Hölderlin: Empedokles als tragische Heldenfigur
Bislang wurde Hoelderlins Empedokles nur als eine philosophische Figur gesehen, eine die sich von der Rolle des großen Herren befreien will, und zugleich es um so schwieriger findet den eigenen Sklaven loszuwerden als sich von allen Regierungsaufgaben zu trennen. Sein Spruch an die Polis, ihr könnt Euch besser ohne mich regieren, kann demnach als Versuch einer doppelten Befreiung verstanden werden. Dabei steht im Vordergrund, wie hat Hoelderlin das verstanden und beurteilt? Er unterstuetzte die Franzoesischen Revolution, zugleich hatte er ein enormes Einfuehlungsvermoegen, was das griechische Altertum betrifft, aber wie die politischen Verhaeltnisse seiner Zeit in Deutschland ueberwinden, wenn es keinen erkennbaren Ansatz fuer solch eine Befreiung gab? Folglich duerfte Hoelderlins Empedokles ebenso eine tragische Heldenfigur sein, und darum Inbegriff eines ingesamten Scheiterns an der politischen Realitaet im Lande.
In seiner Identifikation mit Empedokles versuchte er das Dilemma, ein grosser Herr zu sein und doch nicht sein zu wollen, mittels poetischer Reflexion zu loesen. Das gelingt nur bedingt. Interessant ist anhand seinen dichterischen Bemuehungen zu sehen, dass er sich zwar der theatralischen Dramatik naeherte, um die Infragestellung des Herrn quasi zuzuspitzen (Garzie Lorca nannte das Theater einen geeigneteren Ort als die Poesie selber, um soziale Normen in Frage zu stellen, weil alle im Zuschauerraum zusammen lachen und weinen koennten), aber dem Poestischen verschrieben blieb. Darum gleichen seine Versuche fast einem festgefahrenen Karren. Das Scheitern an der theatralischen Form mag bereits eine Erklaerung dafuer sein, dass Hoelderlin niemals sein episches Gedicht ueber Empedokles beendete. Es blieb bei drei unvollendeten Fragmenten.
Hinzu mag noch ein persoenlicher Grund hinzu kommen. Vermutlich fuehlte Hoelderlin sich ebenso missverstanden oder nicht verstanden, als auch politische bedroht. Folglich waehlte er fuer seine Dichtung eine Sprache, die im Grunde genommen nicht im "hier und jetzt" existierte, also weit von der gaengigen Umgangssprache entfernt war. Folglich setzte er sich einer Nicht-Achtung als auch einem intentierten Missverstehen aus.
Oft wird er nach seiner fluchtartigen Abkehr von Jena, und besonders nach seiner Rueckkehr aus Paris, als wirr eingestuft. Begriffe wie "Umtrieben", "geistig verwirrt" usw. sind nicht adequat genug, um genauer zu beschreiben, was mit ihm geschah. Definitiv ist als Grundkonsensus Hoelderlin hatte nicht nur immer wieder Schwierigkeiten eine Arbeit in der damaligen Zeit zu finden, denn schliesslich hatte er alle Voraussetzung dafuer Leben zu geniessen und fruchtbar zu arbeiten, als er in Jena war und teilweise die Freundschaft mit Schiller, aber vor allem mit Sinclair genoss.
Der ploetzliche Abbruch, also das abrupte Weggehen von Jena, sollte sich oftmals wiederholen, wenn der Ort wo er sich gerade aufhielt, zu eng fuer ihn wurde. Umtrieben oder vielmehr fuehlte er sich vermutlich von etwas angetrieben, bis er nicht anders konnte, als sich in der zweiten Haelfte seines Lebens zurueckzuziehen. Doch keiner beschreibt ihn als nur wirrer Kopf als er seine Zeit im Tuebinger Stift verbrachte. Er genoss es Besucher zu empfangen, und war darum um etliches mehr aktiver als Nietzsche der seine letzten zehn Jahre von seiner Schwester als lebende Pupper ins Schaufenster des von ihr gegruendeten Nietzsche Museum gesetzt wurde, und nur noch auf sein Leben zurueckschaute ohne selber weiter zu leben. Hoelderlin schrieb im Tuebinger Stift weiter.
Ein Grund fuer seine Verzweifelung mag auch die mangelnde Anerkennung fuer sein poetisches Bemuehen sein. In Jene hatte er die Gelegenheit Schiller kennen zu lernen, aber anscheinend floh er diese fuer ihn uebermaechtige Person. Schiller dagegen war daraufhin sauer auf ihn und antwortete nicht seine Briefe fuer anderthalb Jahre. Als er eine poetische Zeitschrift in Stuttgart nach seiner Rueckkehr aus Paris gruenden wollte, kam es zu einem Schlussstrich. Goethe als auch Schiller verweigerten ihm die Unterstuetzung die er gebraucht haette, um so etwas zu wagen. Von Hegels Verneinung der Poesie muss er zutiefst getroffen gewesen sein, schliesslich teilten die beiden, gemeinsam mit Schelling, ihre Studienzeit im Tuebinger Stift.
Hoelderlin sah, dass die Befreiung vom Herrn und dem Sklavendasein oftmals als revolutionaerer Versuch einer Aufhebung des Staates missverstanden, und demnach als fehlende politische Verantwortung gegenueber der herrschenden Ordnung entsprechend falsch vermittelt wird. Selten mangelte es so sehr an politischer Weisheit wie zu seiner Zeit. Der Freiheitsbegriff wird nicht als wichtige Befreiung des anderen von einer einseitigen Abhaengigkeit zu einem selbst, gesehen und verstanden, sondern hoechstens das Politische in eine aesthetische Erziehung umfunktioniert. Die Absicht war nicht die von Kant ins Leben gerufene Vernunft als Grundsatz der Aufklaerung voellig losgeloest von der Theologie, also der Religion und einem absoluten Gott gelten zu lassen. Folglich lief jeder Befreiungsversuch vom "Mechanismus des Staates" (Hoelderlin) auf ein schmerzhaftes Scheitern hinaus. Es kumuliert in der philosophischen Begruendung der Notwendigkeit eines "Fuehrers", wie Heidegger das tat.
Aus diesem Grunde befreien sich nur selten die Menschen von einem oftmals subtilen Mechanismus, der sie in falsche Abhaengigkeit draengt, und nur inadequat mit dem Begriff 'Sklavendasein' beschreibbar ist. Der Twist der Logik von Herr-Knecht wurde sehr genau von Hegel erkannt. Er hat es an sich, den anderen nicht anzuerkennen, sondern von ihm noch mehr Information abverlangen zu koennen, um so ihn besser zu kontrollieren und zu bestimmen. Dieser Mechanismus beschraenkt sich nicht auf das Arbeitgeber/Arbeitnehmer Verhaeltnis, sondern uebertraegt sich auf die gesamte Gesellschaft. Keiner wird anerkannt falls ohne Arbeit, geschweige wenn er oder sie nicht mit dem System konform gehen. Hegel ging so gar so weit jemand ohne Eigentum habe keine Identitaet, und muesse darum arbeiten. Wer nicht das taete, wuerde nicht zur Vermehrung des Reichtumes des Staates beitragen, und darum bestrafbar. Solch ein Zwang bringt die Menschen genau dazu die selben Abhaengigkeits-machende Mechanism zu reproduzieren, die sie selber unfrei lassen.
All das macht sich auf unmittelbarer Ebene bemerkbar, da nicht alles angesprochen, geschweige ausgesprochen wird. Interessant ist hier das Wort "Versprechen", weil es beides enthaelt: eine auf die Zukunft gerichtete Selbstverpflichtigung etwas zu tun oder zu realisieren, um so etwas einzuhalten, was versprochen wird. Zugleich bemerkte Freud ein Versprecher deutet auf innere Konflikte, so dann wird durchs Falsches etwas Wahres erkennbar. Selten wird darauf geachtet, wenn Politiker sich versprechen, doch darauf wird kaum geachtet, und zwar in der Annahme, Politiker sagen nicht die Wahrheit.
Rueckblickend auf Hoelderlin, seine Auffassung von Empedokles wird durch ein episches Gedicht vermittelt. Es handelt sich um die Darstellung eines fast unglaublichen und unfassbaren Ringen des Menschen nicht mit dem Schicksal so sehr, als mit dem Inbegriff von Freiheit. Wie soll es weiter gehen, das Leben noch selber gestaltbar sein, wenn keiner dem anderen etwas zutraut? Vor allem gilt das dem Versuch sich von all den falschen Abhaengigkeits-machenden Gesellschaftsmustern zu befreien. Hier draengt sich das Wort "Vergeblichkeit" auf. Anders als Resignation die aus der Enttaeuschung heraus noch intensiver wird, hat Vergeblichkeit mit Einsicht und Mutlosigkeit zu tun. Es beinhaltet also ein Aufgaben als Result einer Einsicht oder vielmehr eines praktischen Urteils. Hier sei zu erinnern, der im 19.Jahrhundert geltende gemachte Vernunft-Begriff beinhaltet ebenso eine besondere Form der Resignation. Besonders die revolutionaere Jugend soll ihren utopischen Traum einer befreiten Gesellschaft aufgeben, und sich anpassen. Diese strenge protestantische Ethik bekamen Hoelderlin, Schelling und Hegel am Tuebinger Stift yu spueren, lehnten sich dagegen auf, aber gingen dann verschiedene Wege
Insofern Hoelderlin niemals seine drei Fragmente zu Ende brachte, und nach einem Aufenthalt in einer Art Psychiatrie im Tuebingen Turm bis zu einem Lebensende verblieb, waere es gewiss ratsam zu erfahren und zu wissen was ihn zum Aufgeben bewegt haben mag. Manche meinen er wollte die Form des Antikentheaters erfuellen, schaffte es aber nicht weder als Imitation noch als Umsetzung in eine ihm adequat erscheinende neue dichterische Sprache. Das mag also die bereits angesprochene Abwendung vom Theatralischen und Hinwendung zum Dichterischen bei Hoelderlin bestaetigen.
Woran mag es liegen? Vermutlich schaffte er es nicht weil er sich an einem schier unueberbrueckbaren Gegensatz zwischen Philosophie und Politik wund stiess. Philosophie und Politik sind halt zwei verschiedene Aufgabengebiete, und es genügt nicht zu meinen entweder Philosophen gehoeren nicht an die politische Macht, weil sie so Welt-fremd daher kommen und darum sich kaum als taugliche Wesen im praktischen Sinne erweisen, oder sie sind laut Platon wirklich Koenige die zu reagieren haben weil sie alles wissen oder zumindest fuer alles eine Erklaerung zu haben scheinen. Hoelderlin mochte nicht diesen Gegensatz, fand aber keine Loesung fuer dieses Dilemma zwischen einem freien Leben in der Gesellschaft und einer von einer bestimmten Herrschaft bestimmten Lebensform, die die einen zum arbeiten zwingen, waehrend die anderen nicht diesem Zwang zur Reproduktion Dank ihrer Besitzverhaeltnisse ausgesetzt sind. Das dies bis in die Gegenwart noch Geltung hat, bestaetigte Heinrich Boell der meinte Deutschland sei niemals eine freiheitliche buergerlicher Gesellschaft geworden, denn es herrschen immer noch feudale Verhaeltnisse vor.
Seit der Antike gehen die Meinungen über den Einfluss der Philosophie auf die Politik sehr weit auseinander. Bei Kant nahm im 'Streit der Fakultäten' die Philosophie noch die Rolle des Ratgebers ein. Schliesslich sollen nur solche Gesetze verabschiedet werden, die gut fuers Geschäftemachen sind. Hegel hatte dagegen einen viel weiter reichenden Einfluss als seine systematische Logik die nationale Staatsgruendung praktisch von Deutschland in 1871 vorweg nahm, aber im Zuge dessen den preussischen Staat affirmierte, obwohl ein Polizeistaat. Hegel uebersah das geflissentlich als er erfuhr Staatsbeamte muessten ihre Dissertationen in alt Griechisch verfassen. Er zog daraus den Schluss, es muesse sich darum um einen aufgeklaerten, liberalen Staat handeln.
Wie Hoelderlin der Politik seiner Zeit gegenueber stand, dazu gibt es einige Belege aber auch reichliche Vermutungen und Interpretationen. Angesichts des Schicksals seines Foerderers Sinclair, dem wegen falscher Anklage dem Hochverratsprozess gemacht wurde, herrschte damals bereits eine 'politische Korrektheit' dessen Pruefstein der Standpunkt gegenueber der Franzoesischen Revolution war. Eine Variante davon war wer immer einen Umsturz der Herrschaft anstrebte, dem wurde schlichtweg das Wasser abgegraben.
Jeder der es wagte die Revolution zu befuerworten, wurde entweder verhaftet oder ins Abseits gedraengt. Goethe, Schiller waren vorsichtig genug sich nicht offen zur Revolution zu bekennen, dagegen sprach Hegel eine deutliche Verneinung aus, in der Meinung, die Revolution habe gezeigt wie widerspruechlich die Massen seien, weil sie zuerst Institutionen des Staates aufbauen, aber dann sie wieder nieder reissen wuerden. Hegel erwaehnte dabei nicht, dass es bei der Stuermung der Bastille handelte um etwas sehr leicht nachvoll ziehbares handelte. Die Bastille war zum Alptraum und Symbol einer willkuerlichen Justiz zugunsten der herrschaften Schicht fuers Volk geworden. Einem Bettler wurde der Arm abgeschlagen falls er beim Apfelstehlen erwischt wurde, dagegen ein Aristocrat der erst ein Maedchen schwangerte und sie dann ermorden liess, um seine Tat zu verwischen, ging frei aus. Willkuer koennen Menschen auf Dauer nicht ertragen.
Aber Machievelli hatte schon laengst diesen schoenen Traum der Philosophie zerstoert. Stattdessen wurde Politik zum Schreckensgespenst das sich bewusst der Lüge bediente, um Macht über die Menschen aufrecht zu erhalten. Nichts ist leichter als sich dem Vorwand zu bedienen, keiner wuerde die Wahrheit sagen, also muss keiner wirklich ehrlich sein. Manipulation und Intrigen seien darum ein Teil der politischen Praxis.
Dies also als erste Übersicht zum Themenkomplex ‚Philosophie und Politik‘, wobei all das dem Dichter Hölderlin noch lange nicht gerecht wird. Allerdings gibt es dazu Schriften wie er Fichte beeinflusste oder was für Folgen seine Freundschaft mit Hegel auf diesen Philosophen hatte. Als Befuerworter der Protestantischen Ethik waren die beiden am Tübinger Stift davon ausgegangen, es gibt so etwas wie einen Traum der noch Philosophie und Poesie verbinden kann. Doch in Wirklichkeit war dieser Traum alsbald geplatzt oder vielmehr ausgeträumt noch ehe es zu einer aufrichtigen Diskussion kommen konnte. Wie so oft, manche Dinge schaffen es nicht durch einen kalten Winter zu kommen.
Andere Gründe gibt es selbstverständlich. Hier ist die Sichtweise von Hölderlin zur Empedokles Figur entscheidend. Warum er sich ihm ausgerechnet widmete, ist nicht von vorn herein klar.
Beim Überarbeiten des Teiles genannt 'Traum vom Süden' neu zu dichten, handelt es sich darum um einen Art Schlüssel im Versuch etwas zu verstehen: das Gedicht 'Empedokles' von Hölderlin. Es ist ein seltsames, in drei Strophen gegliedertes Stück, wobei er am Ende zu einer Art Selbsterklärung kommt nicht Empedokles, sondern er selber sei der wirkliche Held. Das Gedicht entspringt einer Sehnsucht, es dem Helden im Süden gleich zu machen, doch in der Dichtung realisiert er, allzu viel Zeit verschwendet zu haben, um dann doch nicht einen ähnlichen Sprung in den Vulkan, dem 'gährenden Kelch', zu wagen. Etwas hielt Hoelderlin zurueck, am Leben und zwar die Liebe, die ihm zu erkennen gibt, er sei der wirkliche Held.
Hölderlin: Empedokles
Das Leben suchst du, suchst, und es quillt und glänzt
Ein göttlich Feuer tief aus der Erde dir,
Und du in schauderndem Verlangen
Wirfst dich hinab, in des Aetna Flammen.
So schmelzt' im Weine Perlen der Übermuth
Der Königin; und mochte sie doch! hättst du
Nur deinen Reichtum nicht, o Dichter
Hin in den gährenden Kelch geopfert!
Doch heilig bist du mir, wie der Erde Macht,
Die dich hinwegnahm, kühner Getödteter!
Und folgen möcht' ich in die Tiefe,
Hielte die Liebe mich nicht, dem Helden.
Hatto Fischer Athen 26.5.2016
Referenzen:
Klaus Dautel, "Ein Rad welches schnell läuft!"- Friedrich Hölderlin im Jahre 1795 http://www.zum.de/Faecher/D/BW/gym/hoelder/holder95.htm
Thomas Assheuer, "Die Gefährten" -Wovon die Denker bis heute zehren: In Tübingen kämpften Hegel, Schelling und Hölderlin gegen die Orthodoxie und erneuerten das Weltbild, 18. Dezember 2007, 3:34 Uhr Editiert am 27. Dezember 2007, 11:50 Uhr Quelle: DIE ZEIT, 19.12.2007 Nr. 52 http://www.zeit.de/2007/52/OdE9-Geist
Jürgen Kaube "Hölderlin-Symposion in München Seher ist kein geschützter Beruf: Dieter Henrich zum 85. Geburtstag: Eine Münchner Tagung über Hölderlin betrachtete den Dichter auch außerhalb des literarischen Kontextes. 18.01.2012 http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/geisteswissenschaften/hoelderlin-symposion-in-muenchen-seher-ist-kein-geschuetzter-beruf-11610750.html
Bersarin, Friedrich Hölderlin und das Werden im Vergehen in: Kunst, Spektakel und Revolution http://spektakel.blogsport.de/2012/01/20/friedrich-hoelderlin
Wieder entdeckt:
Friedrich Hölderlin Berliner Literaturwerkstatt 8.Dezember 2011
In Lesung und Gespräch: Gerhard Falkner (Autor, Weigendorf), Valérie Lawitschka (Literaturwissenschaftlerin und Geschäftsführerin der Hölderlin-Gesellschaft, Tübingen) Moderation: Norbert Hummelt (Autor, Berlin)
Christof Schalhorn, "Gedankenform und Gattungstheorie in Hoelderlins 'Grund zum Empedokles' (einschliesslich seines Vergleichs mit den Dramenfassungen", 1994, Muenchen, bei Hardmut Reinhardt, LMU Muenchen, Neue Deutsche Literatur
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