Avantgarde der Kunst - die Flechtheim Sammlung
Ausstellung der Flechtheim Sammlung in der Modernen Pinakothek, München
Okt. 2013
Beim Durchwandern der Räume war stets präsent die Grundthese von Worringer, was die Kunst im 20zigsten Jahrhundert betrifft, denn er meinte sie stünde vor der Wahl Abstraktion oder Empathie. Daraus kann durchaus die Frage hervorgehen, was ist von der Kunst im 21.Jahrhundert zu erwarten? Eine Deuting in diese Richtung mag eine besondere Installation von Beuys hergeben: wie Krokodile faul auf der Sandbank des Flusses liegen, deuten diese Kunstwerke in eine Richtung von der vermutlich einmal gesagt wird, es handele sich um den Gegensatz Zentralisierung und Dezentralisierung.
Nach der Besichtigung der Sammlung, entstand folgende Notiz als Eintragung ins Tagebuch:
Konturen des Glücks werden oftmals angesagt, so als handele es sich um eine Wettervoraussage mit Versprechung, die tief hängenden Wolken werden demnächst abziehen und das Wetter etwas besser als jetzt sein. Das wäre faktisch eine schnurgerade Vorstellung.
Ganz anders hingegen Vorstellungen vom Reisen auch mittels solcher Bilder die im nach hinein das zu bestätigen scheinen, was Ernst Schnabel über die Reise um die Welt in achtzehn Tage in seiner Radiosendung festhielt, nämlich das Ende des Einsiedlers, oder eines Robinson Crusoe. Künstler des 20 Jahrhundert waren zuerst Einzelgänger aber dann mussten viele zwangsläufig wie halt Fletchtheim persönlich ausreisen wenn keine innere Migration möglich war. Der Grund war ein einfacher: Hitler und seine Kampagne gegen die sogenannte 'entartete Kunst' die er zuerst im Haus der Kunst in München ausstellen ließ, um diese Werke in aller Öffentlichkeit als eine Schande zu markieren.
Auf diesen erzwungenen Reisen wechseln die Gesichter sich gegenseitig ab. Sie tun es ähnlich zu den vorbei ziehenden Landschaften wenn ein Zug in Richtung der nächsten Stadt dahin eilt. Heute wird dagegen kaum noch nach außen geschaut da es im Zug selber einen freien Internet Anschluss gibt. Der Zug selber kann eine Geschwindigkeit bis zu 300Km per Stunde erzielen.
Um einen Vergleich zu wagen, wie wird die Geschwindigkeit des Auges gemessen, wenn es über eine Bildoberfläche hinweg tastet? Was wird wahrgenommen, was ausgelassen? Welch ein Eindruck verschmelzt im Nachhinein Details mit Gesamteindruck? Das geht leicht über in die Wahrnehmung der Kunst, und wie sie interpretiert und noch eher verstanden wird. Schließlich handelt es sich beim Betrachten von Bildern die um den Ersten Weltkrieg 1914-1918 entstanden sind, um einen Rückblick im Jahre 2013.
Primär bedeutet das diese Bilder werden zu aller erst als Zeitzeugen wahrgenommen, und erst dann individuell betrachtet. Natürlich setzt das einige historische Kenntnisse voraus, oder zumindest kann mit Hilfe von Literatur, Briefen der Künstler selber, Besprechungen bei Ausstellungseröffnungen usw. der Kontext in dem all das entstanden ist, rekonstruiert werden, und das trotz des am Starnbergersee wohnenden Jürgen Habermas.
Damit sei auch gesagt München ist der geeignete Ort für solch eine Ausstellung die keine Rückblendung sein will, sondern zu aller erst eine Dokumentation darstellt welche Künstler der Kunsthändler Flechtheim unterstützte und gefördert hat, angefangen mit Max Beckmann, George Grosz und Paul Klee. Allein das besagt bereits Weitsicht von Flechtheim bestimmte die Selektion für diese Kunsteinkäufe.
Um nochmals auf die Wahrnehmungsfrage zurück zu kommen, so erwies der Wissenschaftler Viktor von Weizsäcker die Korrelation zwischen Geschwindigkeit und Wahrnehmungsfähigkeit. Während beim Gehen noch etliche Details und die Umgebung betrachtet werden können, muss ein Läufer von der vor sich liegenden Umgebung abstrahieren und nur noch auf Hindernisse achten. Bei voller Geschwindigkeit können deshalb Autos gar keine Hindernisse auf den Straßen gebrauchen. Diese Entfremdung von der Natur, in der selbst das Wasser stets mit Widerstand zu rechnen hat und damit aber zugleich arbeitet, wird also bei zunehmender Schnelligkeit stets größer sein als bislang angenommen. Noch mehr es mündet in eine Art Unfähigkeit positiv mit Widerstand zu arbeiten. Das erklärt auch die große Ungeduld so bald nicht etwas funktioniert, bzw. reibungslos abläuft. Bei der Bildbetrachtung entscheidet aber gerade an welchem Widerstand das Auge aufgehalten wird, um ein Detail näher zu betrachten. Selbst der Künstler kann oftmals im nach hinein darüber erstaunt sein, was da sich noch im Bild verborgen konnte, wobei das Übersehen zugleich ein Hinweis dafür ist, dass die ganze Konzentration sich zunächst auf noch etwas anderes gerichtet hat.
Folglich unterscheidet sich die Sensibilität einer Bilder-Wahrnehmung von anderen Betrachtungsweisen weil es noch etwas voraussetzt: das sich aufs Bild einlassen, ja, mittels der Phantasie in es hineinzugehen, bis aus der positiven Selbstvergessenheit eine ästhetische Erfahrung von etwas schönem entstehen kann. Natürlich setzt das eine Überwindung einer gewissen Schamgrenze voraus, denn erst bei aller Offenheit in der Wahrnehmung kann der Betrachter behaupten dem Bild gerecht zu werden. Als Dialog der Phantasie, angeregt durch das Bild, werden Formen benötigt, um dem assoziativen Denken eine existenzielle Grundlage zu geben.
Der Halt ist nötig, da das Einlassen auf ein Bild eine Offenheit für Veränderungen voraussetzt. Nun hängt folglich sehr viel davon ab mit welcher Geschwindigkeit solche Veränderungen von statten gehen. Noch mehr, es kommt darauf an, dass das Bild im mittleren Bereich zwischen ganz langsam und ganz schnell wie bekannt in der Musik, eine Vermittlung an Zuversicht stattfindet, so dass der Betrachter bei all den Veränderungen mithalten kann. Schließlich will der Künstler ja eine andere Wahrnehmung, oder wie die Dinge zu sehen sind, vermitteln. Das ist sein Anliegen insbesondere wenn er oder sie von der Prämisse ausgeht, nur das zu malen was gesehen wird. Diese Behauptung einer direkten Wahrnehmung, also eine ohne Filter oder Umwege, wird stets einer Prüfung gerade im mittleren Bereich unterzogen, insbesondere wenn erneut Veränderungen erprobt werden.
Was aber sind Veränderungen in Wirklichkeit? Dazu eine poetische Antwort:
Bühnen ohne Vorhang gibt es, manche drehen sich langsam, bis die Zuschauer mitten drinnen im Geschehen sind. Das Theater verändert sich zusehends in Richtung einer Dramaturgie die ähnlich zur Schaubühne weg geht von der Heranbildung einer politischen Identität hin zu einem technologisch anvisierten Schaukasten, der bezaubern soll. Die Veränderung ist also eine negative da sie einer Anpassung an Strukturen, die sich in der Moderne herausgebildet haben, Folge leisten. Unterschiede gibt es dennoch, so z.B. wenn Andjei Woron, ehemaliger Maler, als Bühnenbildner, eine ganze Dorfszene auf die Bühne bringt und das Bild drei Dimensional werden lässt. Das erleichtert das Hineingehen in eine Chagall ähnliche Welt. Es kann aber ebenso bei Beckett um ein leeres Quadrat handeln wobei die vier Schauspieler einem Linienmuster nachgehen bis dieses Nichts mehr als nur deutlich wird. Adorno meinte zu Beckett er schreibt über eine Gesellschaft die sich ihrem Ende bewusst zuletzt von der Scham verlassen wird. So gesehen ist ein Versuch das Endspiel zu verstehen eine Veränderung die sich rapide dem Stillstand nähert. Ohne Veränderung kein lebendiges Dasein obwohl mancher dazu neigt den Menschen als dahin wandelndes Schicksal zu beschreiben. Bleibt nur noch ein Tisch auf der Bühne stehen. Keine Stühle. Bloß eine Leuchtkugel scheint direkt auf seine schwarze Platte. Hände werden im Licht erkennbar, während das Gesicht noch im Dunkeln verharrt. Was zeigt das über die vom Menschen vorgenommenen Veränderungen durch die Technologie, was bleibt unverändert? Abermals die Kunst Theater zu machen ist es Fragen aufzugreifen und zu thematisieren. Somit steht der einsame Tisch nicht stumm da, sondern räuspert sich, ganz vorsichtig schiebt nun eine Hand einen Glasstuhl heran. Noch einen zweiten, dann einen dritten und vierten. Hinzu kommen Menschen. Die Geselligkeit beginnt zu lachen. Der Tisch lebt auf. Was hat sich verändert? Möglich ist dass die Einsamkeit inzwischen verschwunden ist und die in der Dunkelheit verbleibenden Zuschauer beginnen ein Erleben zu fühlen. Damit gehen sie verändert nach Hause.
Hatto Fischer
München Nov. 2013 (umgeschrieben in Athen Feb. 2017)
Franz Marc, Rinder I, 1913
(der Maler starb in Verdun 1916)
Robert Dolaunay, Die Mannschaft von Cardiff, 1913
Wassily Kandinsky, Der Reiter, Improvisation12, 1920
Wassily Kandinsky, Träumerische Improvisation, 1913
Franz Marc, Kämpfende Formen, 1914
Rote Finsternis
wenn die Nacht
einhellig
einem die Sprache
verschlägt
Nackenangst
das Gespenst als Antwort
Gino Severini, Der Krieg, 1914
Nächst zur Kriegsmaschinerie steht ein wichtiges Wort: Mobilisierung! Der Schock sitzt tief nachdem die Männer aufgerufen wurden in den Krieg zu ziehen. Warum?
Thomas Mann meint viele gingen begeistert in den Ersten Weltkrieg, weil sie sich am Bürotisch gelangweilt vorkamen. Der Krieg also als Abenteuer ist ein verlockendes Mittel zwecks Ablenkung, aber welch eine!
Fernand Leger, Der Typograph, 1919
Pablo Picasso, Sitzende Frau, 1941
Max Beckmann, Großes Stillleben mit Fernrohr, 1927
Es gibt kürzere Wege um die Sehnsucht zu beschreiben, aber diese hier ist einmalig weil aufs Fernrohr gerichtet. Doch ringsherum wuchert fast ein Orientalisches Ornament voller Dinge mit stark symblischer Ausstrahlung.
Otto Dix, Bildnis des Fotografen Hugo Erfurt, 1925
Otto Dix, Sitzender Kinderakt, 1928
Max Ernst, die Sirenen erwachen, wenn die Vernunft schlafen geht, 1960
Max Ernst, Totem und Tabu, 1941
Kennzeichen: ein Stempel
denn die Toten bangen sollen
einleuchtend
die Farben verwelkter Blätter
zu Narben verwandelt
Inbegriffe einer
metaphysischer
Landschaft
die aufhorchen lässt
dem Eindruck nach
weil Seelenverwandt
mit Gesicht und Vogel
im Baum
Max Ernst, La terre vue de Maximiliana, 1963
Die Erde von der Maximiliana aus gesehen
Max Ernst, Die Windsbraut, 1927 (La mariée du vent)
Rene Margritte, Le spectacle de la nature, 1940
Er starb in Brüssel 1967.
Rene Margritte, die dritte Dimension, 1942
Umgekehrte Lebensformen
abgeleitet von der Umgebung
verschwunden im Regen
gleich einer kolonialen Macht
die alles andere zum Schweigen bringt
und selbst den Vögeln
wird nur das Singen
in der Sparte Aufführung
ermöglicht,
doch bestehen bleibt
das Problem des Aufsteigers
und eine Kunst
die einem Ausschnitt
aus dem sozialen Neid
gleicht
Max Ernst, Großer Fries, 1944
Max Beckmann, die Versuchung
Max Beckmann, Selbstbildnis
Max Beckmann, Frau mit der Mandoline
Max Beckmann, Vor dem Maskenball, 1922
Max Beckmann, Bildnis Minna Beckmann, 1924
Max Beckmann, Der Traum, 1927
Neben Kleiner Traum gibt es noch den zusätzlichen Titel chinesisches Feuerwerk.
Paul Klee, Das Licht und Etliches, 1931
Zahlen, Linien
entweichen Trugbildern
neue Farben
Mosaik ähnlich
verschwindende Formen
im Hintergrund
menschliche Wärme
woher kommt wohin geht
das Gleichgewicht
als Produkt
auf der Waage
Paul Klee, Grenzen des Verstandes, 1927
Lyonel Feininger, Marktkirche von Halle, 1930
Oskar Schlemmer, Knabe mit roter Weste, 1928
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