Pablo Neruda, der große Bruder
für Rosemarie
Pablo Neruda, ich wollte über den Tod hinaus fliegen,
aber dann machten sich alle aus dem Staub
als sie Deinen Namen hörten,
und das geschah nicht aus Scherz,
sondern es trug sich im schmerzvollen September 1973 zu,
als erst Allende starb, und dann Du. Man sagt dein Tod folgte,
aus Kummer wegen des Verlustes Deines Freundes
und aus Sorge um die Zukunft Deines Landes,
oder wurdest du sogar im Krankenhaus vergiftet,
doch seitdem verstummte Deine Poesie nicht mehr!
Fruchtbar ist poetische Wahrheit gleich dem Gesang der Vögel,
auch wenn noch fern der Liebe, und Wehmut aus Stolz einen packt,
so sei zu erinnern, dass Du dazu aufriefst den Stolz abzuschaffen,
er bringe nur die Einsamkeit. Leider blieb Dein Rat oft ungehört.
Auf der Suche nach Worten drängt die Zeit
gleich dem dahin fließenden Fluss,
aber das Vertrauen der Menschen in Deine Stimme
gibst Du nicht dem Schweigen preis, so dann
mündet der von dir geliebte Fluss da ins Meer,
wo noch menschliche Stimmen zu hören sind.
Obwohl sie alsbald vom Brüllen und Getöse der Macht
übertönt wurden, gingst Du entlang der Küste Chiles,
bis Deine Gedichte gleich Muscheln an den Ohren
alle aufhorchen ließen, was Deine poetische Stimme
aus der Gewissheit heraus zu leben, zu sagen vermag.
Die Eidechsen regten sich nicht in der Sonne,
und nachts, zwischen den Bettlacken, spürten unsere Körper
den mitgenommenen Sand vom Strand.
Solch eine Liebe war nicht sehr weit entfernt
vom sanften Mond als er übers Wasser stand,
fern von Mitleid, nahe einem leichten Berühren
ihrer Augenbrauen, so dann der Streit beigelegt.
Emotionen bestehend aus Konflikt und Liebe
gibt es überall, aber um zuhause zu sein,
auch in jener geteilten Stadt, die im Winter
einen ausgewiesenen Odor ausströmt,
kann es sich als schwierig erweisen,
besagen allein die liegen gebliebene Tomaten
auf dem Fensterbrett der Küche
mit den nicht geputzten Scheiben,
dass die Liebe alleine es nicht vermag
den einsilbigen Trauer zu vertreiben,
wenn die Frau noch immer im Mann
den nie erlebten Vater weiter sucht.
Ich war nur einmal nahe der Sonne
und das an einem heißen Tag.
Seitdem sind die blinden Punkte in meinem Blick
zum tanzenden Gewieher meiner Ängste geworden.
Ich lief und lief, suchte etwas im Wald,
weil nichts in der Stadt
meine Stimme wiedergab,
jene die bereits von der Küche her
mir vertraut war, rief sie doch,
bleibe und werde endlich Mensch,
aber wegen der Geschichte
blieb mir keine andere Wahl
als die Flucht hinaus in die Nacht.
Mit röchelnder Stimme sprach sie
auf mich ein, wohl wissend
allzu viel gerinnt von den Menschen,
gleich Deinem Blut in die Erde.
Langsam durchquerte ich Deine Sprache,
fand andere Wälder und Wiesen,
spürte wie Du auf die schweigende Blicke
der Bergbauarbeiter reagiertest.
Ich nahm Anteil an Deinen Verrücktheiten,
oder waren das nur bescheidene Liebestänze,
vorgeführt bloß für Gott und für sie?
Oftmals kehrte ich von solchen Fluchten matt zurück
weil ich keine Lösung für meinen Liebesdurst fand.
Er ist stärker als der Wind und viel schwächer,
gleichzeitig mehr als das dahinschwindende Nichts
einer Nacht die gegenüber dem kommenden Tag wehrlos ist.
Und all das erlebte ich im Land der Sonne,
ja, dieses Griechenland, und weil sie jenes Land liebte,
war ich ihrer Seele dort näher als in Berlin,
und das um so mehr weil Dein Lachen
mich etwas vom Leben ahnen ließ.
Ich hörte die Wogen des Meeres,
Melodien auf der Gitarre, und spürte
wie vertraut ihre Hand mit meiner spielte,
bis ein weicher Kuss der Umarmung folgte –
oder sprang ich davor ins Meer?
Ich hatte geliebt ohne zu wissen wie das Meer zu verstehen ist.
Dein Gedicht der Hafenglocke gab wieder einen unregelmäßigen Rhythmus.
Ich war zu ihr gegangen ohne zu wissen wie zu einer Frau zu gehen ist.
Deine Worte nahmen mir die Fesseln des Stolzes ab und ich entband ihre Füße.
Entlang dem Strand war ich bis an den Rand meiner Erschöpfung gelaufen,
um im Sand zu schreiben, dass ich Deine Gedichte an die Liebe einatme.
Deine Beschreibung der Männer die mit dem Polypen kämpften,
erklärte mir die Angst vor dem Vergessen was noch gestern
wortwörtlich in den Zeitungen gestanden hatte.
All das beeinflusste meine weiteren Schritte,
und ich dachte dabei an Deine Lesung
die ganz früh am Morgen, in der Markthalle
von Santiago statt fand; die Männern
saßen mit ihren dampfenden Körpern
auf Holzkisten, denn seit vier Uhr früh
arbeiteten sie, und nun lauschten sie
als Du Deine Gedichte vortrugst.
Danach gabst Du erstaunt zu erkennen,
dass erst ihr ernsthaftes Zuhören
es zuließ, dass Du endlich eigene Gedichte
über den Spanischen Bürgerkrieg
verstehen konntest!
Ja, das Zuhören holt hervor die wahre Poesie
die nieder schreibt all das, was wir nicht
verstehen – auch nicht warum manche
andere Menschen niederträchtig erschießen
oder
weshalb Frauen mit Kindern vertrieben werden?
Bescheidenheit am Anfang,
das Zuhören vor dem Wort,
um zu erfahren wer zu wem spricht.
So dann die Hafenglocke, oder
das Rauchzeichen am Himmel,
bis alle barfuß auf der Erde stampfen,
und das nahe dem tanzenden Feuer
wo Kinder einem Freude machen
mit ihren Fantasie-Geschichten
während das Klatschen der Hände
die Hindernisse im Alltag überwinden,
und so ein neugeborener Wille entsteht,
um die Dinge anders zu verstehen.
Du nanntest Ritsos Deinen Bruder.
Er war der jüngere von Euch beiden,
so zusätzlich war er Dein kleinen Bruder
dem Du im Round House, damals in London 1969,
zuriefst, weil er nicht kam denn die Junta hielt ihn zurück,
aber nicht seine Worte in Gedichten
über Steine, Gitter und Wiederholungen
die Du mit Deiner tiefen Stimme vortrugst.
Zurück gekehrt ins Land Deines Bruders Ritsos, wegen des Lichtes,
sah ich ein anderes Griechenland weil jetzt überzogen
mit Plastikhüllen die nach dem Wind in Dornenbüschen verfangen
eine Trostlosigkeit veranschaulichen, und zu erkennen geben
wie eine Diskontinuität im Verstehen entstehen kann.
Das beginnt wenn die Archive in Flammen verloren gehen,
und der Mythos des Erbes nur noch Kontinuität
als Illusion zwischen damals und heute behaupten will.
Ich ging in Athen ihren Schmerzen nach,
solange bis der Trauer aus ihrer Stimme wich
und sie zum Klagelied an den Vater anhob.
Atemstille!
Worte aus Dornen
die manchmal ungeprüft Zeugnisse abgeben
oder wie unbegehbare Pfade aussehen
bis eine Atemwendung bemerkbar macht
was besteht wenn die Sprache
gleich einem Schiff dem Hafen ausläuft,
um ins offene Meer zu stoßen.
Zurück bleiben die wortkargen Felsen
als Inbegriff einer Ökonomie von Sprache!
Die Beziehung zu einer Frau der Wiederholung,
kann leicht in völliger Unfreiheit münden,
aber klar wird das erst wenn er abends flieht,
aber am nächsten Morgen wieder kommt,
und darum das Verhältnis erneut umkippt.
Danach schien der Himmel weniger blau zu sein,
vielmehr bestand alles aus einem unbestimmten Grau.
Verstehen was all das ausgelöst hatte, war nicht möglich.
Es kamen schwarz gekleidete Frauen, die kurz vor dem Sturm
an der Grenze ihres Verlangens und seines Wissens
zur Kirche bei den Olivenbäumen gingen, um ihr zu sagen
nichts ist umsonst, aber auch nicht alles ist besonders gut.
Bedürfnisse überschreiten oftmals die Schmerzgrenze der Sprache.
Leben ist aber ein Geschenk. Niemand gibt es freiwillig zurück,
jeder will was davon haben, dabei wird vieles vernichtet, in Gesprächen
wenn Überlegungen in der Nacht ausufern, bis keiner mehr
in die Augen des anderen sieht, um die Entscheidung zu erfahren.
Erinnerungen bleiben am Türpfosten des allzu engen Einganges hängen,
besonders wenn Menschen sich in Vernetzungen in der Stadt verlieren,
und nichts gelingen will. Was ihr bleibt wenn nicht Verzweiflung?
Oder ist es aus Eifersucht oder bloß aus Unsicherheit
wenn sie keine Umarmung mehr will? Was wollte sie damit sagen?
Wenn Liebe fast einem Tropfen des Wassers gleicht,
um Worte in aller Stille der Kirche zu belauschen,
wird ganz hinten, fast im Dunkeln, langsam erkennbar
was im Lichte der Andacht schimmernd durchs Kirchenfenster
das sinnliche Begehren nach Liebe auszeichnet, aber im Glauben
des Christentums Schmerzen die Brust von Jesus zerreißen lässt,
bis draußen wie drinnen die Spaltung des 'Ichs' die Krise der Liebe hervorruft.
Ella, ella! Komme, komme. Berge und ausgetrocknete Flussbetten bezeichnen
eine Landschaft entlang dem Esels Pfad mit sagenhaftem Blick aufs Meer.
Ihre Augen wollten etwas anderes sagen, ob vorwurfsvoll oder nicht, nur sie blieb.
Ich verließ das Tal und ging mit Dir, Neruda, durch den Wald zu jenen drei Frauen
die etwas vom Essen und Bewirtung verstanden, jene aus Frankreich, Schwestern,
unverheiratet, geheimnisvoll zurück gezogen, mit ihren Ansprüchen ans Leben
im Walde von Chile lebten, mehr noch zur Aufmerksamkeit der Erinnerungen
beitrugen als sei es das selbstverständlich in aller stillen Zurückgezogenheit zu leben.
Dann fanden wir das Dorf, ja gemeinsam fanden wir sie weinend wieder,
die Frau unserer Träume. Verlassen im Ansturm ihrer Gefühle
konnte sie mir nicht verzeihen. So lautet das harte Gesetz.
Aus der Traum. Es zündete kein Holz. Nass und kalt.
Uns blieb nur die Unfreundlichkeit. Ein Geruch des Fäulnis überzog alles.
Ich war matt und müde, doch ich bin rauß gegangen vor allem deshalb
weil keine Notwendigkeit bestand die Haare zu trocknen
denn alsbald würde es ohnehin wieder regnen,
doch ein Odysseus verstünde es in solch einer Stunde
das Floss für seine Rückkehr nach Ithaka vorzubereiten,
um auf der Spur der Treue konstant zu wandeln.
Bald hielt uns die Insel Serifos nicht mehr zurück.
Als wieder das Schiffe anlegte, und unsere Seelen erneut Kontakt
zur Außenwelt hatten, kehrten wir alsbald nach Berlin zurück,
wo es nur nicht kalt war, denn einmal zu Haus bemerkten wir zu spät
der alte Zustand seelischer Zerwürfnisse hatte uns nicht verlassen.
Ihr Bademantel lag noch auf dem Balkonsessel auf dem sie gesessen war,
um zu lesen, aber sie konnte nur darüber klagen, dass ich sie alleine gelassen hatte,
oder war es ihre Art mit Schmerzen unterirdische Löcher zu graben in die zu stürzen
keiner von uns wollte und doch eine Lösung nach dem anderen vorbeiglitt,
und das bei all dieser Kaltherzigkeit einer Welt immer nur suchend das Geld!
Als das Schiff den Hafen von Serifos verließ,
entstand eine Empfindlichkeit des zarten Regens
für das Versteckspiel im Schilf an windigen Tagen
so als wären wir noch am selben Strand den Seferis
beschreibt wenn einmal von den Touristen befreit,
er an den Wind zurück gegeben wird,
oder wie wir auf dem Zimmer gemeinsam beobachteten
wie langsam eine Fliege auf dem Fensterbrett
ihre Beine und Flügeln säuberte.
Das waren kleine, sinnliche Momente
voller Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft,
und all das begleitet von Deinen Liebesgedichten
so als seien sie zu unserem Selbstverständnis geworden.
Unendlich viel Vertrauen kann ich aus Deinen Worten schöpfen
denn Du hast ihnen Möglichkeiten eingeräumt,
ein schweigender Fluss als Vorzeichen des Lebens zu sein,
um damit die Angst der Menschen vor der Zukunft zu nehmen
als wären alle kluge Bären beim Fischfangen und meine Augen
nicht bloß eines Zuschauers von was sich vor allem
in ihrem Gesicht bewegte. Zartheit der Gefühle,
gleich einem Geigenbogen oder ein leerer Sessel
beide wartend auf ein weiteres Gedicht Deinerseits.
Bewegt vor allem vom Schmerz einer unnahbaren Liebe
schrie das Verzweifelte in ihr auf, ganz allein, und das
aus Protest des Lebenden gegen die Gewalt des Todes
und gegen die Macht des Verdrängens und des Vergessens,
bis sie den emotionalen Ausgleich zum nicht gelebten Leben fand.
Wenn Sonne auf die Lippen niederbrennt
und einsames Wasser vom Wind aufgescheucht wird
oder Kinderstimmen das Rudern mit den Händen
entgegen den Wünschen der Eltern begleiten
in Richtung der noch reglosen Wetterzeichen
die das ruhende Wasser vor dem Aufkommen
des Windes auszeichnen, gleich einer Schlange
blinzelnd nur mit den Augen, wartend, wartend
auf das Zeichen des Lebens und somit ausholend
zum Biss wie die Mutter die ihr Gefühle verschluckt
und nur noch wütend den Kindern zuruft: kommt nach Hause!
Und wenn ich was vom Leben sehen will, wie entscheide ich mich?
Ich wollte über den Tod hinausgehen und er wich mir nicht aus.
Pathologie eines Blickes auf Spuren des neuzeitlichen Denkens,
verblieben in der nekrophilen Einsamkeit oder im Alltag als Luftschloss?
Ein Mensch wandert ziellos umher und weint am späten Nachmittag
bis Wahnsinniges hervortritt: Käfer, Waldtiere mit geschlossenen Augen,
Männer ohne Rumpf und allesamt von H.Bosch als Wahnsinn dargestellt.
Doch dann vernehme ich abermals Deine gütige Stimme und lesend Deine Gedichte,
verstehe ich jetzt ihre ungeduldigen Zeichen als vor-zeitliche Dämpfer
für ein allzu schnelles Vorgehen, weil ansonsten das Verständnis der Liebe
verloren gehen kann, und solche Reden sich einschleichen die zwar versuchen
aus zurückgebliebene Reste einen Teppich zu flicken, aber keinesfalls
taube Menschen zum Sprechen bewegen können, denn bloß in naher Entfernung
zur Liebe wird das Gedicht zur feinen Stimme. Ein Gesang der erlebten Zeit.
Deine Sprache wird getragen vom Schweigen
der Menschen die Dir vertrauten
weil Du Dein Wort hieltst, nun aber
bist Du in ihren Armen versunken,
so entsteht Körper nah im Traum
vom Regenbogen dieses Zeitalters
auffordern frei von der Gewalt zu sein!
So höre, alle lassen den selben Ruf ertönen:
komm großer Bruder, komm Leben!
Hatto Fischer
Berlin 1983 (zweite Fassung: 12.6.2016)
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