Wem wundert es: Paul Celan als Wegweiser
Wem wundert es, wenn viele vom Weg abhanden gekommen sind, obwohl Paul Celan und seine Gedichte durchaus ein Wegweiser fuer die Nachkriegszeit ab 1945 sein koennte.
Fast mutet es als ueberhelbliche Kritik an zu meinen, so viel ist in dieser Welt zu sehen und doch allzu wenig wird gesehen. Das beginnt mit der Behauptung vieler im Rueckblick auf die Nazizeit und insbesondere der Juden-Verfolgung, sie haetten das Verschwinden von Juden aus ihrem Dorf, Nachbarschaft oder Stadt nicht gesehen. War die Anonymitaet in der Provinz wirklich so gross, oder hielten sie sich an die Regel besser nicht hinsehen wenn erneut der Lastwagen vorfaehrt und Soldaten runter springen, um bald darauf mit einer Anzahl von Juden, ob nun Kinder, Frauen oder aelteren Maennern zurueckzukehren. Sie wurden aufgefordert den Lastwagen zu erklimmen. Dann fuhren sie ab und hinterliessen ausser den Abgasen des Dieselmotors eine seltsame Stille.
Paul Celan waere nicht der Dichter die er war, wenn er nicht in diese Stille hinein gekratzt haette. In vielen Gedichten ist dieses Kratzen hoerbar. Es mag ausserdem eine, oder eher seine Stimme sein, die aus dem Inneren heraus ruft, doch vergeblich. Sie wird kaum oder sogar ueberhaupt nicht gehoert. Ist es bloss das Kratzen das diese innere Stimme uebertoent?
Hierin besteht die grosse Frage von 'Sprachgitter'. Paul Celan behauptet er wuerde von keinem verstanden. Doch wenn jemand sich nicht verstanden fuehlt, kann er jemals das persoenliche Ich eine poetische Stimme geben, um in der Sprache anzukommen bzw. in ihr Zuhause sein? Das ruehrt an die seltsame Formulierung Heideggers der vom Wohnen in der Sprache spricht, und darum 'Zuhause in der Welt sein' auf etwas Unmittelbares reduziert. Gewiss, eine Differenz zwischen Celan und Heidegger besteht wenn dieses Zuhause in der Todesfuge naeher beschrieben wird.
Todesfuge
In seiner "Todesfuge" spricht Paul Celan direkt 'Deutschland'. Er macht deutlich mehr als nur Zweifel, wenn er fragend feststellt, was ist das ein Land wenn die einzigste Alternative ist "ein Grab in den Lueften (zu) schaufeln...(denn) da liegt man nicht eng"? Anspielend aufs 'Zuhause sein', bringt er folgendes zur Sprache:
"Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der
schreibt
er schreibt es wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes
Haar Margarete
er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne
er pfeift seine Rueden herbei
er pfeift seine Juden hervor laesst schaufeln ein Grab in der
Erde
er befiehlt und spielt auf nun zum Tanz."
Grauenvolle Erinnerungen, verstaerkt durch eine emphatische Phantasie, lassen erkennen worum es Paul Celan geht. Adorno meint, dem Dichter geht es um ein besonderes Erkenntnis. Denn wenn jemand derartig direkt in seinen Gedichten regelrecht argumentiert, der weiss das Gedicht, die Lyrik, kann nicht ueber diesen toten Punkt, Schmerzen einmal still gelegt, einfach hinausgehen, zugleich in diesem Land zuhause sein. Das Land umfasst mehr als die Sprache, und ist zugleich mit ihr verwoben. Paul Celan deutet das an wenn "es nach Deutschland dunkelt."
Das Gedicht verstummt nicht, kann aber auch nicht vielmehr sagen, als was die innere Stimme vermag. Dies wird im Gedicht deutlich wenn statt sich zu entfalten, es von Wiederholungen bestimmt wird. Zugleich gesellen sich dazu kleine Nuanzen:
"Er ruft spielt suesser den Tod der Tod ist ein Meister aus
Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch
in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng."
Das ist nicht laenger nur Anspielungen auf die Gaskammer und der Ermordung der Juden. Das Gedicht wird sehr direkt, und zwar im objektiven Sinne eines Adornos, indem eine Art Verurteilung ausgesprochen wird. Auf Englisch hiesse das 'condemnation'.
Im Gedicht "die Todesfuge" spielt die Verwerfung eine Rolle. Sinn gemaess ist dies ein politischer Akt besonderer Art, denn eine blosse Anklage reicht nicht dazu aus. Allein der Tatbestand selber laesst keine andere Wahl als die Verurteilung. Fast wuerde Paul Celan sagen die Tat zieht automatisch Konsequenzen nach sich, aber er hebt auf das Verschwinden der Juden, insofern sie als Rauch in den Wolken begraben sind. Nicht destoweniger koennen sich diese Wolken verfluechtigen, so bleibt die Frage nach der Evidenz? Wiederum Paul Celan will nicht juristisch vorgehen, eher untermalt er die Fugue vom Tod mit Wiederholungen.
Die Philosophen Bloch und Adorno gebrauchen den Terminus 'Fuge', wenn sie auf Bach verweisen und meinen in seiner Fuge wird die menschliche Stimme fast hoerbar. Sie kommt hoch doch kurz vorm Erreichen der Oberflaeche wendet sie sich wieder ab und verschwindet alsbald. Insofern Menschen allgemein maskiert reden, insbesondere jene die die Sklavensprache laut Bloch benutzen, wird deren menschliche Stimme nicht hoerbar sein.
Welch ein Bewandtnis Sprache als Maske das mit Paul Celans Sprachgitter hat, waere zu fragen. Er beginnt unter diesem Titel im ersten Gedicht mit Stimmen. Sie sind "ins Gruen / der Wasserflaeche geritzt". Hier ist mehr als Spiegelung gemeint. Das Ritzen oder vielmehr Kratzen entspricht einer Verwandlung der Stimmen in ein anderes, eigenmaechtiges Element, so als sei die Wasserflaeche erstarrt oder vielmehr das im Winter vorhandene Eis. Ein Ritzen in eine Wasseroberflaeche waehrend den Sommermonaten kaeme aber eher naeher dem Jungen der einen Stock durchs Wasser saussen laesst, sodann Ritzen verursacht, die sich staendig auftun, aber ebenso schnell sich schliessen. Wiederum gilt hier die Andeutung dem rapiden Verschwinden der Ritzen. Es macht sich dadurch eine Vergeblichkeit bemerkbar. Nur fluechtige Momente sind vom Auge her gesehen festhaltbar. Paul Celan ergaenzt konsequenter Weise die erste Strophe mit einer fast empirisch anmutenden Beobachtung: "wenn der Eisvogel taucht, / sirrt die Sekunde."
Hatto Fischer
Berlin 2.8.2016
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