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Gerhard Zwerenz zu Blochs Sklavensprache

Statt Einleitung ein Brief von Gerhard Zwerenz

 

Nachdem sein Artikel zu Ernst Bloch in der 'TAZ' erschienen war, wollte ich Gerhard Zwerenz zu unserem DDR Symposium 'Die andere Wirklichkeit' in 1985, einladen, insofern ich seinen Wunsch nach einer Auseinandersetzung mit 'offiziellen' Bloch-Vertretern in der DDR aufgriff. Behilflich war mir bei der Herstellung von Kontakten Herr Weigand vom Bloch-Archiv in Ludwigshafen. Er verfügte über eine Liste an Kontakten in der DDR, u.a. zu Clemens Burrichter. Zwerenz hatte sich im Artikel für eine Auseinandersetzung mit den 'Offiziellen' ausgesprochen denn das sei ihm lieber als eine rein ästhetische Diskussion über Blochs Philosophie.

Zwerenz antwortete auf typische Weise für jemand der aus der DDR kam, weil sofort misstrauisch, fragte er doch zugleich, um welche eine 'Firma' es sich dabei handele. Erwähnt hatte ich in meinem Brief dass die geplante Veranstaltung im Namen des Bildungswerkes für Demokratie und Umweltschutz in Berlin West geschehen würde. Diese Einrichtung war entstanden weil es jeder im Parlament sitzenden Partei zusteht, politische Erziehung im Bezug auf ihre programmatischen Prinzipien und Ideen zu betreiben. Da die Alternative Liste mit dem Igel als Symbol sowohl auf Stadt als auch auf Landesebene in West Berlin vertreten war, kam dieser Vorläufer von der Heinrich Böll Stiftung zustande. Das Bildungswerk wurde hauptsächlich aus Lotto Geldern finanziert, hatte eine feste Bürogruppe und einen Vorstand der die wichtigsten Entscheidungen traf. Ich selbst war Mitglied des Vorstandes in dieser Zeit gewesen und organisierte fortlaufend Diskussionsrunden, Workshops und ebenso mit einem Freund ein folgenreiches Zusammenkommen zwei verschiedener Generationen, die der '68 Bewegung und der Hausbesetzern die ab 1981 entstanden war.

Beim DDR Symposium war vor allem ebenso Isolde Arnold beteiligt. Sie hatte als sie noch 'drüben' lebte, zehn Jahre lang bei einem kirchlichen Verlag in Leipzig gearbeitet und schätzte insbesondere Menschen wie Peter Huckauf der mir größter Sorgfalt insbesondere den Spuren der oftmals im Westen nicht bekannten Dichtern der DDR nachging. Ihr galt es eine besondere Sorgfalt gegenüber der 'deutschen' Sprache zu bewahren.

Aus diesem DDR Symposium ging eine Broschüre mit dem Titel 'Die andere Wirklichkeit' hervor. Es zeigte dass auf die DDR bezüglich der dort erlebbaren Realität in einem eigenständigen Sinne eingegangen wurde und darum keine Komparatistik mit dem Westen darstellt. Wir hatten einen ernsthaften Versuch unternommen zu verstehen wie die DDR sich selbst begreift.

Ich hatte in meinem Schreiben an Zwerenz (17.10.1985) erwähnt, dass Herr Weigand ein Manuskript von mir zum Thema 'Sklavensprache' für nächstes Jahr angenommen hat, und bezog mich ebenso darauf weil er in seinem TAZ Beitrag erwähnt hatte wie sehr Bloch jedes Mal in Aufregung geriet, wenn auf dieses Thema angesprochen und leider zugeben musste dass er es bislang nicht viel weiter als was in 'Atheismus und Christentum' geschrieben steht, gebracht hatte.

Zwerenz kam leider nicht, so war sein Antwortschreiben zugleich eine Absage. Interessant war dennoch, was er kurz zum Thema 'Sklavensprache' anschnitt:

„Zur Sklavensprache: Jaja, ein weites Feld. Kann man sich verlaufen drin. Und unsere Amtssprache ist Herren- und Sklavensprache in einem, und die Info-Sprache in den Medien wird es auch immer mehr.“

Brief von Gerhard Zwerenz 20.10.85

 

Zwei Jahre später veröffentlichte die Frankfurter Rundschau eine Rede von Zwerenz die er in Zagreb gehalten hatte. Darin geht er noch mehr auf die Hintergründe zum Thema 'Sklavensprache', insbesondere was Blochs Beziehung zu Nietzsche betrifft, ein.

Bloch zwischen Nietzsche und Gorbatschow – Aus einer Rede

von Gerhard Zwerenz

in Frankfurter Rundschau 11.Juli 1987

    

 

Eine Rede in 2014 zu kommentieren wenn sie in 1987 gehalten wurde, bedeutet die damalige Zeit an den inzwischen hinzu gekommenen Einsichten zu messen. Gewiss, es ist kaum noch heute nachvollziehbar unter welch unmittelbaren Gefahren und Druck insbesondere Schriftsteller und Philosophen in der damaligen DDR ausgesetzt waren, falls sie sich dem System auf irgend eine Weise widersetzten. Ebenso war das Leben im Westen auch nicht deswegen einfacher weil nicht von einer sozialistischen Regierung bestimmt. Der Westen wusste sehr wohl eigene Repressionsmittel einzusetzen. Zwerenz deutet darauf hin, insofern er auf eine seltsame Mischung alt-neuer Herrschaftsformen verwies, denn er meinte die Sklaven- und Herrschaftssprachen würden sich in der Amtssprache vereinen.

An Bloch ist diese Zeit noch anders zu messen. Kurz nach dem Mauerbau in 1961 entschied er sich während einer Reise in die Bundesrepublik da zu bleiben. Gadamer, der Papst der Philosophen, war ihm dabei behilflich eine Stelle in Tübingen zu bekommen.

Bloch war einer derjenigen die aus dem Exil in Amerika nach Deutschland zurückkehrten (was keine Selbstverständlichkeit war; z.B. Herbert Marcuse blieb in Kalifornien und Popper lehrte bis 1969 an der London School of Economics). Da noch vor deren Rückkehr die Teilung Deutschland bereits sichtbar war insofern der Osten unter Sowjetischen Einfluss stand, entschied er sich wie auch Brecht in die neue DDR zu gehen. Denn damals war er wie viele anderen auch erstmals vom Grundgedanken eines Sozialismus überzeugt. Er wollte vermutlich beim Aufbau dabei sein, und deswegen in gewisser Hinsicht eben aus philosophischen und politischen Ansichtern dazu beitragen. Diese Verbindung von Bloch  zu Hegel und Marx versuchte allerdings Zwerenz in seiner Rede auf gut Deutsch 'aufzubröseln' indem er eine noch andere Einflussquelle, und zwar Nietzsche, aufzeigt.

Zwerenz, der Bloch vermutlich erst in Leipzig kennen lernte, zeichnet sehr genau diese Umstände im Osten nach. Gleichzeitig wurde ihm immer mehr bewusst nachdem Bloch in den Westen über gesiedelt war, dass Bloch nicht solch eine wichtige Rolle spielte obwohl die ihm praktisch vom philosophischen Wissen her zustand. Bloch wurde allgemein von den akademischen Philosophen im Westen nicht wirklich anerkennt. Dazu kann eine kurze Skizze der Hochschullandschaft einiges erläutern.

Gadamer verfolgte seine Methode der Hermeneutik, während Dieter Henrich jeden zwang sich an Hegel auszuweisen. Theunissen war eher von Kierkegaard beeinflusst und bevorzugte wenn nicht den kirchlichen, dann doch einen behutsamen bürgerlichen Gang der Philosophie. Tugendhat bestand dagegen auf das was er aus der Anglo-Sächsischen Philosophie in Deutschland zu vermitteln vermochte, und das war nicht sehr viel. Er ging an den Starnbergersee wo bereits Habermas gemeinsam mit Weizsäcker an einer neuen Lebensphilosophie arbeiteten. Alle drei scheiterten in diesem Versuch hauptsächlich wegen persönlichen Querelen oder am allzu üblichen Alltag wenn es um Doktoranden handelt und die alle angewiesen sind auf den Gunst ihrer Doktorväter. Es war und bleibt Nerven-aufreibend an den deutschen Hochschulen, und dies aus zwei Gründen: die völlige Abgehobenheit der Professoren macht sie nahezu unerreichbar für gewöhnliche Studenten, und innerhalb der Philosophie dominiert weitgehend der deutsche Idealismus. Hinzu kam der maßgebliche Einfluss von Gadamer der viele Lehrstühle mit seinen Gefolgsleuten besetzte z.B. Rüdiger Bubner erhielt den Adorno-Stuhl in Frankfurt obwohl jener so gut wie keine Ahnung noch einen inhaltlichen Bezug zur Frankfurter Schule hatte, sondern halt die Ästhetik von Gadamer fortsetzte.  

Hinzu kommt aber noch ein weiterer Unterschied zwischen dem Osten und dem Westen hinzu. Es lässt sich anhand einer anderen Sozialisierungsgeschichte aufzeigen. Bestimmt aber nicht nur von der Studentenbewegung ausgelöst, galt es im Westen sich mit dem Faschismus auseinander zu setzen. Viele wollten einen Strich ziehen, um so eine Rückkehr zum Faschismus zu verhindern, doch um diese Vergeblichkeit wusste Klaus Heinrich zu sagen, dass 'der Faschismus nicht in 1945 besiegt worden ist, sondern hinzu gelernt habe sich besser zu maskieren'. Dieses Gefühl verliess kaum einen wenn immer neue Beispiele einer Kontinuität auftauchten. Allein die Filbinger Geschichte machte deutlich wie KZ Wächter einfach in der neuen Realität der Bundesrepublik in alt-neue Ämter zurückkehren konnten. Die von Adenauer eingeleitete Restauration verfehlte nicht ihre Wirkung und es gilt bis heute die Bezeichnung die insbesondere im vereinigten Deutschland lebenden Menschen seien nach wie vor 'befangen' von was zwischen 1933 und 1945 alles geschehen war.

Die Präsenz der Vier Mächte trug einiges dazu die Sozialisierung im Westen zu einer demokratischen Umerziehung zu machen. Die Grünen verstanden das inbesondere als einen Auftrag daraus eine Kultur der Erinnerung zu machen, doch trug das fast zu zwanghaften Bekenntnissen bei die wiederum auch nicht überzeugten dass aus der Geschichte gelernt wurde. So kam es im Unterschied zum Westen dass in der DDR die Faschisten nur immer die anderen waren, ja sogar die Berliner Mauer als Schutzmauer gegen den Faschismus im Westen rechtfertigte während die SED Herrschaft sich dünkte als Nachfolger der vom Faschismus verfolgten Kommunisten auf der Seite der Unschuldigen zu sein. Damit war die Notwendigkeit einer bewussten Aufarbeiten erledigt, etwas das um so mehr zum Vorschein in Formen des Rechtsextremismus nach der Maueröffnung in den Ostgebieten zum Vorschein kam.

Kurzum niemand im Osten käme auf den Gedanken wie Adorno das Gedichte Schreiben nach Auschwitz unmöglich seien.

Kurzum viele befassten sich ganz einfach mit anderen Themen. Dagegen befand sich Bloch in ganz anderen Welten. Somit es auch nicht weiterhin verwunderlich dass er einer der wenigen Philosophen ist, der den Einfluss der arabischen Philosophen aufgriff und würdigte, ja deswegen die Geschichte des Abendlandes anders deutete: "die Griechen haben zwar das Licht entdeckt, aber die Araber haben es zugleich gerettet und verändert." Dadurch unterscheidet sich Bloch deutlich von üblichen Rezeptionshaltung der Antike z.B. eines Heideggers und was von Gadamer fortgesetzt wurde. Es handelt sich dabei um ein virulent gewordenes Herrschaftswissen das mittels altgriechischer Kenntnisse meint dies sei der beste Zugriff auf solch Kenntnisse die den Status einer Bildungselite sichern würde. Gadamer ist bekannt dafür, dass er mit Verachtung auf den einfachen Mann herabblickte weil angeblich ausserstande differenziert über Körper und Schönheit nachzudenken, also feststellen vermag ob nun warm oder kalt, schmerzfrei oder schmerzhaft. Gadamer meinte außerdem jemand der nicht verstünde das Wort 'ganz' zu benutzen, der könne auch nicht die deutsche Sprache beherrschen. Von daher ist der Weg zur Sklavensprache hin nicht mehr weit.

Es kommt noch ein wesentlicher Unterschied hinzu, und was besonders anhand des Begriffes Aufklärung deutlich wird. Während die Hauptlektüre im Westen Adornos und Horkheimers Buch zur 'Dialektik der Aufklärung' (erschienen in 1944) war, um dadurch das Scheitern der Aufklärung eher zu verstehen, war die Rezeption der Aufklärung im Osten eine ganz andere. Aufklärung wurde da als Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft und ihren Folgen, einschließlich der Faschismus, ver-ideologisiert. Es verhinderte zu sehen, dass die Aufklärung ein Loskommen vom mysthischen Denken versprach, doch eben im Scheitern eher eine Rückkehr zum Mythischen bewirkte. Das wurde anhand verschiedener Beispiele deutlich. Als den Menschen ein Experiment gezeigt wurde - man hatte zwei Kugelhälften die Luft raußgesogen um das Gravitationsgesetz zu beweisen, insofern Pferde auf beiden Seiten dieser Hälften es nicht vermochten sie auseinander zu ziehen -  statt aufs 'unsichtbare' Gesetz zu schliessen, meinten sie da sei Magie im Spiel und verstärkten umso mehr den Hang hin zum Mythos, also einem verklärten weil nur Scheinwissen.

Ob Zwerenz eine Art Vermittlung zwischen Ost und West meinte, wenn er sich vorstellte was Bloch tun könne, das ist nicht so klar. Rudi Dutschke, ein naher Freund von Bloch, war dagegen einer der wenigen der es wirklich verstand Kritik sowohl am Osten als am Westen zu üben. Er vermied die übliche Einseitigkeit der Linken und zeigte dadurch ein zutiefst ehrliches Denken das sich darin misst inwiefern es gelingen kann dem Menschen gegenüber gerecht zu werden. Es sagt aber etwas über diese Verbindung von Philosoph und Praxis aus. Später, nachdem die Grünen hochkamen, sollte sich das ein wenig wiederholen, da Habermas eine zeitlang sich sehr oft mit Joschka Fischer traf, und dies in der Hoffnung der ehemalige Taxifahrer, aber dann doch Aussenminister im Schröder Kabinett könne den Weg nach Europa frei machen. Das entpuppte sich allerdings als enttäuschte Hoffnung denn Joschka Fischer ging einseitig vor weil er niemals die andere Seite, also den Osten wirklich zu Kenntnis genommen hatte, und darum keinen Sinn für einen Grundwiderspruch der die deutsche Geschichte und nicht nur durchzieht. Jener spiegelt sich in was Bloch zu entschärfen versuchte indem er zwischen unbegründeter und begründeter Hoffnung zu unterscheiden, weil die maßlose Enttäuschung, also jene die in reaktionäres Denken und Verhalten schnell umschlagen kann, der unbegründeten Hoffnung folgt. Eine begründete würde im Bloch'schen Sinne das Scheitern miteinbeziehen, aber eben weil die Gründe benennbar sind, ein Lernen ermöglichen und so Leben zu einem 'experimenti mundi' machen. Der Fortschritt liesse sich dann an der hinzu gewonnenen Mündigkeit gegenüber einer ansonst zur Ohnmacht stiftenden Realität messen.

Wer aber solch eine Vermittler Rolle bewusst ablehnte war der Schriftsteller Uwe Johnson. Er wollte weder Vermittler sein noch im Westen die Rolle des Ost Experten wie so viele anderen spielen. Eher tat er etwas anderes, und nur aus entfernter Sicht, also als er in New York weilte denn einmal dort für zwei Jahre fasste er die deutsche Geschichte ab der Weimar Zeit bis hin zum Beginn des Kommunismus im Osten zusammen, und zwar ausgehend von der Frage einer elfjährigen Tochter die angesichts der Ermordung von Martin Luther King und dann Robert Kennedy von ihrer Mutter wissen wollte, wie es bei ihr bestellt war als es um die Gewaltfrage in Meckelnburg ging, und zwar zuerst in der Weimar Zeit, dann die Nationalsozialistische und nach etwas Hin und Her die Grenze zwischen Ost und West so gezogen wurde, dass Mecklenburg dem Osten zugeteilt wurde. (Ähnlich erging es den Saarländern die oftmals entlang der Grenze ihre Identitäten wechseln mussten, je nachdem wer das Gebiet unter seine Machtbefugnisse zu stellen vermochte.) Uwe Johnson tat dabei etwas erstaunliches. Er zeigte auf eine Kontinuität des Mensch-Sein egal die politischen Verhältnisse. Ob in der Nazizeit oder später im Kommunismus, die Menschen taten nach außen hin als ob sie mit der herrschenden Ordnung konform ging, aber nach innen hin bewahrten sie ihren wahren Menschen kern.

Aus diesem Grunde enthält der Inbegriff einer Mensch-Werdung in sich die Gefahr einer Doppeldeutung die ebenso Misstrauen weckt welche Absicht hinter der einmal eingenommenen Position steckt.

Im orthodoxen Sinne eines Marxismus galt Kritik nicht nur der Tendenz vieler Menschen mit dem System konform zu gehen, und insofern konnte man denen ein bürgerliches Denken vorwerfen. Eher beabsichtigte die Kritik eine Einschüchterung der Menschen Das geschah mittels einer derartigen Aushöhlung von Subjektivität, insofern das Zeigen individueller Neigungen nicht nur verpönter Egoismus sei, sondern noch schlimmer sie wurden die des asozialen Verhalten zum Schaden des Aufbaues des Sozialismus bezichtigt. Das lief auf die vollkommene Entmündigung den einzelnen hinaus und begrenzte zugleich den Sinn fürs was noch politisch zu verantworten sei. Interessant war dabei wer Geltung im Widerstand fand, denn stellte sich jemand gegen das System, so war das sofort ein 'politischer' Akt. Erst nachdem die Mauer fiel, stellten viele im Osten fest ihn fehlte plötzlich etwas das ihnen bislang die Mut und Energie zum Weitermachen gegeben hatte, und zwar die Leichtigkeit ein Gegner des Regimes zu sein. Plötzlich bekamen sie die Angst vor dem Existieren zu spüren. Bis dahin war jene im System selber aufgehoben. Und diese Erfahrung befremdete sie wenn einmal im Westen und so ist wenig verwunderlich wie wenige mit ihren existenziellen Ängsten klar kamen.

Interessant dürfte deshalb nicht nur das Verhältnis Bloch zu Dutschke, aber auch zu Martin Walser sein und noch mehr welch kritische Positionen der Philosoph im Westen im Unterschied zu seiner Zeit im Osten bezog. Interessant ist ein Hauch von Kritik sowohl am Osten als am Westen, und kommt damit der Position von Dutschke nahe. So lehnte Bloch nach dem Scheitern der Studentenbewegung die Zuspitzung auf Gewalt ab, und warnte zugleich dass jedes Tauwetter im Osten oftmals ein Gegentauwetter nach sich ziehen würde. Hier dann zeigt Zwerenz in seiner Rede in 1987 auf wie sehr das aufziehenden Tauwetter ausgelöst durch Gorbatschow den Gedanken von Bloch nahe kommt, aber zugleich eine Vorwarnung auf das was danach kommen mag, war.

Gerhard Zwerenz hielt jene Rede in Zagreb. Da er dort nach 17 Jahren wieder war und wieder keinen Schinken zum Frühstück bekam, ging er gleich zu seinem Grundthema über, nämlich ob „Nietzsche als Entwicklungsverneiner oder Bloch als Entwicklungshelfer“ Recht habe? Er meinte damit während Nietzsche die 'ständige Wiederkehr des Gleichen' beschwor, war für seine Begriffe Bloch einer der aufs Prinzip Hoffnung und darum auf gesellschaftliche Veränderungen setzte. Und um das zu erläutern, versuchte er den Einfluss von Nietzsche auf das Denken von Bloch aufzuzeigen. Das kann und soll auch umgekehrt verstanden werden, und zwar als Blochs Verhältnis zu Nietzsche.

Blochs Verhältnis zu Nietzsche

Zwerenz hebte in seiner Rede hervor was seiner Meinung oftmals hinter der vermuteten Hegel-Marx Linie von Bloch verschwindet, nämlich Blochs Bezug auf Nietzsche. Er erwähnt dass Rüdiger Schmidt im Bloch-Almanach 3/83 darauf verweist, dass die frühere Arbeit Blochs Nietzsche galt:

Ernst Bloch, (1906) Über das Problem Nietzsches (Quelle: Das freie Wort 6, 1906, s. 566 - 570)

Zwerenz meint damit Nietzsche habe nicht nur in seinen Früh- sondern auch in seinen Spätschriften Spuren hinterlassen. Dem fügt er ferner die Begegnung Blochs mit Tucholsky hinzu. Letzterer verwies auf die Gefahren einer Nietzsche Euphorie hin. Daraus folgt Zwerenz: „In diesen Warnungen von einem Nietscheanismus, der dann im Dritten Reich seinen Höhepunkt fand, sind Bloch und Tucholsky gleich. Beide spürten früh der nazistischen Ausbeutung.“

Hätte eine Kritik an Nietzsche nur dann Bestand weil bloß die 'falsche' Verwendung der Nazis für ideologische Zwecke allein den Beweis zum Verwerfen von Nietzsche liefere, dann wäre das entschieden zu wenig. Vielmehr gehen weitaus größere Gefahren von Nietzsche aus.

Leider erblicken allzu viele zu leichtfertig, ja überschnell in ihm einen Helden, obwohl sie sich oftmals aus Gründen eigenen Leidens mit ihm identifizieren. So sagte ein junger Student in Strasbourg ohne Nietzsche könne er sich nicht vorstellen weiter zu leben. Dies verweist auf einen geistigen Zustand eines jungen Menschen der sich bis hin zur Verzweiflung in etwas Falschen, und sei das die Religion, getrieben sieht. Mag also sein sie sehen sich ähnlichen Konflikten ausgesetzt und können wie Nietzsche aus Angst vor den Frauen wiederum von anderen Jungs und Männern gehänselt werden. Der moderne Begriff dafür heißt 'bullying'.

Was aber Nietzsche selber betrifft, so ließ er sich regelrecht von Wagner ausnutzen. Nietzsche wollte z.B. sein Assistent sein, um dadurch in der Nähe von Wagners Tochter zu sein, doch Wagner hielt es allemal für sinnvoller, dass Nietzsche Professor in Stuttgart bleibt. Schließlich hören die Leute weitaus mehr zu wenn ein Professor was sagt, und nicht wenn ein einfacher Assistent seine Musik erklären wurde. Wagner wollte also Nietzsche Nutzen um für seine Art an Musik zu werben. Das trug dazu bei dass Nietzsche sich von Wagner so weit beeinflussen ließ, dass er unter anderem seine anti semitischen Ansichten übernahm und sich zu schädliche Äußerung hinreißen ließ. Mit dem akademischen Ruf dahin verwies ihn die Stuttgarter Universität vor die Tür.

Darüber hinaus rächte er sich an der Welt, weil sie angeblich ihn nicht verstand. Für Nietzsche lieferte der Gegenbeweis eine Marktfrau in Turin weil die ihn angeblich verstand. Nicht dagegen irgend ein Akademiker.

Hinzu kam als er in Turin verweilte, und seine Bewerbungsschreiben von dort abschickte, dass jede jede Universität, einschließlich die Athener, ihn ablehnte.

In seiner narzisstischen Kränkung verkannte er das was Zwerenz zwar als seinen wichtigen Beitrag zur Philosophie hervorhebt, und gemeint sei die Betonung auf Subjektivität. Denn Nietzsche nahm so wenig die Marktfrau wahr, wie die allgemeine Liebe zu den Menschen bei ihm vollkommen fehlte. In seiner Kränkung wurde die Ich-Bezogenheit zu einer einseitigen Angelegenheit. Als Außenseiter lässt das nicht mehr eine emphatische Wahrnehmung des anderen zu. 1

Deutlich wird das anhand von Zarathustra. Der wartete als zurückgezogenes Genie nur darauf das das Volk ihn rufen würde, um von ihm das große Wort zu hören. Aus solch einer Erwartungshaltung geht ein problematisches Selbstverständnis hervor, bleibt es doch einseitig: das Volk hört zu während der große Held spricht! 2

Zwerenz verwechselt das in seiner Deutung von Bloch mit einer begründbaren Subjektivität die praktisch auf ein eigenes 'Gut' als gewonnener Erkenntniswert hinaus will, um die Potentialität einer Alternative zwar zu erblicken, die aber nicht angenommen werden muss. Es würde ausreichen dieses Gut zu kennen.

„Noch ein Wort zur Verständigung: Ich weiß nicht, ob eine Gesellschaft, die Nietzsches oder Blochs Kultur realisierte, besser wäre als heutige Gesellschaften. Ich weiß nicht, ob Nietzsche oder Bloch 'recht haben'. Ich weiß nicht einmal, ob das so wichtig ist. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob Sigmund Freuds Psychoanalyse richtig, genauer gesagt, ob sie 'wahr' ist. Es gibt, zum Beispiel, viele Argumente für und gegen das Ödipuskomplex, viele Argumente für und gegen Freuds Ansicht, Religion sei eine Art Zwangsneurose. Aber eins weiß ich, indem ich die tiefenpsychologische Figur 'Ödipus' nachdenke und mich selbst frage, oib ich an einer ödipalen Fixierung leide, erhalte ich einen menschlichen Zugewinn. Ich lebe nicht mehr naiv-kindlich und bekomme einen Begriff von meinen möglichen Abhängigkeiten. Selbst wenn ich mich als unbetroffenen entdecke, habe ich einen genaueren Begriff von mir erhalten.

Und wenn ein religiöser Mensch sich überlegt, ob die Religion nicht doch im Freudschen Sinne Neurose ist, im Sinne Nietzsches vielleicht sogar negativ zu bewerten sei oder im Blochschen Sinne aus der Entfremdung herauszuholen gehe, so muss der Gläubige dem nicht folgen. Indem er darüber nachdenkt, lernt er sich besser kennen. Aus diesen Zugewinn von Erkenntnis kommt es an, es ist ein Freiheitszugewinn. Alternativen müssen nicht angenommen, sie können verworfen werden. Ihre Kenntnisnahme allein ist schon ein Gut an sich.“

Gerhard Zwerenz, (1987) Bloch zwischen Nietzsche und Gorbatschow Frankfurter Rundschau 11. Juli 1987


 

Doch was bereits im Inbegriff der Sklavensprache aufgezeigt wurde, und gemeint sei jene Handlung die gut ist, weil sie gut fürs Gut sein, ist das diese Wiederkehr des Selben nichts anderes beinhaltet, als was Hegel schlechthin als absolute Setzung im Sinne eines 'an-und-für-sichs' meinte, insofern der Kreis selber zum Anfang zurückkehrt und darum als Gleichnis zum Punkt gelten könne. Aber selbst dann besteht noch dieser Unterschied zwischen einem Kreis und dem Punkt – etwas das Kant feststellte aber Hegel übersehen wollte.

Kant sah ein, dass die Annäherung an den Begriff mittels eines vermittelbaren Prinzips einer Anschauung bedarf, denn ansonsten seien die Begriffe blind. Es ist die Anschauung die feststellt worauf es hinaus gehen soll. Und wenn da keine Frist bzw. vernünftige Selbstbeschränkung gesetzt wird, organisiert sich der Geist im Selbstkreis und schließt darum das weitere Denken aus. Eine andere Lösungsvorstellung hatte Kant aber dazu setzte er das 'kategorischen Prinzip' wie eine Guillotine ein.

Dinge werden anscheinend dann wiederholt wenn die Anschauung ausbleibt. Das kommt gleich einem Arbeiten ohne Gedächtnis. Somit können keine Veränderungen festgestellt werden, weil Maßstäbe, die zuerst im Gedächtnis gesetzt werden müssen, fehlen. Folglich werden Veränderungsmöglichkeiten von nicht alleine individueller, sondern vielmehr kollektive oder soziale Veränderungsmöglichkeiten bis in die Unmöglichkeit verdrängt. Seltsam mutet das sich, insbesondere in einem Land wo die Arbeit so sehr betont wird. Selbst Freud ging davon aus die Arbeit mit dem Gedächtnis ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Psychoanalyse. So kommt es nicht von ungefähr dass gerade diese Art an Arbeit keine Anerkennung findet.

Arbeit kann noch anders verstanden werden, wenn es um die Ich-Findung handelt. Hegel nannte das eine 'Anstrengung des Begriffes.' Sich wirklich zu begreifen, ist keine Selbstverständlichkeit. Noch mehr sah Hegel ein bei seiner philosophischen Konstruktion in dem das Ich sich einen Begriff geben muss, um von Seiten des Staates als Bürger des Staates zuerst anerkannt zu werden, dass das wirklich Ich „im Begriff zugrunde“ geht. Das kommt gleich einer Selbstzerstörung. Darüber wird aber sehr selten nachgedacht doch das Zwangssystem einer Identität mit dem Staat entspricht genau dieser Gefahr, dass Menschen durch die Gesellschaft maskiert geistern und sich selber nicht kennen. Sie schrecken dann vor allem vor einem persönlichen Ansprechen zurück so als würden sie auf frischer Tat ertappt und hoffen nur sie können sich in die Nacht fortstehlen noch ehe sie als solches erkannt werden. In der Kindesgeschichte kommt das gleich dem Rumpelstilzchen der sich heidisch freut solange seine Identität unbekannt bleibt. Was aber bei dem Selbst-bezogenes Denken angeblich wahrnehmbar sei, geht bei Hegel über bloße Spekulation nicht hinaus. Das sogenannte subjektive Ich bleibt nur allgemein. Bei Kant stellt Adorno fest, taucht der Begriff 'Selbst' so häufig auf und dennoch wird es nirgends von Kant definiert. Was aber folgt daraus? In allen Bemühen um philosophische Aufrichtigkeit wird letztlich doch der Hilferuf angestimmt, weil die Subjektivität einfach fehlt. Es scheint keine Möglichkeit gegeben zu sein endlich mal zu einer Selbst-Bejahung zu kommen. Das Affirmative ist spätesten seit Hegel suspekt. Vieles wird durch einen unkritischen Begriff von Kritik versuchsweise hinüber gerettet doch am anderen Ufer lauern nicht nur Räuber und sich dumm stellende Einheimische, sondern heimtückische Aufgaben. Es kommt dann in der landwirtschaftliche Sprache zum Feld bestellen. Später bestellt der Kunde die Ware und weiß am Ende doch nicht was dabei herauskommen wird, und vor allem nicht wie diese schwierige Ich-Findung ausgehen wird.

Kritik

 

„Bei der Lektüre von Erbschaft dieser Zeit, diesem Sammelband einer Abrechnung mit dem 3.Reich, 1935 in Zürich erst veröffentlicht, ist Blochs marxistische Gesellschaftskritik ebenso deutlich spürbar wie die anderen Ahnenreihe, die auf Schopenhauer, Nietzsche, Freud zurückverweist.

Wie bei Nietzsche wird die gesamte Kultur des Abendlandes versammelt, um den Gegenstand der Kritik zu verwerfen. Nietzsche hatte bei Schopenhauer gelernt, einzelne Phänomene so zu analysieren, dass ihr Hintergrund sichtbar wird. Diese entzifferte Entlarvung wirkt in der Gesellschaftskritik nur zu oft lediglich besserwisserisch und destruktiv, wie bei Schopenhauer auch. Nietzsche hingegen entwickelt eine Kunst des Zugewinns auch bei Kritik, Analyse und Verwerfung, und Bloch ist ihm darin gefolgt, teil in direkter Linie, teils über Zwischenglieder wie Georg Simmel. Die Kritik geschieht weder bloß gesellschaftskritisch-empirisch noch parteiisch-parteilich, sie flüchtet sich nicht in lange philosophische, wissenschaftliche Erörterungen, vielmehr äußert sie sich im geschliffenen, aphoristischen Stil. Der Grundton ist, bei aller Schärfe der Kritik und Verwerfung, optimistisch. Während bei vielen Kritikern ein verdrießlich-grämlicher Grundton vorherrscht, so, als seien sie chronisch Magenkranke, erheben Nietzsche und Bloch den Leser selbst mit ihren Polemiken. Sie haben etwas mehr zu sagen. Kritik und Analyse sind nicht schon ihr ganzes Geschäft.

Kritik schafft den Freiraum zum Philosophieren. Kritik als philosophische Voraussetzung, das ist beste aufklärerische Tradition, die im Übergang vom kritischen zum staatsopportunistischen Marxismus sich ins drohende Gegenteil verkehrte. Sie ist der Warnschuss vor den Bug. Gibt der Gemeinte jetzt nicht klein bei, wird man ihn in Klump schießen. Das ist nicht Kritik als Aufklärung, sondern als Einschüchterung, Strafankündigung, Demütigung. Bei Nietzsche wie Bloch bekam die Kritik weniger den Charakter einer Züchtigung als den der Bestätigung, der Anfeuerung, der Faszination.“

Gerhard Zwerenz, (1987) Bloch zwischen Nietzsche und Gorbatschow Frankfurter Rundschau 11. Juli 1987

Ein kritisches Denken wäre jenseits vom Kategorien-Wechsel zu erwarten, doch das trifft nicht zu, weil durch diese Verwandlung einer scheinbaren Objektivität in eine im Alltag zu erlebenden Subjektivät das nicht zu reflektieren ist. Anders gesagt, Blochs Lehre der Materie geht leider am Ende doch nicht in eine Lehre der Kategorien über. Darum kommt es nicht zu einer Struktur-Analyse und setzt also nur Hoffnung gegen das was den einzelnen als auch die gesellschaftliche Entwicklung determiniert.

Kategorien-Lehre

Aristotle hat aber bereits gezeigt die Kategorien erlauben eine Beobachtung der regelmäßigen Verwendung von Sprache insbesondere wenn logische Folgerung den Ausdruck formen. Somit zeigen sie vorerst eine Grammatik auf, und die weitesten Sinne zu einer 'Grammatik des Lebens' ausgeweitet werden können.

Und bei Foucault kommt es darauf an die Lehre der Kategorien im Kontext einer Ordnung der Dinge zu sehen.

'Geordnete Anerkennung'

Interessant ist darum anzumerken, dass Blochs den Begriff einer 'geordneten Anerkennung' verwendete, um zu erläutern was Nietzsche gebraucht hätte und dennoch nicht erhielt. Was immer der Unterschied und das Bewandtnis zwischen den beiden philosophen, Foucault schaffte es philosophische Inhalte zu formulieren. Bloch blieb dagegen um im Schriftbild zu bleiben auf einem Floss um dem Fluss der Dinge zu begreifen und zeigte eher metaphorisch oder allegorisch Spuren seiner Lehren.

Hinzu kommt aber noch etwas anderes. Da das Bewahren nicht nur im Gedächtnis sondern ebenso in der Schrift – Karl Jaspars spricht vom 'Transkription', also was die Mönche im Mittelalter taten wenn sie alte Texte neu wiedergaben – eine wichtige Rolle spielt, und letztlich beide, das im schriftlichen Sinne Vorhandene und die aus gelebten Erfahrungen heraus stammende Erinnerung an die Zukunft, maßgeblich die Gegenwart bestimmen, dann kann noch anders über den Gang der Dinge nachgedacht werden. Bloch tat es im Sinne von einem Ausfindig-machen einer latent Tendenz in der Gesellschaft, aber was noch lange nicht alles was zur Lehre der Kategorien zu sagen wäre, begreifen ließe. Seltsamerweise spricht Zwerenz den notwendigen Kategorienwechsel in den Köpfen zwar an, aber dies ohne Ableitung aus einem philosophischen Bewusstsein für was die Lehre der Kategorien auf sich hat.

Bibel-Kritik

 

„Nietzsche verwarf das ganze Christentum samt seinem Neuen Testament als falschen Menschheitsentwurf, weil damit sklavenhafte Moral, Unterdrückung und Himmelsflüchtigkeit gegeben seien. Bloch verwarf Nietzsches Verwerfung und wertete die Bibel als mythisches Kunstwerk. Nicht um Verwerfung gehe es, sondern um Entzifferung, das Christentum sei als Urchristentum revolutionär gewesen, was sich in Intervallen jeweils wiederum zeige, die aufrührerischen Bauern des 16.Jahrhunderts seien dem Urchristentum näher als der mit den Fürsten siegreiche Martin Luther. Wo Nietzsche ein Ganzes verwirft, analysiert Bloch feiner, doch beide verwerfen nicht um zu verwerfen, sondern um der Freiheit eine Gasse zu bahnen.“

Gerhard Zwerenz, (1987) Bloch zwischen Nietzsche und Gorbatschow Frankfurter Rundschau 11. Juli 1987

Nietzsche ist und bleibt problematisch in vielerlei Hinsichten. Dennoch scheint Bloch von ihm deswegen angezogen zu sein, insofern Nietzsche die Notwendigkeit einer Loslösung von einer autoritären Religion beschreibt. Selbst wenn seine Antworten fragwürdig sind, so waren seine gestellten Fragen ein Fundus für Bloch über Religion nachzudenken. Das benutzte er wiederum für seine Bibel-Kritik.

Bloch und Gorbatschow

Ab 1986 beginnen die von Gorbatschov eingeleiteten Veränderungen erste Signale und sogar Auswirkungen auf das Inner-Deutsche Verhältnis zu zeigen. Henning Pietzsch beschreibt wie Gorbatschows Glasnost ab 1986 langsam den Knoten löste und dabei erneut in der damaligen DDR das Prinzip Hoffnung auf politische Umgestaltung entzündete. 3

Zwerenz macht gleich auf etliches aufmerksam wenn er Bloch als Poststalinist und Postmarxist bezeichnet. So zitiert er Blochs Aussage im Gespräch mit Fritz Vilmar in 1965, dass Marx sich nicht genügend vom möglichen Missbrauch oder gegen vorhersehbaren Konsequenzen seiner Ideen abgesichert hat. Bloch begründet das mit einer sehr genauen Feststellung, denn „da zeigt sich vor allem die ungenügende Durchdenkung der Kategorie Diktatur...“ Er meint damit zuwider Lenins Spruch auch eine Köchin könne regieren, dass „die Staatsmacht es verstünde bis in die kleinste Regungen der Individualität hinein zu gehen.“

Zwerenz erklärt das in seiner Rede wie folgt:

„Hier spricht Bloch, von Lenin ausgehend, vielleicht leinistisch, kaum marxistisch, aber nietzscheanisch,, und solange den sozialistischen Staatsdenkern die Zivilcourage fehlt, dies genau zu bedenken und zu berücksichtigen als einen kategorischen Umbau auch in den Köpfen und theoretischen Entwürfen, solange wird gelten, was Bloch anschließend mit höchster Skepsis äußert: 'Ja, es hat schon viele Tauwetter gegeben und dann wieder so viele Gegentauwetter, daß ich den Eindruck habe, diese mächtige Prämisse von Diktatur ...ist stärker als die durch wachsende technische Intelligenz und dergleichen hervorgerufene Liberalisierung.'“

 

Gerhard Zwerenz, (1987) Bloch zwischen Nietzsche und Gorbatschow Frankfurter Rundschau 11. Juli 1987

Er deutet das als Blick auf Chruschtschow aber zugleich als verborgene Schrift an Gorbatschow, insofern Bloch zu erkennen gibt, dass „mit Halbwahrheiten, Genossen, sinkt ihr in den Sumpf zurück, aus dem ihr euch gerade befreien wollt.“ Und zitierend die Legende vom Müllhausen Trick der sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf zog, meint Bloch dazu, das wird kaum gelingen; eher bedarf es der „Solidarität von Helfern.“ Und Bloch fügt dem hinzu „den aufrechten Gang nur für Diktatoren, das ist zu wenig aufrechter Gang.“

Sklavensprache – Folgen von 1945 bis 2004

„Ich behaupte, mindestens aus provokatorisch-didaktischen Gründen, dass die nachfolgende Entwicklung es Marxismus, auch bei Bloch selbst, wo der Hegelianismus und Hegelsche Marxismus stärke wurde, die Verschiebung der Gewichtung Richtung staatlich-diktatorischer Orwellisierung begünstigte. Für Bloch war das auch insofern folgenreich, als er nach 1945 an die Universität Leipzig berufen werden konnte, wo er als Marxist zwar nicht als orthodoxer, doch als akzeptierbar galt. Und er war es solange, wie er selbst in Leipzig Sklavensprache sprach, was bedeutete, daß er sich als Subjekt als Philosoph zurücknahm und nur die übliche Geschichte der Philosophie lehrte.“

Gerhard Zwerenz „Bloch zwischen Nietzsche und Gorbatschow“, Frankfurter Rundschau, 11.Juli 1987

 

'Sklavensprache' heisst in diesem Kontext der Universität noch etwas anderes als was einem Arbeiter im Betrieb oder dem Beamten beim Staatssicherheitsdienst 'sprachlich' zusteht. Alle hatten aber sich als Genosse anzureden.

Allgemein war die Abkehr von einer offenen Aussprache zugleich eine Zuspitzung auf den Bedarf der Partei die um ihre Macht abzusichern, den Weg zum Sozialismus wissenschaftlich von den Akademikern begründet haben wollte. Dabei ergab sich eine Mischung an brillianten Einsichten und dummen Floskeln die sich dann in die Texte oder in die Rede im Hörsaal dann einschleichen, wenn der zuhörende Parteigenosse zufrieden gestellt werden soll.

Nicht umsonst bewunderte Bloch Descartes für seine Fähigkeit, solch eine Kritik an der Religion zu üben, ohne von der Kirche wie Bruno auf den Scheiterhaufen geschickt zu werden. Bloch meinte etwas Rotwein half Descartes dabei potentiell provokante Äußerungen von ihm vorzeitig so abzurunden dass die Kirche keinen wirklichen Anstoss daran nehmen konnte. Es ist also ein Verweis auf die Kunst des Überlebens im System.

Doch aus dem Subjekt-Objekt Kenntnisgang entstand lediglich eine  scheinbare Alternative. Schließlich hatte jedes Subjekt zugleich beherrschbar als auch bestimmbar zu sein. Das kommt gleich einem freiwilligen Eingliedern in die Sklavensprache.

Das kann auch noch anders gesehen, berichtet und formuliert d.h. auf einen Begriff gebracht werden. Denn das enttäuschte Subjekt und das verloren gegangene Objekt, und zwar eine Gesellschaft die sich nach humanen Maßstäben richten würde, verbinden sich dann nur noch negativ. Daraus ergibt sich eine gesteigerte Form der Angst genannt 'die Phobie des Geistes'. Das Bewusstsein wird beherrscht von einer Irrationalität sondergleichen, insofern nur ein Gedanke begreifbar ist, nämlich nicht frei zu sein. Hinzu kommt noch im Unbewussten eine irrsinnige Spannung zwischen dem Wissen auf dem besten Weg des Scheiterns zu sein und doch sich nicht voll zur Verantwortung dafür bekennen zu können. Hoffnung bildet da ein gewisses Schlupfloch aus dem der Druck aufs Gewissen entweichen kann. In einfacher Sprache heisst das 'Dampf ablassen', aber es kam noch schlimmer. 

Es kam an der Universität im wissenschaftlichen Sinne zu einer Leugnung jeglicher Objektivität. Mehr und mehr verdichtet sich in der DDR der Hang die wirtschaftlichen Probleme zugunsten dem bloßen ideologischen Anschein zu opfern. Eine wirkliche Analyse ist dann nicht mehr möglich, geschweige nachvollziehbar d.h. an andere vermittelbar. Das einzige wozu die Fachgelehrten dann imstande sind, ist die Disposition zum Wissen so zu strukturieren, dass statt der praktische Urteilskraft Zuspruch zu geben bloße Vorurteile den Gang der Dinge bestimmen. Nicht Wissen, sondern Loyalität zur Partei musste jederzeit bewiesen werden, und zwar von jedem. Selbst wenn noch so dumm, dieses Ausblenden der Realität wurde benutzt, um im Moment Nicht-Wissen zu verschleiern und gleichzeitig um Zeit gewinnen bis möglicher Weise herausfindbar war, was der Fall ist. Angesichts solch einer ungewissen Situation sowohl im wirtschaftlichen als im politischen Sinne blieb Bloch nicht anderes übrig als sich auf das Echaton zurück zu ziehen. 

In 2004 veröffentlicht Gerhard Zwerenz gemeinsam mit Ingrid Zwerenz eine Abhandlung dieses schon lange anschwellende Thema das unmittelbar mit der Geschichte von Widerstand und Hoffnung in der DDR zusammenhängt. 4

Das Buch wurde von Henning Pietzsch für H-Soz-u-Kult in 2005 rezensiert. 5

Rückblickend

Einen Weg aus der Sklavensprache herauszufinden, dürfte auch in 2014 kein leichtes Unterfangen sein. Es handelt sich dabei um eine schwierige Identitätsfindung, und das inmitten einer Landschaft die inzwischen seit 1989 die Wiedervereinigung von Ost und West durchmacht, und noch immer nicht mit diesem Unterschied klar kommt. Die Sozialisierungen im Osten waren halt andere. Johanna Schall geht davon aus, aber auch ihre Tochter damals, als die Mauer fiel, zwölf Jahre alt war, fühlt sich nach wie vor vom Ereignis traumatisiert. Denn plötzlich wurden sämtliche Personen auf die sie ihr Vertrauen setzte, in Frage gestellt, ja noch mehr in ihrer Integrität angezweifelt, weil sie dem DDR Staat als Lehrer und anderswie gedient hatten, und das hieße immerzu sie mussten demnach auch Mitglieder der SED-Einheitspartei gewesen sein.

Es gibt verschiedene Vertrauensbrüche. Als wir die '68 Generation, einschließlich Antje Vollmer und Jürgen Hofman (er schrieb später eine Sammlung an Kurzgeschichten zu dieser Zeit unter dem Titel 'These were the days, my friend') mit der Hausbesetzer-Generation, und vor allem mit denen aus dem Kuckuck Haus, zusammenbrachten, sagte eine die mit ihrem Vater brach, weil sie ihn als Richter der über den Prozess zum Rudi Dutschke Attentat präsidierte, bloß stellte, insofern sie in aller Öffentlichkeit am ersten Gerichtstag enthüllte, er war ein Nazi-Richter gewesen, „so hoffe sie, dass die neue Generation nicht so wie sie es mit ihren Eltern tat, brechen müsse.“ Sie war gleich am selben Tag aus dem Haus in Dahlem ausgezogen und nach Kreuzberg in Berlin West übergesiedelt. Das sind unvergessliche Einblicke in persönliche Geschichten die oftmals von denen die im Osten lebten, übersehen wurden. Eine Verständigung zwischen Ost und West braucht halt seine Zeit.

Nur schlimm dürfte es sein wenn die Sklavensprache Teil der Identitätsfindung bliebe, so als würden die Menschen nur dann sich wiedererkennen, wenn unfrei, sie gleichsam nicht einmal Versuche zum Mensch-werden anerkennen. Vor allem fallen bei diesem kritischen Maß all die reklamierten Erfolge ziemlich bescheiden aus.

 

Hatto Fischer

Athen 28.6.2014

 

1 Deleuze und Guttari haben diese Art Kränkung zu einem Inbegriff negativen Krankheit ausgedehnt, denn ohne Bezug auf das Gegenteil, also auf die Gesundheit, kann die eigene Krankheit nicht mehr reflektiert werden. Nietzsche tendierte dahin bis er nach Turin nach Weimar kam, um dort für sein restliches Leben von weiteren zehn Jahren nur noch im Stuhl zu sitzen und von wo aus er vermutlich aufs Leben zurück schaute. Es war in dieser Zeit als seine Schwester das Nietzsche Museum in Weimar erbaute und Nietzsche als lebendige Puppe im Schaufenster sitzen ließ: eine zur Schau gestellte Subjektivität.

2 Zu diesem 'oben', auf einem Redepult, stehen, während das Volk 'unten' ist und da auf die Worte lauscht, ist noch mehr zu sagen. Bei Hölderlin ist das ähnlich. Er schätzte den Dialog mit den Göttern, während ihm die Sprache der groben Männer verhasst war.

3Zitierweise Henning Pietzsch: Rezension zu: Zwerenz, Ingrid; Zwerenz, Gerhard: Sklavensprache und Revolte. Der Bloch-Kreis und seine Feinde in Ost und West. Hamburg 2004, in: H-Soz-u-Kult, 08.06.2005, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-2-173>

4 Zwerenz, Ingrid; Zwerenz, Gerhard (2004) Sklavensprache und Revolte: Der Bloch-Kreis und seine Feinde in Ost und West. Hamburg: Schwartzkopff Buchwerke. ISBN 3-937738-11-8

5 op.cit. Henning Pietzsch: Rezension zu: Zwerenz, Ingrid; Zwerenz, Gerhard: Sklavensprache und Revolte. Der Bloch-Kreis und seine Feinde in Ost und West...

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