Ποιειν Και Πραττειν - create and do

Philosophische Notizen zu Klaus Heinrich von Hatto Fischer

als teil einer aufmerksamkeit

Gedanken, die sich auf einen Mann beziehen, wird, seit gesellschaftliche Zwänge die Dichtung unmöglich machen, Recht und Bestimmtheit der Kategorie verwehrt. Nach Lukacs' „Geschichte und Klassenbewusstsein“ und Adornos „Lyrik und Gesellschaft“ hat keiner daran gedacht, die Beziehung zwischen den Motiven der Philosophie und der Vitalität eines individuellen Bewusstseins zu entfalten. Doch nur dort, wo die Gedanken ihre starre Metaphysik hinter sich lassen, treffen sie auf verletzliche Wahrheit. Freilich halten wir auch das Lehrgedicht des Parmenides in Erinnerung und mit ihm die Frage, ob die Pforte zur Wahrheit einen Blick auf die Zukunft eröffnet oder nur eine von Konsequenz schwere Schicksalsdisposition darstellt.

An Heinrichs Arbeit, die noch immer er von ihm selbst einem Buch gegebene Titel „Über die Schwierigkeit nein zu sagen“ charakterisieren kann, halten wir vor allem zwei Dinge fest: seine sympathische Stimme, die, oft sehr lustig, einen selbst zum Lachen bewegen kann, obwohl die Nuancen, die Genauigkeit der Wahrnehmung dabei nie verloren gehen, und die häufige Bezugnahme auf ablehnende Einstellungen zum Existentialismus. Beides ergibt keinen deutlichen Widerspruch. Eher zeigt sich hier unsere Reaktion auf noch nicht Bestimmtes, die Unmöglichkeit, in den abstrakten Kommunikationsstrukturen der Universität komplizierte Gedankengänge zu beurteilen. Je länger es dauert, dies Sitzenbleiben in der Vorlesungshalle, desto schwieriger wird das Urteil sein.

Erwartet Heinrich von seinen Studenten eine Revolte gegen den geistigen Vater? E wird mit Sicherheit wichtig werden zu zeigen, wie gedacht wird über einen Mann, dessen Geschichte mit der Widerstandsbewegung, mit den Studien zum Faschismus, mit den Veränderungen der Verhältnisse an der Freien Universität so engen verbunden ist, dass eine gerechte Beziehung herzustellen schwierig ist. Es ist unsere Absicht ein Stück weit in diese Richtung zu gehen und dabei die Rücksicht auf das Besondere seiner Geschichtszeit nicht aus den Augen zu verlieren.

Es kann nur wenig sein – das Bewusstsein ist allgemein in die Enge getrieben. Die Gesellschaft hat ein Übermaß an sensomotorischen Aktivitäten entwickelt, doch nur für den Konsum! Der Geist wird gefüttert vom Verbindungslosen. Geistige Nahrung wird verkauft wie Studentenfutter. Doch hier geht es um anderes. Wagen wir einen ersten Sprung: Heinrichs intellektuelle Arbeit konzentriert sich auf die Suche nach Bündnispartnern. Dieser Begriff ist nicht sehr gut; er lässt tiefere Dimensionen entgehen, und er wirkt gerade darin wie eine Fortsetzung der bürgerlichen Gesellschaft.

Seitdem die Kritik am Bürgertum begann, seit, vor allem, Hegel und Marx ihren scharfen Spott über es ausgossen, begann alle Beobachtungen der Gesellschaft auf das Problem des Antisemitismus zuzuspitzen. Erst Enzensbergers Kursbuch über die Kleinbürger und ihre Fähigkeit zur Innovation scheint das Bild ein wenig verändert zu haben. Heinrich selber lenkt das Augenmerk auf das Problem der Angst vor der Einsamkeit, die die Person in konformes Verhalten zwängt. Doch liegt am Tage, wie viele Einzelgänger es gibt, Menschen, die weder direkt noch indirekt mit der Gesellschaft zu tun haben wollen und sich der Einsamkeit aussetzen. Geht man nun einen Schritt weiter, so findet sich Heinrichs Intention auf einer tieferen Ebene wieder. In seinem Aufsatz „Quellen der Belehrung“ (in: Das Argument Nr. 29, 1964) deutet er die Möglichkeit eines realistischen Umgehens mit anderen Menschen an: Während man sie nicht total bejahen kann, als wären sie Gott oder Übermensch, muss man dennoch das zu Bejahende in ihren immer entdecken: sie als potentielle Bündnispartner. „Seine Schwierigkeit ist nicht, die richtigen Bundesgenossen zu finden an Stelle der falschen … sondern jetzt: die richtigen zu finden in den falschen.“ (op.cit. ) S. 108) In diese Thematik schauen Sonnemanns Negative Anthropologie und Adornos Negative Dialektik hinein - : man kann eine Wahrheit wählen, die ganz falsch ist, und man kann aus falschen Strukturen Wahres entwickeln. Beide Möglichkeiten sind den Menschen gleich nah – sie können beide beeinflussen, nämlich überhaupt wählen; das zeigt sich besonders in der Ehe, allgemein in der Beziehung zwischen Mann und Frau. Aber Heinrich meint eigentlich eine andere Komponente der Geschichte der Universalisierung, wie er sie mit psychoanalytisch geschärftem Blick ansieht. Er deutet diese Komponente in Begriffen wie dem der Selbstzerstörung (op. cit.) ) oder dem des Triebschicksals (Vorlesung Sommer 1977) an. Was sich intellektuell an die psychoanalytische Deutung des ersten Sehens und Erkennens knüpft, ist immer ein Leitmotiv und somit im Ansatz Politik. Es geht Heinrich also nicht rein um die Struktur der Libido (wie Freud), auch nicht die der Selbstreflexion (wie Habermas), sondern um das Problem der Anwendung er Psychoanalyse auf Dimensionen der Politik und die Erfahrungen in ihnen: Verrat, Selbstzerstörung, das imperialistische Selbst. Heinrichs Position ist auf der anderen Seite frei vom Kantischen Erfahrungsbegriff; seine Syntax kommen geometrischer zustande als die Kantischen Synthesen, und können dem die Gesellschaft bestimmenden Unbekannten dennoch weit eher gerecht werden als die Operationen des transzendentalen Subjekts. Freilich: in bloßer Wiederholung – mit dem Risiko, das auch sie schon an sich hat – kann Heinrichs Position nicht erreicht, nicht angeredet werden. Sie ist wie jede Position nicht Philosophie; sie hat nicht in ihrem Fundament eine von den sich selbst widersprechenden Ideen, die aufgeboten werden, damit die Kategorien Sein und Nichts in gedankenloser Schnelligkeit angewendet werden können. Nach ihrem gesellschaftlichen Charakter ist Heinrichs Position 'abgedichtete Ironisierung des existentialistischen Schicksals, mit den Leitmotiven der Suche nach der Friedensgestalt, somit verbleibend in Freuds Traumwelt, existentiell abhängig von der institutionellen Welt der Vorlesung.' Die Vorlesungen sind immer der Gefahr nahe, dass der Sinn den Hörern einfach vor – gelesen wird. Damit sind zwei Schwierigkeiten verbunden: die eine liegt in der Beziehung zu den Texten, die den Reden zugrunde liegen; die andere gibt Heinrich selber an, wenn er sagt, da Selbst sei eine Leerformel. Unter dem Eindruck der Möglichkeit solcher Texte wie derer Kants wir die progressive Geschichte der Aufklärung problematisiert: das Übermächtige überkomme den, der doch auf den Begriff des Selbst nicht verzichten kann.

Wenden wir uns nun zunächst Heinrichs besonderer Beziehung zum Existenzialismus zu. In seiner 1964 gehaltenen Antrittsvorlesung „Antike Kyniker und Zynismus in der Gegenwart“ (in: Das Argument Nr. 37, 1966) sagt er: „Wer eine Geschichte der existentialistischen Bewegung schreibe, der würde ein sehr unvollkommenes Bild von ihr entwerfen, wenn er sie nur als eine Protestbewegung und nicht auch in den Formen ihrer Resignation beschreibt.“ (S. 119) Ferner verdeutlicht er in der Charakterisierung des Zynikers die Bedeutung der Resignation: „Der Zyniker steht in der Mitte zwischen dem Naiven, der die Drohung der Sinnlosigkeit noch nicht erfahren hat, und dem Protestierenden, der sie bekämpft. Er ist, wenn Sie mir einen Augenblick dieser sehr unpräzisen und vieldeutigen Wortgebrauch gestatten, nicht weniger existentiell engagiert als der Protestierende, und er ist eben so sehr auf Selbstbehauptung aus. Aber hat den Anspruch preisgegeben, der das Zentrum jedes existentialistischen Protestes der antiken Kyniker war: den Anspruch auf Selbstverwirklichung. Zynismus, so können wir sagen, ist heute nichts anderes als resignierende Form der existentialistischen Bewegung. Dabei gebrauchen wir das Wort Bewegung in dem Sinn, in dem wir auch sonst von religiösen Bewegungen reden.“ (S. 115f.) - Ganz gewiss hat ddie existentialistische Bewegung im allgemeinen eine Ablehnung erfahren z.B. lehnt die analytische Tradition (Peirce, in England insbesondere die Popper-Schule) den Konflikt ab, mit dem sich eine Philosophie gegenüber gestellt sieht, die die Sicherheit institutionalisierter Verfahrensweisen verlässt. Wie nimmt sich aber der Begriff der Existenz aus, wenn man in von der existentialistischen Bewegung absondert? Kann dann mit Sartre der Existentialismus als eine besondere Ausarbeitung der Grundgedanken Marx' aufgefasst werden? Dann läge eine Aufhebung in seiner einfachen Konsequenz. Resignation könnte alsdann auch für das lebendige Ich nichts anderes sein als die idealistische Verneinung der Dialektik als des Organs für soziale Konflikte. Solcher Verneinung verweigert sich Heinrich, hält jedoch an der Dialektik gerade auch als der von Selbstverwirklichung und Enttäuschung fest, in eigentümlicher Alternative zu Sartres Versuch, aus existentialistischen Begriffen psychoanalytische und sozialkritische Perspektiven sich entwickeln zu lassen. Wäre der Existentialismus nicht eine 'Bewegung' gewesen, so hätte er nicht jene praktische Dialektik hervor gebracht, in der es möglich war, die Konzentration auf soziale Fragen mit einer Freiheit zu verbinden, welche die Wahrheit nicht an ein abstraktes Zeichensystem bindet, sondern an die Beobachtung, dass die alltäglichen Bewegungen eines Arbeiters denen eines Akademikers fremd sind. Solch eine Sensibilität wird freilich zum Interesse nur in ihrer Beziehung auf gesellschaftliche Konflikte, die einen auch zur Emanzipation von der Struktur der Familie nötigt.

Die Schwierigkeit nein zu sagen wird im Existentialismus zu einer Frage nicht allein der eigenen Ehrlichkeit, sonder auch der existentiellen Entscheidung, die die Ehrlichkeit der anderen antizipiert, wecken will, a, antizipierend übernimmt. Sartre meint: Keiner möchte festgebunden bleiben in seinem Schicksal, wenn aber die Reziprozität der gesellschaftlichen Strukturen auf reine Verantwortung reduziert wäre, so hätte niemand die Möglichkeit weiter zu kommen. Dieser Moment der Dialogsituation muss in die soziale Bewegung genannt Geschichte eingeordnet werden. Dem verweigert sich eine Verlängerung der existentialistischen Bewegung, nach der sie sich in sich reinigen und abschließen will, am Ende ihrer Begriffe verlustig zu gehen droht.

Heinrich nimmt dieses Problem als die Gefahr eines sinnlosen Kampfes gegen die Sinnlosigkeit wahr, „wo die Bedrohung durch die Sinnlosigkeit der Existenz durch Sinnlosigkeit erkannt worden ist.“ (op.cit.,) 114) Sowohl der 'homme des lettres' als auch der vindiktive Geist der Gesellschaft ist auf dem Weg in diese Sinnlosigkeit. Jener formuliert, wie Heinrich sagt, die Kriegsphilosophie, die die freie Entscheidung in die sogenannte Krise der Gesellschaft aufhebt. Dazu sagt eine Kommunistin im Land Paveser, abzuschaffen sei die Krise nur durchs Loskommen von jenen Strukturen die sie voraussetzen und zugleich bedingen. Der vindikative Geist der Gesellschaft verleitet so zur asketischen wie skeptischen Einstellung des Managers, der das bestimmt-unbestimmte Hier und Jetzt verleugnet, um eine Weltkrise zu formulieren, in der erst nur noch mit schicksalhaften Voraussetzungen der Welt zu tun hat. Beide Attitüden machen den Gedanken an die Existenz unklar und sinnlos, weil der „Zynismus zu einem Synonym für Resignation angesichts einer erkannten Bedrohung geworden ist.“ (Heinrich, op.cit.) S. 115)

In der politischen Situation wirkt die erkannte Bedrohung ganz anders als in der existentialistischen. In der politischen Diskussion wird die Bedrohung etwas psychologisch erfasst, und dabei ist die Möglichkeit einer normativ-deskriptiven Realitäts-Vergewisserung unterstellt. Ihr entspricht die Hoffnung auf einen Zuspruch, der wahr genug wäre, um in der Gesellschaft existieren zu können. Die Einsamkeit wird damit nicht aufgelöst, dennoch wird für die Kriterien der Vernunft und Moralität die Unterscheidung zwischen der existentiellen und der politischen Auffassung der Bedrohung entscheidend sein. Denn allzu oft terminiert das existentialistische 'Projekt' in einer Art von Ästhetik, einer unwirklichen Erhebung über die Wirklichkeit. Die durch geschichtliche Schicksale bedrohte politische Identität hat Züge, die sich solcher Erhebung widersetzen. Sie lassen sich auch nicht rein wissenschaftlich verstehen. Auf diese Dimension der Krise richtet sich die sprachliche Anstrengung der Religionswissenschaft.

Heinrich schreibt in „Quellen der Belehrung“: „Das imperialistische Selbst sucht den Widerstand, der sich ihm entgegenstellte, als Realitätsbeweis seiner selbst und der anderen.“ (op.cit., ) 108) Soziale und psychologische Komponenten verbindet Heinrich anders miteinander als Adorno (etwa mit seinem Konzept der Mündigkeit). Heinrich setzt die Selbstdarstellung nicht als eine Dimension für sich er Analyse der Gesellschaftsstruktur gegenüber, die versuchen würde, die marxistische Kritik in einer bündigen Komplexität zusammenzufassen. Er hat stattdessen die Prozesse im Auge, in den Verinnerlichung ihrerseits nach außen schlägt, ja, sogar ihr Telos von außen als ihr Widerstand ihrem Subjekt entgegen treten kann. „Widerstand in den Bewegungen der Selbstzerstörung muss beides sein., Nur wem es gelingt, in der zerstörerischen Bewegung selbst den Widerstand zu finden, den er der Zerstörung entgegensetzt, wird sich in dem Sog behaupten können, er auch die ohnmächtigen Proteste gegen einzelne Aktion der Zerstörung erfasst.“ (op. cit.), S. 105) Damit ändert sich die Weise, in der man sich zur Wissenschaft verhält, sie anwendet. Die Bewegung erst, die sich nicht in zerstörerischem Widerstand verleugnen müsste, wäre die freie. Er steht gegen sich auf seinen Symbolgehalt reduzierendes Verhalten ebenso wie gegen den Dezionismus, der die Möglichkeit von Verkörperung in den Wind schlägt.

Wir wollen nun Heinrich in der zweiten und wesentlichen Beziehung erblicken: der auf der Universität. Hier stellt sich eine Sinnfrage ein, die von der Problematik der Verwertung berührt wird. Zunächst: seit der Antike hat die Gesellschaft sich selbst definiert nach der Maßgabe eines abstrakten Diskurses, wie er anhob mit Begriffsklärungen, etwas der des Begriffes der Anschauung, des Atoms, der Zeit. Die Themen des abstrakten Diskurses werden von den sozialen Konflikten bestimmt, die freilich von der ihnen zukommenden Situationen abgelöst sind, verdinglicht in Institutionen, denen die Unterscheidung der Wissenschaften: ihre Departements gehorchen. Heinrich legt in diesem Zusammenhang den Zeigefinger auf die Unmöglichkeit, Krisen zu institutionalisieren; das Geschäft solcher Institutionalisierung wird immer von denen betrieben, die wollen, dass die Institutionen die Krisen überleben. Was geschieht aber eigentlich, wenn der Einzelne Krisen erlebt, die die Institutionen nicht fassen können? Die Macht bleibt mit ihrem 'divide', jedenfalls bis zum Augenblick der Revolution und deren Erwartung eines qualitativ neuen Diskurses.

Immer droht dazwischen der Abbruch der Sinnfrage: die Enttäuschung der Selbstverwirklichung . Freilich: bereits sie bricht mit dem gesellschaftlichen Zustand des Suchens, des Wartens, des Entwickelns. Nicht dass damit die Themen alle ineinander gleichzeitig würden. Nicht dass auch nur die Konflikte zwischen Philosophie und Psychoanalyse beseitigt wären – niemals kann ja die Selbstbesinnung eine Basis frei von den gesellschaftlichen Krisen erreichen. Hier setzt Heinrichs These an: die Schwierigkeit nein zu sagen – dieses Thema erwächst aus der politischen Schule der Exilierten und verdeutlicht sich so als das Problem der wiederholbaren Verständigung. Die moralische Kategorie des Verrats bezeichnet den Versuch, ein politisches Stigma zu vermeiden, den Versuch, die Resignation zu vermeiden, die ohne Protest aufgibt und still die Zustände akzeptiert, sie unbewusst verinnerlicht und so reproduziert, dass sie in anderer Situation neu erscheinen und verkannt werden müssen. Seit Eulenspiegels Zeit muss, wer vor dem Verrat warnt, die Bekämpfung des Schematischen, die Ermöglichung einer Magie, einer Fülle von Tricks beweisen, und die dennoch zu Handlungen anleiten, welche in jene Zeit übersetzt zu benennen wären. Die Liebe zur Wahrheit findet sich vor als etwas Eingegangenes in die Befindlichkeit an Potentialität, ohne dass mit ihr ein Gefühlspathos damit verbinden durfte. Hier findet Heinrich sein Verhältnis zur Literatur, zur Philosophie, zu den Kunstwerken samt den von ihnen Betroffenen. Es sind die Stellen zu entdecken, an denen die institutionellen Orientierungen noch offene gedankliche Schritte zulassen, und die ungezwungene Einfachheit als wichtigste Element der Verständigung ergeben. Lachen ist eben nichts Schematisches!

Mit dieser Erfahrung im Gepäck muss philosophische Reflexion auch die Wertfrage an der Differenz von Sensibilität und Brutalität orientieren. Jeder Wert hat ein eigenständiges Leben. Zugleich sind die Werte der Kultur, der Wissenschaft, der Politik und der Wirtschaft jeweils entscheidende Momente der Verständigung. Niemals freilich ist diese identisch mit zu-Ende-denken, niemals kann sie die Ungewissheit ganz auslöschen. Das kann auch kein Nein; auch es hat niemals all Möglichkeiten der Deutung von Gesellschaft zur Verfügung. Darum treten auch dem Nein Widerstände entgegen, als Blockaden, und, vor allem, als zeitliche Verschiebungen sowohl des vom Nein Angegriffenen als auch des von ihm Angestrebten. Die Interpretation kommt darum nicht umhin, die Stellen aufzusuchen, an denen die Person in den Spannungen des Lebens von keiner klaren Setzung der Gedanken getragen wird. Der Schein ist freilich fatal, dass die Thematisierung des Konflikts, in den der im diffus gewordenen kulturellen Kontext verbleibende Mensch notwendig gerät, die Ausblendung der Realität mit sich zu führen habe. Es ist der Schein des isolierten Individuums, dem Gesetze seiner Relationen auf andere Menschen äußerlich blieben. Diesem Schein entspricht der Zerfall der geschichtlichen Erfahrungsbegriffe ins Synchronnische und ins Dia-chronische, wonach die abgeleiteten Strukturen wie die der Nähe, der Liebe, nicht mehr in ein Realität fassendes Verhältnis gesetzt werden können. Aktive Verständigung hört auf – und dieses Aufhören wird zur Deutung gesellschaftlicher Vorgänge positioniert, die doch in all ihrem Zweifel und ihrer Unwissenheit den moralischen Kategorien nicht ausweichen kann.

Es sind nur vage Anspielungen, die, stimuliert von intervenierenden Hoffnungen, auf das Vorhandensein eines dieser Vorgänge eines wissenden Subjekts verweisen. Diesen Zustand zu bezweifeln, heißt die Geschichte umkehren, so wie Hegel das mit seiner Rückkehr zum platonischen an-und-für-sich versuchte. Es folgen dem begriffliche Verwirrungen und einseitige Dialoge, die nur auf das Zuständliche des Zweifels verweisen können. Nur um entscheidendes Distanz-nehmend hinaus wird eine Unklarheit gefördert das das Selbst sich zuträgt, es übernimmt eine Verspannung, ie es doch zugleich als bedingt, als gesetzt anerkennt. Nur wer den Ablauf der Geschichte von der Auflösung der mythisch Verstellungen her begreift, ist in der Lage, ein Selbstverständnis zu verstehen, das vorweg Bedrohung mit Sinnlosigkeit gleichsetzt, als die Nichtansprechbarkeit von Identitätsbegriffen auf ihren Gehalt an menschlichen Erfahrungen hin.

Dieser Artikel erschien zuerst in

Münzberg, Olav (Hrsg.):

Aufmerksamkeit. Klaus Heinrich zum 50. Geburtstag.

Frankfurt am Main: Verlag Roter Stern, 1979.

ISBN  3878771185

1. Auflage. 618 S. Originalleinen.

Inhalt: Sigrun Anselm / Madame Bovary-eine Schwester der Frauenbewegung? -- Veit-Michael Bader / Der Begriff der Freiheit in der Philosophie des klassischen deutschen Idealismus und bei Marx und Engels -- Jens Beiderwieden / Belcanto-das Geheimnis des Wohllauts -- Ilse Bindseil / Über Zwangsneurose und Hysterie -- Pierre LeBlanc / Harpyien -- Spyndon Bokos / Forma fluens Forma permanens -- Norbert W. Bolz / Isoldes Wunsch -- Stefan Broser / Blöcke. (Notiz zu Michelangelos Relief "Die Madonna an der Treppe") -- Wolfram Bunsch-Wieler / Kunst und Utopie -- Ulrich Christians / Souvenir du rien -- Karoly Czipak / Hanns Eisler: Heimatlied (aus den Neuen deutschen Volksliedern) -- Peter Damerow / Ideologie des Mathematik-Unterrichts -- Egon Eichgrün (Übersetzung) / Versammlung auf dem Achterdeck von Zeyyat Selimoglu -- Ulrich Enderwitz / Erfahrungswissenschaft und Wissenschaftstheorie -- Richard Faber / "Begriffsgeschichte" und "Mythologie". Methodologische Vorüberlegungen zur Kritik des politischen Kampfbegriffes "Abendland" -- Harun Farocki / Zwischen zwei Kriegen (Filmentwurf, 1977) -- Birgit Fenner / Pascals Zweifel -- Hatto Fischer / Philosophische Notizen -- Peter Furth / Das Problem der Einheit von Theorie und Praxis -- Cäcilia Gall / Gedichte adagio cantabile -- Walter Gerhardt / Probleme eines soziologischen Begriffes der Subjektivität -- Phil Haddock / Wider einen Festfilm -- Heidrun Hankammer / "Sei jetzt hier" und immer da. "Heilen" und "Heil" zwischen Diesseitspsychologie und Jenseitsphilosophie -- Wolf gang Fritz Hang / "Make money, not love!" -- Bernhard Heidtmann / Hegels "Wissenschaft der Logik" als theoretische Quelle des wissenschaftlichen Sozialismus -- Yosbikazu Ikeda / Ist Berlin des Wohnens wert? -- Doris Janshen / Langes Warten im Bauche des Zeus. Zur Situation von Frauen im Wissenschaftssystem -- Carl Josef / Gedichte -- Reinhard Kapp / Kontrapunkt -- Karin Keller / Stephane Mailarmes Gedicht "Autre eventail (de Mademoiselle Mallarme)" -- Petra Koch / Tanaquil in Rom - einige Überlegungen zu Bachofen's "Tanaquil" -- Karl-Heinz Kohl / Louis-Armand de Lahontan: Ethnographie und Zivilisationskritik im 17. Jahrhundert -- Gisela Kraft / Die Luft (Ein Märchen) -- Hans Albrecht Kücken / Der Elefant im Porzellanladen (Eine Kindergeschichte) -- Hans Albrecht Kücken / WS 76/77 -- Heinrich Kutzner / Vor-Griffe zum Zusammenspiel -- Claudio Lange (Übersetzung) / Die spanischen Parlamentswahlen vom 15. Juni 1977 und die C. N. T -- Wolfgang Lefevre / Die Lehren vom Geraden und Ungeraden. Zur Rekonstruktion des Ursprungs der wissenschaftlichen Mathematik in der griechischen Antike -- Peter Lux / Hatzordnung -- Olav Münzberg / Diego Riveras Wandbild "Die Schöpfung" - La creacion - in der Escuela Nacional Preparatoria (1921-1923) -- Olav Münzberg / Gedichte -- Christa Neuber / Ein Ausflug in die Provinz -- Henner Nordmann / Studium revolutionärer DDR-Literatur in einer radikalen Phase -- Una Pfau / Max Jacob, Clown und Mystiker -- Hermann Pfütze -- Bürgerinitiativen und Umweltschutz. Zur Geschichte und Legitimation ihres Protests -- Brigitte Rauschenbach / Märchen - oder "daß die Welt längst den Traum von einer Sache besitzt, von der sie nur das Bewußtsein besitzen muß, um sie wirklich zu besitzen" -- Manfred Reutter / Zwei lyrische Heidegger-Kritiken -- Claudia Schittek / Der Herr Korbes. Die Sprache der Märchen in den Reimen und Sprüchen der Brüder Grimm -- Renate Schlesier / Die Musen und Zeus. Eine Untersuchung zum Proömium von Hesiods Theogonie -- Gisela Schneider,Klaus Laermann / Augen-Blicke. Über einige Vorurteile und Einschränkungen geschlechtsspezifischer Wahrnehmung -- Michael Schneider / Die Wiedergutmachung -- Jeannot Simmen / Traumwelten - Wahnwüsten. Pastiche zu einer sinnierenden Malerei -- Gerd Stein / Spärliche Erfahrungen und zehrende Interessen. Eine Reflexion für (Deutsch-)Lehrerstudenten -- Ginka Steinwachs / An-Sätze zu einer gastronomischen Maieutik -- Ilse-Marleen Stoessel / Dohlensprache-Weitere Fragen an Odradek -- Jürgen Strutz / Der Mythos vom Paradies. Anmerkungen zu seiner Rezeption bei Kant und Hegel -- Rudi Thiessen / Highway 61 Revisited -- Peter Triefenbach / Zum Marxistischen Transzendentalismus -- Hubertus Venzlaff / Rom, Photographien -- Lorenz Wilkens / Reflexion zur Abhandlung des Gewissens in Heideggers "Sein und Zeit" -- Hartmut Zinser / Eine Mitteilung zur psychoanalytischen Theorie der Magie.

ISBN 3878771185

 

 

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« Philosophical positions on Securalization | Lehre der Materie (Berlin 1981) »