Ποιειν Και Πραττειν - create and do

10 + 2 Gedichte 2015

 

von

Hatto Fischer

 

begleitet auf der Gitarre von

Lutz Gelbert

 

 

9.Mai 2015

im Garten von Gelberts Haus

in Köpenick / Berlin

 

 

Inhalt

Bleibt das Nachdenken

Unsicherheit

Spuren der Neuheit – in Erinnerung an Hölderlin

Grausame Wahrheiten

Licht

Abwesenheit

Piraeus – 2

Das Verlangen nach Leben

Die Landschaft

Starke Vorstellungen (was vom Ausgang der griechischen Wahlen am 25.Januar zu erwarten ist)

Der Blinde

Antworten an den Wind, mein Freund

 

 

Bleibt das Nachdenken

 

Morgen, morgen

wird es stark wehen,

für Vorsicht oder Nachsicht

also keine Zeit.

So heißt es üblich:

es mag geschehen,

was kommen wird!

Ein Wirbelwind? Vielleicht!

Im Ansturm lebt auf

das Gemüt.

Beten geht nicht.

Im Gebirge wird allerdings

jeder mit 'Grüß Gott'

begrüßt.

Metaphern wandern dahin.

So viel ist gewiss:

das Ende wird zum Anfang,

wenn trübselig die Wehmut,

die Zeit umarmt

weil Hunger die Seele labt.

Da taucht auf ein verschmitzter

Großonkel und gebraucht

das Wort Schmarotzer.

Er meint, es gab solch einen

am Hof des Königs.

Jener kam zur Welt

am Starnberger See

in dem er ertrank.

Das war das Kind im Mann.

Vieles dreht sich seitdem im Kreis.

Doch zeitgleich spielen die Wellen

mit den Kieselsteinen

am Strand,

und die Sonne

lacht auf

als der Wasserspiegel

sich wölbt, auf bläht

und wie der Walfisch

in die normale Tiefe

zurückfällt.

Dagegen im Dorf,

nahe der alten Kirche,

knüpft der Fischer

noch immer sein Netz,

um das herauszunehmen,

was übrig bleibt:

das Nachdenken.

 

 

 

Unsicherheit

 

immer wieder

wenn ich Lichtstreifen durchquere

scheint mir die Sonne in die Augen;

erst im Schatten kann ich wieder sehen

 

im Dorf läuten die Glocken

den Sonntag ein,

für einen Moment verstummen die Vögel,

dann öffnet der Nachbar die Hintertür,

später lässt er Wasser in den Kübel laufen

 

die erfahrbare Zeit nähert sich auf leisen Sohlen

Kinder durchqueren den Fluss nahe der Holzbrücke;

es riecht nach nassem Laub -

das Froschkonzert ist heute besonders laut.

 

 

Spuren der Neuheit

- in Erinnerung an Hölderlin

 

Spuren der Neuheit verliefen sich in der Stadt

ein Grund dafür der Dialog blieb aus. Er wollte

nur den 'göttlichen', lehnte dagegen die Sprache

der rauen Männer auf offener Straße einfach ab.

 

Nachdem ein kurzer Sommerregen aufkam,

und die Straßen ein wenig vom Staub befreite,

erhellte der Himmel sich alsbald wieder.

Glocken läuteten in der Ferne. Ganz nahe

ertönte aus dem Turm ein Lied des Lobes

auf Sophokles. Bald kam Empedokles hinzu.

 

In Erinnerung an Weinberge und kleinen Dörfern

kann das Verbleiben in Gedanken an die Antike

anderes betonen, denn ist einmal Denken im Staub

ein Begriff, schlagen die Wellen nicht mehr so hoch,

um sein Verbleiben im Turm am Neckar zu bedrohen.

 

Eher schien es am Verlust der Liebe zu liegen,

dass er sich nicht mehr hinaus traute.

      Alsbald wurde manch ein Geflüster

über seinen Zustand vom Winde

davon getragen. Zurück blieb

auf dem Tisch das Gedicht als Fragment.

 

 

Grausame Wahrheiten

 

Noch heute ist der Befehl zu hören:

zurück bleiben!

Im Museum sind die Schuhe

derjenigen zu sehen,

die im Konzentrationslager

verschwanden.

Ein Frost-ähnliches Schweigen liegt über allem.

Damals tauschte Jean Amery sein Essen gegen Zigaretten ein.

Er überlebte diese drei Jahre, nicht aber die Zeit danach.

Nie zuvor waren so viele Züge an diesem Ort angekommen;

sie entluden ihre ahnungslosen Fahrgäste. Die Endstation hieß

Auschwitz.

Adorno meinte danach seien keine Gedichte mehr möglich.

 

Januar 2004



Licht

 

Liebe bleibt Licht

   auch dann

wenn sie ausbleibt

und in der Dunkelheit

nicht zu sehen ist.

 

Selbst wenn Liebe als Lichtquelle

ihn blendet, ja ihn aus Freude

wie ein Betrunkener

bis an den Rand ihres Schicksals

taumeln lässt, wird er nüchtern

sobald er sie berührt,

und ihren Atem

in seinem Gesicht spürt.

 

Fühlt sie erst einmal seine Blicke

wie Licht über ihre Haare streifen,

lächelt sie ein wenig verlegen

während unter ihren Augen

die Seelenfenster sich öffnen,

er endlich ihre Schmerzen sieht.

 

Verstehen kann so zur Brücke werden

die er hofft eines Tages zu überqueren,

wohl wissend darunter fließt die Sprache

gleich ihrer imaginären Überzeugung

in Liebe als das Licht das ihn sehen lässt.

 

 

Abwesenheit

 

Ihre Abwesenheit nahm er in Kauf,

wenngleich eine Viertelstunde später

die auslaufende Fähre, gefolgt von Möwen,

ihm sagte die Hälfte des Tages sei bereits um,

er ihre Realität nur durch Tränen sehen kann.

 

Danach machte es wenig Sinn zu fragen:

                             welche Zeit haben wir,

                             was sagt die Uhr?

 

Einfach die Zeit erleben, eine Zeit ohne Regeln,

hieß die Geschwindigkeit anders zu messen,

selbst wenn sein Herz un-rythmisch pocht,

und das Verlangen nach ihr ihm entgleitet.

 

Abhold den Held zu spielen, ritt er

auf dem Schaukelpferd, abwartend

ihre Rückkehr aus Griechenland,

gleich Kindheits-Träumen im Spätsommer.

 

Das Verlangen nach Liebe zu verstehen,

hieße ihre Abwesenheit entlang der Wand

mit dem Schatten spielen zu lassen,

bis Sonnenstrahlen alles überfluten,

er mittels Fantasie anwesend sein kann.

 

August 1984 (aktualisiert 3.4.2015)

 

 

 

Pireaeus – 2

 

Du, so hörte ich später,

hast Dir im fremden Land

eine andere Frau genommen.

Dein Schweigen wurde vollkommen,

gleich dem Vollmond

scheinend auf das Wasser

im Hafen Deiner Herkunft.

 

Nicht beschreibbare Klänge

haben sich seitdem

mit fremden Stimmen vermischt,

aber überall im Hafen rufen sie

unverändert deinen Namen aus:

„Andreas!“

 

Das sagen mir die kreischende Möwen,

mögen noch so wenige Schiffe auslaufen,

die Zeit zur Rückkehr, Andreas,

sie ist reif,

aber jene Frau hält dich fest,

darum bist du nicht mehr im selben Sinne frei

als du von dannen zogst,

so löse dich, komme zurück!

 

Da gibt es Menschen die warten

bis tief in die Finsternis hinein,

sie warten auf die Stunde

in der sie dich begrüßen können,

ja, ganz einfach so,

mit einem Gesang der Freude.

 

11.1.1988

 

 

Das Verlangen nach Leben

 

Das Verlangen nach Leben gleicht einem ewigen Dahin-wandeln im Traum

weil auf der Suche nach etwas wahren, doch in Wirklichkeit sind die Helden

die von dannen gezogenen Bauern. Die Ferne rief sie. Niemand lockt sie wieder.

Während die zurück gebliebenen Felder in ihrem ausgetrockneten Zustand

anscheinend vergessen haben die Furchen die sie einst zogen,

stehen noch heute die Mauern die sie gleich einem Hahnenkamm

dem Berghang hochzogen. Sie verlaufen am Rand der Felder immer weiter

nach oben und das ohne zurückzublicken. Die Mauern besagen es:

immerzu wurde im Schweigen gearbeitet, selten gelacht -

Giannis da unten, Jorgios weiter oben. Kaum kamen sie tagsüber zusammen.

Nur manchmal legten sie gemeinsam Stein auf Stein, um die letzte Lücke

in der Mauer zu schließen. All das brauchte seine Zeit. Jahre vergingen dabei.

Den Frauen daheim blieb es überlassen dem Geruch der Erde nachzugehen.

Was lässt das noch zu? Die Heirat zwischen Wind und Stille scheint da leichter.

Stumm saßen sie am Tisch, doch so bald außerhalb der Hütte, folgten ihre Blicke

dem Schweigen hinab ins Tal. In der Ferne verlief sich der Pfad. Wo die Zukunft?

 

Angesichts all dem ließ er seinen Blick zugleich nah und fern streifen.

Er stellte fest, diese Landschaft will keine Unruhestifterin, nur die Akropolis sein.

Angesichts einer Geschichte bestehend aus Verteidigung und Erorberung

wurde sie zu einer natürlichen Begleiterin seiner Gedanken und Träume.

Da nun mal von ihr verlassen, wandte er sich erneut seinem Buch zu,

um über das ‚Ja’ zu schreiben, jenes das er versäumte ihr zu sagen, damals,

als der Wind es noch zuließ ihren Atem zu spüren. So nahe war sie ihm mal!

 

Paros Juni 2008

 

Aus dem Zyklus „Dialog mit dem Schweigen – Paros Gedichte“, siehe

http://poieinkaiprattein.org/poetry/poems-by-hatto-fischer/dialogue-with-silence-dialog-mit-dem-schweigen-paros-poems-gedichte/

 

Die Landschaft

 

Die Wortstille entlang dem Atemweg

kennt keine Grauzone, heiratet sie doch

jeden Tag erneut den Wind.

 

Der Wind wirft Gedanken einfach durcheinander,

oder durchzieht die Landschaft wie ein Wilder.

Und die Stille immer hinter her. Bleibt er aber aus,

läuft die Stille rauf und runter dem Berghang

weil sie vergeblich den Wind sucht.

 

Alsbald meißelt sie Worte in die Steine die Schatten spenden,

oder schleicht entlang Konturen der Erde die Gerüche verstreuen.

Denn selbst in aller Trockenheit ist da eine Fruchtbarkeit vorhanden

die der Wortstille Fundstücke einer Geschichte der Menschen gibt.

 

Kommt erneut der Wind auf, wirbelt er Staub zum Schreiben auf.

Er füllt die Muscheln des ehemaligen Sees der hohen Lüfte

mit Klangfarben ihrer sagenhaften Stimme, zaghaft wie immer,

so dann stillen die Worte im Wind sein Verlangen von ihr gehört zu werden.

 

Sie verstand das Zuhören als eine Reise in die weite Welt hinaus.

Darum nahm sie freiwillig an sich das ganze Gepäck,

ja sie lud sich mehr auf, als was ein Esel tragen kann,

und sagte bloß dazu, nur so sei an ein Vorankommen zu denken.

Sagte es und machte sich tatsächlich eines Tages auf den Weg.

 

Da stand der Berg zum Abschied beiseite.

Sein Schatten fiel dem Hang herab wie ein Bart.

Lange schaute er ihrer dahin eilenden Figur nach bis sie

auf dem Weg hinab ins Tal aus der Sicht verschwand.

 

Später wurde ihm gesagt, sie begab sich

zum Fluss, dann zur See,

aufs Schiff mit Segeln,

mal gehisst, bald nicht mehr

am Horizont sichtbar.

 

Paros Juni 2008

Aus dem Zyklus „Dialog mit dem Schweigen – Paros Gedichte“, siehe

http://poieinkaiprattein.org/poetry/poems-by-hatto-fischer/dialogue-with-silence-dialog-mit-dem-schweigen-paros-poems-gedichte/

 

Starke Vorstellungen / oder was als Ausgang von der Wahl am 25. Januar zu erwarten ist

 

Wenn ich nur die Felsen zerschmettern könnte,

Felsen gegen die sich Winde der Meere lehnen.

Sie kommen und gehen ganz ungehindert, aber an den Felsen

sind gekettet magische Projektionen was Sisyphus nach Camus betrifft.

Es ist als würden wir jetzt nur in virtuellen Welten leben,

und unsere Fantasie spiegeln wie sie sich hinausstreckt

gleich der Hand eines hungrigen Bettlers für etwas zum Essen.

Wenn ich nur laut aufschreien könnte, aber ich ertrinke fast im Schweigen,

denn die Ungerechtigkeiten in dieser Welt sind wie Wellen

von Riesenschiffen verursacht, wenn sie durchs Wasser schneiden,

und dabei kleine Boote in der Nähe kaum achten ob im Wege.

Gleich einem blinden Mann sehe ich nicht weit, nur höre ich

Geräusche die der Wind entlang dem Strand der Insel verursacht,

jene auf der ich seit dem Schiffbruch ganz alleine gestrandet bin.

Der Abenddunst schreibt mit einer Feder auf was morgens zu erledigen sei.

Es warten vielen Aufgaben, viele davon die Unerledigten weil die Menschen

die Stadt verlassen haben. Sie zogen ein anderes Leben vor, so fühle ich mich

einfach und verlassen; darum wandere ich alleine durch leere Straßen

und höre nur meine Schritte neben Töne längst vergangener Zeiten

die sich jetzt um Lampenposten wickeln wie Zeitungspapier

das nicht davon getragen werden will vom Wind, vom Wind.

Stufe nach Stufe steige ich der Treppe bis nach oben empor,

um eine Antwort nach der ich schon lange suche, zu finden.

Ich will wissen des Wahlergebnis in einem fernen Land am Mittelmeer.

Wie ich höre hat es sich vorgenommen einen anderen Weg zu gehen,

und darum ungewiss lässt was zuerst in Frage gestellt werden soll.

Blechern der Ton wenn die Frauen aus Protest auf die Töpfe schlagen.

Es ist nicht nur der Wind der Geräusche von Veränderungen ertönen lässt.

Durch die Straßen wehen Zeitungen die Nachrichten von heute ausrufen.

Verblassen die Schatten jener Tage als es sich noch ziemte zu existieren.

Wiederholt erinnern die Nachrichten wie prekär das Leben selber ist.

Mitgerissen werden Erinnerungen die wie Wein den Treppen runter fließen.



24.1.2015

Der Blinde

- für Costis, Melinas Sohn der heranwächst und zusehends blind wird

 

Er sieht besser als alle anderen

was du fühlst und überlegst.

Er ahnt mit seinen Händen

welch eine Bedeutung dein Lächeln für andere inne hat.

Und er entnimmt deiner Stimmer allerhand.

Oft wunderst du dich wie er sich fort bewegt

durch die Straßen und trotzdem

den Weg zurück nach Hause findet

ganz allein.

Er scheint niemals einsam zu sein

in seiner Welt des ständigen Dunstes.

Jeder begrüßt und achtet ihn,

er kennt keinen Sarkasmus,

hat er doch ein freundliches Wort für jeden

der an seinem Haus vorüber geht.

Selbst einem Fremden würde er sagen,

gut dass du unter uns lebst,

besonders wenn solch eine Krise

uns derartig zusetzt,

so dass keiner sehen kann was

noch kommen mag. Dem fügt er hinzu

indem er mit dem Kopf nickt

während er mit seinen Augen sucht

wo du stehst, den Gedanken

das Leben ist am mächtigsten

wenn die Vision einer gemeinsamen Zukunft

uns Orientierung gibt. Er schüttelt dann

deine Hand und lässt dich gehen

im Vertrauen du wirst schon

ganz alleine den Weg finden.



12.3.2012



Antworten an den Wind, meinem Freund



Der Wind hießt Segeln

jener Worte

nicht länger schweigsam leer

wenn sie es schaffen

gleich einer Meeresmuschel

Millionen an Jahren

zu belauschen.



Augen leuchten auf

wenn ein Kind lacht

oder wenn der Vogel

im Flug

mit dem Wind

schwatzt.

 

Alte Scharnieren stoßen

einen rostigen Schrei aus

wenn Leute das Gartentor öffnen,

und sich auf den Weg zur Arbeit

in der Stadt machen.

 

Nachgedanken zum Wind

entstehen

wenn einmal gepaart mit Lichtstreifen,

sie einfach schweigsam werden

wenn sehend

das Lächeln eines Kindes

 

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