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Berlin vor und nach der Wahl am 18 Sept 2016

Berlin im September 2016

         

          Die Allee

Die Allee steht für eine besondere Romantik. Bezeichnend dafür ist eine bereits von Carlos Fuentes beschriebene 'Vision der Einsamkeit', insofern kein Mensch zu sehen ist. Erst am nächsten Tag saß ein einziger Mann tief in sich versunken ganz alleine auf einer Bank unter den Bäumen.

      

Gleiches gilt für viele Straßen von Berlin, aber besonders für die eher edleren Bezirken. Sie alle wirken verlassen weil niemand auf den Strassen weit und breit zu sehen ist. Eher scheint es als habe sich das Leben in die Häuser und Wohnungen 'wortlos' zurück gezogen. Solch eine sprachliche Bezeichnung scheint seltsam, wenn verglichen mit dem Leben im Süden, insbesondere mit einer Stadt wie Athen.

Aussicht auf eine Wahl ohne Alternative

Ein besserer Begriff als 'wortlos' könnte 'sprachlos' sein, was die Wahl in Berlin komm der 18. September betrifft. Kaum einer kann wirklich sagen wie sie ausgehen wird. Prognosen sagen voraus die SPD wird auf 21% der Stimmen reduziert werden, so dann scheint eine Fortsetzung der derzeitigen Koalition mit der CDU aussichtslos. Die versinkt angeblich unter der 18% Marke und landet damit an dritter Stelle sogar hinter den Grünen.

Aus diesem Grund wird die Variante Rot-Rot-Grün (SPD, Linke und die Grünen) ins Spiel gebracht, um zumindest eine regierungsfähige Koalition vorstellbar zu machen. Doch viele äußern sich mit Unmut wenn sie an einer Fortsetzung einer von der SPD angeführten Koalition denken müssen.

               

                Michael Müller, OB für die SPD

Die Sprachlosigkeit vieler Wähler besagt aber noch etwas entscheideneres. Zwar gibt es verschiedene Alternativen, sprich eine Vielfalt an Parteien, aber keine überzeugt wirklich. Der Tagesspiegel hat mal den Versuch unternommen, einen Vergleich anhand was deren Partei Programme versprechen, aufzustellen.

Was die Parteien den Berlinern versprechen

von Sabine Beikler und Maria Fiedler

Tagesspiegel 11.9.2016

http://www.tagesspiegel.de/berlin/wahl-zum-abgeordnetenhaus-was-die-parteien-den-berlinern-versprechen/14528450.html

Doch selbst nach solch einer genaueren Betrachtung kann nur fest gestellt werden, dass die Parteien sich doch sehr ähnlich sind was ihre Vorschläge zur Verbesserung von allem möglichen betrifft, einschließlich wenn sie gefragt werden was sie denken zu tun um einen Abbau der langen Wartezeit für Bürger auf den Amtsstuben voran zu bringen (obwohl die Frage etwas unsinnig ist weil kein wirkliches Problem da zugegeben werden muss die digitale Anmeldung erlaubt bereits Planung mit festem Termin).

      

       Wahlstand der CDU in Schmargendorf

Was sind die Gründe dafür? Werden die wirklichen Probleme nicht politisch klar genug benannt? Ist der politische Spielraum für die Parteien allzu sehr eingeengt, so dass eine politische Gestaltungsfreiheit einfach zu kurz kommt? Zünden nicht mehr die Werbespots auf den Wahlplakaten? Trägt die Spannung zwischen Stadt-, Länder- und Bundespolitik dazu bei lokale Themen zu vernachlässigen obwohl die allgemeine Flüchtlingsthematik alle Ebenen angeht? Bleibt die politische Debate weit hinter den Erwartungen, es möge sich eine differenziertere Politik erkennbar machen, zurück?

In der letzten Woche vor der Wahl kritisierte Merkel heftig Bürgermeister Müller von Berlin, dass er sich der Verantwortung für eine verantwortliche Flüchlingspolitik drücken würde. Durch solch eine Zuspitzung mischt sich Merkel zwar zugunsten der Berliner CDU ein doch damit leistet sie nicht nur wichtige Wahlhilfe. Im Grunde genommen verteidigt sie zugleich ihre eigene Flüchtlingspolitik da ziemlich umstritten.

Das Wahlsystem mag mit seiner Zweit-Stimme zusätzlich dazu beitragen, dass weniger die Rede von Kandidaten als von den Parteien im übertragenen Sinne ist. Während die erste Stimme direkt einen Kandidat für den besagten Wahlbezirk wählen kann, lässt die zweite Stimme Parteien selber bestimmen wer gewählt wird und zwar indem sie vor der Wahl eine Liste und somit Rangordnung aufstellt und je nach Prozentsatz so viele ihrer Kandidaten ins Parlament einziehen können. Die Folge ist ein Übergewicht der indirekten Repräsentanz wobei die einzelnen Abgeordneten die über die Liste ins Parlament ziehen, mehr an die Partei als an den Wahlbezirk sich gebunden fühlen. Das verändert auch deren Bewusstsein wofür sie sich verantwortlich fühlen.

Kurzum mangels einer Alternative die die Wähler erkennen und darum auch befürworten könnten, ist es wenig verwunderlich wenn diejenigen, die am meisten schrill und extrem sich äußern, dazu neigen zu reklamieren sie seien die einzige Alternative zu den etablierten Parteien.

AfD - Alternative für Deutschland

Seit geraumer Zeit herrscht bereits in der Bevölkerung allzu viel Zweifel an allen Parteien. Hinzu kommt der neue Faktor der alles durcheinander zu wirbeln droht, nämlich die AfD (Alternative für Deutschland).

Natürlich gibt es eine Menge Aufregung wegen der AfD oder Alternative für Deutschland. Sie ist eine Partei die bei den Wahlen seit 2015 (u.a. in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt) faktisch aus dem Nichts kam und zuletzt in Mecklenburg / Vorpommern am 4.9.2016 prompt auf 21% der Stimmen gekommen ist. Viele haben Schwierigkeiten, sie ernst zu nehmen oder zu begreifen wofür sie wirklich steht. Sie ist schwer einzuschätzen inwiefern sie politisch für die Demokratie gefährlich sein kann.

Einerseits ist sie mit den extrem Rechten vernetzt - siehe die jüngste Reportage von Maria Fiedler, Frank Jansen und Matthias Meisner Wie sich die AfD nach rechts außen vernetzt. Tagesspiegel, 13.9.2016 http://www.tagesspiegel.de/berlin/wahl-in-berlin-wie-sich-die-afd-nach-rechts-aussen-vernetzt/14535382.html.

 

Fahrrad Demo gegen Rechts und gegen Rassismus

Am Savignyplatz, Sonntag, 11.9.2016

                      

 

Folglich wird sie von Xenophobie und Rassismus angetrieben und betreibt eine ketzerische, zugleich äußerst aggressive Politik gegen Ausländer, Flüchtlinge, Migranten, Asylanten. Ständig benutzen Parteisprecher stereotypischen Redewendungen, um ihre falschen Verallgemeinerungen suggestiv zu untermauern. Anderseits gibt sich die AfD brav bürgerlich und bekennt sich zur demokratischen Grundordnung, und erscheint deshalb harmlos zu sein.

Wie auch immer, etablierte Politiker tun sich unerwartet schwer ihren typischen Argumente entgegen zu treten, um sie entkräften. Stattdessen verstärkt Seehofer von der CSU deren Anliegen indem er um so heftiger Merkel für ihre Flüchtlingspolitik kritisiert. Im Zuge dessen scheinen sämtliche Parteien in den Sog einer rechts-lastigen Grundströmung zu geraten.

Einer der wichtigsten Argumente der AfD leitet sie von einer philosophischen Speerspitze von Sloterdijk ab. Der hat die Medien beschuldigt jeden Sinn für öffentliche Wahrheit untergraben zu haben und nennt sie 'Lügenäther'. Hierzu meint Christian Schröder im Tagesspiegel:

"An seiner Wortschöpfung „Lügenäther“ hält Sloterdijk fest. Moderne „Kommunikations“-Medien seien „überall imstande, Wählerschaften zu verwirren“ und verfügten über das Potenzial, Demokratien zu destabilisieren. Gemeint ist offenbar eher ein medial-politischer Komplex, der das Bewusstsein der Bürger manipuliert. Als Beispiel nennt Sloterdijk die Lügen, mit denen Tony Blair Großbritannien in den Irak-Krieg geführt hat, „ein Manöver der geplanten Unaufrichtigkeit“. Dass Politik und Presse unter einer Decke stecken, gemeinsam gezielt verführen und verfälschen, gehört auch zu den ideologischen Bausteinen der AfD."

(Quelle: Abrechnung mit der Unmöglichkeitspartei

Der Philosoph Peter Sloterdijk distanziert sich von der AfD, hält aber an seinem umstrittenen Begriff „Lügenäther“ fest.von Christian SchröderTagesspiegel 15.7.2016http://www.tagesspiegel.de/kultur/sloterdijk-und-die-afd-abrechnung-mit-der-unmoeglichkeitspartei/13884060.html)

Mittels dieser Medien-Schelte können AfD Politiker sich in einer neuen Form von Verlogenheit engagieren und sofort geltend machen, falls die Medien sie doch beim Wort nehmen würde, dass die Medien lügen oder sinngemäß entstellen, was sie mit ihren Aussagen meinten. Oft behaupten sie schlicht im Nachhinein, so was hätten sie nicht gesagt oder behauptet z.B. Petry und die Verwendung der Schußwaffe an den Grenzen um Flüchtlinge abzuwehren. Dazu passt der neue Begriff für was ebenso Trump in den Vereinigten Staaten praktiziert, nämlich 'Mendacity' (siehe The ambivalent virtures of mendacity by Martin Jay) oder 'die Nutzung der öffentlichen Lüge' als Post-Wahrheit (The Economist "Politicians have always lied. Does it matter if they leave the truth behind entirely?" Sep 10th 2016 http://www.economist.com/news/leaders/21706525-politicians-have-always-lied-does-it-matter-if-they-leave-truth-behind-entirely-art?cid1=cust/ednew/n/bl/n/2016098n/owned/n/n/nwl/n/n/EU/n). Unverfroren können sie z.B. behaupten es seien mehr Verbrecher unter den vielen Migranten, obwohl die Polizeistatistik genau das Gegenteil beweist.

Auch stachelt die AfD schamlos eine soziale Eifersucht an, indem sie wiederholt behauptet Migranten werden besser behandelt als einer von 'uns'. Gemeint mit 'wir' sind angeblich die hinter sich gelassenen oder 'abgehängten' Menschen oder schlichtweg die Verlierer der Globalisierung. Dennoch wird ihre anwachsende Popularität nicht dadurch widerlegt, indem sie ständig und wiederholt abfällig als eine Partei bestehend bloß aus Populisten, die für eine Politik der Einfachheit steht, bezeichnet wird.

Definitiv erhielt die AfD weitaus mehr Zulauf nachdem Merkel ihren inzwischen berühmten Satz „wir schaffen es“ im September 2015 sagte, um die Flüchtlingen willkommen zu heissen. Dieser eine Satz hat sich inzwischen weitgehend verselbstständigt.

Zugegebner Maßen die AfD wuchs weil viele Bürger angesichts dem plötzlichen Ansturm an Flüchtlingen Angst bekamen. Sie sind der Meinung Deutschland wird das nicht schaffen sondern überwältigt werden. Der AfD ist sich dabei aber kaum bewusst, dass sie sich dadurch zur Partei der Resignierten erklärt. Sie vertritt zugleich eine ähnliche Grundposition von Orban in Ungarn und was andere EU Staaten wie Österreich dazu brachte ihre Grenzen viel stärker zu kontrollieren als was von der EU vorgesehen wurde als sie sich anstrebte ein Kontinent ohne innere Grenzen zu werden. Dieser Wert einer Freizügigkeit wurde stets mit dem Traum des freien Reisens wie einst Goethe das genoss verknüft, und heute sich als Normalität darstellt wenn jeder von einem europäischen Land ins andere nicht nur reisen, sondern auch den Wohnort und den Arbeitsplatz ohne viel bürokratische Hindernisse realisieren kann. Einher geht mit dieser anti-Flüchtlingspolitik der Wunsch nach Rückkehr zur national staatlichen Selbstbestimmung wie auch von Marianne LePen in Frankreich angestrebt. Sie will den Austritt von Frankreich aus der EU und damit dem Brexit folgen.

Angesichts des rasanten Aufstiegs der AfD in der Wählergunst stellt sich allerdings die Frage ob die Medien ihr wirklich so viel Aufmerksamkeit geben sollen? Es wird vermutet allzu viel Aufmerksamkeit fördert sie obendrein. Es reflektiert zugleich das Erwägungsspiel das momentan im nicht Wissen wie wirklich mit dieser neuen Partei umzugehen ist, betrieben wird. Ferner scheint außerdem eine Art Ernüchterung einzukehren da die AfD immer stärker unter die kritische Lupe genommen wird. Bei der Wahl am 10.9 in Niedersachsen erzielte sie nicht die erhoffte 10% sondern lediglich 7% als sei etwas Luft aus ihrem Auftrieb genommen worden. Dennoch ist das zu früh zu sagen was noch aus der insgesamten Parteilandschaft in Deutschland wird, sollte die AfD tatsächlich bei der nächsten Bundestagswahl komm September 2017 in den Bundestag einziehen und da eine eigene Fraktion stellen. Bis dahin muss Merkel sehen inwiefern sie zu stabileren politischen Verhältnissen zurückkehren kann.

Die Grünen

 

Stand der Grünen am 10.9.2016

                    

Auch die Grünen die allzu lange von den Schwächen der anderen Parteien profitierten, finden sich plötzlich mit der Möglichkeit konfrontiert nicht mehr Stimmen hinzu zu gewinnen und sogar einen Rückgang an Unterstützung zu riskieren. Momentan sagen die Prognosen einen Stimmenanteil von 18% voraus, aber in Gesprächen mit vielen Leuten deutet sich ein weit verbreiteter Skepsis dieser Partei gegenüber an. Viele haben ihr nicht wegen des Kindermissbrauchs bis heute verziehen, andere können nicht nachvollziehen dass Volker Beck immer noch Abgeordneter ist nachdem er beim Drogenkonsum erwischt wurde. Noch deutlicher werden diejenigen die meinen es habe den Grünen nicht gut getan ständig in der Opposition zu sein, und das bei einer großen Koalition. Für die Wähler zählt halt mal welche Politik einmal umgesetzt wird nachdem bestimmte Personen und Partei/Parteien gewählt wurden, um den Job zu erledigen.

 

Die Linke

       

        Wahlplakat der Linke auf der Kantstraße

Dem Philosophen Wolf-Dieter Enkelmann ist ebenso dieses Wahlplakat aufgefallen. Jüngst gab er einen Vortrag zum Thema 'Eigentum', indem er einen klaren Unterschied zwischen Eigentum und Besitz zog. Die meisten würden das eine mit dem anderen verwechseln. Was das Wahlplakat betrifft, so meinte er "im Deutschen ist das Gehören als Abwandlung vom Hören eh ein merkwürdiger Ausdruck! Aber als Generallösung fürs Ganze gedacht, fällt einen dann doch eine Assoziation an: das sog. Volkseigentum, was in Wahrheit ein Volksbesitz war mit der Folge, dass es nur noch die Sicherung der Verfügungsgewalt über diese Resource ging: Militär, Geheimdienst, Verfolgung Andersdenkender." (Brief vom 11.9.2016)

Praktisch erwarten die Linken einen Stimmenanteil von ungefähr 16%. Der Schock von Mecklenburg / Vorpommern sitzt tief weil sie dort einen enormen Stimmenanteil an die AfD verloren. Überhaupt macht ihnen diese Partei zu schaffen, war sie doch bislang die Protestpartei die aus dem Osten kam und versucht hat auch im Westen von Deutschland Fuss zu fassen. Allein deswegen benötigen sie die Stimme von Sahra Wagenknecht die imstande ist der AfD die Paroli zu bieten und zeigen kann dass die Linke imstande ist kritische Oppositionsarbeit aber auch Regierungsarbeit leisten kann. So ist sie im doppelten Sinne wegen des Aufkommens der AfD verwundert als auch verwundet.

 

Die FDP

      

      FDP Wahlplakat mit Pladöyer für den Erhalt vom Flughafen Tegel

In Berlin gibt es eine kuriose Stimme die selbst jene die stets mit Deutschland Perfektion assozieren, verwundert: die Verschiebung der Eröffnung des Flughafens Schönefeld bis sogar nach 2017. Es ist ein enormer Unterschied wenn Flüge vom ehemaligen DDR Flughafen im fernen Osten abgehen oder von Tegel der extra gebaut wurde weil Tempelhof zu klein war und West Berlin als die Mauer noch stand einen eigenständigen Flughafen benötigte. In 15 Minuten ist man von dort aus am Bahnhof Zoo.

Die FDP war nicht vertreten nach der letzten Berlin Wahl. Sie scheiterte an der 5% Hürde. Dieses Mal stehen die Chancen für einen erneuten Einzug nicht schlecht. Vor allem sagt sehr viel aus wenn eine Frau meint sie wolle der FDP ihre Stimme geben weil sie dann sicher ist ein vermutlich einzige undogmatische Partei würde dann in der Opposition ihre Arbeit absolvieren.

Die CDU

      

     Die CDU Wahlplakat: "Sicher leben"

Was immer dieser Wahlspot "sicher leben" besagen will, unglücklicher könne er nicht ausfallen. Allgemein wird gesagt die CDU unter Henkel wird ein Wahldesaster deswegen erleiden weil ihre Wahlkampagne nicht gerade eine glückliche Hand erwies. Henkel selber ist eine umstrittene Figur. Als Innensenator war er verantwortlich für den Polizeieinsatz in der Riga Straße. Ein besetztes Haus sollte geräumt werden doch fehlte die juristische und legale Grundlage für solch einen Einsatz. Die Blamage zieht ihre eigenen Kreise als Konsequenzen für das politische Profil von Henkel. Dennoch wird gesagt erst die Regierungsarbeit der CDU - sie war mit der SPD in einer Koalition - habe solides in der Koalition geleistet, doch trifft vermutlich die allgemeine Unzufriedenheit mit eben dieser Koalitionsregierung die CDU und einem geringeren Maße die SPD weil ihr Spitzenkandidat Mueller doch allgemein geschätzt wird.

          

           Frank Henkel für die CDU

 

Die epistemologische Revolte - eine neue Ordnung der Dinge

Ein interessanter Kommentar zur gegenwärtigen politischen Krise gibt möglicher Weise Aufschluß über einen tieferen Grund für die allgemeine Sprachlosigkeit gegenüber der Politik. Er macht auf die Rolle des Wissens von Experten in der Gesellschaft aufmerksam. Der Mangel an Überzeugung und Unzufriedenheit gegenüber sämtlichen Parteien sei nicht so sehr als eine direkte Herausforderung an die Parteien selber zu deuten, sondern es handelt sich um etwas Grundsätzlicheres: welches Wissen dominiert in der Politik und Gesellschaft. Daran schließt sich reibungslos an welches Wissen ist erforderlich, um Politik praktisch umsetzen zu können? Da das Verhältnis Theorie-Praxis ebenso in Frage gestellt wird, lässt sich diese Umsetzungsproblematik nur schwer mit dem Begriff 'politischer Prozess' umschreiben. Viele sind der Meinung der Inbegriff eine demokratische Praxis müsse substanzieller gestaltet werden und das nicht nur auf begrifflicher Ebene. 'Sicherheit' oder 'der richtige Weg' als Begriffe sind ohnehin allzu vage und umstritten. Außerdem was die Parteien ansonsten sowohl in ihren Wahlspots als in ihren Programmen und organisatorischen Strategien zu formulieren versteht, geht nicht über einen konventionellen Wahlkampf hinaus. Folglich bleibt das ohne praktische Relevanz für die alltägliche Politik weil es sich nicht mit dem bestehenden Selbstverständnis vereinbaren lässt.

Will Politik grundsätzliche Veränderungen erzielen, muss sie in ihrer Sprache ehrlicher sein als was jetzt der Fall ist. Letzteres ist eher eine Frage des qualitativen statt eines bloß quantitativen Umgangs mit all möglichen Herausforderungen. Dabei taucht immer wieder die grundsätzliche Frage auf ob für die Klärung politischer Prozesse und der erforderlichen Willensbildung die dafür geschaffenen Institutionen imstande sind noch mit Lösungen auf diese Herausforderungen positiv zu reagieren? Ungelöste Probleme können sehr schnell die Institutione überfordern, so der Fall auch beim plötzlichen Andrang von Flüchtlingen. Nicht verwunderlich ist bei solch einem kurzfristigen Scheitern dass die Aktualität der Politik leicht von einer Panik ähnlichen Stimmung überstimmt wird. Langfristig gesehen, geschieht das regelmässig solange heikle Themen unangesprochen bleiben und ein repressives Schweigen herrscht. Es werden sich immer wieder aus einer kleinen Protestgruppe eine neue Alternative auftun und genau aus dem Ungelösten ihre politische Richtung schälen, so auch jetzt die AfD.

Besonders bei der Flüchtlingsproblematik werden drei Ebenen erkennbar die alle neue Probleme schaffen: die persönliche Ebene, die Kooperation zwischen gemeinnützigen Organisationen und staatliche Behörden, und die Vision einer Gesellschaft die solch einer Herausforderung gewachsen ist.

Die Frage mittels welchem Wissen wolle man regieren, leider ist eine gesellschaftliche Klärung des Politik-Begriffs weit davon entfernt. Tradionell wird mit dem Wert Konsensus von Demokratie unausgesprochen und darum unreflektiert immer noch an der Hegelsche Vorstellung fest gehalten, der Staat kann nur dann funktionieren wenn er das Gewaltmonopol inne hat und darum die Durchsetzungsgewalt, um Gesetze in die Gesellschaft einzubringen und darauf zu achten, dass sie auch eingehalten werden. Das Verhältnis Gesellschaft zum Staat hat sich seit dem neunzehnten Jahrhundert, und insbesondere nach der schlimmen Erfahrung mit der nationalsozialistischen Herrschaft, dennoch grundsätzlich verändert. Nur die Vorstellung von Staat als Institutionen bleibt unreflektiert und erstreckt sich halbwegs auf Reformen der administrativen Praxis. Ein wunder Punkt in Berlin ist darum die lange Wartezeit auf den Beamtenstuben.

Bislang wurde der politische Diskurs von einem technokratischen Wissen beherrscht. Dazu gehören Annahmen darüber, was funktioniert, was nicht. Doch eine tiefere Unruhe in der Bevölkerung kann in ihrer Wortlosigkeit bzw. Sprachlosigkeit als unausgesprochener Widerspruch zum herrschenden Wissen gedeutet werden. Solange sie aber über keine eigene Wissensbasis verfügen, fällt es den Bürgern schwer sich zu artikulieren und bleiben darum selber im Widerspruch zwischen Anspruch und eigener alltäglicher Praxis stecken. Zum Beispiel macht sich dass anhand erforderliche Maßnahmen angesichts des Klimawechsel deutlich, um die Abgase zu verringeren müssten alle auf ihr Auto verzichten, doch das Autos als individuelles Verkehrsmittel ist zu einer unabdingbaren Gewohnheit geworden. Wer will da schon diese Illusion der Individualität aufgeben, selbst dann wenn gezwungen im Stau über mehrere Stunden zu stehen? Doch irgendwann kann der Bürger nicht nur fordern, sondern muss ebenfalls das praktizieren, was beansprucht wird. Schwierig wird es immer dann wenn die Mehrheit weiterhin nicht von ihren Gewohnheiten abrücken will.

Eine Analyse von denen, die für die BREXIT in Großbritannien stimmten, weist darauf hin, dass ein Unbehagen besteht gegenüber Experten und ihrem Wissen. Sie würden Annahmen propagieren, die nicht mit den Interessen der meisten Wähler übereinstimmen. Dies gilt insbesondere für Ökonomen die der neo-liberalen Sparpolitik Vorschub leisteten und eher Armut und Arbeitslosigkeit erzeugten als eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung zu begünstigen. Hier wird vor allem darauf verwiesen was sie in Griechenland seit der Schuldenkrise ab 2009 verursachten. Das Unbehagen richtet sich auch gegen die Europäische Kommission als eine technokratisch ausgerichtete Verwaltung, die bislang erfolgreich zu behaupten vermochte, sie sei völlig neutral und darum Interesse-frei von der Politik, wenn sie in der Tat sehr politisiert ausgerichtet ist. Diese Argumentation richtet sich ebenso gegen die anonymen Lobbys die Einfluss auf Entscheidungsprozesse nehmen und Interessen des gewöhnlichen Bürgers ausklammern. Das jüngste Beispiel hierfür dient die Kontroverse um die TIPP Verhandlung zwischen der EU und der USA betreffs eines Freihandels-Abkommens.

Was sich also in Wirklichkeit abzuspielen beginnt ist eine epistemologische Revolte und könnte im Sinn von Michel Foucaults "Ordnung der Dinge" erklärt werden denn es handelt sich um bislang verschwiegene Brüche im Wissen oder Paradigmenwechsel (im Sinne von Thomas Kuhn) die keiner voraussah und bislang auch nicht wahrnehmen wollte. Foucault meint mit seinem Beispiel des Malers der sich plötzlich in den Mittelpunkt stellt während das Königspaar erst in den Raum (wie im Spiegel auf der hinteren Wand zu sehen) eintritt, dass zur damaligen Zeit die Infragestellung der königlichen Herrschaft eine Rolle spielte. Heutzutage handelt es sich um eine andere Verschiebung der Macht. Sie definiert noch nicht die Ordnung, spiegelt aber ein wachsendes Unbehagen darüber, wie die Dinge bislang definiert, kategorisiert und eingeordnet werden.

Aus dem selben Grund erkennen die Menschen langsam, es genügt nicht mehr wie sie sich selbst bislang definiert haben, um in einer globalisierten Welt zu bestehen. Vor allem verspricht diese Richtung nicht mehr einen ungebrochenen Wohlstand, sondern mehr Unsicherheit und noch weitere Nachteile. In gewisser Hinsicht müssen sie erkennen, alleine schaffen sie es nicht mehr. Folglich suchen sie nach einem neuen Zusammenschluss. Um so merkwürdiger ist es, dass nicht nur die AfD sondern auch Merkel diesen Umwandlungsprozess nicht wirklich wissen zu deuten. Beide verstehen das auf ihre Weise, so als wollen die Bürger keine Veränderungen mehr sondern Deutschland solle so bleiben wie das Land schon immer gewesen ist, nämlich für einen selbst 'lieb und teuer' (Merkel). Um bei diesem evokativen Bild zu bleiben, handelt sich vor allem bei Merkel um einen gewaltigen Widerspruch zur ihrem Bekenntnis, dass schwer zu begreifende Veränderungen statt finden und wegen der Flüchtlingsproblematik noch weitere in absehbarer Zeit auf Deutschland zukommen werden. Wie kann es dann angehen politisch einen Mythos der Kontinuität als ein unveränderbares Deutschland beschwören zu wollen, besonders dann wenn das die AfD als ihre Zielsetzung benennt?

 

Das Scheitern am Widerspruch

Nicht nur die Politik scheitert an vielerlei Orten am Widerspruch, sondern auch die Medien tun sich schwer gewisse Widersprüche zu deuten. So bleibt fast unerklärlich warum die Deutschen unzufrieden sind obwohl sie in einer wohlhabenden Gesellschaft leben oder wie können Wähler in Mecklenburg / Vorpommern aus Angst vor Ausländer ihre Stimme der AfD geben, obwohl im Lande es die geringste Anzahl an Flüchtlingen im Vergleich zu allen anderen Bundesländern gibt? Solch fehlende Übereinstimmungen zwischen Fakten und politischer Einstellung resultieren meistens aus einer maßlosen Übertreibung, wobei eine ontologische Wertsetzung eine Rolle spielt.

Ein Politologe im Deutschland Radio Kultur erklärt die meisten AfD Wähler würden eher ihrer Wahrnehmung folgen wenn sie abstimmen. Zugleich sei es eine zutiefst emotionale Angelegenheit wenn sie nur an die Möglichkeit denken es würden noch mehr Flüchtlinge ins Land kommen. Noch mehr leisten sich Politiker der AfD ein Doppelmoral wenn sie die anderen Parteien für mangelnde Transparenz kritisieren, selbst aber wiederum nichts wissen wollen wer der anonyme Spender ist, der für sie mit Wahlplakaten und einem 'Extrablatt' wirbt (vermutet wird die Schweizer Goal AG). (siehe Severin Weiland, „AfD-Wahlkampfhilfe "Mauschelei und fragwürdige Geldflüsse" Spiegel online, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-wahlkampfhilfe-mauschelei-und-fragwuerdige-geldfluesse-a-1112133.html). Wer sich solche Widersprüche leistet, vermag nicht selber das Phänomen zu erklären.

Es mag hilfreich sein sich an den Philosophen Cornelius Castoriadis zu erinnern, der meinte in einem Zeitalter der iterativen Logik verlernen die Menschen in Widersprüchen zu denken. Das sei die Folge der 'Ja-Nein' Befehlsstruktur die im IT-Bereich verwendet wird und was in jedem Computersystem installiert ist. Undenkbar ist noch das Denken an den Widerspruch wie noch der Fall bei Hegel im neunzehnten Jahrhundert. Dabei bezeichnete Hegel einen dreifachen Widerspruch im Begriff selber, in der Realität und in der Beziehung zwischen Begriff und Realität.

Folglich wird der Widerspruch nicht mehr als Problem und zugleich auch nicht als Indiz das etwas schief lief oder nicht stimmt, wahrgenommen. Bekannt ist der größte Widerspruch in der Politik, nämlich zwischen Wahlversprechen und was letztlich davon eingehalten wird. Parlamentspräsident Schultz hat zum Beispiel Tsipras nach seiner Wahl zum Premierminister von Griechenland dazu geraten, Wahlversprechen sei eine Sache, jetzt käme aber die Realpolitik. Das solch ein Ratschlag das Verständnis von Demokratie in Abrede stellt, wird leider sehr selten als solches wahrgenommen. Darum fehlt es an Konsistenz in der Politik und umso leichter ist nachvollziehbar wenn unter den einfachen Menschen eine Art Revolte spürbar wird. Sie wehren sich nicht nur gegen eine Bevormundung oder dem nicht Einhalten vom einmal gemachten Versprechen, sondern sie wollen auch nicht länger durch eine falsche politische Debatte zum Schweigen gebracht werden. Ob links oder rechts, allen ist gemeinsam, dass eine unglaubwürdige Politik nicht länger hinnehmbar, geschweige 'selbstverständlich' ist.

 

Das sogenannte Selbstverständnis

Die deutsche Gesellschaft stellt sich in 2016 erneut die Frage warum seit dem Sommermärchen von 2006 nur noch von Deutschland, nicht aber mehr von der Bundesrepublik die Rede ist? Im Zuge der Wiedervereinigung, und der Entscheidung Berlin erneut die Hauptstadt zu machen, stellt sich ohnehin die Frage was geschieht mit der von Kohl noch anvisierten Verbindung zu Europa? Allerdings hat er selber dazu beigetragen den Namen von 'European Community' zu 'European Union' zu verändern, um Europa ein christlich-konservatives Weltbild zu verpassen. Doch seitdem Merkel Bundeskanzlerin ist, macht sich Kohl zunehmend Gedanken darüber wie es noch mit Europa bestellt ist. Das Versäumnis nach Unterzeichnung des Maastricht Vertrags nicht die Europäische Staatsbürgerschaft implementiert zu haben, macht sich um so mehr im sogenannten Selbstverständnis bemerkbar. Der Bürger ist nicht wirklich Europa-orientiert, sondern definiert sich nach nationaler Zugehörigkeit und unterliegt somit einer bestimmten Geschichtserzählung zugunsten des Nationalstaates.

Bei einer etwas näheren Betrachtung zeigt sich die deutsche Gesellschaft als eine hochexplosive Mischung aus hoher Kompetenz in beruflicher Hinsicht und selbst gebastelter Kunst im Privaten zu leben. Das Resultat vermittelt sich in einer linguistischen Vereinfachung was die Lebensanschauung betrifft und mündet oftmals in typischen Redewendungen zwecks Überbrückung des Privaten mit dem Öffentlichen z.B. Leben muss Spaß zugleich aber auch 'cool' sein. Das verleitet zu einer flachen Beurteilung was politische Perspektiven betrifft. Bezeichnend dafür ist eine ständige Berufung auf ein Selbstverständnis das keines ist, sondern ein ideologisches Konstrukt das beim näheren Hinsehen einer Selbstbehauptung entspricht. Noch mehr solch ein behauptest Selbstverständnis unterliegt dem Irrtum dies sei von allgemeiner Gültigkeit wenngleich daraus ein besonderes Weltbild gemacht wird.

 Offener Brief der Berliner Kunst zur Abgeordnetenhauswahl 2016
14.9.2016

Wir, als Kunstschaffende aus allen Sparten, aus der Freien Szene wie aus den institutionell geförderten Häusern in Berlin, sehen uns einem aufklärerischen und humanistischen Welt- und Gesellschaftsbild verpflichtet.

Die aktuelle Tendenz, dass Politik und Öffentlichkeit zunehmend durch Rechtspopulist*innen und rechtsextreme Parteien wie die AfD vereinnahmt werden und diese immer mehr Zustimmung durch die Bevölkerung erfahren, hat vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus in erschreckendem Maße auch unsere vermeintlich liberale und offene Stadt erreicht. Wir sehen uns daher in der Verpflichtung, ein klares Statement gegen politischen Rechtspopulismus abzugeben.

In der Kunst- und Kulturszene Berlins verstehen wir uns als international, multi- und interkulturell, feministisch, nicht cis- noch hetero-normativ. Es entspricht unserem Selbstverständnis, uns künstlerisch wie auch nicht-künstlerisch (selbst-)kritisch mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands auseinanderzusetzen, mit offenem wie auch strukturellem Rassismus und den Privilegien, die einige unter uns gegenüber People of Color, Menschen mit Migrationshintergrund und nicht ‚Biodeutschen' erfahren; mit normativen, konditionierten Gender- und Geschlechterrollen, mit der Ungleichheit und Diskriminierung, die Menschen aufgrund unterschiedlicher ökonomischer, sozialer oder weltanschaulicher Hintergründe erfahren. Wir wollen Orte schaffen, die diskriminierungsfrei und sicher sind.

Daher widersprechen wir aufs Schärfste den Programmen rechtspopulistischer Parteien, die auch in Berlin zur Wahl stehen und von denen einige Vertreter*innen bedauerlicherweise höchstwahrscheinlich auch ins Abgeordnetenhaus gewählt werden.

Wir lehnen die traditionelle Familie als familiäres Leitbild ab, innerhalb dessen konservativ misogyne und homophobe Konzepte Menschen vorschreiben wollen, in welchen Strukturen sie ihren familiären Kontext gestalten sollen und Frauen einem biologistisch- deterministischen Rollenbild folgen müssen. Ebenso insistieren wir darauf, dass Frauen die absolute Autonomie über ihre Körper haben.

Wir lehnen die Definition von Gender als zwei determinierte Geschlechter, die alle, die außerhalb dieser Definition stehen pathologisiert und marginalisiert, ab. Eine wissenschaftlich valide und zeitgemäße Auffassung von Gender definiert dieses auch als sozial-gesellschaftliches Konstrukt. Wir fordern daher die uneingeschränkte Gleichstellung homosexueller mit heterosexuellen Paaren und ein Ende der Pathologisierung und behördlicher Diskriminierung von trans*- und inter*-Personen. Wir verwehren uns gegen jegliche Diffamierung von LSBTIQ*.

Wir stellen uns radikal gegen die unterschwellige bis offene Fremdenfeindlichkeit, die sich insbesondere in Form einer anti-islamischen Hysterie durch die Programme dieser Parteienzieht. Unverhohlener Rassismus wird hinter Slogans wie „Mehr Kinder statt Masseneinwanderung“, „Ausländerkriminalität“, „ungeregelte Zuwanderung in die Sozialsysteme“ und „Parallelgesellschaften“ versteckt. Für uns ist Asylrecht uneingeschränktes Menschenrecht und wir befürworten doppelte Staatsbürgerschaften.

Wir verstehen den Sozialstaat als bedingungslose Solidargemeinschaft, in der Sozial- oder Gesundheitsleistungen nicht aufgrund von Weltanschauung, Nationalität oder Suchterkrankung eingeschränkt werden.

Die Gesellschaft, in der wir leben wollen, ist eine offene, humanistische, pluralistische und multikulturelle und keine deutschtümelnde, rechtsnationale Volksgemeinschaft. Wir stehen für Multi- und Interkulturalität anstelle „deutscher Leitkultur“.

Daher appellieren wir an Euch und Sie, geschätzte Kolleg*innen, verehrte Zuschauer*innen: Berlin und seine Kunstszene steht für Offenheit, Inklusion und Diversität. Gebt dem Rechtspopulismus und rechtsextremen Parteien keine Chance, nicht auf dem Wahlzettel und nicht im Alltag.

Christophe Knoch vom Sprecherkreis der "Freien Szene"

christophe@micamoca.com
www.micamoca.com

Anmerkung:

Um möglichst die gesamte Berliner Kunstszene in diesem Aufruf gegen Rechts zu versammeln haben wir die "Begrenzung" auf die Freie Szene herausgenommen. In dem offenen Brief sprechen nun "Wir, als Kunstschaffende aus allen Sparten, aus der Freien Szene wie aus den institutionell geförderten Häusern in Berlin."

 

 

Dem persönlichen Weltbild folgt die weit verbreitete Wunschvorstellung für ein einfaches Leben. Es wird im Sinne eines 'habitus rituales' traditionell fortgesetzt und in einem herkömmlichen Gewand dargestellt. (siehe Das Habitus Konzept von Pierre Bourdieu - Von uns für Alle vonunsfueralle.blogsport.de/images/DasHabitusKonzeptvonPierre. ) Aufgrund der Reduktion gib es keine wirklich historische Reflexion von sozialen und politischen Veränderungen. (Ein gutes Beispiel dafür liefert ein am 26.August veröffentlichte Artikel verfasst von der leitenden Redakteurin für Politik und Lokalgeschichte der Berliner Zeitung, Maritta Tkalec. Der Artikel ist mit dem Titel “Umbenennung der Mohrenstraße - Kein Respekt gegenüber der Geschichte Berlins” versehen und wurde von einem Freitag-Community-Mitglied elephantroom kritisch besprochen; siehe "Wut und Werte" https://www.freitag.de/autoren/elephantroom/wut-und-werte/.

Auch im Aufruf der Berliner Künstler steht an erster Stelle die künstlerische als auch die nicht künstlerische (selbt-kritische) Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Dieser doch verkürzte Rückblick wird vor allem durch die offizielle Kultur- und darum Erinnerungspolitik verstärkt. Sie will nicht dass die Erinnerungen an den Holocaust in Vergessenheit geraten. Weil in diesem Rückblick eine Art zu moralisieren über Kriegsverbrechen im Vergleich zu einer humanistischen Politik enthalten ist, verleitet das der Regel nach zu einer einseitigen Fixierung auf bestimmte moralische Urteile. So wird alles in ein schwarz-weiss Schemata gepresst, in der Meinung mit solch einem anti-Kriegsurteil bereits eine allgemeine Gültigkeit in moralischer Hinsicht zu erzielen. Doch diese schreckliche Vergangenheit wird erst wirklich verarbeitbar sein, wenn von in der Gegenwart gelebten Formen und ihre Inhalte ausgegangen wird. Vor allem betrifft das die Poesie weil am ehesten auf die Gegenwart bezogen. Darum sei zu erinnern an Adornos Diktum 'keine Gedichte seien nach Auschwitz mehr möglich', und was dann Derrida zu der Poesie eines Paul Celans sagte.

Interessanterweise machten Coctau und Aragon in ihrem Gespräch über die Dresdner Galerie ehe sie restauriert wurde, auf Van Gogh aufmerksam denn er markiert im Museum den Übergang vom Raum der holländischen Maler zum Raum der Französischen, speziell den Impressionistischen Malern. Sie meinten ehe Van Gogh dort ankam musste er erst den Fluss des Vergessens durchqueren. Erst dann konnte er sich in neuen Formen der Vergangenheit erinnern während gleichzeitig sich neue Erinnerungen an die Zukunft bemerkbar machten. Die Voraussetzung dafür ist also in der Gegenwart zu leben, aber was erst möglich ist laut Jean Paul Sartre wenn einem die Zukunftsziele gewiss sind.

Im Rückblick auf die Geschichte der Nationalsozialisten wird nur eine Alternative zu einer schrecklichen Gegenwart gegenwärtig, und das ist angeblich ein traditionelles Anliegen. Es dient der Illusion einer Kontinuität von Identität, doch wie kann sie aufrecht erhalten werden wenn es nicht zu einer Vertiefung im menschlichen Sein jenseits dem tradionellen Selbstverständnis kommt? Bezeichnend hierfür ist was Günter Grass in seinem Roman 'Die Blechtrommel " als Alternative zur Marschordnung der Nazis dargestellt; als der Blechtrommler die Marschkapelle der Nazis mit seinem eigenen Rhythmus unterbricht, mündet das Heraustreten aus der Marchkolonne im traditionellen Volkstanz. Hier manifestiert sich erneut der Glaube die Alternative bestünde im alt Bewährten. Das bedeutet jegliche Identitätsformationen die offiziell erlaubt ist, unterliegt einem Inbegriff deutscher Realität die zu bewahren gilt, und darum fortgeschrieben und gesetzt wird. Solch einer Realitätsauffassung geht aber das Modell der Modernität völlig ab.

Sobald das kulturelle Anpassungsmodel zu einer Angelegenheit lokaler Tradition und Gepflogenheiten gemacht wird, entsteht der Eindruck sowohl ein lokaler als auch nationaler Patriotismus sei das einzig richtige und bedarf darum keiner weiteren kritischen Selbstreflexion. Dieser Rückfall auf ein unreflektiertes Selbstverständnis erschwert um so mehr die gemeinsam zu erbringende kulturelle Adaption an die neuen Bedingungen eines erst zu gestalteten Zusammenlebens mit den Migranten bzw. den neu Hinzugekommenen. Darum kann es nicht angehen, dass die Politik die Menschen in der Illusion belässt Deutschland wird und muss bleiben wie es schon immer gewesen war. Das erzeugt nicht bloß nostalgische Gefühle, sondern übersieht den Widerspruch zur eigenen Erinnerungspolitik und verhindert aus bereits gemachten Fehlern zu lernen. Deshalb entsteht dann eine Schein-Synthese weil der Wunsch beim Alten bleiben zu wollen sich leicht mit der resignierten Feststellung, es wird sich sowieso nichts verändern, verbindet.

Wird aber das sogenannte Selbstverständnis auf eine bereits überholte Ordnung der Dinge fixiert, lädt das gerade dazu ein in eine Art von Verrücktheit hinein zu fliehen. Es beginnt mit nicht länger Kritik hören zu wollen und setzt sich fort in der Meinung offensichtliche Widersprüche zwischen bloßer Behauptung z.B. alle Immigranten sind kriminelle Personen und Tatsachen z.b. die Polizeistatistik meldet einen sehr geringen Prozentsatz von Migranten die an Delikten beteiligt sind, ignorieren zu können. Noch gefährlicher wird das wenn es zu einer ontologisch gesetzten Wunschvorstellung kommt weil dann Werte einseitig beansprucht werden, Werte die keine Begegnung auf menschlicher Ebene mehr zulassen. Das ist dann nicht länger eine Verrücktheit die sich in einer einzelnen Aktionen erschöpft und dabei keinen anderen schadet, sondern darauf aus ist ein unreflektiertes Herrschaftsmodel alter Ordnung erneut umsetzen zu wollen. Diese Art von Verrücktheit misst sich am falschen Maßstab, da immer noch vom Wunsch beseelt heroisch sein zu wollen und von allen anerkannt zu werden, so als sei man der Größte in dieser Welt. Fußballer sind in diesem Sinne nicht nur Sportler, sondern eben 'Weltmeister' wenn sie die Weltmeisterschaft gewonnen haben und darum nicht allzu weit entfernt vom imperialen Anspruch die Herren in dieser Welt zu sein. Diese übertriebene Vorstellung wird von einem übereifrigen Glauben angetrieben, wenn irgendetwas zu erreichen ist, dann muss etwas getan werden, um einen expansionistischen Trieb zu befriedigen. Alles muss dann größer und besser sein und werden. Das erzeugt einen neuen Widerspruch zwischen dem Wunsch alles zu bleiben wie es gewesen ist und dem Wunsch in einer anderen Welt leben zu wollen. Im Nationalsozialismus wurde die Endvision von Hitler von Jürgen Stroop, die rechte Hand von Himmler und verantwortlich für die Liquidierung des Jüdischen Gettos in Warschau, übersetzt in seinen Wunsch ein Gestüt in der Ukraine zu haben wo er jeden Tag ausreiten kann. Somit ist die Durst nach etwas mehr als das, was unmittelbare Leben oder der sie umgebenden Gesellschaft zu bieten hat, Ausdruck für eine wirkliche Unzufriedenheit. Das erklärt weitgehend das Verirren in einer politischer Verrücktheit.

Es kommt hinzu die Angst von den neuen Herausforderungen überfordert zu werden und damit zum Scheitern verurteilt zu sein. Das Vermeiden-wollen solch eines Scheiterns erklärt warum ein einfacheres Modell für die Politik erwünscht ist. Der Rekurs auf das alleinige Ich als die einzig bestimmende Basis kommt noch hinzu wenn von einer neuen nationalen Souveränität die Rede ist. Nicht die erforderliche Koordination und Zusammenarbeit wird erwähnt, sondern dem Wunsch alles wieder in die eigene Hände nehmen zu wollen, nachgegeben. Doch all das widerspricht wie gesagt dem Expansionsdrang.

Unabhängig davon ob nun die Wähler in Großbritannien für den Brexit stimmten oder die Leute für die AFD in Mecklenburg / Vorpommern ihre Stimme gaben, diese Tendenz untergräbt ihren eigenen Existenzgrund. Vor allem die Tourismusbranche kann nicht mit solch einer geschlossenen Welt einher gehen, folglich stimmen die politischen Wertvorstellung nicht mehr mit den praktisch geschäftlichen Interessen überein. Anders gesagt, sämtliche Orte wollen dass die Touristen zu ihnen kommen, um weiterhin existieren zu können. Doch ergeht es keinem dass eine Gastfreundschaft Hand in Hand mit der Liebe für den Fremden geht. Es gibt keine Alternative zur Offenheit für die Welt in der alle Menschen leben.

Seit langem besteht der Eindruck, dass viele Deutsche dazu neigen, sich seelisch zu engagieren und nach ihrem Selbst suchen. Schwierig bleibt das eigene Selbstverständnis mit der Vernunft so zu vereinbaren, dass die menschliche Moral freiwillig befolgt wird. Das kann nur gelingen wenn aus dem besonderen moralischen Prinzip ein allgemeines Gesetz gefolgert werden kann und das zu tun ohne dem 'moralischen Imperativ' eines Kants zu unterliegen. Denn dann würde das kunstvolle Hervorholen eines einzelnen Menschen um ihn frei entfalten zu lassen, unterbrochen werden. Adorno tat gut daran ferner zu erinnern, dass Kant das 'Selbst' sehr häufig verwendet ohne jedoch diesen Begriff genauer zu klären. Adorno verweist außerdem darauf, dass soziale Begriffe im Verlaufe gesellschaftlicher Entwicklungen kontinuierlich neu zu definieren sind. Da die meisten schwer zu definieren sind, und nicht alleinig auf das Individuum reduziert werden können, macht es keinen Sinn, sich von der Außenwelt und der Realität der anderen abzuschneiden, um nur mit einer einseitigen Selbstbestimmung von wie man sich selbst versteht, auskommen zu versuchen. Selbstverständnis ist ein allzu wichtiger Begriff. Er wird ständig in Anspruch genommen, um die in der Öffentlichkeit gemachten Annahmen und Vermutungen zu reflektieren. Im Bezug auf die anderen formt sich das Selbstverständnis und bestimmt das Verhalten der Menschen zu einander. Viel hängt davon ab was sie nicht nur von den anderen erwarten und wie die sich benehmen, sondern ob die anderen auch jederzeit ansprechbar und beanspruchbar auf eigenes Anliegen sind. All das ginge nicht wenn die Klärung solch eines Selbstverständnis ohne Vertrauen in die Menschen versucht wird. Dazu gehört nicht nur die Erwartung dass jeder an der Kreuzung wartet, wenn das Signal auf rot steht, sondern auch ein Selbstvertrauen zu wissen was in jeder gesellschaftlichen Situation angebracht ist zu tun.

Ein philosophischer Schachzug der Politik ist das 'Selbstverständnis' einer noch größeren Gemeinschaft für sich zu reklamieren. Die CDU versuchte sich seit langem mit der Christlichen Kirche zu verbinden, die CSU mit der Katholischen Kirche in Bayern und die Grünen mit der evangelischen Kirchengemeinde. Hinzu kommt die Grundthese dass das Pfarrerhaus ohnehin die Urzelle von Politikern und Theologen ist, und die ob nun Gauck oder Merkel wiederum mittels ihrer Rhetorik das sogenannte Selbstverständnis in der Gesellschaft prägen.

Die Verfassung

Ohne hier ins Detail gehen zu wollen, stellt das nicht nur eine große politische, sondern eben auch eine philosophische Herausforderung dar. Die Klärung des 'Selbst' war noch nie selbstverständlich, geschweige dass es innerhalb der gesellschaftlichen Entwicklung eine bewusste Reflexion gegeben hat. Am nächsten kommen Versuche der ganzen Gesellschaft eine neue Verfassung zu geben.

Das hat einen geschichtlichen Vorlauf. In der Weimar Republik wurde eine Verfassung entworfen, doch dies geschah abseits von der Realität weil die damaligen Politiker und Verfassungsrechtler sich von der Gewalt in Berlin fürchteten. Der damalige Elite Ansatz scheiterte weil diese demokratische Verfassung nicht gegenüber der nationalsozialistischen Bewegung Stand halten konnte.

Nach 1945 war die West Deutsche Verfassung ein Provisorium und nach 1989 wurde die Chance versäumt eine neue Verfassung als geschichtliche Reflexion zu schreiben. Stattdessen umging die Politik von Kohl diese Frage und legitimierte dadurch nicht nur die Auflösung des DDR Staates, sondern auch dass mittels der provisorischen Westdeutschen Verfassung die neuen Länder aufgenommen werden konnten. Es geschah also ohne die Notwendigkeit für eine neue Verfassung auszulösen. So mussten die neuen Länder nicht unbedingt alle Gesetze übernehmen.

Der Kompromiss der nach 1989 dabei heraus kam, verdient nicht den Namen eines funktionierenden Föderalismus und machte um so mehr erforderlich den Begriff 'Einheit' zu verwenden, um einen Zusammenhalt von Ost und West zu erzwingen. Praktisch wurde das durch die Handhabung der Treuhand im Osten untermauert, ließ aber den im Osten Verbliebenen keine echte Chance selber den Übergang von einer sozialistischen zu einer sozialen Marktwirtschaft zu gestalten. Folglich werden bis heute die vielschichtigen Probleme der Integration der Menschen die in der DDR sozialisiert wurden bis heute ausgeklammert oder schlichtweg verdrängt.

Eine Verfassungsänderung müsste davon ausgehen, dass der Kernsatz zwecks Legitimation der Staatsmacht verändert wird. Der momentan geltende, zugleich höchst problematische Satz lautet „die Gewalt geht vom Volke aus.“ Gewalt enthält hier eine Doppelbedeutung: ersten, die Übertragung von Macht des Volkes zu einer Institution genannt der Staat der nach alten Vorstellungen nicht nur das Gewaltmonopol, sondern auch die Durchsetzungsgewalt haben soll, und zweitens, da dem Volke eine Gewalt inne ist, muss sich der Staat davor schützen können. Zwar sagt niemand das explizit was der Satz wirklich enthält, nämlich dass das Volk gewalttätig sei und der Staat sich davor schützen muss. Hegel gab bereits einen Vorgeschmack desselben, als er zu erkennen meint die Gewalt ginge aus der Natur der Dinge hervor und darum mussten diese zugleich nutzbar und darum ausbeutbar sein.

Praktisch ist das Verhältnis zwischen Menschen und politischer Institution nicht durch ein Sammelsamarium gleich dem Begriff 'Volk' zu regeln. Der englische Begriff von 'people' ist da weitaus sympathischer. Jüngst wurde dieses problematische Umfeld intensiviert als Petry von der AfD fordert, das 'völkische' soll wieder positiv verwendbar sein, um den Staat zu bezeichnen. Doch dieser Inbegriff wurde unter Hitler mit dem Nationalsozialistischen Staat gleich gesetzt. Siehe "Alternative für Deutschland: Frauke Petry wirbt für den Begriff "völkisch" Die AfD-Vorsitzende will, dass der Begriff "völkisch" wieder positiv besetzt ist. In einem Interview warnt sie außerdem vor einem Bürgerkrieg in Deutschland. 11.September 2016, 6:30 Uhr Quelle: ZEIT ONLINE, afp, spo http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-09/afd-frauke-petry-volk-buergerkrieg)

Etwas weiteres bedarf der Korrektur sollte es zu einem neuen Verfassungsentwurf kommen. Fast durchgängig in der Geschichte wird seit Aristoteles der Mensch als "politisches Tier" bezeichnet. Zugleich definierte Aristoteles die Aufgabe der Verfassung sei es die Elemente zusammen zu halten, die zusammen gehören, und das zu trennen und auseinander zu halten, was ansonsten wenn einmal zusammen gebracht, chemisch formuliert eine Explosion verursachen können. Diese Reduktion des Menschen auf den Status eines Tieres hat bis zu Darwin und darüber hinaus bei biologisch untermauerten politischen Theorien Schule gemacht, und das zum Nachteil einer demokratischen Bestrebung. Eher sollte eine progressive Verfassung sich am Modell der Modernität orientieren und das im Grundgesetz bereits verankerte Recht auf freie Entfaltung verbinden mit was die Einnahme einer verantwortlichen Rolle in der Gesellschafter erst möglich macht, nämlich eine kulturelle Synthese die die Identität als ein und derselben Zeit individuelles und soziales Element vermittelbar macht. Dazu bedarf es eine Klärung der Sprache die keine Begrenzung in Richtung von einer nationalen Identität sein darf. Eher müsste diese Sprache laut Marx Kategorien der Produktivität und der Kreativität enthalten, um das menschliche Selbstbewusstsein ansprechbar zu machen.

 

Imagination und Empathie

In einer jüngst von Kulturradio Deutschland ausgestrahlten Diskussion meinte eine Frau die Empathie sei auch noch nicht wirklich in der politischen Debatte präsent. Vor allem bei Konflikten kommt es aber darauf an die menschliche Seite des Verstehens aufzuzeigen. Außerdem ist bekannt, Empathie als Verständnis für die anderen ist nur mittels Phantasie möglich. Im Dialog mit der Realität wird erkennbar die Beziehung des Menschen zur Gesellschaft und zu sich selbst. Zugleich erfüllt das die Voraussetzung für eine lebendige Sprache die den Menschen hervorholt und mittels solch einer Realitäts-Bezogenheit zur schöpferischen Entfaltung bringen kann. Zugleich macht die Phantasie es möglich über Alternative zum Vorgefundenen in der Realität nachzudenken. Das ist nichts anderes als eine wünschenswerte Zukunft vorstellbar zu machen. Von der Philosophie, Ideologie und Politik wurde das bislang als Utopie bezeichnet doch spielt dieser Begriff heutzutage fast keine Rolle mehr. Zukunftsvisionen sind rar geworden.

Fluchtpunkt Utopie

Utopie als menschliche Realität zu erleben war stets verbunden mit dem Recht auf Gemeinschaft. Darum ist es jetzt eine Frage, ob diese alte Vorstellung noch zur gegenwärtigen Gesellschaft passt, eine Gesellschaft die sich inzwischen als moderne Ambiente anbietet und es versteht die Menschen mit vielen neuen Herausforderungen zu beschäftigen. Vor allem die Flut von Informationen mittels den sozialen Medien macht all das zu eine erkenntnistheoretischen Frage, was sind die richtigen Entscheidungen in solch eine Situation. Bekanntlich lässt das nicht viel Zeit noch Raum für den Zweifel aber das erklärt zugleich weshalb so viele nicht wissen für wem oder welcher Partei sie bei der kommenden Wahl ihre Stimme abgeben sollen.

Natürlich ist es schwierig die wahren Gründe für diese enorme politische Verschiebung vom seismischen Ausmaß in Deutschland richtig zu deuten. Dabei hat der ständige Bezug auf die Angst vor einer Überforderung weil nicht mehr vorstellbar wie die vielen Migranten im Land zu verkraften sind, hat den politischen Diskurs erneut in eine psychologische Selbstbeobachtung verwandelt, um herauszufinden ab wann besteht die Gefahr einer völligen Selbstaufgabe. Letztere kann oftmals die Menschen aus einer falsch verstandenen oder sogar negierten Liebe in Selbstzerstörung und Zerstörung von anderen treiben. Jean Pierre Faye in seinem Buch 'Totalitäre Sprachen' nannte diesen Moment die Entladung von Hass.

Natürlich ist da Gefahr im Vorzug wenn Petry von der AfD erneut den Inbegriff 'völkisch' akzeptabel machen will, weil sie dann auf ein Grundmuster der Nationalsozialisten mit Hitler voran zurückgreift, um ideologisch Selbstbestimmung nicht nur glaubhaft, sondern schmackhaft zu machen.

Ebenso kann es sich um bloß einen semantischen Unterschied zwischen Merkels Aussage "Deutschland wird die Deutschland bleiben wie wir es lieben und teuer halten" und Seehofers Slogan "Deutschland muss bleiben Deutschland" handeln, wobei Wert auf den Unterschied zwischen Zuversicht und Notwendigkeit in der Auslegung beider Aussagen gelegt wird. Dabei geraten beide in die Gefahr eine nationalistische Stimmung zu verstärken und zu unterstützen, um ihre politische Positionen vor einem potentiellen Machtverlust zu bewahren. Doch ob sie da richtig liegen in ihrer Interpretation was die Menschen als Kernaussage von der Politik hören wollen, ist nicht so sicher. Zugleich fallen sie in ihrem Realitätsanspruch weit hinter dem was Europa und die Welt von Deutschland erwartet, wenn es darum geht nicht das menschliche Schicksal wegen des Krieges in der ganzen Welt zu vergessen.

Anmerkung: Nachdem der Wahlausgang in Berlin am 18.September 2016 bekannt geworden ist, wird diese Reflexion fortgesetzt.

Hatto Fischer

Berlin 16.9.2016

 



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