hinweg hinaus aufs Meer

kommt es einem vor, als würden die Augen einfach

den Möwen hinterher übers Wasser hinaus fliegen,

um mit scharfem Blick nach Nahrung oder Anhaltspunkte zu suchen.

Die gibt es genügend, so auch die Wendeltreppe

rauf zum Leuchtturm oder die rostige Leiter des Frachters

der wie viele andere Schiffe nahe dem Hafen Piräus vor Anker liegt.

Er wartet darauf bis sich jemand seiner erinnert, dass er bereits

die Atlantik überquert hat und bei Neufundland gewesen war.

Der Stewart erinnert sich selber an jene wortlose Küste,

weil einst eine Schrei-Eule auf dem Deck landete

als das Schiff bei Grönland in den St. Lawrence Strom einlief

und somit die kanadische Wildheit all gegenwärtig wurde.

Er brachte sie in die Kabine der Passagiere zwecks Begrüßung.

Andere Assoziationen entstehen hingegen im Süden

wo das Leben oft genug auf dem Schiffsdeck sich abspielt

und die Vernunft von einem sinnlichen Lockruf

ähnlich zu den Sirenen verführt wird, und im Spiel verliert.

So etwas kennt nur seine eigenen strengen Rituale.

Darum ist Liebe mehr als nur eine Gabe der Hand oder des Kusses.

Eher besagen es die Finger wenn sie den Körper berühren,

um den großen Bogen von Nähe zur Ferne

einfach im Wortlosen als unausgesprochene Liebe gelten zu lassen.

All das gleicht dem Gesang auf ein sagenhaftes Leben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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