Ποιειν Και Πραττειν - create and do

Eine Kritik an Ulrich Becks 'Utopie der Selbstbegrenzung' - Hatto Fischer (1995)

Das philosophische Selbst als Antwort auf Grenzen: zu Ehren von Ulrich Beck – Hatto Fischer

 

Einleitung

Vor kurzem zelebrierte der Soziologe Ulrich Beck seinen 50.Geburtstag (Jahrgang 1944), und der durch eine Veröffentlichung an Beiträgen verschiedener Autoren geehrt wurde. Alle zollen ihm Respekt und geben ihre Anerkennung für seine ständigen Beiträge zur öffentlichen Diskussionen.

 

Seine Laufbahn als Soziologe begann er bereits 1971 als er u.a. Jürgen Habermas aufsuchte, um dessen Meinung zu seiner Dissertation einzuholen. Damals entstanden mit ihm Gespräche in der Nähe zum Deutschen Museum über die ungelösten Probleme der Soziologie und vor allem was den Anspruch auf wissenschaftliche Objektivität betrifft. Adorno war gerade zwei Jahre zuvor in 1969 verstorben und es schien als wäre die Verbindung zwischen Philosophie und Soziologie gerissen. Jürgen Habermas war zu sehr im Streit mit Niklos Luhmann verstrickt als das über System-Theorie hinausgehende Denkanstöße für andere hätte geben können. Das wurde insofern von Habermas persönlich unterstrichen, bemerkte er doch im historischen Rückblick die politische Unwirksamkeit der Philosophie.

 

Nicht so Ulrich Beck der aus einem Verantwortungsbewusstsein für soziale Probleme optimistisch, aber auch als sachlicher Denker seinen Weg hin zu einer neuen öffentlichen Diskussion vorbereitete. Er war der Meinung, 'man müsse nur scharf formulieren, die Argumentationsverkettungen erkennen, um erstmals gründlich ungelöste Probleme, also die Restbestände der Gesellschaft, aufzuzeigen.'

 

Das sind die Erinnerungen an Ulrich Beck aus dem Jahre 1971, und die vierundzwanzig Jahre später, also in 1995, zu reflektieren gelten, und zwar in der Annahme der Soziologie ist inzwischen bewusst welch ein Verlust philosophischen Reflexion sie sich durch vollkommene Loslösung eingehandelt hat.

 

 

'Heute'

 

'Heute' (also der Intellektuelle im Sinne von Max Frisch) versteckt sich nicht mehr hinter einer Art chinesischer Mauer, oftmals polemisch in der Vergangenheit als Soziologendeutsch abgetan. Damit war eine oftmals kaum noch zu überbrückende Distanz zwischen Theorie und Praxis gemeint. Sie scheint im Licht der Talk-shows völlig verloren gegangen zu sein, hat doch das 'Heute' am 'Strukturwandel der Öffentlichkeit' (Habermas) sowohl gelitten als auch davon profitiert. Schließlich ist die scheinbare Verständlichkeit des heutigen Soziologen mit dem Inbegriff einer 'gültigen öffentlichen Meinung' fest verschmolzen. Das geschieht als Ersatz für ein weitaus viel schwierigeres Reflektieren der Theorie-Praxis Verhältnisse die nicht allein durch einen Erkenntnis-Prozess kompensierbar sind. Angenommen wird dabei die theoretische Terminologie sei das aus zu stoßende hässliche Entchen, und darum kommt es gar nicht erst zu einer klaren Benennung der Realität. Stattdessen wird mit einem derartigen Tempo argumentiert, so als gelte und ginge es praktisches Handeln durch öffentliche Diskussionen wenn nicht ganz zu bestimmen, so dann zumindest soweit zu beeinflussen, das nicht in Vergessenheit gerät es besteht heute die Risiko-Gesellschaft.

 

Bei diesem Tempo kommen einem nur noch schwach im Sinne jenes Friedenslied, dessen erste Strophe mit der Frage, 'where have all the flowers gone?' - wohin sind all die Blumen verschwunden? Tagträume, Nachdenken, Lachen, ernste Mienen, lyrische Proteste, und die Kritik eines Uwe Johnson, 'man könne nicht seine eigene Moral damit aufbessern, indem man einfach Staaten wechselt' (und er meinte damit Enzensberger der auf der Höhe des Vietnam Krieges die USA zugunsten von Kuba verließ), sie werden kaum noch wahrgenommen, geschweige im aktiven Sinne der Gegenwart erinnert. Die Gegebenheit von 'heute' sind einfach andere.

 

Also so schnell vergeht die Zeit. Morgen ist das 'heute' bereits Vergangenheit. Das passt dann auch zur Einleitung eines Beitrages von Ulrich Beck der jüngst unter dem Titel 'Utopie der Selbstbegrenzung' in der Süddeutschen Zeitung (25./26. März 1995) erschienen ist. Jener beginnt ähnlich zum Märchen: „Es gab einmal eine Zeit, es ist vielleicht zwei, drei Jahrzehnte her...“ Bei diesem Beitrag handelt es sich allerdings weniger um eine Einleitung zu einer soziologischen Märchenstunde, sondern eher um einen nüchtern machenden, gleichfalls apokalyptischen Hinweis auf den Uhrzeiger weil zeigend 'fünf vor zwölf'. Was ist inzwischen geschehen?

 

Europa und deutsch-deutsche Wahlverwandtschaften

 

In einem Artikel den Ulrich Beck in 1994 veröffentlichte, nahm er Stellung zugunsten eines 'Individualismus' innerhalb einer Europäischen Vernetzung. Er betrachte das als Ausweg zu einem gesichtslosen Bürokratismus der anscheinend in Brüssel, nicht aber in Berlin oder Paris herrscht. Er reagierte dabei auf eine Europa-Debatte innerhalb vom wieder vereinten Deutschland. Inwiefern er meint dadurch die Europäische Dimension zum Tragen bringen zu können, das bleibt dem Urteil des Lesers überlassen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist aber das der oben genannte Artikel eine besondere Interesse bezüglich der dadurch eingenommenen Position erfahren hat.

 

Falls nicht ganz falsch interpretiert, entspricht 'Utopie der Selbstbegrenzung' der allgemeinen Tendenz in Deutschland sich von Europa immer mehr abgrenzen zu wollen. Ulrich Beck spricht sich für die soziale Marktwirtschaft aus und regt deshalb Gedanken an die im Grunde die Frage stellen, wie könnte eine staatliche Intervention auf der Basis der Werte von Freiheit und Gerechtigkeit aussehen? Von Europa ist da überhaupt keine Rede. Eher schon von „Handlungsfelder so umzubauen, dass die Handelnden ihre Umwelt weniger mit Folgeproblemen belasten und gleichzeitig in ihren Entscheidungen und Verantwortlichkeiten autonomer werden.“ All das klingt nach einem Wunsch den föderativen Gedanken weiter nach unten treiben zu wollen, also „nicht nur für Europa“ aktiv sein, sondern zwecks Selbstbegrenzung als Selbstbefreiung soll 'Selbstverantwortlichkeit' (wieder) Spaß machen. Es handelt sich dabei um eine Zukunftsvision die sich auf eine 'glücklichen Seele' berufen kann, um nicht nur Bayern und Sachsen, sondern auch West- und Ost-Deutschland zusammen zu bringen. Damit soll erstmals der Grundstein für einen kulturellen Konsensus gelegt werden, um eine Art deutsch-deutsche Wahlverwandtschaft (in Erinnerung an Goethe sind dabei andere Ehen mit anderen Partnern ausgeschlossen) herzustellen. Erzielt werden soll dadurch das was Günter Grass und Jürgen Habermas noch vor der D-Mark Zwangsvereinigung, und unmittelbar nach dem historischen Ereignis des Mauerfalls in Berlin forderten, und zwar eine neue Verfassung die von unten kommend, von allen wirklich anerkannt wird.

 

Grundsätzliches gäbe da nichts am föderativen Gedanken von Ulrich Beck auszusetzen, aber da treten doch Dinge zu tage die einen verwundern und noch mehr beunruhigen. Dies kann zugleich die Tatsache unterstreichen, dass die in Talk-shows gemachten Statements nicht kritische Analysen ersetzen können, zumal Sprache ein Indiz dafür ist für was nicht nur gemeint sei (Wittgenstein), sondern was auch entstellt werden kann.

 

So verwundert es einen nicht dass Ulrich Beck auf Kant zu sprechen kommt eben weil er da vermutlich etwas gemeinsames entdeckt, und zwar die geradezu inflationäre Verwendung des Begriffs 'Selbst', sagte doch Adorno Kant habe jenen Begriff am meisten verwendet und trotzdem nirgends wo genauer oder näher definiert. So entsteht die Frage nach einer brauchbaren Terminologie die anscheinend imstande ist die Anschauung mit dem Politischen zu verknüpfen, und im selben Zusammenhang eine Stimme ertönen lässt, die einen zutiefst beunruhigt. Es ist nämlich der 'Jargon des Politischen' der gleichzeitig einen apolitischen Reflex beinhaltet. Möglich ist dass die Linie hin zu Biedenkopf für Ulrich Beck momentan zu stark ist oder die unmittelbare Verbundenheit des Soziologen mit der Bundesrepublik wird von einer Eigenmacht des Jargons eingeholt und dementsprechend markiert.

 

Aber nicht nur der Begriff 'Selbst' steht philosophisch wenn nicht im Regen dann im Zweifel, sondern ebenfalls die anfangs aufgestellte These der Ratlosigkeit. Solch eine Rhetorik ist zwar sehr gut, trifft aber nicht das Problem selbst wenn Ulrich Beck meint Marx wieder im Microchip oder sonst wo erneut zu entdecken: 'gestorben, um neu geboren zu werden!' Das knüpft bereits ans Mythische an und deutet auf einen Wissensdrang der laut Goethe einem 'das Sausen und Brausen um die Ohren kund tut!'

 

Bei so viel Raffinesse wird noch eine ganz andere Spannung spürbar. Nicht das Selbst begibt sich in die Gefahr eigens gesetzte Grenzen zu überschreiten, sondern umgekehrt die einem Selbst innewohnenden Grenzen werden vom anderen überschritten bzw. verletzt, selbst wenn das für den anderen ein Verstoß gegen selbst gesetzte Regeln ist. Doch diese andere Seite bleibt ausgeblendet.

 

Das lässt ahnen wie alte Feindbilder im neuen Unbekannten entstehen. Abermals muss die Technologie und noch mehr die 'virtuelle Realität' herhalten, um Orientierung zu geben. Sie stehen als ungenaue Metaphern für die neue Realität. Das Problem solch einer Rhetorik wird aber erst dann bewusst, wenn in die Nähe zur Romantik der Maschinenstürmer gerückt, eine Bewegung die eine grobe anti-Materie, anti-Technologie verfolgt und doch alles im Sinne eines militanten Zwanges hin zum Organisieren formuliert. Vergessen wird dabei dass Technologie nicht länger nur Werkzeug, sondern zu einer Theorie von Gesellschaft die die Logik des Organisierens bestimmt, geworden ist. (Cornelius Castoriadis). Das stellt die Soziologie vor neuen Aufgaben, wenn nicht in Frage! Allein die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der Informationstechnologien und die damit verbundenen Veränderungen in Betrieben und Institutionen deuten darauf hin. Sodann ist es nicht bloße Ratlosigkeit die alles anscheinend bestimmt, sonern eher eine Frage des Umgangs mit diesen neuen technischen Möglichkeiten, und darum selbst eine Frage der kulturellen Adaptation der Gesellschaft zu diesen neuen Technologien.

 

Das es sich dabei nicht um ein Teufelswerk im Sinne eines Faust handelt, sondern um eine besondere Weiterentwicklung von Wissen, müsste gar nicht erst betont werden, sondern wäre in einem anderen Fall selbstverständlich. Darum im Widerspruch zur These von Ulrich Beck und seiner fast apokalyptisch anmutenden Terminologie handelt es sich um eine neue Variante der Theorie-Praxis Distanz die er entweder übersieht oder nicht bei seinem Sprachgebrauch zu benennen vermag.

 

'Heute' heißt es imstande zu sein die kulturelle Terminologie soweit mit technologischen Erfordernissen zu verbinden, dass eben die Adaptation zur technischen Entwicklung möglich ist. Adaptation ist nicht die oftmals falsch verstandene Anpassung des Menschen an die Normen und Ziele einer von der Technologie bestimmten Gesellschaft, sondern schließt mit ein die Anpassung der Technik an die Bedürfnisse der Menschen. Jene sind vorwegzunehmen und in Referenz zu ihrem besonderen kulturellen Kontext zu verstehen. Ziel der Adaptation ist bereits von Anfang an noch weitere Veränderungen innerhalb durch die Kultur vorgegebenen Formen zu antizipieren, und darum nicht das Produkt für nur einen Markt-spezifischen Gebrauch herzustellen.

 

Eine Folge davon heißt also nicht Abgrenzung per Wahlverwandtschaften nach außen hin gesehen, sondern Befürwortung der Europäischen Integration durch aktives Mitwirken an Forschung und praktischer Zusammenarbeit im Rahmen von Europäischen Projekten. Eine geschlossene Kultur ist dagegen außerstande innovativ d.h. aktiv zu sein, noch vollzieht sich dann solch ein gesellschaftlicher Wandel, der nötig wäre um die Anpassung an die Zukunft für jeden nachvollziehbar zu machen, und darum eine wichtige Korrektur der bloßen Konsum- und Absatzmarktstrategie zwecks wirtschaftlichen Wachstums. Gemeint ist, dass die neue Welt interkulturelles Lernen als Qualifikation-Strategie voraussetzt, und deshalb ebenfalls eine Veränderung in der Wahrnehmung des anderen voraussetzt, also nicht länger als bloßen Konsumenten oder Abnehmer eigener Produkte zu betrachten, sondern als einen qualitativen Nutzer neuer Technologien. Das setzt wiederum voraus einen autonomen Wissensstand der jederzeit über Internet zugänglich ist. All das verändert nicht nur Lerninhalte sondern noch mehr sämtliche Evaluierungsmöglichkeiten. Betriebe wie Benetton sind bereits längst zu diesem Management von Information übergegangen und verweisen den Gebrauch reflektierender Terminologie auf weitaus praktischere Entwicklungen hin. Sodann mutet es einem seltsam an, dass Ulrich Beck jene reelle Welt mit dem Versuch einer 'Utopie der Selbstbegrenzung' zu umschreiben versucht. Da nur eine sehr ungenaue, stellt sich die Frage was ist inzwischen in seiner Denkwelt seit 1971 geschehen?

 

Selbstverständnis oder Selbstbegrenzung?

 

Natürlich wäre eine Selbstbegrenzung nicht möglich, gäbe es eine resignierende Vernunft, also eine die nicht sämtliche Ansprüche erfüllen will noch kann, und darum dies zum sozialen Norm des angepassten Menschen an gesellschaftliche Verhältnisse werden lässt. Der so reife, sprich angepasste Mensch resigniert aus Einsicht in die Vernunft nicht alles kann 'hier und jetzt', noch in diesem Leben erreicht werden. Damit schützt sich der Staat vor dem Risiko durch komplex werdende Menschen sobald die sich selbst gegenüber konkret werden, überfordert zu werden. Die Beschränkung auf nur im gegebenen institutionellen Rahmen zu erfüllende Ansprüche macht eben solch eine Resignation perfekt.

 

All das unterscheidet sich von der Verfassung die auf freie und kreative Selbstentfaltung des Menschen als Grundrecht verweist, wobei diese Entfaltung, philosophisch gesehen, von etlichen Faktoren abhängig ist: soziale Anerkennung, finanzielle Unabhängigkeit, Zugang zur Gesellschaft und ihren Ressourcen usw. Hinzu kommt die Bedingung eines sozial verträglichen Selbstverständnis denn nicht irgend eine Selbstentfaltung ist gemeint, sondern eine die kreativ, zugleich nicht auf Kosten von anderen geht. Deswegen hört sich der Ton in 'Utopie der Selbstbegrenzung' nicht nur trickreich an, sondern würde in eine gefährliche Zukunft verweisen falls sie in Wirklichkeit eine 'grenz-ziehende Politik' insbesondere gegenüber dem Anspruch, Mensch-zu-sein, wäre.

 

Zur Erinnerung, Ulrich Beck verdeutlicht zur Frage nach der Objektivität auf eine sehr eindrucksvolle Weise das Problem der Selbstbegrenzung anhand jenes Sozialwissenschaftlers der die Gewerkschaften erforschen will und dabei immer mehr für die Gewerkschaft unangenehme Tatsachen z.B. Korruption, illegale Praktiken, Verbindung mit der Unterwelt usw. aufzudecken beginnt. Sobald die Gewerkschaftsbosse davon erfahren, rufen sie den Institutsleiter wo der Wissenschaftlicher seine Forschungsarbeit macht, an. Der wiederum bestellt den Wissenschaftlich alsbald in sein Büro und beginnt eine Diskussion über seine Dissertation. So kommt die Selbstbegrenzung per Ratschlag zustande, denn der Leiter suggeriert das sei zwar eine hoch interessante Arbeit die er da verrichten würde, aber ihm scheint es als würde er sich übernehmen weil der Stoff viel zu komplex für nur eine Person sei. Statt also so viel Arbeit auf sich selber zu laden, solle er sich lieber auf zwei, höchsten drei Themen beschränken. Worauf solch eine Selbstbegrenzung hinaus läuft, ist im Grunde genommen eine Entmutigung der Wahrheit gegenüber. Die sogenannte Komplexität wird auf etwas überschaubares reduziert, aber was dann nicht mehr das Aufdecken unangenehmer Tatsachen zulässt. Ulrich Beck benutzt dieses Beispiel um zu zeigen aus dem Anspruch auf Objektivität wurde innerhalb des wissenschaftlichen Betriebes zusehends eine 'Normativität' d.h. was noch kontrollierbar, also nicht den eng gesteckten Rahmen sprengen würde.

 

Diese interessante These ist durchaus belegbar. Wiederholt erfahren jüngere Generationen wie die der Väter ihnen es zur Obligation der Resignation durch Vernunft zuzustimmen. Kein Wunder also wenn es selten noch kritische Denker eines Blochs oder Dutschkes die Widersprüche der Gesellschaft aus humaner Sicht anzusprechen und zu thematisieren verstehen. Dazu gehört das große Thema der 'Sklavensprache' bei Ernst Bloch, oder die Art und Weise wie Dutschke sowohl den Osten als auch den Westen gleichzeitig zu kritisieren vermochte ohne jedoch einer feindlichen Gesinnung der einen oder anderen Seite anheim zu fallen. Die meisten liefern sich einem 'Entweder-Oder' aus und stellen sich darum nur falsche Alternativen vor (Jürgen Habermas). Natürlich gibt es ebenso interessante Selbstbegrenzungen, so z.B. Enzensberger der in seinem Band 'Kiosk' belegt, dass er nicht als Schöpfer eigener Mythen auftreten will.

 

Doch an die Adresse von Ulrich Beck gerichtet, Klarheit der Sprache fehlt überall da, wo es anscheinend möglich ist 'über' die Menschen zu reden, ohne jedoch sich zu fragen, ob die deskriptive Übertreibung stimmt. Zum Beispiel spricht er von der industriellen Moderne als „eine wild gewordene Menschenmaschine.“ Das ist nicht nur bloße Übertreibung, sondern ein unverantwortlicher Satz. Er lastet das Irrationale, also das nicht Verstandene an der Maschine, den Menschen an, und gibt so zu verstehen wo die Schuld ganz allgemein liegt, also beim Menschen. Das ist zu allgemein wie trotz möglicher Ironie nicht zu verstehen.

 

Solch ein Satz kann weiter reflektiert werden, und zwar mittels eines Aufsatzes des Anthropologen Richard A. Shweder der zur Frage, warum Männer anscheinend im Freien, Frauen dagegen nur im inneren kochen würden ('Why do men barbecue?'), einen des Besseren belehren kann, nämlich das solche Sätze ohne postmoderner Ironie und darum Dekonstruktion überhaupt nicht zu verstehen sind.

 

Noch näher zu einer kritischen Leseart solch eines Satzes käme Ulrich Becks eigenes Bekenntnis zum Zynismus der seiner Meinung nach „reinigt“ und „Distanz schafft.“ Zumindest in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung am Rande des 26.Deutschen Soziologentages das bestätigte, denn „wie soll man in dieser Welt ohne Zynismus überleben?“ (SZ 25.September 1992) Es sagte das in Hinblick auf was aus der kritischen Vernunft als möglicher Gegenpol geworden ist, doch sei hier daran zu erinnern, dass Klaus Heinrich Zynismus mit Resignation gleich setzt, und dadurch auch zum Scheitern der Aufklärung zu noch anderen Aussagen kommt. So was ist seit 1971 geschehen, so dass er sich in bester Tradition der 'List der Vernunft' bedienen muss und doch nicht weiß, ob das Gegenteil vom Beschriebenen zustande kommt, nämlich die Anpassung der Maschine an die Menschen und im Widerspruch dazu eine gezähmte Wildheit nur noch er Pop-Gruppe 'The Wild Ones' zu geordnet werden kann (Adorno spricht hier von der bürgerlichen Gesellschaft die im Zirkus mit den wilden Raubtieren und Schlangen nochmals diese verdrängte Wildheit der Natur erleben will.) Sodann besteht die Gefahr bei solch einem Gegenpol dass das Gegenteil vom Gemeinten verstanden wird, und die negative Auswirkung der Übertreibung noch nicht gebahnt. Da Übertreibung bzw. eine schlechte Verallgemeinerung und Unverantwortlichkeit mit einer Theorie-losen Argumentation einher gehen, ist nicht weiterhin verwunderlich wenn etwas mit solchen bildhaften Beschreibungen vorgetragen wird weil nur auf einen bestimmten Geschmack ausgerichtet.

 

Also verfällt damit alles in Aberwitz, sodann herrscht hier die Ratlosigkeit, weil dort das wild gewordene Monster: die Maschine. Ulrich Beck verkennt hier das ethische Problem. Bertrand Russell hat das bereits in 'Väter des deutschen Faschismus' sehr gut erfasst, denn im Ersten Weltkrieg wurde erst vielen bewusst welche Macht der Technologie über die Menschen inne wohnt, und so stürzten sich viele Menschen nach dem Krieg in die Forschung, um die technische Entwicklung voran zu treiben. Russell meint alle seien hoch intelligente Menschen gewesen, aber mit einem Fehler: sie taten es ohne Ethik. Der Sinn des Satzes wäre also verfehlt, wenn nicht alles auf eine anscheinende Notwendigkeit der 'Selbstbegrenzung' hinaus liefe, doch schon vom Ansatz her lässt das den wohl bekannten Inbegriff von einer 'selbst verschuldeten Unmündigkeit des Menschen' (Kant) anklingen. So als gäbe es nicht die Gefahr der Selbstzerstörung und damit die Schwierigkeit 'Nein' gegenüber diesem Hang zur Zerstörung zu sagen (Klaus Heinrich). Das aber ist der Fall wenn statt die Selbstentfaltung des einzelnen Menschen zu ermöglichen, alles nur auf die Alternativlosigkeit der Selbstbegrenzung zusteuern würde.

 

Die Verwendung des Begriffes 'Selbstbegrenzung' lässt erneut die Frage stellen welch politisches Konzept steckt hinter Ulrich Becks Aussagen. Erstmals scheinen sie sich auf die liberalen Werte eines Kants zu beziehen. Dies wird deutlich durchs Hervorheben der „weltbürgerlichen Absicht“ einer demokratischen Kultur obwohl letztere nicht solch eine Gesellschaftsstruktur vorgibt. Sodann zeigt sich beim näheren Hinsehen, dass sehr große Schwierigkeiten mit solch einem Konzept verbunden sind, und dies nicht allein wegen eine gefährlichen Anwendbarkeit des Begriffes 'Selbst' in Richtung Verantwortung bzw. Schuldzuweisung.

 

Um ein Beispiel zu nennen, die Anwendung einer 'Selbstbegrenzung' erlaubt nur eine negative Befreiung aus der Unmündigkeit. Fragt ein Mann die von ihm geliebte Frau, ob sie ihn lieben würde, und die statt eine eigene Antwort zu geben, meint er soll diese Frage selbst beantworten, lässt ihn befangen in einer selbst gestellten Falle. Jede Antwort die er sich selber gibt, ist eine Falsche weil nicht wirklich verifizierbar. Das wäre nur dann möglich wenn die Frau ihm zu verstehen gibt was sie wirklich ihm gegenüber fühlt, und ob das überhaupt den Anspruch auf Liebe erfüllt. Viele Ehen basieren auf solch einem negativen anthropologischen Verstehen des anderen weil sie auf einer falsch gewählten Wahrheit beruhen (Ulrich Sonnemann, Negative Anthropologie.)

 

Noch problematischer wird es mit dem Begriff 'Selbstverständnis' denn laut Habermas erlaubt keine andere Wissenschaft, auch nicht die Soziologie, so etwas und nur die Psychoanalyse schneidet nicht das 'Selbst' von einem wissenden Zusammenhang ab. Schließlich handelt es sich dabei auch um eine Überwindung der Körper-Geist Trennung. Während die Distanz zwischen gelebter Welt ('verständliche Zusammenhänge Dank gelebter Erfahrungen') und der Informationswelt inzwischen noch größer geworden ist als vor dem Internet-Zeitalter, entstehen neue Fragen angesichts den rapiden Veränderungen im Wissen durch die neuen Informationstechnologien. Die kulturelle Anpassung daran ist dann nicht mehr allein eine Frage des Selbst-Bezuges, noch welche Antworten das sogenannte Selbstverständnis erfüllen und formen, sondern die Abläufe in der Gesellschaft werden gesondert vom Individuum gesondert mittels einer höchst problematischen Terminologie zugänglich gemacht. Die Nutzer verstehen nicht einmal die Hälfte von was sie benutzen um zu kommunizieren. So kann auch nicht mehr im Bezug auf ein reflektiertes Selbstverständnis der praktische Zweck dieser Technologie mit einem durchdachten Konzept auf der Ebene persönliches Wissen verknüpft werden. Der Abgang von der realen Welt und die Hinwendung zur 'virtuellen Welt' hat damit begonnen. Zwecks einem vorläufigen Verstehen gibt es manche Ableitungen aus früheren Modellen der Welt, die Umberto Eco 'Hypermodelle' nennt. Wörter wie 'virtual reality' und 'Informationhighway' oder 'Dataautobahnen' belegen das. Das interessante daran ist, dass Vorstellung und somit auch die Terminologie nicht mehr einer originären Welt entnommen sind. Gleichzeitig wirft das neue Fragen nach der sinnlichen Wahrnehmung insbesondere in einer künstlich erbauten Umwelt auf. Dies aber mit einer allgemeinen Ratlosigkeit gleichzusetzen, besagt zugleich dass die Diskussion zumindest in Deutschland nicht die französische Debatte über das Sehen und einer Zurücknahme einer Begeisterung fürs Ganze (Bateille) nach vollzogen hat (siehe hier, zum Beispiel, Martin Jays Abhandlung der Wahrnehmungsproblematik in der Französischen Philosophie: 'Downcast Eyes', Berkely, 1994).

 

Ganz anders hingegen die Schwierigkeit die Bedeutungen der philosophischen Terminologie zu begrenzen. Darauf hat Adorno in seiner Antrittsvorlesung nach seiner Rückkehr aus dem amerikanischen Exil verwiesen. Nicht die Begrenzung des Menschen soll das Thema sein, denn was ist der Mensch wenn nicht seiner Selbst ein Ausdruck davon, sondern die Terminologie. Zum Beispiel soll der Faschismus-Begriff nicht so umfassend sein, das es alles und nichts mehr erklärt. Noch weniger gilt es den Hegelschen A nspruch aufs Ganze aufrecht zu erhalten, denn laut Adorno das Ganze ist das Unwahre. Dadurch wird und soll Abstand von einer Grenz-ziehenden Politik genommen werden. Anders gedeutet, der Sinn für Begrenzung geht einher mit der Lehre der Proportionalität (Vincent Van Gogh meinte dies sei die aller schwierigste Kunst), um so anders als die Ratlosigkeit gegenüber dem Ganzen eine philosophische Verknüpfung zwischen dem Potentiellen und dem Reellen deutbar d.h. entschlüsselbar zu machen.

 

In diesem Zusammenhang formuliert Ulrich Beck einen Kernsatz zur Notwendigkeit der 'Selbstbegrenzung', und was bei näherem Hinsehen auf Faust-ähnliche 'metaphysische' oder noch eher unbeherrschbare Kräfte anspielt. Gemeint ist die Stelle wo er immanent von der „Marktbeschleunigung technologischer Innovation“ ausgeht. Doch was im Markt erreichbar ist, erklärt noch nicht was erforderlich ist, um die technologische Innovation beschleunigen zu können. Die Forschung an der Kernenergie ist z.B. nur möglich weil von Seiten des Staates gefördert. Ferner widerlegte Lakatosh Poppers These des wissenschaftlichen Fortschritts mittels der Falsifikation-Methode. Eher käme es darauf an wie Thomas Kuhn in 'Struktur wissenschaftlicher Revolutionen' das zeigt welche Paradigmen Wechsel stattfinden bzw. vorzunehmen sind. Es ist also immer noch eine Angelegenheit für interessante Hypothesen-Entwicklungen die durch empirische Forschung substanzieller und darum auch im Popperschen Sinne widerlegbar gemacht werden. So kommt es darauf an welche Rahmenbedingungen zwecks bewusster Reflexion von was in der Mathematik, Wirtschaft und Soziologie die Philosophie selber noch herstellen kann. Vieles geschieht heutzutage in den Wissenschaften in geradezu blinder Weise .d.h. ohne Selbstverständnis.

 

Entscheidend ist nicht nur was in den Wissenschaften vor sich geht, sondern auch was gesellschaftlich geschieht. Denn Innovation ist ohne kultureller Orientierung undenkbar. Ferner bedarf es ein Wechselspiel zwischen Beobachtung und genauerem Kenntnis des Vorganges. Insgesamt setzt das eine offene Kultur voraus. Sind die Menschen nicht bereit oder außerstande neue Ideen aufzunehmen (Piaget nannte das die Akkommodation) werden dem was einem ansonsten aufschlussreichen Markt sehr schnell deutliche Grenzen gesetzt. Zum Beispiel sieht sich der Großkonzern Daimler-Benz gezwungen enorm viel Geld für eine Verbesserung im 'Wissenstransfer'-Bereich auszugeben, um noch die inzwischen weit verzweigten Produktionssektoren fürs Management 'übersichtlich' genug steuern zu können. Demnach scheint es als ob Ulrich Beck den Begriff Innovation Kultur-neutral oder sogar unabhängig davon gebrauchen würde, und deshalb nicht umhin anders kann als erklären zu müssen weshalb an bestimmten Stellen der Markt ganz und gar indifferent dem Wissen gegenüber gestaltet. Das dann verweist auf eine noch nicht genannte Kluft zwischen Wissen und legitimes Handeln. Um so unglücklicher die Formulierung seiner Hauptthese, insofern die allgemeine Ratlosigkeit den allgemein gepriesenen 'Fortschrittsglauben' widerspricht, so dann gesellschaftliche Veränderungen noch qualitative Verbesserungen im Wissen selber nicht mehr nachvollziehbar wären.

 

Bewusst wird hier die wichtige, zugleich kulturelle Verbindung von Wissen und Qualität als erster kritischer Anspruch erhoben. Dagegen argumentiert Ulrich Beck auf der Ebene des bloß quantitativen Mehr wenn er voraussagt, dass das 'goldene Zeitalter' alle in eine allgemeine Ratlosigkeit stürzen würde. So meint er feststellen zu können, dass heutzutage

„muss man über alles grübeln, verhandeln, Rechenschaft ablegen und schwebt

doch immer über einen Abgrund. Letztlich weiß niemand, wie es weitergehen soll:

Alles ist möglich, aber nichts läuft mehr. Beispiel Verkehr.“

Für seine Begriffe ist der Stau zu einem „Metapher der unfreiwilligen Politisierung der Moderne geworden. Er symbolisiert die erzwungene Utopie der Selbstbegrenzung. Stau meint: unfreiwilliger Sitzstreik aller gegen alle, egalitäre Zwangsmeditation für alle Autoklassen.“ Dieses Beispiel soll die Alternativlosigkeit zur Selbstbegrenzung verdeutlichen, also ein Wundern des im Stau stecken gebliebenen Soziologen über die Fortentwicklung der Moderne.

Ulrich Beck versucht der Reihe nach gewisse Alternativen auf ihre Standhaftigkeit abzuklopfen. Entscheidend sei, dass einem dabei „die Schuppen von den Augen“ wegfallen, also doch das Sehen und Erkennen zu einem wichtigen Thema anscheinend machen will. Aber er meint eher eine Begriffs- gleich einer Verkehr-Entwirrung wenn er das Bedauern ausspricht, dass „die schöne Zwischenzeit der Utopielosigkeit zu Ende geht.“ Gewiss, ein Ernst Bloch hätte das nicht gerne gehört.

 

Ulrich Becks Analyse zielt in seiner Kritik auf die von ihm selbst genannten Neon-konservativen Variante die eine 'selbst-begrenzungpolitik' betreibt, aber selbst hemmungslos ist. Immerzu sollen die Anderen sich selbst begrenzen. Demnach will er die 'Selbstbegrenzung' mit 'Selbstbefreiung' verknüpfen, und dabei sicher gehen, dass beim Übergang von der ersten zur zweiten Industriegesellschaft es in eine „aufgeklärte, reflexive Moderne“ mündet, und zwar mit dem Ziel eine bestimmte 'Selbstverantwortlichkeit' herzustellen. Er greift auf Kant und der Aufklärung trotz ihres Scheiterns (siehe Adorno, Horkheimer, Dialektik der Aufklärung, 1944) zurück, und nennt im gleichen Atemzug die „Rationalität verkürzter Wirkungsketten.“ (Claus Offe), um die Bedeutung kleiner, überschaubarer Dimensionen und Einheiten hervorzuheben, während er nur kurz die Befreiung aus Struktur-bedingten Interdependenzen z.B. von Finanzmärkten erwägt, wenngleich daraus enorm viele neue Unsicherheiten und unkontrollierbare Finanzflüsse entstehen.

 

Ganz seiner Denkrichtung will Ulrich Beck die Restrisikos eindämmen, insofern „Folgen und Gefahren früh erkennbar und korrigierbar bleiben.“ Das hieße aber nicht ein antizipatorisches Bewusstsein zu entwickeln; stattdessen beschränkt sich diese Form des Erkennens von Risikos aufs Überschaubare. Inwiefern das möglich ist, bleibt den Wahrscheinlichkeitsrechnungen überlassen. Angesichts gigantischen Flughäfen wie jener von München sind bei solchen Größenordnungen die Handlungsfelder nicht mehr leicht aus einem einfachen Erkenntnisstand überschaubar, geschweige sämtliche Risikos abdeckbar. Das hat entsprechende Folgen für welche Begriffe gefördert werden, weil in solch einer Wirtschaft der Fluss der Waren und Menschen noch einigermaßen steuerbar ist, nicht aber der menschliche und persönliche Umgang miteinander. Es kommt also zu unkontrollierbaren Städten die entsprechende Entwicklungen immerzu einleiten und forcieren wobei die Politik und ihre Verwaltungsbehörden immer mehr in Bedrängnis geraten, eben weil sie nicht mehr alle gerecht und gleichzeitig befriedigen können.

 

Somit ist von Interesse nochmals auf das Thema 'Stau' zurückzukommen. So wird z.B. die Zugverbindung zwischen Paris und London nach Eröffnung des Tunnels von allen Seiten gelobt, weil die Reisezeit nicht nur sehr kurz ist (drei Stunden), sondern von Anfang an bis zum Ende voll genutzt werden kann und darum nicht mehr mit einer Reise per Flugzeug zu vergleichen ist da letzteres Wartezeit, An- wie Abschnallen, und obendrein noch weitere Zeit verbraucht wegen der Entfernung des Flughafens vom Stadtkern. Aber kann sich eine Gesellschaft einfach quer stellen falls nicht bereit ein ganz bestimmtes Risiko für die Zukunft einzugehen? Mit der Kernenergie wird diese Frage sehr aktuell. Doch oftmals kommt es nicht zum Widerstand weil die öffentliche Meinung so sehr manipuliert wird, dass jeder meint er befände sich in der Minderheit mit seiner Meinung gegen den Bau eines weiteren Kernkraftwerkes zu sein. So entstehen Alternativen erst dann wenn es zu einer gewissen Verbindung zwischen Wissen und kulturellen Aktionen kommt. Letztere beanspruchen ein Zugehen auf Komplexität und Vielfalt als Grundfaktoren eines qualitativen Lebens, und darum das, was von der gängigen Wissenschafts- und Verwaltungspraxis oftmals überhaupt nicht, und wenn dann nur marginal beachtet wird.

 

Kultureller Konsensus als Basis zur Herausforderung des Systems

 

Was Ulrich Beck seinerseits mit einer geläuterten Selbstverantwortung will, ist „vielleicht, die noch geheime Wahlverwandtschaft von Demokratisierung und Verlangsamung, also eine westlich geläuterte DDR-Erfahrung, die uns von der Orthodoxie der Industrie-moderne befreit.“ Solche Erfahrungswerte sollen somit nicht nur übergreifende Veränderungen im Bewusstsein hervorrufen, sondern so etwas wie eine heimliche 'kulturelle Synthese' zwischen Ost und West bewirken. Zumindest die Wiedervereinigung zwingt dazu solch eine Versöhnungspolitik zu versuchen, doch wie bei allen Zwangsehen geht das meistens schief. Außerdem sind kulturelle Synthesen nicht erzwingbar, auch nicht mittels einfacher Prinzipien wie Ulrich Beck sich das vorstellt, und zwar im Sinne von „billiger ist schöner (schöner ist billiger), langsamer ist demokratischer, selbstverantwortlicher macht mehr Spaß.“

 

Leider sind das die üblich ausgegebenen Parolen einer auf Spaß ausgerichteten, also nur oberflächlichen Kultur. Die tiefen Einschnitte ins Leben ehemaliger DDR-Bürger sind damit noch nicht überwunden. Ebenso der Mangel an Demokratie-Erfahrung im Osten als ein grundsätzliches Problem weil die Menschen dort einer ganz anderen Sozialisierungsgeschichte durchliefen, wird dabei nicht erkannt. Gleichzeitig gab es in der DDR Strukturen die eine Fortsetzung des Faschismus auf eine andere Art festigten z.B. statt der Hitler Jugend gab es die FDJ.

 

Habermas riet zu einer neuen Verfassung doch statt diese historische Gelegenheit des Mauerfalls zu nutzen, wurde diese Zwangswiedervereinigung mittels juristischer Tricks von oben eingeleitet und eine provisorische Verfassung der Bundesrepublik in eine permanente umgewandelt. Das politische Argument war 'the window of opportunity' – die historische Chance des Augenblicks würde sich sehr schnell wieder schließen. Vergessen wurde damit wovor Brecht warnte, nämlich 'wer sich dünkt auf dem schnellsten Weg zu sein der befindet sich meistens auf dem falschen.' In Angelegenheit von Demokratie gibt es keine Abkürzungen. Nur auf Umwege unter Einbeziehung der Einwände eines jeden einzelnen lässt die Bildung einer kulturellen Synthese zu. Jene ist erforderlich, will die Verfassung auf einem kulturellen Konsensus der Werte die mit allen zu teilen ist, basieren. Nicht aber Ulrich Beck denn er geht typisch für die Westlich geprägte Mentalität über die Unterschiede zwischen Ost und West einfach hinweg, und lässt um so mehr erahnen welch ungelösten Probleme noch auf Deutschland zukommen werden, insbesondere wenn es sich um Deutschlands Integration in Europa und gleichzeitig um ein Heraustreten aus einer historisch begründeten Befangenheit wegen des Faschismus handelt.

 

Ulrich Beck sieht die Herausforderung von allem mehr auf Begriffsebene bzw. welche Begriffe im öffentlichen Diskurs im Umlauf gebracht werden. Zum Beispiel verwendet er in seinem Artikel 'Utopie der Selbstbegrenzung' den Begriff der 'Industrieorthodoxie'. Doch was heißt das in einem Zeitalter das sich nicht mehr als Industrielle Gesellschaft begreift? Um so mehr versucht er vermutlich den Übergang von der Moderne zur Post-Moderne zu vermeiden, aber dennoch verfehlt er da weitgehend wichtige Diskussionspunkte was die heutige philosophische Einstellung betrifft, und noch mehr verlagert er das politische Verantwortungsbewusstsein auf ein nicht näher zu identifizierendes Subjekt. Er tut das aus Gründen seines Rückgriffes auf Kant insofern dieses fehlende Subjekt schlichtweg 'Selbst' genannt wird, wenn jeder weiß ein Selbst-Bezug reicht nicht aus um den vollen Verantwortungsbegriff zu erfüllen. Und das Verbleiben auf solch einer Begriffsebene hilft auch nicht weiter. Denn jedes Selbst auf der Suche nach dem Selbst kommt nicht weiter ohne dem Imaginären.

 

Zwar hatte Kant gehofft, „ich denke“ hieße „er könne überall hin seine Vorstellung begleiten“, doch dem was ist nicht so. Die Abtrennung des Ich von der Vorstellung war strukturell bedingt. Kant sah dieses Dilemma ein aber vermochte nicht weiter das zu thematisieren und setzte stattdessen sein ganzes Vertrauen auf die 'praktische Urteilskraft'. Letztere wäre vorstellbar eine entscheidende Kraft wenn das Selbst sich entscheiden müsste wo und wozu es sich selbst, also freiwillig, begrenzen müsste, um weiterhin deckungsgleich mit dem Verantwortungsbegriff im Leben bestehen zu können.

 

Doch ab dann wird es enorm schwierig und kompliziert weil es an die Fragestellung eines George Steiners anknüpft. Jener stellte die Frage in 'Sprache und Schweigen' wieso konnte jemand Schubert Lieder am Klavier am Abend zuvor spielen und am nächsten Tag ins KZ gehen um unschuldige Menschen umzubringen? Wenn Kultur ein Inbegriff von Empathie für den anderen Menschen als Mensch ist, wieso gab es keine Hemmung, geschweige ein Vermeiden solch einer Handlung?

 

Abschied von der Utopielosigkeit

 

Für Ulrich Beck wäre vermutlich eine Unabhängigkeit von 'Utopie' die beste Utopie, aber insofern das Selbst außerstand ist sich selbst zu begrenzen, steht die Frage im Raum, ob die 'praktische Urteilskraft' ausreichend sei, um solch eine notwendige Selbstbegrenzung vorzunehmen. Im extremsten Falle wäre es die Befehlsweigerung Juden im KZ zu töten doch das fand gemäß eines industriellen ähnlichen Vorganges ohne ernsthaften Einspruch des einzelnen statt. Das Problematische an der praktischen Urteilskraft hatten sowohl Kant als auch Adorno erkannt: es kann nicht gelehrt, demnach auch nicht erlernt werden. Wie dann kommt sie zustande? Seit Aristoteles besteht das antizipatorische Bewusstsein das Konsequenzen bestimmter Handlungen vorwegnimmt und darum die Entscheidung zugunsten der Vermeidung der schlimmsten zu beeinflussen vermag. Nur das Scheitern eines Versuches den sich anbahnenden Krieg zwischen Athen und Sparta macht noch heute für Philosophen wie Michel Foucault deutlich, dass die Stimme der Vernunft nur sehr selten gehört wird. Solch eine Stimme muss auch nicht die des Königs oder eines hoch angesehenen Politikers sein, sondern es kann auch die des Hausmeisters sein. Eine Nicht-Beachtung käme also gleich dem fatalen Befolgen einer Rangordnung und nur der stattgegebenen Ordnung Folge zu leisten. Das heißt nichts anderes auf die Weisheit zu achten und zu hören. Doch wie gesagt, in solch einem Kontext ist noch lange nicht klar wie solch eine Selbstbegrenzung von statten gehen kann, insbesondere wenn die Distanz zwischen Wissen (wohl vermeintliche Theorie) und Praxis kaum noch überbrückbar ist, geschweige sprachlich vermittelbar ist. Letzteres müsste einem klaren Erkennen folgen, ein Erkennen das aus einem sozialen Zusammenhang entstünde aber inwiefern die Menschen imstande wären sich gegenseitig auf bislang unbekannte Dinge aufmerksam zu machen, um nicht zu stolpern bzw. Fehler zu begehen.

 

Ulrich Beck tat sich in der Studentenbewegung eher als Vermittler zwischen den verschiedenen Generationen hervor. Heute, als Soziologe, vermittelt er zwischen System und dem angehenden Weltbürger. Als Mitglied einer Zukunftskommission stellt er sich ferner neuen Probleme und Herausforderungen. Allerdings ist noch nicht zu erkennen ob er bei seiner derzeitigen Begriffssprache imstande sein wird diese neuen Spannungen aufzunehmen. Vor allem 'die Orthodoxie der Industriemoderne' ist ein Beispiel für untaugliche Begriffe. Vermutlich meint er diese Art Orthodoxie würde einerseits das Tempo der Veränderungen verlangsamen und darum etwas positives, doch auf der anderen Seite steht er dann in Erklärungsnot wie dadurch noch eine rationale Politik möglich sein kann. Orthodoxie entspringt ja dem Festhalten uralter Texte die zwischen Realität und Metaphysik anzusiedeln sind und von vielen Menschen deshalb anerkannt, weil menschlich zugänglicher als viele Textstellen in der Bibel. Entscheidender wäre es da gemäß neuer Entwicklung die Entstehung der Management-Kultur zu erfassen, aber auch solch kulturelle Werte wie 'culture of excellence' (Phil Cooke: Kultur der Exzellenz) zu beachten, weil ausschlaggebend für ein innovatives Zusammenarbeiten von großen und kleinen Betrieben weil alle Interesse an guten Arbeiten haben, und deshalb das Arbeitsniveau auf höchstem Stand gebracht werden kann. Das Interessante an der These von Phil Cooke ist dass er das auf Baden-Württemberg und Bayern bezieht, also Länder die es verstehen Tradition mit neuester Technologie so zu vereinbaren, dass die Kontinuität der kulturellen Identität bestehen bleibt. Durch solch eine Kontinuität wird dann auch eine mögliche Selbstbegrenzung zwecks Hinarbeiten zu solch einer Identität vermittelbar.

 

Doch die Möglichkeit einer 'Utopie der Selbstbegrenzung' neue Alternativen zu gängigen Denkweisen zu entwickeln, die verbleiben aus philosophischer Sicht sehr begrenzt. Es mag daran liegen dass Ulrich Beck es nicht vermag über Kant und der in seiner Philosophie verschwiegenen Problematik mit dem 'Selbst' als Inbegriff von Ich-Identität und zugleich Vernunft hinaus zu gehen versteht. Käme es ferner zur Einbindung des Selbst in der Gesellschaft bzw. Findung eines kulturellen Konsensus, dann gilt nach wie vor Adornos Diktum das zu Beginn seiner nie zu Ende geschriebenen Theorie zur Ästhetik besagt, nämlich „zur Selbstverständlichkeit wurde, daß nichts, was die Kunst betrifft, mehr selbstverständlich ist, weder in ihr noch in ihrem Verhältnis zum Ganzen, nicht einmal ihr Existenzrecht.“ Das Gleiche gilt für die Kunst zu sein als Individuum in er Gesellschaft. So dann handelt es sich weniger um Sein oder Nicht-Sein, sondern um das Etwas das die Verbindung zwischen dem Sein und dem Seienden (die Handlung) herstellt. Darum misst sich der kulturelle Konsensus an diesem qualitativen Etwas das imstande ist solch eine die Menschen wahrnehmende Verbindung herstellen bzw. sprachlich erfassen kann. Es macht möglich die Verständigung darüber was sich grundlegend in der Gesellschaft verändern muss, so dass soziale Bedürfnisse Anerkennung erfahren. Das gesellschaftliche Gleichgewicht, eine wichtige Voraussetzung für die menschliche Praxis, kommt dann spontan hinzu, so bald das Imaginäre dem Selbst-Bezug verdeutlichen kann die anderen Menschen werden dabei ebenfalls miteinbezogen.

 

Hatto Fischer

Athen 1995 (neue Fassung: 2014)

 

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