Ποιειν Και Πραττειν - create and do

Ein Heraustreten aus der Sklavensprache

Sofern der 'Mantel des Schweigens' etwas erkennbar macht, kann die Klärung von Sprache und Kultur auf der metaphorischen Ebene statt finden. Bloch verglich Philosophie zur Arbeit eines Detektivs der genauesten auf die kleinsten, abfälligsten und eher nebensächlichen Details achtet, um das Geheimnis zu enthüllen. Ähnlich ergeht es dem Menschen der sich einer rätselhaften Welt gegenüber stehen sieht, aber wegen ihres Geruches des Verbotenen zugleich auf Abenteuer hinaus will. Zumindest so lautet die Erzählung der Bibel weshalb Adam und Eva das Paradies verlassen mussten, nachdem die Schlange Eva dazu überreden vermochte Gotts Verbot zu ignorieren und somit in den Apfel biss. Aus eben solch einem Grund nennt Bloch die Bibel ein 'mythisches Kunstwerk'. Es erklärt zugleich weshalb der Mensch weitaus mehr auf Symbole achtet.

Der Metapher 'Mantel des Schweigens' wird in Rodins Figur von Balzac plastisch dargestellt. Es lässt einen aufmerksam werden für die gesellschaftliche Fähigkeit, die Zerstörung sowohl von Kultur als auch von Sprache zu verdrängen.

Sprache und Kultur werden zugleich von dem in der Bibel enthaltenen Symbolvorgang ersetzt.

Noch mehr ist das der Fall in einer Welt, in der das 'Medium' bereits die Botschaft ist, Nachrichten durch Botschaft-ähnliche Werbespots ersetzt werden. Ausnutzend die Tatsache, dass Menschen stets dann aufmerksam werden, wenn anscheinend etwas außergewöhnliches geschehen ist, so z.B. ein Unfall an der Straßenecke, hat sich inzwischen eine Welt der Nachrichtenvermittlung als Nicht Sprache etabliert weil keineswegs eine Einladung zur Teilnahme. Eher das Gegenteil wird durch die Reduzierung auf die Symbol-Ebene bezweckt: die Bilder der Gewalt sprechen für sich selbst, aber der wirkliche Zusammenhang für deren Entstehung wird nicht aufgedeckt noch versuchsweise erläutert. Somit bleibt die Kurznachricht eine Schreckensmeldung die jeder so schnell wie möglich wieder vergessen will. Und sei die Nachricht noch so schrecklich betreffend anderer Menschen, so ist sie angenehm weil ohne Konsequenz für die Betrachter oder Zuhörer. Jene können sich eher schweigend darüber freuen nicht am Geschehen teilzunehmen.

Kultur und Sprache

Der Widerspruch zwischen Sprache und Kultur, überdeckt von einer Fülle an Symbolen des 'falschen Lebens', kennzeichnet die nur scheinbare Realität. Die Nachrichten sind nur auf bestimmte Akteure zugespitzt, im Falle eines Krieges außer den involvierten Staaten höchstens noch die Vereinigten Nationen, das Rote Kreuz und manch andere Hilfsorganisation. Neben der militärischen Auseinandersetzung und der humanitären Hilfeleistung gibt es anscheinend keine weiteren Akteure die ins Geschehen eingreifen könnten. Somit bleibt der Anspruch am Wohlergehen anderer Menschen aktiv teilzunehmen, ungelöst.

Aus diesem Grund erscheint das Leben auf unmittelbarer Ebene eher gleich einem Dahintreiben in der Beliebigkeit die Städte für die Menschen bedeuten, wenn orientierungslos bzw. ohne aktives Interesse ihr Leben gestalten können. Das kommt gleich einer Welt die Mangels an Kultur jene Beliebigkeit durch eine Kult der Dinge reproduziert. Die Verdinglichung des Bewusstseins macht sich überall da bemerkbar, wo im Schein an Glamour auf Broadway die Armut direkt daneben ignoriert werden kann. Eher scheint der Reiz des Abgrundes dem Erfolgreichen einen besonderen Hauch an Überlegenheit zu geben. Privilegiert heißt ja nicht von der Kategorie Armut erfasst zu werden. Die Polizei hält nur diejenigen an die im Grunde nichts auf der Straße zu suchen haben, also die Obdachlosen und die Bettler.

Diese strikte Abtrennung per Gesetz ist gewollt. Denn das andere Leben wird dazu benutzt, jederzeit das eigene vorzuziehen, statt gegen diesen Widerspruch zu protestieren und vorzugehen. Somit wird die Grenze zwischen reich und arm durch eine indifferente Haltung gegenüber den Schwächeren gezogen. Es ermöglicht die Ausnutzung dieses Widerspruchs und bestätigt wiederum wenn überhaupt Kultur vorhanden ist, dann nur als Klassensymbol bzw. was die Reichen als Bestätigung ihrer privilegierten Position benötigen insofern sie für irrsinnige Summen Kunstwerke kaufen, um endlich behaupten zu können sie haben einen kultivierten Standpunkt erlangt wenn in ihrer Privatwohnung ein namhafter Maler hängt der aber ihnen so viel gekostet hat.

Sobald die Kunst nur nach dem erzielten Preis betrachtet wird, geht einher damit eine Negation von Kultur, insofern sie stets mit dem Verständnis des Menschen einher geht und von eben diesem menschlichen Verständnis getragen wird. Louis Armstrong war solch ein Künstler der nicht die Schwarzen in der Küche vergaß, wenn er als erster Schwarzer in die großen Luxushotels zwecks 'Entertainment' eingeladen wurde. Es ist eine Kunst jene zu unterhalten, dabei aber nicht zu vergessen jene anderen mitzunehmen, die nicht so privilegiert sind, eben Teller unter unmöglichen Arbeitsbedingungen und Bezahlungen waschen müssen. Bleibt also dieser Wahrnehmungshorizont verschlossen, wird der Widerspruch die Beziehung zwischen den Menschen negativ bestimmen, und das zum Schaden menschlicher Möglichkeiten eine andere Gesellschaft zu realisieren. Um das zu erzielen, müssten alle gemeinsam an der Befreiung vom Sklavendasein arbeiten.

Stattdessen werden eben die Unterdrückten dazu gebraucht, um den Reichen und den neu Arrivierten Lebensinhalt zu geben. Diese These ist nicht neu, aber weniger wird dabei die Abgrenzungsabsicht nach unten gesehen. Jene vergrößert das Ausmaß des ohnehin beschädigten Lebens und beschleunigt die allgemeine Verfallserscheinung, insofern die Sklavensprache sich als Sprachgewohnheit verfestigt und deswegen die Aussicht auf eine Befreiung in immer größere Entfernung rückt.

Zu dieser sozialen Tendenz gesellen sich weitere Extremitäten. Sie entstehen aus einer Mischung an Hilflosigkeit und Wut. Letztere staut sich immer mehr auf und entlädt sich dann in einer oftmals unberechenbarer Aggressivität. Sie macht es oftmals schwer genau zwischen linken und rechten Terrorismus zu unterscheiden, obwohl Sartre einmal die These wagte, der linke würde sich auf einzelne Personen konzentrieren, der rechte dagegen eine anonyme Masse an Menschen vernichten wollen. Beide unethischen Positionen versuchen sich durch eine verallgemeinerte Beschreibung der gesellschaftlichen Zustände zu rechtfertigen. Losgelöst vom positiven Schweigen, richtet sich deren Sprache gegen eine gewaltfreie Befreiung von negativen Zuständen, so als sei das unmöglich. Den Beweis liefert angeblich das Schweigen der Mehrheit so als würde sie unterdrückt werden, zugleich aber nicht die wirklichen Zustände in der Gesellschaft sehen wollen. Folglich bewirkt dieser Widerspruch in der Wahrnehmung dass Sprache durch Mitteln gegenseitiger Unterdrückung ersetzt wird.

Dadurch wird auch unter den politischen Gefolgsleuten nur eine Konformität erzeugt weil der Widerspruch letztlich nicht ertragen wird. Somit reproduziert sich die Sklavensprache nicht nur in einseitigen Abhängigkeiten aus der es anscheinend keine Befreiung gibt, sondern ebenso in immanent gewordenen Reden über praktische Notwendigkeiten die unter dem Eindruck einer extremen Situation anscheinend bestehen. Sie bilden in Wirklichkeit die Ausrede für Ausnahmen d.h. weniger Rücksichtnahme, dafür aber die Aufrechterhaltung der Bevormundung als erstes Prinzip zwecks Lösung möglicher Streitigkeiten die wegen des ungelösten Widerspruches immer wieder aufflammen. Alles andere zählt dann nicht mehr, insbesondere nicht der Anspruch auf eine menschliche Ethik.

Der Widerspruch zeigt sich noch auf eine andere Weise. Die sanfte Seite der extrem politischen Ausrichtung holt die Kraft aus einem scheinbaren Humanismus. Während die Anarchisten die Migranten beschützen, wollen die Neofaschisten sich einsetzen für jene alten Menschen die sich von den Migranten bedroht fühlen. In beiden Fällen handelt es sich um eine Überidentifizierung mit einem anderen Subjekt das angeblich hilflos und wehrlos ist, und somit die Legitimation für die Anwendung extremer Gewalt zwecks Abwendung der Gefahr für diese bestimmte Menschengruppe hergibt. Wenig verwunderlich ist sowohl die Extreme Linke als auch die Extrem Rechte würde vehement diese Ähnlichkeit mit der anderen Seite ablehnen weil sie sich noch nach anderen Prinzipien und letztlich Symbolen orientieren und organisieren. Dennoch entstehen Situationen wo sie dann doch gemeinsame Sache machen obwohl aus ganz unterschiedlichen Motiven.

Ein positives Schweigen scheint in solch einer Welt unmöglich geworden zu sein. Aus dem Nicht-Reden folgen besondere Vorbote, unter anderem die der Sklavensprache innewohnenden Neigung, jeglichen Widerspruch gegen Bevormundung nicht zu dulden. Vielmehr werden Dinge passiv hingenommen, so wie sie sind. Das zeichnet die hilflose Extremität aus. Jederzeit kann die anonyme Verfügungsgewalt der Sprache über das Selbst herfallen und den Anspruch auf einen respektvollen Umgang mit der eigenen Person zunichte machen. Die Beliebigkeit in der das geschieht, kennzeichnet eine allgemeine Verarmung in der alltäglichen Situation aus weil sie keine Universalität mehr zulässt. Der Grund dürfte sein dass Sklaven in Unwissenheit ihrer potentiellen Freiheiten gehalten werden, und sie darum nur ihre Unfreiheiten beklagen, zugleich nur bestätigen aber nicht verändern können. Dazu entsteht eine kompensatorische Tendenz und zwar die Vortäuschung von Moral und Sittlichkeit. Unter der Rubrik 'anständiges Leben' mit der gesellschaftliche Normen vermittelt werden, erfahren oftmals ahnungslose Eltern zu spät, was ihre Kinder bereits vor dem Weggang aus dem Elternhaus bereits angestellt haben, um sich von diesem Anspruch auf Anständigkeit zu trennen. Die größten Mörder in der Hitler-Zeit waren als Kinder und Jugendlichen noch Liebhaber von Wellensittiche als sie noch zuhause waren.

Schlussfolgerung

Eine Sklavensprache fördert eine Einstellung zutage, die eine in der Gesellschaft praktizierte Sittlichkeit mit der menschlichen Moralität verwechselt. Das kommt zustande weil die Arbeit, die die Menschen verrichten und zugleich sie erniedrigt, ein Herabschauen fördert, so als handele es sich um armselige Untertanen. Das Herabschauen wird durch den Hinweis auf die praktisch bestehenden Notwendigkeiten im Leben legitimiert, so als gäbe es dazu noch etwas besseres. Das logisches Schema hinter dieser Verneinung macht sich dadurch bemerkbar, insofern alles nur noch nach 'richtig' oder 'falsch' eingeordnet bzw. beurteilt wird. Gewollt ist durch dieses immanente Bestehen auf ein 'entweder/oder' eine Abtrennung von jeglichem geistigen Inhalt. Die bloße Form, die nach dieser Abtrennung übrig bleibt, entpuppt sich als typische Redeweise. Zwangsweise hält das die Abtrennung aufrecht, und zwar in Verbindung mit dem Irrtum zu glauben zwecks des Funktionierens des Systems sei nicht das Verstehen des Inhaltes sondern die Unterordnung wichtig.

Einmal in der Sklavensprache, die keine sprachlich bewusste Aussageform zulässt, verfangen, dann zählt lediglich der Sprachduktus. Statt einer Reflexion über die Gründe des Scheiterns wird quasi als Art Bestrafung die Folge in der Form 'das habe ich Dir doch gesagt' nach geliefert, so als geschehe nur das Falsche wenn es nicht dem eigens gesetzten Willen gehorche. Das es dabei um eine gefährliche Illusion der subjektiven Freiheit die alles wissen und somit bestimmen kann, handelt, wird spätesten dann bewusst, wenn es diktatorisch ähnliche Züge annimmt, und dabei mehr als nur die autoritäre Persönlichkeit imitiert. 

Aus diesem Grunde besteht keine Wahl betreffs einer kulturellen Synthese, um zu wissen welcher Inhalt mit welcher Form auf entscheidende Weise übereinstimmt, so dass die Dinge zur sprachlichen Existenz und damit zur Verständigungsmöglichkeit verhelfen könnten. Das Ganze bleibt ein Sprachgefüge das Mangels Empfindsamkeit jenseits einer möglichen Selbstbefreiung im Morast morbid gewordener Gefühle stecken bleibt. Kompensiert wird der Mangel an menschlicher Emotionen durch einen Elan auf eine bestimmte Weise leben zu wollen.

Ernst Bloch nahm unter anderem die Auswirkungen der 'Sturm und Drang' Periode aufs allgemeine Sprachbewusstsein wahr. Aber es gibt etwas das was weit über das 'Prinzip Hoffnung' hinaus geht, und zwar folgender Tatbestand: sind einmal Kultur und Sprache voneinander abgetrennt, befinden sie sich alsbald auf dem besten Wege einer gegenseitigen Zerstörung. Die Vorbedingung dazu macht sich in einer Entscheidungslosigkeit bemerkbar. Unter anderem verdeutlicht sich dieses Prinzip der Entscheidungslosigkeit in der deutschen Sprache da, wo der definitive Artikel 'das' angewendet wird z.B. das Kind, so als würde man die Identifizierung des Geschlechts, ob nun Junge oder Mädchen, hinauszögern wolle. Ferner verbleiben viele der philosophischen Begriffe im neutralen Raume z.B. das Subjekt, das Objekt, 8 Das fatale an der Entscheidungslosigkeit ist unter anderen, dass sie die demokratischen, sprich pluralistischen Prinzipien verdrängt. Klaus Heinrich würde meinen dies sei der Fall wenn die Erotik bzw. die Geschlechterspannung neutralisiert bzw. verdrängt wird. Es würde die soziale Institution leblos machen. Darum wäre es ratsamer diese Spannung auszuhalten.

Das ganze Scheitern der Weimar Republik kann in diesem Sinne erklärt werden. Die zerstörte Verbindung zwischen Kultur und Sprache wird begreifbar sobald erkennbar wird, was auf den Verlust einer kulturellen Orientierung folgte: das Hineinzwingen der Menschen in eine künstlich forcierte nationale Identität, die im Gleichschritt mit dem Führerprinzip einher geht und alles auf der Grundlage der 'Zuhandenheit' 9 zugunsten einer diktatorischen Staatsmacht bürokratisch regelt. Solch eine gesellschaftliche Anpassung perfektioniert die Ausrede, dass der Führer das angeordnet habe und jeder dies zu befolgen habe. Kein Widerspruch zu solch einem Befehl wird geduldet; jegliche Wiedersetzung wurde mit einem Staatsverrat gleich gesetzt, und deshalb mit der Todesstrafe geahndet. Ordnung, Sprache und Zielsetzung machten es überhaupt unmöglich dem noch öffentlich zu widersprechen, geschweige Alternativen zu erwägen. Es mündet in das, womit Zwerenz seinen Vortrag über Ernst Bloch beendete, und zwar in der Gefahr, dass immer nur die anderen Schuld haben.

Zurück bleiben Spuren des Scheiterns nicht gelungener Befreiungsversuche. Jene werden wenn überhaupt dann in recht sparsamen Erzählungen wieder gegeben. Ein Grund dürfte sein, dass fast keiner die Erfahrungen, die mit solch einer Spurensuche einher gehen, aufarbeiten will. Der Kulturbetrieb samt seiner Mittelmäßigkeit hat in dieser Hinsicht kaum etwas in der Nachkriegszeit ändern können. So lernt die Gesellschaft niemals wichtige Quellen des Wissens kennen. Um eine Welt in Freiheit zu erleben, dazu bedarf es den Abbau an Angst vor dem anspruchsvollen Denken, das seine Existenzberechtigung im Bezug auf andere Menschen erfahren will. Stets begründet sich diese Blockade in der Furcht dass solche Veränderungen unangenehme Auswirkungen auf das bislang gewohnte Leben haben könnten. Die angebliche Differenzierung zwischen dem Gewollten und Ungewollten verschweigt deshalb nur das Aufgeben an Freiheit.

Hatto Fischer

Berlin 1987 (zweite Fassung: Athen August 2014)

 

Fußnoten:

8 Stegmüller ging davon aus dass der definitive Artikel darüber entscheidet welche Anschauung die Bedeutung des Texts bestimmt. Er meinte dies sei insbesondere bei Verträgen enorm wichtig. Inwiefern dies etwas von dem wiedergibt was Kants Spruch, Begriffe ohne Anschauung seien blind, beinhaltet, wäre einer weiteren Diskussion wert.

9Heidegger machte diese Unterscheidung zwischen bloßer Vorhandenheit, also die potentielle Existenz, und Zuhandenheit d.h. was die Behörde mit offiziellen Stempel versieht und darum existiert.

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