Ποιειν Και Πραττειν - create and do

Die Verneinung der Poesie durch die Philosophie

Die Welt durchgeht schwierige Zeiten. Vor allem ist alarmierend das Schweigen der Dichter und Philosophen. Die Probleme werden nicht genau definiert. Allzu vieles wird verneint, weil anscheinend ohne Nutzen. Die Urteile passen sich einer einseitigen Verwertungsmaschinerie der Wirtschaft an, zugleich wird sozusagen im Untergrund die Gegenbewegung spürbar. Sie lehnt alles ab was zum System gehört. Bei manchen war allein der Begriff des Systems, gleichgesetzt mit Kapitalismus, Anlass genug um ihre Verneinung von allem Kund zu tun. Unter die Räder gerät dabei auch die Poesie. Doch sie bekommt zu aller erst die Ablehnung durch die Philosophie zu spüren.

Die Verneinung der Poesie beginnt bereits in der Schule. Ein Historiker auf Malta erzählte als er eine von Nonnen geleitete Schule besuchte, versuchte er eines Tages während des Unterrichtes Gedichte zu schreiben. Die Nonne erwischte ihn dabei und gab ihre Verachtung gegenüber der Poesie zu erkennen. Sie verbot ihm nochmals das zu versuchen. Eingeschüchtert wie er durch diese Autoritätsfigur war, vermochte er nicht mehr danach zu dichten. Seitdem hat er den Bezug zur Poesie verloren.

Die Abkehr von einem offenen Selbstverständnis besagt es gibt keine gemeinsame Sprache die auf einem gegenseitigen Vertrauen basiert. Zu viele Trennungslinien, vor allem religiöse, wurden seit Khomeinys Rückkehr in den Iran in 1979 gezogen. Er repräsentiert den Anfang einer religiösen Antwort auf westliche Einflüsse und Werte des Westens, einschließlich eine reaktionäre Tendenz die sich vor allem gegen die Emanzipation der Frau richtet.

Naipaul beschreibt in seinem Buch 'Jenseits des Glaubens' was die Konversionslogik bewirkt wenn plötzlich ein ganzes Land sich zum Islam bekennt. Vor allem muss ab sofort geleugnet werden dass davor es noch andere Realitäten, die nicht von dieser Religion bestimmt war, gab. Das erschwert den Legitimationsanspruch der Islamischen Religion in einer Gesellschaft wo zuvor die Dialektik der Säkularisierung noch wirksam war. Der totale Herrschaftsanspruch hat zur Folge dass das Individuum nicht nur seine eigene Gläubigkeit unter Beweis stellen muss, sondern er muss nachweisen können seine ganze Familie und Vorfahren waren schon immer für den Islam. Ähnlich zu Nazi-Deutschland als jeder beweisen musste keinen Juden in der Familie noch im eigenen Blut zu haben, läuft das auf Leugnung persönlicher und sozialer Geschichte hinaus. Es treibt viele in eine extreme Form der Identitätsfindung die sich unter anderen in einer Massenkonformität wieder findet aber auch auf persönlicher Ebene eine Kompensation finden muss. Meistens artet das in einem autoritären Auftreten des Vaters gegenüber der Frau und den Kindern aus.

Wenn einmal einer ganzen Gesellschaft ein massives Schweigen auferlegt ist, zwingt das viele der subversiven Logik folgen. Sie üben sich in Konformität auf der Oberfläche während sie im Verborgenen Widerstand leisten. Das gurantiert eine treue Gefolgschaft zumindest an der Oberfläche aber erschwert zugleich enorm die Wahrheitsfindung im öffentlichen Raum und belässt Politik ihrem eigenen Schicksal. Die muss sich ohnehin der Theologie unterordnen. Sodann wirkt das religiöse Gesetz als alles umfassendes ohne jedoch der Universalität des Menschen gerecht zu werden.

Waqas Khwaja ein schwer wiegendes Gedicht dazu geschrieben. Darin kommt vor allem seine Angst vor religiösen Identitäten zum Ausdruck, aber nicht nur. Was im 20zigsten Jahrhundert das allgemeine Problem mit allen möglichen -Ismens war, wird im 21zigsten zum Problem von für absolut gehaltene Identitäten die alles vermischen: das nationale, religiöse, politische, soziale und persönliche Gefühl für eine irgendwie zu lebende Wirklichkeit. Die streng gehaltene Konformität verhindert dass die Mehrheit nicht sehen kann wer priviligiert genug ist nach gesonderten Gesetzen handeln zu dürfen, denn die Anpassung an die restliche Welt ist halt mal erforderlich, irrespektiv von wer mit welcher Überzeugung momentan an der Macht ist.

 

I am afraid of Muslims

 

I am afraid of Muslims

Christians unnerve and alarm me

Jews fill me with dread

I fear Hindus

I am terrified of Gautama’s followers

Scared of Nanak’s devotees

Science and art

Secularism and socialism

Capitalism, communism, commerce, civilization

Rattle and dismay me

 

An ominous firelight flares up in my brain

The moment I see a human figure

And I flee in terror

To deserts, forests, and hills

To rivers, lakes, and seas

To haunts of birds and beasts

The domains of fish and eels

Of sharks, dolphins, and whales

To worlds of insects and worms, and of all burrowing creatures

To realms of reptiles, serpents, and snakes

 

Contiguous worlds

Without rituals of aversion

Without philosophy, religion, law

Without affliction of private visions

Where no species inflicts its language on another

No species its lexicon, its call, its order, its practice

Where life itself is art, living, science

Contiguous worlds

Of simple sorrows, simple joys

Without raptures and ecstasies

Without gnawing of the vitals in envy and spite

Where pain does not devolve to depths of despair

Nor killing bloom into calamity no words may adequately contain

 

Contiguous worlds

Now turned into garbage bins, into litter pits

Into radioactive disposal dumps

In collective indifference

Contiguous worlds

To which malign effluents leach and spread irredeemably

Where the plant of infections and defilement pitches its roots deep into the earth’s core

Contiguous worlds

Invaded and annexed

Ruptured, and torn, and robbed

 

Look, look, I cry out

The stockpiles they have assembled

The toxic malice of their words and deeds

The malevolence of their contempt

The impunity of their depredations

The freedom of their slaughter

Oblivious to what is seeded

Oblivious to what they foment

Unmindful of ruin and havoc

Blind to the obliteration

They have prepared for themselves

 

But the plains smile and shake their heads

Deserts stretch out on their backs and snigger

Mountains, caverns, and rocks ring with laughter

And waters of the earth dissolve in wild guffaws

Waqas Khwaja

Ich habe Angst vor Muslime

 

Ich habe Angst vor Muslime

Christen entnerven und alarmieren mich

Juden jagen mir Angst ein

Ich fürchte Hindus

Ich bin geängstigt von Gautamas Gefolgschaft

In Furcht wegen Nanaks Gläubiger

Wissenschaft und Kunst

Säkuralismus und Sozialismus

Kapitalismus, Kommunismus, Kommerz, Zivilisation erschüttern und bestürzen mich.

 

Ein bedrohlicher Konflikt entbrannt in meinem Kopf sobald ich eine menschliche Figur sehe

Und ich flüchte terrorisiert

In die Wüsten, Wäldern und Hügeln

Zu den Flüssen, Seen und Meeren

Zum Jagdgrund der Vögel und wilden Tieren

Ins Gebiet der Fischer und Aale,

Von Haien, Delphine und Walfische

In die Welt der Insekten und Würmer, und all die Ungeziefer die buddeln

Zum Gebiet der Reptilien und Schlangen

 

Angrenzende Welten

ohne Rituale der Aversion

Ohne Philosophie, Religion, Gesetz,

Ohne Hinweise auf private Visionen

Wo nichts Spezifisches seine Sprache anderen aufzwingt

Nichts Spezifisches sein Lexikon, sein Ruf, seine Ordnung, seine Praxis

Wo Leben selber die Kunst, Leben, Wissenschaft ist

Angrenzende Welten bestehend aus

einfachen Sorgen, einfachen Freuden

ohne zu kauen an den Vitalen der Eifersucht und Boshaftigkeit

Wo Schmerz nicht in die Tiefe der Verzweiflung abrutscht

Noch Töten Aufblühens in die Kalamität keine Worte vermögen das adäquat zu bewahren

 

Angrenzende Welten

Jetzt verwandelt in Abfallcontainer, in Abfallgruben

In radioaktive Müllhalden

Angrenzende Welten

In welchen kranke Abwässer still stehen und unrettbar verbreiten
Wo die Anlage aus Infektionen und Befleckung seine Wurzeln tief in den Kern der Erde treibt
Angrenzend Welten
erobert und annektiert
gebrochen und zerrissen, und beraubt

 

Schau, schau, ich schreie
Die Lagerbestände die sie zusammengestellt haben
Die toxische Bosheit ihrer Worte und Taten
Die Bösartigkeit ihrer Verachtung
Die Straflosigkeit ihrer Verwüstungen
Die Freiheit, nach der Schlachtung
Vergesslich von dem, was ausgesät wurde
Vergesslich von dem, was sie stifteten
Ohne Rücksicht aufs Ruinieren und Verwüstung
Blind für die Verödung
Sie haben für sich gesorgt

Doch auf den Hochebenen lächeln und schütteln sie die Köpfe
Wüsten strecken sich auf ihrem Rücken aus und kichern
Berge, Höhlen und Felsen ringen mit Lachen
Und Gewässer der Erde lösen sich in wilde Lachsalven auf

 

Waqas Khwaja

Übersetzung ins Deutsche: Hatto Fischer

 

Ferner besagen die gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustände, dass die Politik gegenüber der Kultur versagt hat. In der Ablehnung von Poesie macht sich außerdem der fehlende interkulturelle Dialog bemerkbar. Dichter übersetzen dagegen sehr schnell Gedichte von der einen in die andere Sprache, und verhelfen dadurch einer kulturellen Vielfalt lebendig zu bleiben. Dagegen tun sich Übersetzer von philosophischen Texten unheimlich viel schwerer. 

Allerdings gibt es den Inbegriff eines poetischen Lebens der auch nicht so leicht übersetzbar ist weil erst durch Nuanzen zu verstehen. Das poetische Leben vereint Verlangen nach einem vollen Leben mit dem Wunsch sich von der Armut an Erfahrungen befreien zu können. Inbegriffe wie 'ausgefüllt' sein zu wollen oder 'Lebensqualität' insbesondere bei Krebspatienten wenn sie vor wichtigen Entscheidungen stehen, geben solch ein Verlangen zu erkennen. Manche interpretieren das als Suche nach Authenzität doch der Philosoph Bart Verschaffel problematisiert ihn in seiner Anwendung von der Architektur (siehe Architecture is (as) a Gesture - on 'authenticity' as an architectural criterion by Bart Verschaffel). Dieser Hinweis von Bart Verschaffel is um so wichtiger, weil er diesen ästhetischen Anspruch nicht auf eine Nivellierung des Ganzen reduziert, sondern es bei einer Gestik belässt. In einem bestimmten Kontext kann ebenso das Gedicht einem Anheben des Kinns, also eine Gestik gleichen. Mehr muss nicht gesagt werden um eine Verneinung zu verdeutlichen, aber das was dabei nicht gesagt wird, bleibt unübersetzbar. Solch ein kurzes Anheben des Kopfes um das Kinn emphatisch nach vorne zu strecken wird im Griechischen Kulturkontext praktiziert und macht deutlich hiermit wird ein averbales Nein artikuliert.

Philosophisch schaut das Nein ganz anders aus. Während bei Hegel das zu einer Systemlogik basierend auf der 'Negation der Negation' gemacht wird, beschreibt Freud in seinem kurzen Aufsatz 'die Verneinung' wie Menschen ihre eigene Identität am Arbeitsplatz abgeben und stattdessen nehmen die von ihnen angefertigten Produkte ihr eigene Identität an. Denn dann heissen sie alle 'Made in Germany'. Fast könnte man meinen hinter solch einer Verneinung steckt ein kollektiver Wahnsinn weil alle da mitmachen und deshalb sich gegenseitig verneinen.

Bei Hegel wird das noch expliziter wenn er bei der Identitätsentwicklung basierend zu aller erst auf einer Anerkennung des Staates die Andersheit und die Verschiedenheit negiert wird, um zu aller erst Ich als Deutscher als Bürger dieses Staates Rechte zu erfahren. Diese abstrakte Ich-Bezogenheit auf den Staat beginnt also bereits in der Kindheit wenn die Eltern ihren Kindern verbieten nicht nur mit den verschiedenen Kindern in der Nachbarschaft zu spielen wenn jene aus fragwürdigen Verhältnissen stammen, sondern sie sollen sich in ihrer Identitätsfindung auch nicht mit Kindern in Frankreich oder England, also mit der Andersheit zur eigenen Identität befassen. Um sicher zu gehen die Ich Bezogenheit zum Staat wird realisiert, verlangt Hegel dass jeder seiner oder ihrer eigenen Identität einen vom Staat anerkannten Begriff gibt, um erkennbar zu sein. Das wirkliche Problem darin gibt Hegel zu, den er fügt dem hinzu, dass das Ich dabei "im Begriff zugrunde geht." Solch eine Selbstzerstörung an authentischer Ich-Bezogenheit schafft enorme Probleme oftmals als Binsenweisheiten verkannt. 

Interessanterweise gibt Milosz dieses Problem in einem kurzen Gedicht zu erkennen wenn er die Ich-Findung als ein Stossen an Grenzen beschreibt. Sie kann zugleich als Ambivalenz interpretiert werden denn am Ende mag keiner zu beurteilen ob das die Grenze ist ab dann es kein Ich mehr gibt oder ob dieses vorgefundene Ich nicht-Ich ist. Fast kann behauptet werden, hier stimmt was nicht. Diese Frage nimmt den Leser erneut zurück ins Gedicht, um nochmals nach zu vollziehen wie es dazu kam. Das kann leider auch als Zurückgeworfenheit im Sinne eines Heideggers verstanden werden. Ob Milosz das meinte, ist hier nicht ausschlaggebend. Viel mehr ist bestimmend dass er die Ich-Findung mit der Suche nach den einfachen Freuden verbindet, zugleich andeutet die Negation von Identität kann mittels des Gedächtnis überwunden werden. Das Gedächtnis kann auch eine Landkarte sein, um den Weg zu finden. Noch mehr es ist nicht das erste Mal dass dieser Weg gegangen wird. Das Gedicht evoziert aber keine Wiederholung sondern eben die Erinnerung die anzeigen frühere Ich-Erfahrungen haben Spuren hinterlassen und machen möglich eine Schilderung wie eben das Ich an jene Grenze kam. 

 

This Only

 

A valley and above it forests in autumn colors.
A voyager arrives, a map leads him there.
Or perhaps memory. Once long ago in the sun,
When snow first fell, riding this way
He felt joy, strong, without reason,
Joy of the eyes. Everything was the rhythm
Of shifting trees, of a bird in flight,
Of a train on the viaduct, a feast in motion.
He returns years later, has no demands.
He wants only one, most precious thing:
To see, purely and simply, without name,
Without expectations, fears, or hopes,
At the edge where there is no I or not-I.

 

~ Czeslaw Milosz ~

 

 

Nur das

 

Ein Tal und darüber Wald in Herbstfärbung.

Ein Reisender trifft ein, eine Landkarte hat ihn hier gebracht.

Oder vielleicht das Gedächtnis. Einmal vor langer Zeit in der Sonne, als Schnee zum ersten Mal fiel, reitend entlang diesem Weg, fühlte er Glück, stark, ohne Grund, Freude in den Augen. Alles war der Rhythmus wandelnder Bäume, von einem Vogel im Flug, von einem Zug auf der Viaduct, ein Festmahl der Bewegung.

Viele Jahre danach kehrt er zurück, verlangt nichts.

Er möchte nur eines, das kostbarste Ding:

zu sehen, rein und einfach, ohne Namen,

ohne Erwartung, Angst, oder Hoffnung

am Rande da wo kein Ich ist oder ein Nicht-Ich.

Czeslaw Milosz

 

Entscheidend dürfte sein durchs Eintauchen ins poetische Leben die persönliche Stimme zu finden, vorausgesetzt ihr wird auch zugehört. Das wurde Eingangs betont als vom Lichte in der Poesie zu stehen als etwas besonderes berichtet wurde. Wird also solch ein Gedicht in die Gesellschaft von der Stimme des Dichters in die Gesellschaft getragen, kann das dazu beitragen, dass die Menschen ihren persönlichen Zugang zum Selbstverständnis finden.

Die Verneinung der Poesie kommt zustande wenn jedem Menschen ein praktischer Zugang zur Welt abverlangt wird, aber der Zugang zur Poesie verriegelt ist. Dann fehlt der gemeinschaftliche Sinn fürs Selbstverständnis. 

Aus diesem Grunde gilt es den Dialog zwischen Poesie und Philosophie als Vorsatz für die Reflexion der Vorstellung des sozialen Handelns zu bewahren. Es gilt ferner die Ebene der sinnlichen Gewissheit mit die der Erfahrung (nach Kants Vorbild das Experiment welches die Verifizierung wissenschaftlicher Hypothesen ermöglicht) so zu vereinbaren, dass eine offene Suche nach Wahrheit möglich bleibt. Denn beides sowohl die sinnliche Wahrnehmung als auch die Begriffsklärung sind wichtig.

Poesie nimmt oftmals etwas voraus, was in die Geschichte der Menschheit eingehen wird. Dazu gehören übersehene Einzelheiten die erst eine kulturelle Synthese ermöglichen. In ihr verbergen sich wichtige Erinnerungen als bewusst erlebte Momente. Sie werden deshalb oftmals verdrängt weil das Erinnern an sie einen tiefen Schmerz verursacht, insofern sie bewusst machen wie schnell die Zeit vergeht und darum den Menschen voran schiebt. Philosophen nennen das eine fortlaufende Veränderungen wobei die erlebten und gelebten Momente niemals mehr wieder kommen können, es sei denn das lebendig gehaltene Gedächtnis daran ermöglicht ein Eintreten in was gegenwärtig erinnerbar ist, und darum vermittelbar weniger als eine erzählbare Geschichte, sondern vielmehr als Deutungsversuch der Gegenwart.

Die Deutung spielt eine enorme Rolle bei Freud als auch bei Adorno, und wurde von Ricoeur als 'Interpretation' zu einem Grundsatz der französischen Philosophie. Interessanterweise besteht ebenso da eine Kluft zwischen Frankreich und Deutschland wobei nur sehr wenige, Martin Jay ein gutes Beispiel, es verstehen zwischen den beiden Welten zu vermitteln. Was einst dem Positivismus Streit zwischen Adorno und Popper als eine Vergeblichkeit auszeichnete, kehrte wieder im geringen Gelingen eines Dialogs zwischen Derrida und Habermas. Woran kann das liegen?

Ein Durchwandern von Europa erlaubt das Markieren unterschiedlicher Lebenswelten. Dabei spielen immer Poesie und Philosophie eine entscheidende Rolle. Mal kommen sie näher zusammen, mal rücken sie wiederum weit auseinander. Es ist darum eine entscheidende Frage, was verbindet und vereint, zumal Dichter dafür bekannt sind sich gegenseitig zu übersetzen, um dadurch einen feinen Dialog zu pflegen. So liebt Katerina Angehlaki Rooke Hölderlin und verzweifelt daran, dass sie ihn nicht in seiner Originalsprache lesen kann. Andersherum lieben viele die von Theodorakis vertonten Gedichte von Ritsos, dessen Thema der Äquivalenz heutzutage um so wichtiger ist, weil er von einer gerechten Teilung des Brotes ausgeht, denn das sei die Brücke über die er reden will.

Ist einmal diese Brücke überquert kann weiteres zur philosophischen Sprache gesagt werden. Sie überzeugt wenn sie zum sanften Nachdenken anregt. Philosophie als bewusste Sprache setzt ein Wissen voraus wie was zu benennen ist. Das reflektiert ein gemeinsames Wissen, insofern die Epistemologie der Begriffe nicht mehr willkürlich gebraucht werden können. Klar ist aber auch dass es Unterschiede zwischen den Begriffen gibt. Krankheit kann vieles und etliches umfassen, Beinbruch ist da schon spezifischer. Die Philosophen versuchten dabei stets das Vorgestellte das bei allem Gemeinten mitschwingt zu reflektieren doch das ist nicht leicht nachvollziehbar zu machen wenn der Kontext des Verstehens fehlt. Darum spricht Martin Jay von 'force fields' oder Felder die einen wenn nicht sogar zwingen, dann zumindest jeden dazu bringt einen besonderen und keinen anderen Begriff zu verwenden, um das was geschehen ist oder vorliegt zu bezeichnen. Natürlich gibt es da Verschiebungen oder bewusste Sprachmanipulationen wenn Managers bei der Rationalisierung der Fabrikarbeit nicht von Arbeitsentlassung sondern von 'persönlicher Adaptation' sprechen. Solch ein Ansatz besagt erstmals Unterschichten oder jene ohne viel Bildung benutzen und verstehen Dinge nur wenn direkt angesprochen während die bewusste Sprachmanipulation eines will und zwar den wirklichen Tatbestand soweit zu verschleiern so dass es nicht zu einer befürchteten Reaktion oder sogar Revolution kommt. Martin Jay deutet auf die weit verbreitete Praxis der 'Mendacity' oder das bewusste Einsetzen der Lüge die oftmals mit der Behauptung, die Menschen seien nicht am Wissen der vollen Wahrheit interessiert, gerechtfertig wird. Anders gesagt was besagt das wenn dem Menschen allzu viel zugemutet wird, aber er nicht ehrlich informiert wird? Hier dann unterscheiden sich deutlich die poetische von der philosophischen Sprache wenn es ums Aufdecken an Unwahrheiten handelt.

 Anhang:

Obwohl Hegel Hölderlin seit deren gemeinsamen Studienzeit im Tübinger Stift kennt, verneint er einerseits die Poesie als auch die sinnliche Wahrnehmung weil sie keine Quelle der Wahrheit sein können! Anderseits dichtet Hegel nicht nur selber, sondern widmet das Gedicht "Eleusis" seinem Freund Hölderlin. Wie ist dieser Widerspruch zu klären? Für eine schlüssige Erklärung wäre es ratsam eine Deutung von Hegels Auffassung der Poesie hinzu zu ziehen. Er bezeichnet die Poesie als etwas schwer zu definierendes, zugleich gesteht er ihr in seinen ästhetischen Überlegungen eine Sonderrolle noch vor der Architektur ein. Sie kann und soll die Künste vereinheitlichen. Willens dessen wird es erforderlich sein zu fragen warum die Philosophie dazu neigt, die Poesie zu verneinen? Will sie wirklich der Poesie lediglichen Wahrheitsanspruch streitig machen?

 

Eine andere Art die Poesie zu verneinen ist eine Entstellung die nicht mehr reflektiert wie sehr dadurch das ohnehin prekäre Verhältnis der Philosophie zur Poesie noch weiter gefährdet wird. Vermutlich kann damit auch Heideggers falsche Interpretation von Hölderlin gemeint sein. Statt die Gedichte zu interpretieren, begeht Heidegger den Fehler indem er sich zu Hoelderlin gesellt, als ob er selber Dichter und nicht Philosoph zu sein. Faktisch meint Heidegger der Dichter sei als Wächter der Sprache dafür verantwortlich dass die Sprache die Behausung des Seins bewahrt bleibt. So schreibt Martin Heidegger in "Über den Humanismus" (1949):

"Darbieten besteht darin, daß im Denken das Sein zur Sprache kommt. Die Sprache ist das Haus des Seins. In ihrer Behausung wohnt der Mensch. Die Denkenden und Dichtenden sind die Wächter dieser Behausung. Ihr Wachen ist das Vollbringen der Offenbarkeit des Seins insofern sie diese durch ihr Sagen zur Sprache bringen und in der Sprache aufbewahren." (s. 5)

Heidegger endet das mit einem fast Van Gogh ähnlichen Bild i.e. der Säamann. Der Landmann würde mittels des langsamen Schrittes Furchen durch die Felder ziehen. Angesichts solch eines rustikalen Bildes kann vergleichsweise gesagt werden, anscheinend steigt bei Heidegger das Denken herab nicht in Hades, sondern in die Armut des Sagens und darum zieht die Poesie Furchen in der Sprache.

Vor allem handelt sich Heidegger da einen Widerspruch ein: statt in einer Wohnung oder Behausung als künstliche Konstruktion zu verbleiben, beziehe sich Hölderlin auf die Natur. In seiner Argumentation Hölderlins Roman könne nicht als 'Bildungsroman' eingestuft werden, da gelte etwas anderes, argumentiert Ryan:

"Für Hölderlin ist das 'eigentliche Studium des Menschen' nicht der Mensch als solches, sondern vielmehr dessen Bezogenheit auf die Natur als den Grund alles Seienden: die Überordnung der Natur über menschliche Tätigkeit und menschliches Bewußtsein bildet die Grundlage der Ehrfurcht und Frömmigkeit, die seine Dichtung kennzeichnet." (Lawrence Ryan, Friedrich Hölderlin, 1962, s. 34)

Ferner meint Ryan "Hölderlin versteht Dichtung weder als subjektives Bekenntnis noch als unmittelbare Kundgabe des Gefühls, sondern als 'Erkenntnis' die Anspruch auf objektive Gültigkeit Gültigkeit hat." (op. cit. s. 7)

Beides ignoriert Heidegger der mit seinem Jargon der Eigentlichkeit den Widerspruch übersieht.

Doch was ist da der Unterschied zwischen Dichtung und Philosophie? Zwei Unterschiede gibt es da zu berücksichtigen. Ersten, sowohl die Dichtung als auch die Philosophie schaffen aus Intuition so etwas wie ein assoziatives Denken. Zweitens die Poesie neigt dazu ganz anders Fragen auf der Suche nach Wahrheit zu stellen während die Philosophie ohne Zweifel kaum dem Wahrheitsanspruch genügen kann. 

Einmal begleitete mich ein Mann zur Universität nachdem er sich plötzlich zu mir auf der Knesebeck gesellte. Er kam einfach mit in den Seminar den ich am Religionswissenschaftlichen Institut gab. Die Studenten nahmen kaum Notiz von ihm denn bis zur Pause sass er schweigsam da. Auf dem Weg hierher hatte er mir erzählte Schuhe für die Opernschauspieler und Sänger gemacht zu haben. Doch als wir in die Pause aufbrechen wollten, gab er plötzlich Laute von sich: "hmmm, hmmm..." Ein Student wendete sich an ihn und fragte was sei denn los? Er gab zum Erstaunen aller Kund zu seiner Kritik, denn jetzt wüßte er warum die Studenten nichts lernten! Als er erneut gefragt wurde, wie er das meinte, gab er zu bedenken, dass er in dieser ersten Stunde beobachtet hatte keiner der Studenten hatte wirklich zugehört. 

Während die Dichtung dem Hören welche Worte im Dichter hochkommen, gleichkommt und der Dichter im Vertrauen auf jedes Wort dem folgt was da suggeriert wird, kann er auf etwas Unerwartetes stossen. Das poetische Schreiben verlangt demnach ein Hören sowohl auf die innere Stimme als auf die Stimmen der anderen. Ähnlich zum Gedicht von Milosz wird beim Dichten das Hören auf ein Wort in ein aktives Nachgehen wo die Spur den Dichter hinbringt, transformiert. Manche deuten das als eine Art Übersetzung obwohl von Ritsos Gedichten behauptet wird er spricht so unmittelbar die menschliche Substanz an, dass das keine weitere Übersetzung bedarf. Aber selbst bei diesem Widerspruch kann Poesie als eine Spurensuche genannt werden.

Philosophie hat dagegen eine Vorliebe für die Analyse verwendeter Begriffe z.B. Jürgen Habermas in seiner berühmten Rede "Ach, Europa" (in Anlehnung von Enzensbergers Abhandlung) nahm sich den Begriff 'Solidarität' vor und beklagte deren Mangel in Europa. Grund für die Analyse ist dass Begriffe einer Logik folgen und dementsprechend können gedankliche Konsequenzen gezogen werden. Logisch hat Popper hierin die Deduktion von der Induktion unterschieden, doch Denken ist weitaus mehr als nur eine reine logische Abfolge. Darum wurde Eingangs aufs assoziative Denken verwiesen.

Jene Logik wird einerseits durch die Methode hervorgeholt, und zwar unabhängig vom Subjekt (Stoff oder Materie), anderseits folgt sie einer Analyse der verwendeten Begriffe. All das mündet, historisch gesehen, in einer Epistemologie die den Wandel an Bedeutungen der Begriffe nachvollziehbar macht.

 

 

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