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Deutungspraxis - Beispiel Paul Celan

Poesie und Philosophie können als zwei unterschiedliche Deutungspraktiken verstanden werden. Während die Poesie das Rätsel 'Leben' zu entschlüsseln versucht, beschreibt Platon in seinem Höhlengleichnis Menschen die an die Wand projezierte Schattenfiguren zu enträtseln versuchen. Statt die Höhle zu verlassen, um einmal draußen die Schönheit dieser Welt wahrzunehmen, verbleiben sie in dieser illusionären Welt. Ferner veranlasste die Erfahrung in der Höhle Platon dazu die Poesie zu verneinen. Das kann als eine einsame Zurückgezogenheit auf eine esoterische Philosophie gedeutet werden.

Wahrlich versucht die Poesie zu zeigen wie glücklich der Mensch sein kann wenn er der sinnlichen Wahrnehmung vertraut. Freilich das hängt von den Umständen ab. Am Anfang dichtete Paul Celan noch in dieser sinnlichen, ja fast romantischen Sprache insofern der Himmel noch nicht verdunkelt vom Grauen des Faschismus wurde. Besonders nach dem Tod seiner Eltern im KZ verändert sich seine Sprache weil von einem besonderen Schuldgefühl bedrückt.

Es kommt also darauf an mittels der Kunst aussage kräftige Metaphern aus Erlebnissen zu schöpfen. Sie geben etwas zu erkennen was dem Hauch des Atems als Zeichen der Lebendigkeit gleicht. So beschreibt Paul Celan in 'Chymisch' "Schweigen, wie Gold gekocht, in / verkohlten / Händen." Die Analogie ist das 'wie Gold gekocht', um eine Nicht-vorstellbare Handlung zu konfrontieren, denn Gold wird geschmolzen, nicht gekocht. Der Dichter hinterlässt damit eine seltsame Spur bei jedem der dieses Gedicht vor den Augen nimmt und es abzutasten beginnt. 

Die stockende Deutung eines Gedichtes entspricht genau worauf es ankommt: ein Innehalten denn nichts ist wirklich selbstverständlich und besonders bei Paul Celan leicht zugänglich. Somit wird das Gedicht zu einer Art Zusammenfassung von was zur Zeit geschieht, um sagen zu können wie es weiter geht. Im 'Chymisch' folgt auf die erste Stanza ein Erinnern als Deutung von was in der Zwischenzeit verloren gegangen ist. Ein Trauer umschleicht alles fast ähnlich einem Rauch:

Chymisch

Schweigen, wie Gold gekocht, in

verkohlten

Händen.

 

Große, graue,

wie alles Verlorene nahe

Schwestergestalt:

 

Alle die Namen, alle die mit-

verbrannten

Namen. Soviel

zu segnende Asche. Soviel

gewonnenes Land

über

den leichten, so leichten

Seelen-

ringen.

 

Große. Graue. Schlacken-

lose.

 

Du, damals

Du mit der fahlen

aufgebissenen Knopse.

Du in der Weinflut.

 

(Nicht wahr, auch uns

entließ diese Uhr?

Gut,

gut, wie dein Wort hier vorbeistarb.)

 

Schweigen, wie Gold gekocht, in

verkohlten, verkohlten

Händen.

Finger, rauchdünn. Wie Kronen, Luftkronen

um....

 

Große. Graue. Fährte-

lose.

König-

liche.

 

Paul Celan

in „Die Niemandsrose, Sprachgitter“, F.a.M. Fischer Verlag, 1990, s. 28

Damit werden Zusammenhänge, und vor allem das Unfassbare weil einfach zuviel geworden, durch die Dichtung erkennbar was ansonsten so nicht gesehen wurde, zumindest nicht in der Nachkriegszeit als Deutschland aus den Ruinen kam und doch fast jeder behauptete, er oder sie habe nicht das Verschwinden der Juden gesehen.

Das Ungewöhnliche in Celans Gedicht beinhaltet ein Denkansatz erst außerhalb den Zeilen erkennbar gemacht anhand der Namen, insbesondere "alle die mitverbrannten". Es zeichnet aus ein Gefühl des Miteinanders und passt zur Ironie die "soviel zu segnenden Asche" einem "soviel gewonnenes Land" gegenüber zu stellen. Der Vergleich von Soll und Haben wird im Sinne eines Buchhalters als historisches Resume ausgegeben. Dennoch setzt Paul Celan dem ein qualitatives Maß entgegen weil all das allzu leicht "über den leichten, so leichten Seelenringen" hinweg geht. Ein anders formulierte Zeitgeschehnisse, festgehalten im Gedicht mit knappen Worten, ist kaum vorstellbar.  

Die philosophische Struktur der Deutung besteht aus dem unerwarteten Geschehen das das zu Erwartende zu erkennen oder eher zu antizipieren. Immer geht es darum das Unerwartete in den normalen Verlauf im Leben integrieren zu wollen, doch in den Gedichten von Paul Celan wirkt vieles ähnlich dem 'Angelus Novus' von Paul Klee: der Engel wird vom Winde von der Erde weg getrieben, aber er blickt rückwärts gewendet auf das was unmittelbar oder kurz zuvor zu Tage trat. Das mag eine bestimmte Hilflosigkeit sein oder auch eine Art Zeitanalyse um menschliches Verhalten doch irgendwie zu begreifen, selbst wenn die grauenvollen Taten im Grunde genommen nicht nachvollziehbar sind wie es zu solch einen kollektiven Antrieb kam.

Vieles auf Zukunft ausgerichtetes orientiert sich an Erwartungen, aber auch Versprechungen wobei Ängste oftmals halt machen da wo der Glaube an eine bestimmte Auffassung von Realität keinen Einlaß in die Antizipation von was demnächst geschehen wird, erlaubt. Allein ein Film über Riesental und die Olympischen Spiele in Berlin 1936 geben Aufschluß über die Vorhandenheit einer möglichen Kollektiv-Täuschung, und das selbst dann wenn die Hitler Fahnen bereits überall ihre totalitäre Sprache verkündigen. 

Gehen die Erwartungen nicht in Erfüllung, bleibt zu klären wie auf diese Enttäuschung reagiert wird. Bei einer kollektiven Verstrickung vermag vermutlich das Individuum kaum noch die insgesamte Tendenz hin zum Krieg zu korrigieren. Paul Celan selber rettet sich indem er nach der Machtübernahme der Faschisten in Rumänien er sich freiwillig zum Arbeitsdienst meldet und nur noch 'schaufelt', um zu überleben.

Was im negativen Fall enttäuschter Erwartungen nicht geklärt wird, ist dass die Gründe nicht wirklich dafür gedeutet werden. Immer schwingt da ein Nicht-Wissen mit, so dann ergibt es bei keiner Deutung ein absolut sicheres Wissen von was der Fall sei.  

Speziell die Philosophie der Frankfurter Schule entlehnt u.a. ihre Erkenntnismethode der Psychoanalyse. Freud nahm diese Praxis vorweg als er die Traumdeutung schrieb. Allerdings wurde Freuds Methode von Seiten der harten Wissenschaften, einschließlich Poppers Inbegriff der Methode der Wissenschaft, in Zweifel gezogen. Doch zeigte Adorno in seiner Dissertation, dass der Begriff 'Unbewusst-sein' durchaus ein objektiver ist, und darum den wissenschaftlichen Anspruch erfüllt.

Dem Philosophen Adorno war außerdem klar, dass Deutung ins Unsichtbare hinein dringen muss, um mittels objektiver Begriffe eine Konstellation "blitzartig" zu erhellen. Das Subjekt erfährt die Deutung als etwas ganz unerwartetes. Es zählt der Überraschungseffekt plötzlich verstanden zu werden, und das mit Hilfe der von außen herangetragenen Deutung. Praktisch erlaubt es dem Subjekt sich einen Begriff von seinem oder ihrem Schmerz zu machen. Schmerz ist da umfassender als was eine offene Wunde darstellt. Freud machte darauf aufmerksam wenn jemand verwundet ist, sieht und versteht das jeder, aber wenn jemand die Erfahrung machte wie Bomben einschlugen ohne eine äußerlich erkennbare Verwundung als sichtbare Spur zu hinterlassen, würde niemand sehen, dass diese Person ab dann traumatisiert ist. Sie würde von außen betrachtet als gesunde Person wahrgenommen.

Kurzum handelt es sich bei Deutungsproblems um das Sichtbar-machen von etwas UN-Sichtbaren, ohne es dabei beruhen zu lassen. Denn es kommt darauf an das Verständnis auf eine objektive Ebene zu heben, weil erst dann die Sprache gefunden werden kann, um dem Unausgesprochenen bzw. Begriffslosen etwas begreifbares entgegen zu setzen. Deutung macht darum eine andere Strömung möglich. Bloch sprach oft von warmen und kalten Menschenströmen, so dann wären die warmen die auf ein menschliches Selbstbewusstsein hinarbeiten und zugleich mittels Deutung das intersubjektive Verstehen klären können, weil dann es Adornos Anspruch, das einzig Selbstverständnis wäre nichts sei selbstverständlich, erfüllt.

Wichtig an der Deutungspraxis ist, dass sie den Regeln des freien Assoziierens entgegen gesetzt ist, um eine Willkür an Interpretationen zu vermeiden (siehe 

Logik der Deutung: Adorno und die Philosophie

https://books.google.de/books?isbn=382603547X)

Folglich schwebt da mit eine Vermutung von einer besonderen Gesetzmäßigkeit, die der freien Entfaltung eines Menschen entgegen kommt. Schließlich wird nicht nur Willkür, sondern auch Gewalt der Psyche angetan, falls das Individuum gezwungen wird sich an Strukturen anzupassen, die allgemein für bestimmte Typen von Menschen (nach Max Weber) passend sind, aber nicht für das Individuum.

Hypothetisch kann gesagt werden, während die Poesie eine Dialektik zwischen sinnlicher Wahrnehmung und evozierten Bilder ('Images') mit Leben füllt, macht die Philosophie daraus eine 'Deutungspraxis' die ihren Impuls aus den Fragen, die im Verlaufe der Wahrnehmung, erhält. Das kann als Motor des Denkens bezeichnet werden. Problematisch bleibt was mehr als nur sinnliche Wahrnehmung die besondere Form der sinnlichen Gewissheit als Gedicht ausmacht, während die Philosophie stets mit einem Hang zur Metaphysik sich auseinandersetzen muss. Der Anlass dazu bieten die verwendeten Begriff wenn einmal völlig von der sinnlichen Wahrnehmungsebene losgelöst und doch einen Wahrheits- bzw. Realitätsanspruch erheben. Was wahr als Anspruch für die Philosophie gilt, versteht der Dichter eher als 'gelebte Wahrheiten'. 

Allerdings kann eine Frau trotz all den Emanzipationsversuchen ebenso im Schatten ihres übermächtigen Mannes fast nur schweigend dahin existieren. Allerdings deutete Donald Trump das Schweigen der Frau Khan, als sie neben ihrem Mann auf der demokratischen Konvention stand und nichts sagte, falsch. Sie vermochte nichts zu sagen weil sie von den Erinnerungen an ihren im Krieg umgekommenen Sohn überwältigt wurde.

Wahre Deutungen mittels der Poesie wird von der Philosophie als Basis für weitergehende Reflexionen verwendet. Deutungen sind voller Risikos im Sinne eines Verstehens aber einmal poetisch gewendet, können die Dinge plötzlich in einem ganz anderen Licht gesehen werden. Dazu trägt die Poesie bei weil imstande auf Nuancen aufmerksam zu machen. Erst wenn Details wichtig genommen werden, vermeidet die Deutung Willkür und kommt der Wahrheit näher. Eine Mutter kann ihr weinendes Kind dadurch öffnen, indem sie ihren Sohn mit einer besonderen Deutung überrascht. Somit entspricht Deutung einer Enträtselung des Rätsels Mensch.

Selten hat die Philosophie sich der Klärung wie kann die Vorstellung des anderen auf der Phantasie-Ebene reflektiert werden, gewidmet. Das ist keine einfache Frage nach Methode. Die Reduktion auf nur Text Interpretationen macht solch erforderliche Reflexion des inneren Seienden unmöglich.

Aber auch der Dichter Paul Celan bezog sich strikt nur auf den Text. Obendrein vermutete er ein Sprachgitter hätte sich zwischen ihm und den anderen geschoben. Er verstand das als eine Barriere die verhindern würde, dass andere ihn verstehen.

Sprachgitter

 

Augenrund zwischen den Stäben.

 

Flimmertier Lid

rudert nach oben,

gibt einen Blick frei.

 

Iris, Schwimmerin, traumlos und trüb:

der Himmel, herzgrau, muß nah sein.

 

Schräg, in der eisernen Tülle,

der blakende Span.

Am Lichtsinn

errätest du die Seele.

 

(Wär ich wie du. Wärest Du wie ich.

Standen wir nicht

unter einem Passat?

Wir sind Fremde.)

 

Die Fliesen. Darauf,

dicht beieinander, die beiden

herzgrauen Lachen:

zwei

Mundvoll Schweigen.

 

Paul Celan

 

Nicht klar ist ob er sich persönlich, seine Gedichte oder beides zusammen meint. Das erinnert an den Satz des Widerspruches bei Hegel wobei der Widerspruch im Begriff, in der Realität oder in der Beziehung zwischen Begriff und Realität liegen mag. Letzteres wurde weitgehend am Heidelberger Seminar 1972-75 behandelt aber es kam niemals zu einer offenen Diskussion über gesellschaftliche Widersprüche die nicht wohlmeintlich von einer abgewandelten Marx'schen Terminologie thematisierbar sind. Das Eingehen auf gesellschaftliche Verhältnisse und ihre Widersprüche setzt voraus eine ganz andere Konsistenz auf der Begriffsebene und kann ohne Bezug auf eine gerechte Gesellschaft überhaupt nicht adequat thematisiert werden.

Die intersubjektive Reflexion kann ebenso nicht allein durch einen Bezug aufs Gemeinwohl alleine geklärt oder ersetzt werden. Dazu bedarf es ein Eingehen auf die innere Reflexion des sozialen Seienden, um die Vorstellung des anderen reflektieren zu können. Jeder will handeln aber kann der andere dem zustimmen wenn nicht bevor geklärt wird welche Konsequenzen das haben wird falls realisiert? Die gegenseitige Beratung betreffs den verschiedenen Optionen und ihren vorwegzunehmenden Konsequenzen macht die innere Reflexion des sozialen Seienden zwecks praktischer Beurteilung von Entscheidung als Grundbedingung für ein bewusstes Handeln um so wichtiger. Leider haben es die Philosophen Gadamer, Henrich, Theunissen, Fulda und Tugendhat als sie noch am Heidelberger Seminar niemals wahrnehmen wollen.

Ohne theoretischer Reflexion von was dann als Tat beschrieben wird, geht es gar nicht. Habermas fügte dem noch hinzu ohne Theorie gäbe es nur noch Gewalt bzw. eine erzwungene Handlung die nicht länger den anderen mitein bezieht. In dieser Hinsicht ist die Forderung der Staat möge das Gewaltmonopol zwecks einem Durchsetzungsvermögen des Gesetzes erhalten, nicht unproblematisch, weil das leicht zum Aussetzen von Demokratie verleitet. Die Befragung der Bürger durch Wahlen alle vier Jahre ist damit nicht getan.

Am Heidelberger Seminar 1972-75 war noch der Philosoph Gadamer aktiv. Eines Tages gab er seine ganze Ablehnung von Paul Celan zu erkennen. Der würde mit seinen besonderen Sprachswendungen die deutsche Sprache zerstören falls nicht rechtzeitig zurück gewiesen, um seinen Einfluss zu mildern. Gadamer war Schüler von Heidegger gewesen und wusste selbstverständlich von dessen Deutung der Gedichte von Hölderlin. Um so erstaunlicher war dann das Buch zu Paul Celan das Gadamer heraus brachte. Der Titel "Flaschenpost zu verstehen" besagt einiges über seine Auffassung aber reflektiert ebenfalls Gadamers Umwandlung der Deutungspraxis in ein Verstehen, das laut seiner Hermeutik "Wahrheit und Methode" verbinden würde. Doch kann er ohne Deutungsversuche mit seinem bloßen Verstehen den Gedichten Paul Celans gerecht werden?

 

 

 

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