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Schematische Schläge: die Expressionismus-Debatte zwischen Lukacs und Bloch

Ab 1937, also seit Gründung der Volksfront, bricht zwischen den Jugendfreunden Lukacs und Bloch ein Konflikt aus. Grund des Streites bildet widersprüchlicher Weise nicht so sehr ein politisch-ökonomischer Stoff, sondern vielmehr die negative Einschätzung Lukacs der Expressionisten, obwohl eine in der Vergangenheit zurückliegende Kunstbewegung. Bloch nimmt die von Hitler und Goeppels veranlasste Ausstellung 'Entartete Kunst' in München zum Anlass die Verleumdung der Expressionisten auf gleich doppelte Weise als großes Unrecht darzustellen. Zum einen betrachtet er den Expressionismus als eine Bewegung, die abermals den Menschen als Thema in den Mittelpunkt rückte, während die Nationalsozialisten jenen Begriff höchstens 'verluderten', schlimmstenfalls ihn zur 'Bestie' zu machen beabsichtigten. Für Bloch war wichtig, dass „die entarteten Bilder von viermal so viel Menschen besucht (wurden) zum Vergleich die der artgerechten“ (Quelle: „Der Expressionismus, jetzt erblickt“ in: Erbschaft dieser Zeit, s. 255). Ohne das überschätzen zu wollen, denn welche Rückschlüsse auf innere Einstellungen der Menschen zum damaligen Zeitpunkt ließe das zu, sagt Bloch pointiert wichtigste Materie für die Volksfrontbewegung sei darum die Tatsache, dass „der Deutsche hier lernt, sich seiner Herren zu schämen, nicht nur an ihnen zu leiden.“ (op. cit., s. 255).

Materie, das ist im politischen Gebrauch, etwas womit gearbeitet werden kann, wo das Denken beginnt weil ein erster Ansatz gefunden wurde, um aus der tiefen Resignation angesichts ungeheuerlichen Hindernissen herauszufinden. Bloch nimmt also wertvolles noch da wahr wo andere längst die ganze Entwicklung negativ vorwegnehmen und sich sagen, das hat doch eh keinen Sinn mehr, weil materiell gesagt nichts mehr vorhanden ist, um Widerstand gegen Ungerechtes zu organisieren.

Das bringt Bloch zum zweiten Aspekt der Ungerechtigkeit gegenüber den Expressionisten. Er sieht in der expressionistischen Kunst 'keine Rechtfertigung des Feinds' (sprich: Faschismus), noch 'seiner Ideologie seines Imperialismus und seiner Ordnung' und stellt sich damit den von Lukacs aufgestellten Behauptungen über den Expressionismus entgegen, indem er bemerkt, dass „die 'Übereinstimmung' einiger Moskauer Intellektuelle (Lukacs war zum damaligen Zeitpunkt bereits einflussreich auf Ideologen der Kunst und Ästhetik in Moskau unter der Regie Stalins) mit Hitler folglich nicht angenehm ist.“ (op. cit., s. 257) Diese Intellektuelle „schematischen Schlags“, die einen Klassizismus wollen und sogar möglicherweise in der Zeichnung Paul Klees, der Angelus Novus, imperialistische Grundtöne ausmachen, sie würden den „wirklichen Expressionismus“ erblicken. Jener, der mit der Montage arbeitet, zwischen Van Gogh und den Surrealisten in Frankreich (also einer Bewegung die nicht so sehr im damaligen Deutschland zum Ausdruck kam) anzusiedeln ist, der kann nicht auf „Ausdruck kleinbürgerlicher Opposition“ reduziert, geschweige 'völlig schematisch' als „imperialistischer Überbau“ denunziert werden, weil das keinesfalls einem Marc, Klee, Chagall oder Kandinsky gerecht werden würde.

In diesem Kontext eines wichtigen Disputs, weil erhellend Grundpositionen die noch heute von Bedeutung sind wenn es zum Beispiel um Heiner Müller und der Avant-garde im Theater am Ende des 20.Jahrhunderts handelt, wie jüngst der Fall am Goethe Institut in Athen, so sind gleich mehrere 'Lehren der Materie' den Äußerungen Blochs zu entnehmen. Materie, sie wird allenfalls außerhalb des Schematismus sichtbar. Letzterer kann auf Kants 'regulative Prinzipien', demnach eine Organisationsform zur 'Gewinnung von menschlicher Substanz', zurückgeführt werden. Bloch geht noch weiter zurück, aber jener Idealismus bedeutet bereits Zurückweisung des Subjekts: das Subjektive bleibt unterhalb der Ebene des Schemata, sprich die Organisation, ob jetzt Gewerkschaft, Partei, Staat oder nur die Organisation, weil sie schnell in einen Formalismus abgleitet und nicht mehr menschliches, auch nicht das Schämen, wahrnimmt. Materie wird aber auch nicht im Sinne von Geschichte als historische, sprich logische Folge gedacht. Sie bleibt selbst dann anwesend, wenn im historischen Materialismus wenn nur der Marmor einer Herren-Säule oder die klassische Skulptur der Antike gedacht wird, weil sie nicht bloß Idealbild einer Kontinuität von Identität und Kultur, dialektisch als Geschichte in 'Fortschritt' umgemünzt, ist. Wenn sich Lukacs auf dieses und kein anderes 'kulturelles Erbe' beruft, dann ist das für Bloch viel zu wenig, um gerecht gegenüber dem menschlichen Schrei, der aus dem Expressionismus ertönt, zu werden. Anders gesagt, Materie, das ist ebenso der Schlaf für Bloch, ist mehr noch 'Erinnerungszeichen' eines anarchischen Traumes, geprägt vom Wunsch endlich ein Menschengesicht erblicken zu können, vor allem dann, wenn mit utopischen Inhalt verbunden. Bloch sagte deshalb einmal, dass die Fuge von Bach wie die Musik von Beethoven endliche die menschliche Stimme hören ließe. Darum käme es darauf an, den Expressionismus vor der Kritik eines Lukacs zu bewahren.

Lukacs würde unter anderem behaupten, die expressionistischen Schriftsteller würden sich lediglich auf das Unmittelbare beziehen und darum notwendigerweise abstrakt sein, d.h. nicht leicht für alle von allen Seiten zugänglich, wie der Fall bei der klassischen Literatur die reich an Realität ist z.B. Thomas Manns Buddenbrooks oder Zauberberg. Bloch hält dem entgegen, dass die Expressionisten etwas zeigen, ja aufbrechen, was 'jäh vermitteltes' ist und in einem Brückenschlag zu Picassos Guernica macht er auf eine höchst unerfreuliche Entwicklung innerhalb der Volksfront, deren politischen Tendenz, aufmerksam.

Picassos Bild wurde von kommunistischen Kunsttheoretikern laut der revolutionären Parole, der Held der Arbeit, die proletarische Identität müsste gesteigert werden, neue Ausdrucksformen in der Kunst finden, dahin gehend kritisiert, all das nicht eingelöst zu haben. Während die kulturelle Welt die Kritik an Picasso abweisen konnte, blieb die Tradition der Expressionisten in Deutschland ohne Schutz, weil ohne Artikulationsmöglichkeiten. Bloch ergriff für sie aus dem Exil das Wort und zeigt dabei auf mögliche Irrwege des 'dialektischen Materialismus', wenn nicht der eigenen Materie, dem 'Urschleim' der Geschichte und somit kulturellen Identität bedacht, all das als bloß falsch, laut dem Schema 'Freund-Feind', abgetan wird.

Materie als Armut ist für Bloch bloß formal Organisation: produzierter Mangel. Mehr als alles andere kennzeichnet dies die sozialistische Gesellschaft: eine schematisch festgefahrene Ideologie, die nicht diesen Mangel zu Kenntnis nehmen will, und dabei den einzelnen Menschen übersieht.

Damals, noch vor dem Zweiten Weltkrieg, war die Krise im 'historischen Materialismus' als Denkschablone noch nicht abzusehen, wie heute der Fall. Taumelnd zwischen Evolution und Revolution, zwischen politischer Vorbestimmung und historischer Determination, geriet das Denken ins Stocken, weil Materie einmal über determiniert, alles und nichts auf die politische Frage nach der richtigen Folge reduziert wurde. Kenntnisse wurden durch Parolen ersetzt. Die Expressionismus-Debatte wirft darum Licht auf eine andere Art der Verführung des Denkens als bloß durch die nationalsozialistische Ideologie, um so erstaunlicher dass Bloch dem nicht ganz unterlag, sich differenzierte Urteile bewahrte und somit nicht Äußerungen in einem Vorwort dem Inhalt des Werkes gleichsetzte.

Wichtig in der Expressionismus-Debatte war deshalb für Bloch, dass es weniger um Literatur, vielmehr um die Malerei handele und Lukacs den Fehler beging nicht das zu sehen, weil in jneer Bewegung Stift und Pinsel besonders eng miteinander verbunden war. Heute gelten Marx Ernst wie Franz Jung als Ausnahmen, als Individualisten, die nicht von ihrer Zeit völlig vereinnahmt wurden und dennoch in Berührung mit den wichtigsten Beweggründen der damaligen Zeit standen. Beide hatten ihren Anfang im Expressionismus genommen, Franz Jung mehr als Max Ernst, letzterer aber gerade ein Beispiel für Blochs These als jemand der Deutschland verließ, um in Paris, Frankreich kurzfristig gemeinsam mit den Surrealisten eine Fortsetzung menschlicher Ausdrucksmöglichkeiten in der Geschichte auszuprobieren. Und da kommt Experiment-Charakter hinzu, etwas das Lukacs als etwas nicht ernstzunehmendes abtut, ebenso wie er diese Fortsetzung nur anerkennt als eine von Bloch aufgestellte These, die vermutlich wahr ist, aber von wenig Belang, weil auch diese surrealistische Bewegung begrenzt blieb, indem sie sich nicht der Realität stellte.

Im Grunde genommen war damals bereits die Definition der Kunst zu einer politischen Kategorie geworden und gemäß des 'realistischen Sozialismus' (erst nach dem Krieg wandelte sich der Begriff in einen 'sozialistischen Realismus' um) eine Waffe, um bestimmte Kunstrichtungen (z.B. die der Modernisten), aber auch menschliche Ausdrucksweisen zu verneinen d.h. Zu ignorieren, zu denunzieren und gemäß der Anordnung von Stalin und Partei auf internationale Ebene abzuerkennen. Die tiefere Konsequenz davon wird vermutlich erst allmählich diskutierbar werden, wenn mehr und mehr unter Gorbatschow diese Seite des Kommunismus aufgearbeitet wird. Die Konsequenz ist in Richtung 'Humanismus' oder 'Nihilismus' zu verstehen, eben weil für viele Intellektuelle die letztlich entscheidende Differenz zwischen Faschismus und Kommunismus damit verbunden ist, dass es den Anspruch in der Ideologie des Sozialismus gibt. Darum konnten Schriftsteller im 'Prager Frühling' den 'Sozialismus mit menschlichem Gesicht' fordern, und noch viele trotz Umbrüche in Polen, Ungarn, Sowjet Union, ja auch in der DDR von dieser ethischen Wertorientierung nach wie vor überzeugt sind, selbst wenn arg in Bedrängnis geraten. Vermutlich sind aber gerade diejenigen, die aus jener Bewegung gekommen sind, oder wie Arthur Koestler aus dem Schematismus und ideologischen Starre eher ausbrachen, Wegweiser für neue Bearbeitungsversuche der wichtigsten Materie, nämlich wie der Mensch zur eigenen Geschichte steht, glaubt stehen zu können, und zwar weniger unter dem Aspekt von Religion als vielmehr der 'sinnlichen Gewissheit', um die weltliche Materie wahrzunehmen und darüber hinaus aufgeschlossen zu sein, was nun letztlich den Menschen bestimmen würde.

Wenn eines in dieser Expressionismus-Debatte exponiert werden kann, dann der Totalitätsbegriff, der noch von Lukacs als abgeschlossenes Ganzes verstanden wird, also als Inbegriff einer politischen Waffe, um alles andere dem zu unterordnen oder wenn nicht möglich zu verneinen. Bloch argumentiert hingegen, dass die Montage-Methode der Expressionisten das Imaginäre der kapitalistischen Welt bloß lege, dadurch die Diskontinuität der Geschichte hervortrete. Lukacs kritisiert das wiederum mit dem Argument, die Expressionisten begingen den Fehler jener Diskontinuität einen zu hohen Wert beizumessen. Laut 'dialektischer Materialismus' handele sich bloß um einen Übergang, falsch ist demnach jener Phase eine ideologisch stabile Basis verschaffen zu wollen. Das Argument von Lukacs mag aus heutiger Sicht altmodisch klingen, wichtig ist aber dennoch die Gefahr einer Verführung des Denkens zu erkennen. Wenn Wahres und Falsches so eng miteinander verknüpft sind, dann ist schwerlich dem zu widersprechen. Und bleibt die Realität, die empirische Welt stumm, kann das somit aufgeklebte Etikett eine Verselbständigung auslösen. Der Bezug auf die gegenwärtige Literatur- und Ästhetik-Diskussion ist damit schnell hergestellt, denn damals wie heute geht es um den einen wunden Punkt, nämlich die Moderne. Was 'modernistisch' von Theoretikern wie Lukacs anhand der expressionistischen Bewegung abgetan wurde, klingt heutzutage abermals bei den Post-Modernisten gegenüber der Moderne an. Gewiss, beides sind leidvolle Themen und oftmals verleiten solche Debatten zu noch größeren Verkennung von Kunst und politischer Realität, aber Blochs Beispiel folgend, Differenzen zwischen politischen Äußerungen und künstlerischen Artikulationen bleiben bestehen, denn nach wie vor wirkt bei jeder Kunstform die Materie mit und das, so scheint es, bewahrt manch einen vor größeren Dummheiten als was der Fall ist, wenn nur noch von der 'Politik' geredet, aber der bloße Nihilismus der eigenen Weltanschauung gemeint wird.

All das mag wie gesagt altmodisch klingen, ist es auch, weil es einem vorkommt, abermals die alte ideologische Mottenkiste auszupacken. Sprache kann dann sehr schnell in ein trügerisches Licht hinein gezogen werden. Schnell sind dann solche Verallgemeinerungen zur Stelle, die weder wahr noch falsch sind, aber einfach sich dem Widerspruch stellen, eher ihn verschweigen. Der Widerspruch war in der Materialismus-Debatte außer der Totalitäts- die Religionsfrage. Blochs enger Freund, nämlich Walter Benjamin, stellte darum fest, dass die Volksfront unter Einflüssen wie die von Lukacs zwar eine Wende hin zum 'großen Realismus' durchmachen würde, aber es sei zweifelhaft ob ihr Begriff von Kultur als Erbe der Vergangenheit ausreichend sei, um ihren eigenen Charakter zu erfassen. Denn „durch ihre idealistische Auffassung von Kultur, Volk, den hohen Werten der großen Revolution und noch vielem anderem erweist (sie sich) als ein von Religiosität geprägtes Phänomen.“ (Zitat aus dem Text Philippe Ivernel, „Paris, Hauptstadt der Volksfront oder postume Leben des 19.Jahrhunderts“ in: Passagen, Walter Benjamins Urgeschichte des XIX. Jahrhunderts, München, 1984, s. 133).

Mit Benjamin wird also die Frage laut, welchen Glauben hegen die Menschen in den modernen Großstädten? Van Gogh sagte, als er in den Armenviertel von London als Laien-Pfarrer arbeitete, dass er erstaunt ist wie viele noch die alten Geschichten aus der Bibel in sich tragen würden, selbst wenn ihre urbanistische Welt sich als Überentfremdung darstelle. Marx gab jenem Proletariat als zukünftiges revolutionäres Subjekt eine weitaus weltlichere Identität, nannte er doch die Religion das 'Opium für das Volk'. Aber die kommunistische Bewegung, sie war gleichsam eine vom Glauben geprägte, freilich an sogenannte höhere Werte, deren Ziele vermutlich weit über das hinausschossen, was Menschen in einem Leben zugemutet werden kann. Die notwendige Opferbereitschaft als Parole deuteten jene Intellektuelle allerdings noch nicht als Krise des Sozialismus; Krise als Begriff war bloß auf den Kapitalismus angelegt, also gab es nicht den Widerspruch zwischen Anspruch auf 'Paradies auf Erden' und 'Opferbereitschaft für die Zukunft', einem Jenseitigen, was die Kirche oft genug gepredigt, dem Kapitalismus und Imperialismus dienend seit der Renaissance, der Ausbeutung von Menschen gewesen war.

 

Hatto Fischer

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