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Blochs Auffassung des Surrealismus

 

Teil I: Erlerntes Gruseln

Ernst Bloch, in 'Erbschaft dieser Zeit' (F.a.M., 1985) spricht vom 'erlernten Gruseln'. Der Grund dazu dürfte ein einfacher Kontrast zwischen Theater- und Café Welt sein. Dazu gehört, wie sich alsbald herausstellen wird, ebenso die Welt von Berlin. Bloch erklärt das wie folgt:

„Je zufälliger und undurchschaubarer ein Leben, desto mehr scheint es mit einer Decke zugeschlagen, deren Zipfel privat zu haben ist. Das geschieht leidend und nur mit schrägem Blick ins unabwendbar Kommende. So wie Schüler heimlich, während der Pause, aus dem Notizbuch des Lehrers in der Manteltasche ihr Fortkommen erfahren.“ (S. 190)

Problematisch in diesem Zusammenhang ist der Okkult der betrieben wird, und zwar gleichermaßen damals von sowohl dem Faschismus als auch dem liberal eingestellten Bürgertum. Das heißt alles läuft auf eine Analyse der Geschmacksrichtung hinaus, doch so unschuldig und einfach ist das Ganze überhaupt nicht. Nichts sei gegen den Zufall zu sagen, während das Leben zu durchschauen erinnert vage an Kants Diktum, „ich denke, ich kann überall meine Vorstellungen hin begleiten“, um dann ein Scheitern an strukturellen Widersprüchen, die das Trennen von Ich und Denken erzwingen, zu erfahren. Doch Bloch meint eher eine soziale Determination die in Polizeiakten, aber auch Lehrerberichten enthalten ist, die Zukunft vorwegnehmen und noch mehr einengen.

So thematisiert Ernst Bloch die Rettung Wagners durch surrealistische Kolportage (s. 372), beschreibt den Surrealismus als einen Denkenden (S. 367) und diskutiert u.a. mit Lukacs den Expressionismus (s. 264), die Montage (s. 221) und letztendlich den Übergang in Berlin der einem Funktionieren im Hohlraum gleichkommt (s. 212). All diese Elemente und weitere sind für Ernst Bloch wichtig fürs Beschreiben der aufkommenden Sachlichkeit mit 'Neuem Schwung'. Es wird weniger von Rhythmen als eher von Wechselbädern wenn gehend von einem Bezirk in den nächsten in Berlin gesprochen.

„Das ebenso abstrakte wie variable Berlin ist diesen Formen, zwischen Proletariat und Bourgeoisie, der immerhin fortgeschrittenste, der lehrreichste Ort. Lehrreich in der Zerstreuung und Lockerung nicht nur, auch in den Vexierbildern geformter Lockerung oder des Experiments, dem ein s p e z i f i s c h 'Irrationales' nicht fehlt.“

Solch eine Diagnose der Zeit in der gelebt, gehandelt und gearbeitet wird, wird ergänzt durch Bezugnahme auf 'Romane der Wunderlichkeit' und aufs Montierte Theater. In diesem Zusammenhang sind die Surrealisten aktiv beteiligt an „einer Art Kristallbildung am gekommenen Chaos, die die kommende Ordnung bizarr versucht zu spiegeln.“ (s. 227).

Damit deutet sich an, dass die Verbindung zwischen Weltbild und Programm für Bloch der Einstieg ins Bürgertum bedeutet. Daraus ergibt sich seine Deutung der Montage:

„Montage im Spätbürgertum ist der Hohlraum seiner Welt, erfüllt mit Funken und Überschneidungen einer 'Erscheinungsgeschichte', die nicht die rechte ist, doch gegeben falls ein Mischort der Rechten. Eine Form auch, sich der alten Kultur zu vergewissern: erblickt aus Fahrt und Betroffenheit, nicht mehr aus Bildung.“ (s. 228)

Zwecks Vermeidung einer falschen Verallgemeinerung, so als gäbe es überhaupt keine Bildung im Sinne von Kunstunterricht, Lehre der Materie, Kunstgeschichte, wird es wichtig sein eine weitere Thematisierung vom Gemeinten vorzunehmen. Zu den zukünftigen Aufgaben gehören:

Alles im Allem kommt das nahe einer gewissen Aussichtslosigkeit, aber auch spürbare Unruhe. Ob das mit einem bestimmten Hunger, der mit einfachen Essen, nicht zu stillen ist, zu tun hat, dazu äußert sich Ernst Bloch nicht.

Passend in diesem Zusammenhang, ist die Feststellung, dass die Realität das ausspricht, was schweigt. Ob das bedeutet, nichts kann auf die Dauer verdrängt werden, sei einmal dahin gestellt. Schließlich haben die Nachkriegsgenerationen seit 1945 auf unterschiedliche Weisen ihre leidvollen Erfahrungen damit machen müssen. Das Schweigen erfährt ferner durch Michel Foucault eine weitere Deutung in 'Wahnsinn und Gesellschaft'. Was aber auffällt, ist die fast schon ewige Suche nach Erleichterung vom Ballast der Geschichte. So wird aufs Lachen als Vorschöpfung der Sprache eher geachtet, als hingearbeitet. Praktisch geht es um die Befreiung von einer Befehlssprache die alle zum Verstummen brachte (siehe Peter Weiss, Ästhetik des Widerstands), ohne jedoch da landen zu wollen, wo Virgil in der Beschreibung von Hermann Broch im 'Tod von Virgil' am Ende nicht dem Lachen, sondern der Lächerlichkeit preis gegeben wird. Das kommt gleich dem Gefühl von den anderen ausgelacht zu werden. Wird diese Ebene mal erreicht, versinkt die Kunst in ihrer eigenen Zwecklosigkeit und muss bis Duchamp warten, bis die Frage, was ist Kunst, erneut gestellt wird.

Eine Geschichte ist unerklärlich, wenn die der Gegenwart erteilten Schläge auf das Lebendige zurückschlagen! Das Problem der Gefühle ist die der Artikulation. In der Kunst handelt es sich dabei um ein vor-zeigen, darum Blochs Verweis auf das „jäh vermittelte“. Es tut sich kund als Körper, Feminität, und als Suche nach Auswegen aus der Philanthropie, weil eine falsch verstandene Menschenliebe (siehe hier Max Beckmann und seine Idee der 'transzendenten Sachlichkeit' in 1918), wenngleich der Eingang zur eigens belebten Geschichte in der Esoterik landet. Hier handelt es sich um ein Rätsel was das Grundgefühl für eine bestimmte Sache betrifft. Eben wegen dem vorherrschenden Schweigen, bricht es plötzlich grob und fahrlässig hervor und beteiligt sich an der gesellschaftlichen Ausgrenzung derjenigen, die die Eitelkeit (der Einheimischen) unachtsam verletzten.

Wenn es schwierig ist eine Balance in menschlichen Angelegenheiten beizubehalten, dann ist die Diskussion um die Symmetrie-Frage ebenso verfrüht, wie die Feststellung die Kunst in diesem zwanzigsten Jahrhundert habe alles durchlebt. Schließlich handelt es sich um den Menschen der ein- und ausatmet. Die kritische Frage für jeden Kunstbetrachter ist definitiv, ob es möglich ist, dass ein ganzes Jahrhundert so ohne weiteres durcharbeitbar ist, neue Formen zu bislang vorhandenen Ausdrucksweisen hinzu bekommen und die Assoziationsweise frei bleibt vom regressiven Rückblick auf die Vergangenheit?

Die Art der Assoziation ist für Bloch entscheidend. Sie läuft nicht nur seit Freud oftmals quer gegen den Strich, so dann kann die Blockade durch eine Barrikade ausgewechselt werden, aber Delacroix blieb unsicher, ob das 'Experiment mundi' gelingen würde, wenn die reaktionäre Seite stärker ist als die, die eine authentische Revolution wollen. Fast selbstverständlich ist darum die Zerstörung der Authentizität durch die Reduktion der Politik auf bloß Geschäfte.

Nicht desto weniger stellt sich der kritische Blick von selbst ein; da gibt es aber die Hoffnungslosigkeit, das Gefühl im Alltag zu versanden und deshalb unfrei zu sein gegenüber anderen Sprachen, Denk- und Lebensweisen. Vor allem, die Klugheit, die Bloch als immanentes Resultat aus einem wohl bemerkt 'begründeten Scheitern' ansah, sie ist in der Gegenwart ebenfalls Teil eines vorsichtiger Umgangs mit 'Unsicherheiten', und die, wie könnte es anders sein, ist die einfache Frage, soll die 'Geschlechterspannung' konkret werden oder ist die Frage eine, die weit über die Verfassung hinaus die Menschen an ihre Möglichkeiten erinnert: da ist halt der Gedankenstrang zum Konzept der 'Wiedererinnerung'. Bloch schreibt:

„Vor uns steht das kulturelle Erbproblem; wodurch aber ist es ein frisches Problem geworden, ein durchaus kühnes? Nur dadurch, dass die expressionistische Epoche den Schlendrian, die hergebrachte Assoziationen aus der Vergangenheit so gründlich zerrissen hat. Die Menschen mit >unserer Väter Werke< im vorigen Jahrhundert waren keine Erben, sondern Epigonen; auf ihnen lastete Goethes Wort: >Weh dir, dass Du ein Enkel bist<. Die Jugend aber, die sich in unserem Jahrhundert erneuert, immer wieder erneuert, hat die große Vergangenheit nicht als Fluch, sondern als Zeugnis. Denn sie hat selber erfahren, was Ausdruck in seiner Echtheit und Glut ist, und dass er ein Anderes ist als das erstarrte, das ewig nur kopierbare objet d'art. Auch dieses verpflichtet zum Dank an die >entartete Kunst<; der Epigone freilich findet in der Vergangenheit nur einen 'Formenschatz', der Nazi kann nur den Kitsch, der er selber ist. Die Expressionisten aber haben frisches Wasser und Feuer gegraben, Quellen und wildes Licht, mindestens Willen zum Licht. Nicht dadurch allein doch im Gefolge dieser Erneuerung wurde auch der blick auf die künstlerische Vergangenheit erquickt er leuchtet in neuer, damit jetzthaft aufgesprengter, gleichzeitiger Tiefe.“ (Ernst Bloch, 'Erbschaft dieser Zeit' aus „Der Expressionismus jetzt erblickt“, 1937, s. 263)

Ernst Bloch neigt dazu sich auf den Expressionismus zu berufen, weil es ums menschliche 'Expressio' handelt. Als Vorstufe zum Surrealismus nimmt diese Kunstrichtung eine besondere Bedeutung ein wie bereits deutlich geworden in Schematische Schläge: die Expressionismus-Debatte zwischen Lukacs und Bloch . In 'Erbschaft dieser Zeit' geht Bloch einen Schritt weiter und macht explizit das 'menschlich Subjekt-hafte':

„Das menschlich Subjekt-hafte bildet ja gerade das Positive an der unleugbaren (und bedenklichen) Subjektivität des Expressionismus; ein unabgelenkt Menschliches wurde expressionistisch laut. Als Flucht, Protest und Verwirrung, als neue Form und Schöpfung zugleich ward die Bewegung bei so erlauchten Namen wie Gauguin, van Gogh, Rimbaud bereits angelegt; und unabgegolten, als Strom, der am Unterirdischen am wenigsten versiegt, läuft sie im Surrealismus weiter. Deutlicher aber als der Surrealismus (mit seiner Montage, seinen drohend zitierten Bruchstücken aus dem neunzehnten Jahrhundert, seinem Phosphoreszieren ins Unbekannte) – deutlich war der Expressionismus ums Humane zentriert.“ (s. 261)

Wichtig ist hier der auf Rimbaud genommene Bezug, ein Dichter der nur in seinen jungen Jahren einige Gedichte schrieb und sich dann nach Afrika begab, um dort Geschäften nachzugehen. Er war ein Pendant für Karl Marx als expressive Form der Ergänzung in Ableitung von Vincent Van Gogh. All das reflektiert sich in Max Ernsts 'Die Flucht', während Paul Klee die Idee des Fliegens aufgriff, um nicht nur die Überwindung der Schwerkraft im Flugzeug zu begreifen, sondern auch um Ballast abzuwerfen. Ähnlich geschieht es mit Picassos Bildern die wie eine Seismograph der Zeit sind. All das kann anhand des Metapher 'Strom' festgemacht werden. Freilich ist er im Unbewussten nur ein unterirdischer, er verläuft genauso wenig sichtbar wie das radioaktive Material, welches Ernst Bloch in seiner Technologie-Begeisterung vergaß zu bedenken. Leider hatte Ernst Bloch in sich ebenfalls solche Charakterzüge, dass Stalin als Epigone der Organisationslogik ebenfalls eine Erfüllung des utopisch Gedachten sein kann. Natürlich stand Ernst Bloch sehr positiv zum Expressionismus. Die Art der Verteidigung gegen beide politische Formen der Verneinung – von Seiten der Faschisten wegen des Vorwurfs, eine 'entartete Kunst' zu sein, und seitens der Kommunisten, die die Expressionisten als Vorläufer des Faschismus beschimpften – ergibt eine lebendige Wahrnehmung eine authentische Kontinuität. Wohl bemerkt, Blochs Standpunkt ist ein sehr differenzierter. Es ist alleine erkennbar anhand der Beschreibung des Surrealismus als eine aus der Photokunst entstandene Montage – ihr tieferer Ausdruck ist die der Ambivalenz, ob exakte Nachbildung oder Verwirrung durch illusionäre, sprich Trickaufnahmen den menschlichen Augen eher Möglichkeiten zur Wahrnehmung der Realität zu nehmen als Ergänzung in Erscheinung zu treten. Gegeben diesen Zweifel, bleibt es natürlich dem Kunstbetrachter überlassen ob er sich einer expressionistischen oder vielmehr einer surrealistischen Malweise anschließt.

Unkenntnisse der Kunst, fast ähnlich zu Wirbelwinde, bewirken einen Sog für den Vernunftapparat und die jähe Unmittelbarkeit bricht herein wie die plötzliche Dunkelheit. Bloch verstand es zwar Verbindungen zwischen verschiedenen geschichtlichen Abläufen herzustellen, dennoch gegenwärtig, existiert eine noch größere Kluft zwischen politischer Intention und künstlerischer Artikulation, obwohl Kunstformen die mit der Regierung konform gehen, bestehen damals wie heute. Leitfaden ist der Versuch die Täuschung bestehender Kontrollinstanzen bzw. Kriterien von was Kunst sei, zu perfektionieren. Die Lautmalerei, die zu Beginn des 20.Jahrhunderts bestand, fehlt aber fast vollkommen. Gleichzeitig kann nicht mehr auf primitive Zeichen so ohne weiteres zurück gegriffen werden. Gegeben-falls was Michel Foucault mit seiner Interesse an der Psychiatrie und den Gefängnissen erzielt, ist das Enthüllen der Höhepunkte einer in der Gesellschaft aktiv gewordenen destabilisierenden Interesse. Die Bezugnahme auf Kinder fehlte dabei und außerdem verlief diese Bemühung im Sand. Die anti-Psychiatrie Bewegung scheiterte am institutionellen Zwang auf Grund dessen Regierungskompromisse zustande kommen. Italien ist hierfür ein sehr gutes Beispiel. Es dominiert darum in der Kunst ein allzu starkes, gleichsam pseudohaften Streben nach Wert, gleich Prestige. Der Wert wird nach oben durch die Verwendung suggestiv einwirkender Materialien geschoben. Und noch schlimmer als die Quicklebendigkeit eines künstlerischen Ausdrucks ist die scheinbare Erledigung der Entfremdung und der Ausbeutung mittels Prestige-besetzter Aktivitäten zugunsten von etwas höherem. Zu denken ist hier an die Punk-Kult denn hier verdoppelt sich der kultische Hang Kunst in ein positives Element von Identität zu schaffen, um einen Ersatz für den wirklichen Gegenwartsbezug zu haben. In Adornos Inbegriff von Kunst als Identität mit der Nicht Identität steckt selbstverständlich ein Element der Befreiung vom Reproduktionszwang. Inwieweit die Befreiung aus einem 'positiven' Selbstvergessen' hervorgeht, bleibt offen. Es mag gelingen, vorausgesetzt dieser Ansatz zu einer progressiven Mythologie des Menschlichen zielt nicht nur auf das humane Anliegen ab, sondern es versteht Kunst selbst als Widerstand gegen jegliche metaphysischen Spekulation.

 

Teil II: Denkende Surrealismen

Romane der Wunderlichkeit berichten von der Kategorie 'Wunder' die im Surrealismus eine Transformation erfährt. Andre Breton benennt das als das dämpfende Gefühle und die entschlossene Behauptung wo anders zu sein, da es hinter einer „ständigen Überschneidung des eingestuften Vorher, Nachher, Unten, Oben, und dahinter“ eine Finsternis gibt. Max Ernst reflektiert das in seinem Aufsatz 'Tropfkunst: Sprache des Zufalls'. In Abwandlung vom Bauhaus, handelt es sich dabei um ein montiertes Theater das Ideen mit Puppen und Mechanik verbindet. Gezielt wird auf der Bühne eine Zeitsynthese herzustellen, und nicht durch ein Bild (das kein Residuum ist und dessen Sprache schwer zu verstehen ist.)

Surrealistisch geschieht das wie folgt: der Okkult der Dinge treibt den Maler dazu, eine „Revue“ zu betreiben. Die Dinge kommen nicht mehr zurück, die Wüste spiegelt das wieder und außerdem ist der Fluss nicht mehr gerade, die Formen sind schriller geworden, es hilft nichts. Nachts auf der Straße, alleine, wüstet der Wind, Laub, Staub und Melancholie lässt sich gerade noch durch burlesque artige Nebenstreifen auf der Krawatte der vorbeigehenden Frau erahnen. Umgekehrt sind 'Nadelstiche' ebenfalls kultiviert worden, um 'Minotaurus' auf dem Hemd zu haben. All das ergibt Gesprächsstoff, Verkleidung, Durst, Hast, abgerissene Wurzeln, imaginierte Projektionen und Phantasie-arme Bitten. Alles im allen bleibt es beim Risiko absurdes Theater spielen zu wollen und mit sich selbst geschehen zu lassen, was das Spiel bewirkt, nämlich den Verlust einer Bemühung um Realität und darum ohne Kultur. Besonders nach dieser Erfahrung in Amerika kehrte Giocometti aus dem Exil nach Frankreich, ebenfalls Max Ernst zurück.

Oft wird die Verbindung von Paul Klees 'Angelus Novus' das Walter Benjamin noch auf seiner Flucht bis zum Selbstmord um der Gestapo zu entgehen, bei sich hatte. Nach 1945 setzte ein die Rückkehr vieler, aber nicht alle, ein.

„Eine philosophische Hand wie die Benjamins greift in dies Niedere hinein und in das Nebenbei, das er kenntlich macht, zeigt daraus Dinge her, auf die ein vernünftiger Mann vor zehn Jahren kaum gekommen wäre. Wie in der Dichtung, so im Gedanken taucht Wunderliches auf, betrifft sich.“ (E. Bloch, 'Denkende Surrealismen' aus Erbschaft dieser Zeit, F.a.M. 1985, s. 367)

„Und nicht bloß der Dämmer spukt, der heute oben ist. Auch die Zeit, woher wir kommen, die der Eltern; sie geht gespenstisch auf und nieder. Doch ebenso mittelbar wurde das vorige Jahrhundert merkwürdig; nämlich malerisch, poetisch, philosophisch, als surrealistische Entdeckung. Sie liefert Reizstoffe, man weiß noch nicht, für was; sie befruchtet eine höhnischen Zauber, man weiß noch nicht, wozu. Das geschieht in einer Garde, die aus der Oberschicht ausbrach, die mit der eben vergangenen Zeit ihr Felder drängt. Was damals gefiel, bekommt heute den Ausdruck grauenvoller, doch wichtiger Träume; was damals gefühllose Mischung aller Stile war, wird heute quer montiert. Desto merkwürdiger, als die meisten dieser Benutzer kommunistisch gerichtet sind; der Akt darüber ist keinesfalls geschlossen. Morgen kann mehr darin enthalten sein, als das Wesen heute vorzeigt.“ (s. 367 - 8)

Bloch nennt Benjamins 'Einbahnstraße' die surrealistische Denkweise: „Ihr Ich ist sehr nahe, aber wechselnd, ja, es sind recht viele Iche; ebenso setzt fast jeder Satz nur ein, kocht anders und anderes.“ (s. 368) Das besagt diese Entwicklung ist noch nicht von einer Auflösungstendenz erfasst, aber das Ich ist keine Dualität, sondern ein explosives Traumgemisch, wiedergegeben in Querformat oder als Spiegeleffekt, während eines verabschiedet, kommt ein anderes. All das gleicht dem Rühren im Kochtopf. Der Ausdruck gibt wieder Blochs Vorliebe für einen sinnlichen Materialismus.

Die Schreibweise stammt ihrer Form nach noch aus dem 19.Jahrhundert.

„Die Schrift bedient sich höchst moderner Mittel, mit später Grazie, für oft abseitige oder verschollene Inhalte. Ihre Form ist die einer Straße, eines Nebeneinander von Häuser und Geschäften, worin Einfälle ausliegen.“ (s. 368)

Im Unterschied dazu sind Bilder sind komplexer als Zeichen und gleichzeitig nahe unserem Vermächtnis zu sehen, als Zeugen der Zeit. Die neuen Formen werden erkennbar von der Straße her, auf dem Jahrmarkt, im Zirkus und vermittelbar gemacht durch die Kolportage. Dem sei hinzu zu fügen, was Adorno über den Zirkus sagte: die bürgerliche Gesellschaft erinnert sich darin an eine Wildheit die sie längst aus ihrem Leben verbannt hat. Um diese Zeit veranstaltete die National Galerie eine Ausstellung über den Zirkus und zeigt was Adorno meinte, nämlich eine statisch gewordene Reproduktionsform.

Die Revue, die die Surrealisten passieren lassen, gilt als eine der ehrlichsten Formen (zuwider ihrer Absichten), weil „als Abdruck jenes Hohlraums, worin sich nichts mehr, ohne Lüge schließen lässt, worin sich nur noch Teile begegnen und mischen.“ (s. 368-9) Folglich wird aus der Straßenszene in der weiteren Stadtentwicklung die Szene, ein Begriff der als neue Synthese zwischen Ich und Wohlgefühl im Rahmen gleicher Denkweisen besagt:

„Immer neue Ichs, sagten wir, sind hier zu sehen und löschen sich aus. Ja, gegenständlich geht überhaupt niemand recht auf der Straße, ihre Dinge scheinen mit sich allein.“

Diese Entwicklung kann kurz nach skizziert werden:

 

Bloch nennt zwei Grundthesen zum surrealistischen Denken und gibt gleichzeitig Einblick in seine Denkweise hinsichtlich von Benjamin (die beiden teilten sich ein Zimmer im Pariser Exil und Andreas Luther spricht sogar von dem ursprünglichen Titel „Erbschaft dieser Zeit“ als eine Anspielung auf die „Einbahnstraße“.)

These 1: Sur-Realität

Durch den Aufenthalt in Frankreich wird der Realismus verwandelt in ein Aufgesetztes-Etwas, die Gruppe die einer ihr fremden Realität den eigenen Stempel aufdrücken versucht und doch nur in kleinen Nischen, unter Brücken, am Laternenpfosten, usw. ihre Zuhause finden.

These 2: klimatopathischer Tastsinn

„Das bleibende Ich auf der Straße ist allerdings nur der schlendernde Leib, als primär nicht Ohr oder Auge, nicht Wärme, Güte, Staunen, sondern klimatopathischer Tastsinn und Geschmack. Lässt sich eine Kategorie von Bachofen hier anwenden, so hat ein chthonischer Geist in diesen Straßen – Denken, genauer: Passage-Denken sein Gehäuse gefunden. Wie Segelschiffe in der Flasche stecken, wie Blütenbäume, schneebedeckte Türme im Spielzeug drehbarer Glaskugeln eingeschlossen und verwahrt scheinen: so stecken hier Philosopheme der Welt unterm Glas der Schaufenster.“ (s. 370)

Bunel vermittelt die Sorge um Liebesentzug und eine mit Ironie bedachte Abwendung von der bürgerlichen Schicht. Das war damals unter den Intellektuellen sehr populär, scheiterte jedoch am fruchtbaren Hang zum „schönen Leben“. Was die Transzendenz nicht schafft, nämlich die Ausschaltung unmittelbarer, geheimer Wünsche, wird hier vollends ausgelebt. Nun gut, so weit etwas zu dieser Filmwelt (eine, die noch nach Prinzipien des Surrealismus näher zu befragen wäre.)

 

Klimatopathischer Tastsinn und Geschmack

Chthonischer Geist – adj. > der Erde angehörend, irdisch

chthonische Götter – Teil der Unterwelt, griech. Chthon = Erde

 

sur frz. Über + Realismus

„seit Anfang des 20.Jh. Strömung in Kunst u. Literatur, die das Über-wirkliche

und Traumhafte u. seine Verschmelzung mit der Wirklichkeit darzustellen versucht.“

(Wahrig, S. 350)

Die Veränderung der Gesellschaft ist eine philosophische Interesse, gleichzeitig eine Frage wie der 'Okkult der Dinge' vermeidend, abermals aus kleinen Details (die Schneekugel) auf größere Zusammenhänge zu kommen. Die Formfrage bleibt dabei offen. Im Surrealismus macht sich das bemerkbar.

Benjamins 'Sprachstil' ist eine Fülle von gedanklichen Verkoppelungen „welche von Max Ernst bis Cocteau den Surrealismus ausmacht: die Verkoppelung von Dort mit nächstem Hier, von brütenden Mythen mit dem exaktesten Alltag.“ (s. 370) Die Verkoppelung als besondere Methode ersetzt die bloße Verschmelzung (oftmals im Spiel wenn Ich-Phantasie Bezug auf die Wirklichkeit nehmen) und entspricht einer gedanklichen Assoziationsweise. Dadurch entstehen Namen wie Kathedralen = Religionsbahnhof. Die Kritik daran entstammt einer atheistischen Idee, „doch ebenso läuft der Zug umgekehrt, nämlich aus der Ewigkeit und ihrem Mythoswesen in den Bahnhof ein, um hier die Konterbande auszuladen.“ (Bloch auf s. 370 sagt zum 'Allegorie Blick', wenn 'Schlafwagenzüge in die Ewigkeit zur Messezeit hier abgefertigt werden', um darum die Kathedrale darzustellen, was sie ist – einverleibte Hoffnung der im Exil 'treibenden Menschen, vor allem wenn sie nicht wissen wohin.) Real hat das mit der Zeitgeschichte zu tun. Peter Weiss beschreibt in seinem Roman 'Ästhetik des Widerstands' z.B. die Ankunftsszene im Bahnhof, nachdem die Kämpfer der internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg zurückkehrten.

 

Elemente der Philosophie

Fragen, was in der Straße gefunden wird, rückt mehr das gestörte Verhältnis zwischen Natur und Gesellschaft in den Vordergrund. Die 'Zeitfrage', ob nun zum Terrorismus, Nuklear- und Atomenergiewirtschaft usw. ist im Grunde genommen welche Spuren die undurchschaubaren Abläufe zwischen Wirtschaft, Staat und Gesellschaft in der Kunst hinterlassen. Ob der 'Surrealismus' sich durchhält, wie z.B. Peter Weiss das zeigt, bleibt ein Teil der Kunstgeschichte, die sich stets nach ganz anderen Gesetzmäßigkeiten als die Philosophie zu bewegen scheint, und als was ein Künstler selber annimmt.

Vergleicht man 1986 mit 1929-39, dann ist gewiss das Thema 'Zerfall' ein wichtiges Unterscheidungselement. Welche Kategorien zum Chthonischen Geist hinzukämen, wäre gewiss eine Bereicherung des Verständnis der Nuancen der Kunstentwicklungen nach 1945. Bloch selber lässt nochmals die 'Revue' passieren:

„Sieht man aufs kleine Ganze zurück, so steht es für manches, das heute nicht kam. Ein Denker spürt Einzelnes genauestens auf, prägt es scharf aus, um dennoch kaum zu sagen, wofür denn die Münze gilt.“ (s. 371)

Im Schriftbild spiegelt sich wieder der Wert ohne bürgerlichen Kurs. Was zuvor angesprochen wurde, diese Abkehr von bürgerlichen Normen (DADA siegt!), läuft auf eine Umkehrung tatsächlicher Gegebenheiten hinaus. Hier der Stumpfsinn des kleinen Mannes, dort pathetische heroische Laute großer Herrn – damit klar zu kommen war überhaupt nicht leicht, insbesondere mussten leider sämtliche Intellektuelle diese Erfahrung im Exil machen.

Bei allem wird sichtbar eine anarchistische Bedeutung. Bucharin kommt dem näher als Marx in seinem 'A,B, C des Kommunismus'. In seiner letzten Rede im Moskauer Prozess gibt es folgenden Wortwechsel zwischen Bucharin und dem Richter:

B.: „Ich bin Philosoph.“

Richter: „Nein, ein Verbrecher“

B.: „gut, dann ein verbrecherischer Philosoph“.

 

Hinzu kommen die gemachten Erfahrungen im spanischen Bürgerkrieg, u.a. von Orwell beschrieben in seinem 'Mein Katalonien'.

In der Literatur kommt es zur folgenden Reflexion. Es beginnt auf der sinnlich fassbaren: „Verstohlen schenkte sie ihm einen Blick, während der Mann am Ende des Tisches das Messer zwischen dem Brot schob.“ Auf der abstrakten Ebene lautet anschließend die Frage, wie bewusst ist noch die bestimmten Bedeutungen behafteten Dinge? Sind die Dinge noch heilig selbst in ihrer viel versprechenden Mehrdeutigkeit? Für den Maler Andrzei Woroniec bedeutet das Gewissen der Kunst das Unbewusste, doch das erhöht und steigert die Angst des Künstlers vor seiner eigenen Kreativität. Historisch gesehen, verfängt sich all das in einer Angst vor dem Verfehlen wenn bestimmte politische Zusammenhänge außer Acht gelassen werden. Zwischen direkter Zensur und einer bestimmten künstlerischen Freiheit sich jederzeit ausdrücken zu können und zu wollen, liegt ein weiter Weg insbesondere in Ost Europa.

Eine weitere Frage lautet ob es sich beim allem um 'Zerfallserscheinungen' oder um 'Zufälle' handelt? Welche Rolle spielt der Zufall überhaupt in der surrealistischen Denk-, Mal- und Lebensweise? Trägt es eine andere Geschichte zutage, kann es also den Traum als ein verkoppel-bares Etwas mit der Wirklichkeit sichtbar machen? Bloch meint dazu

„sichtbar ist anarchische Bedeutung und die Bedeutung-sammelnder, im Zerfall wühlender, rettender, doch substanziell unausgerichteter Betroffenheiten. Der gleiche Blick, der zerfällt, lässt den vielfältigen Fluss zugleich gefrieren, verfestigt ihn (mit Ausnahme seiner Richtung), eleatisiert noch die Phantasie variantenreichster Verschlingung; das macht dies Philosophieren gleichmäßig medusisch, gemäß der Definition Medusas bei Gottfried Keller: als >der Unruhe erstarrtes Bild<.“ (s. 371)

Die Bedeutung der 'Medusa' als figurative Gestalt liegt darin, dass jeder, der sie erblickt, versteinert und erinnert an die andere Deutung Blochs des im Surrealismus verzweifelte Wehren gegen Klischees und lustlose Untergangsstimmungen. Die Umkehrung, jene Rückkehr zum Leben, scheinen nur mittels einer Konterbande und der Kolportage („Gerüchte verbreiten, u.a. durch Verkauf billiger Bücher, die sogenannten Hintertreppenromane – billig, wertlos, aber spielend mit Kitschvorstellungen – das den Zement der Gesellschaft im Bewusstsein ausmacht und was Bloch die Sensationsgelüste nannte – möglich zu sein. Das Problem war also doppelt: einerseits gegen den klassischen Sinn, das ästhetische Ideal von Schönheit anzugehen, indem Alltägliches aufgegriffen wird, anderseits doch dem Anspruch der Kunst treu zu bleiben, gerecht zu werden.

Entscheidend ist hier Blochs Deutung der surrealistischen Lösung:

„Geht aber >Revue< mit Strom durchs surrealistische Philosophieren hindurch, dann kommt durchaus, an den geretteten Trümmer-Bedeutungen, ein anderes >Kaleidoskop< ans Licht. Denn die Hohlräume unserer Zeit (wie bereits des XIX. Jahrhunderts, dicht im selber Leere, sondern im Reich konkreter Intention, materieller Tendenz, als einer keineswegs unbestimmten.“ (s. 371)

 

Dazu folgende Dichtung:

Lache! Nein, wie soll es weiter gehen? Bestimmt nicht vor Mitternacht, doch es ist

schön am Stuttgarter Platz, aber wieso diese 'Herrenlose'-Mythologie abwarten zu wollen, bis ihr Unterton abermals diffamierend aufsteigt und am gesellschaftlichen Überbau fleißig arbeitet mittels Gerücht und Kitsch.

Wenn von Dichtung die Rede ist, dann gibt es die Fragmente von Hölderlin zu Empedokles, denn darin wird ein anderes Philosophieren erkennbar. Ähnlich zu Hegel geht es vom Unbestimmten zum Bestimmten.

Ferner kann festgestellt werden, dass die Vorstellung zu einer zum Begriff gewendeten Logik gemacht wird, aber abseits davon steht das surrealistische Denken.

Sodann

„Benjamins Philosophie (er wehrte sich gegen die Unmündig-machenden Strukturen – Einbahnstraße hat dann bizarre Themen: Tankstelle, Frühstücksstube, Normaluhr, Halteplatz für nicht mehr als drei Droschken, Galanteriewaren, Nr. 13, Fundbüro – eingeengter Blick im Fahrplan der Touristen oder noch schlimmer der Fliehenden unterwegs: Zeitabstände sind wie Hohlräume, weil der Abstand zur restlichen Gesellschaft unüberbrückbar geworden ist) lässt jede Intention den 'Tod an der Wahrheit' sterben, und die Wahrheit gliedert sich in gestillte * >Ideen< und ihren Hof: die >Bilder<. Indes gerade echte Bilder, die scharfen Angaben und präzisen Tiefen dieses Schrifttums, seine zentrale Abseitigkeit wie die Funde seiner Querbohrung wohnen nicht in Schneckenhäusern oder Mitgrashöhlen, mit einer Glasscheibe davor, sondern im öffentlichen Prozess, als dialektische Experiment-Figuren des Prozesses.“ (s. 371)

Wohin mit dem Gerümpel – der Zeigefinger der Zeit – ein Aspekt von Analyse ist das Ankommen am anderen Ufer (Blochs 'Welt des Friedens'). Hier zeigt sich die Bedeutung von Öffentlichkeit: ihre Authentizität zurückzugewinnen, weg von der 'seichten Unterhaltung', weil Stumpf, die kritischen Urteile bei den angestrebten Lösungen ausbleiben:

„Das surrealistische Philosophieren ist musterhaft als Schliff und Montage von Bruchstücken, die aber recht pluralistisch und unbezogen solche bleiben. Konstitutiv ist es als Montage, die an wirklichen Straßenzügen mitbaut, dargestellt, dass nicht die Intention, sondern das Bruchstück an der Wahrheit stirbt und für die Wirklichkeit verwertet wird; auch Einbahnstraßen haben ein Ziel.“ (s. 371)

 

* gestillte Ideen: „Viele von uns, sagte Hodann, seien immer noch, und oft gerade, wenn es um Entscheidendes gehe, wie Kinder, wir ließen uns beherrschen von Hoffnungen, deren Ursprung eingebettet sei die in der Erinnerung an das Ertasten der Mutterbrust, im Aufgehen in einer Harmonie, die es für nicht gebe.“ (Peter Weiss, Ästhetik des Widerstands, Dritter Band, I)

 

 

 

 

 

 

 

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