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Günter Grass beim Schälen der Zwiebel - seine Zeit bei der SS

Die Meinung, Günter Grass habe sich lediglich als Jugendlicher getäuscht als er siebzehn Jahre alt der SS in 1944 beitrat, teile ich nicht. Er hat bewusst die Öffentlichkeit, und nicht nur sie, für 60 Jahre getäuscht. Ich habe mich immer wieder gewundert welche Positionen er bezog. Die Blechtrommel interpretiere ich als Über-Identifikation mit dem Schicksal der Nation. Es wird darin das Leiden an der Teilung festgeschrieben. Gleichzeitig ist die Entstehungsgeschichte von Oskar ein Ausdruck derartig vulgär betreffs Sexualität, das dadurch jegliche Ästhetik, also das wirklich Politische an menschlichen Beziehungen, ausgeklammert wird. Eher kommt das gleich einem Schlächter der die Frau als Stück Fleisch behandelt und entsprechend vergewaltigt. Von Liebe ist da keine Spur. Damit folgt er anscheinend dem Ausdruck nach dem Expressionismus, aber nur anscheinend. Nichts verbindet den Expressionismus mit der Anti-Ästhetik die im Nationalsozialismus für Ordnung und Auslassungen sorgte. Seine Romane konnte ich deswegen nicht wirklich lesen.

Eine Ausnahme in den Werken von Günter Grass bildet das 'Treffen in Telgte'. Oft wird dieses Werk über die Barock-Dichter die sich treffen, um die deutsche Sprache zu retten, nicht beachtet. Es hat zwei Teile: die Geschichte, in der auch der Komponist Schütz und sein Anspruch auf eine absolute Ehrlichkeit vorkommt oder der Zustand der im dreißig-jährigen Krieg vorherrschte beschrieben wird, und die Gedichte der Dichter die nach Telgte gekommen waren. Ein wertvolles Zeit-Dokument für die Deutsch-sprachige Literatur also. All das ist wunderbar nachvollziehbar beschrieben als handele es sich um einen anderen Autor Namens Günter Grass. Es zeigt vor allem eine für alle Schriftsteller und Dichter vertraute Situation, und zwar das Ringen um Anerkennung während die Kritik der anderen oftmals unter die Gürtellinie geht. Auch treten die Dichter gemeinsam mit ihren Verlegern auf als seien das Traumpaare aber nur für diese kurze Kür in der den Autoren eigenen Öffentlichkeit. Ja, gewiss, es geht entsprechend hart im Literaturbetrieb zu.

Doch unnachvollziehbar ist warum Günter Grass in seinem Roman das Thema deutscher Vertriebener aufgreift und ähnlich zu Jutta Steinbach mit ihrem geplanten Vertriebenenzentrum den Anfang macht Deutsche nicht länger als Täter, sondern als Opfer der Geschichte darzustellen? Wie gesagt, all das wundert einen doch sehr, aber bis zur Veröffentlichung seiner Autobiografie gab es keine wirkliche Erklärung, warum solch ein Bedenken wie ich das immer empfand, begründbar sei. Schließlich handelt es sich um einen der bekanntesten Schriftsteller der obendrein den Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet bekam.

Ich kenne Günter Grass besonders aus der Zeit als er Präsident der Akademie der Künste war und sich einen besonders kontroversen Übersetzer ins Griechische aussuchte, aber noch besser über einer seiner Kinder, nämlich die Tochter Laura. Sie war mit uns als wir ein Transport mit Medikamenten und Essenmitteln nach Gdansk zur Zeit des Kriegsrechtes organisierten und sie den Heimatort ihres Vaters besuchen wollte. An Laura denke ich heute besonders, was sie durchgehen mag, wenn zusätzlich zu einem berühmten, aber eigensinnigen Vater mit vielerlei Frauengeschichten (K.P. Herbach, für eine lange Zeit Pressesprecher der Akademie der Künste wunderte sich immer wieder wie sämtliche Frauen, die mit Grass was zu tun hatten, dennoch auch gut miteinander auskommen konnten), jetzt diese neue Nachricht hinzu kommt, nämlich ihr Vater war bei der SS!

All dem ist kein realpolitischer Anstrich zu geben, insofern versucht wird, es bloß als eine Jugendsünde abzutun, ohne jedoch die wirklich politische Frage zu stellen, wie war das möglich und warum verschwieg er das für 60 Jahre, um es erst nach Erhalt des Nobelpreises zu enthüllen? Günter Grass kann nicht den Widerstand der Geschwister Scholl preisen und gleichzeitig von sich selber behaupten, er sei anfänglich als siebzehn jähriger nicht nur von der NS Propaganda vereinnahmt geworden sondern habe sich nicht einmal geschämt als er der SS beitrat. Kann dies wirklich auf nur eine politische Naivität reduziert werden? Worin liegt da ein Widerspruch begründet wenn das damalige Verhalten mit dem öffentlichen Auftreten von Günter Grass nach dem Kriege verglichen wird? Die Geschwister Scholl waren damals wie er ebenfalls siebzehn Jahre alt, als sie 1942 wegen des Verteilens kritischer Flugblätter an der Münchner Uni verhaftet und später deswegen erschossen wurden. Und die SS war durchaus dafür bekannt niemals zimperlich mit potentiellen Widerständlern umzugehen.

Wenn jemand mangels einer selbstkritischen Basis sich freiwillig für den Kriegsdienst meldet, und obendrein im Nachhinein zugibt, niemals die NS Propaganda durchschaut zu haben, wie das Günter Grass in seiner Autobiografie darstellt, und aus Wunsch dem engen Rahmen seines Zuhauses zu entkommen, der SS beitrat weil dort ein hartes Training zugleich ein privilegiertes Leben im Vergleich zu den restlichen Bürgern lockte, dann kann nicht solch eine Person in aller Öffentlichkeit noch einen moralischen Anspruch auf politisches Handeln stellen, wenn er sich nicht wiederum diesem Widerspruch in seinem eigenen Leben in aller Öffentlichkeit stellt. Gerade aber das tat Günter Grass in seinem Streit mit Walser was den Historiker-Streit betrifft. Günter Grass warf damals Walser vor, er wolle die Vergangenheit hinter sich lassen – zwar ginge das als Privatmensch, aber dies zu einer öffentlichen Aufforderung zu machen ein jeder solle sich dementsprechend verhalten, das ginge nun doch nicht. Wie gesagt, dieser Streit wie viele andere vermochte nicht den Widerspruch zu erläutern, sondern duldete ihn als Unterschied zwischen privaten und öffentlichen Handeln. Das war eine übliche Haltung im Faschismus, nämlich zu meinen Befehle zu gehorchen wäre eine Sache, was man privat täte etwas anderes. Somit nahm Günter Grass nie Bezug auf was Thomas Mann zum Indiz einer demokratischen Persönlichkeit gemacht hatte und was bereits beim Händeschütteln spürbar ist, nämlich ob dieser Mensch in aller Aufrichtigkeit Körper und Geist verbindet oder nicht.

Günter Grass hat noch im Juli 2006 auf dem Internationalen Pen Treffen in Berlin die Vereinigten Staaten stark angegriffen. Im Nachhinein, und vor allem nach dem Erscheinen seiner Autobiografie, kommt das falsch an. Es unterstreicht einmal mehr die Gefahr einer bestimmten politischen Blindheit, insofern eine Kritik an den Vereinigten Staaten beinhaltet noch lange nicht eine glaubhafte Politik im eigenen Lande.

In dem Buch 'Gespräche mit dem Henker' von Moczarski gibt Jürgen Stroop zu erkennen, welche Maßnahmen die SS ergriff, um sich auf die Zeit nach 1945 und demnach wie vorauszusehen war unter Amerikanischer Besatzung vorzubereiten. Es wurde ähnlich zum Polnischen Widerstand Maßnahmen veranlasst. Die SS hatte deswegen besondere Studien des Polnischen Widerstandes veranlasst, weil jener am Meisten sich der SS-Diktatur zu widersetzen verstanden hatte. Jürgen Stroop selber schlüpfte in die Uniform der Wehrmacht (wohl wissend was es heißt eine SS Uniform zu tragen), um zuerst einer Verhaftung zu entgehen. Es stellte dar einen organisierten Versuch unterzutauchen. Auch Himmler wurde nicht in SS- sondern in Wehrmacht Uniform erfasst. Die SS hatte vorsorglich sechs Monate bei der Wehrmacht eingeplant, um sich diese Uniform zu erwerben. All das und noch mehr mündet in der Feststellung des von Klaus Heinrich realisierten Faschismus Kolloquiums an der Freien Universität von Berlin, und zwar der Faschismus sei nicht in 1945 besiegt worden, sondern habe inzwischen hinzu gelernt sich besser zu maskieren. Dazu gehört auch das Eintreten ins Schweigen – etwas das alle SS Mitglieder aufrecht erhielten, um sich gegenseitig zu schützen. Schließlich hat Günter Grass nicht nur 60 Jahre seine Mitgliedschaft bei der SS verschwiegen, sondern ebenso all diejenigen die sehr wohl das mitbekommen hatten weil sie selber bei der SS gewesen waren. Hinzu kommt noch etwas das Günter Grass selber bis zum Ende geglaubt hatte, nämlich ähnlich zu Jürgen Stroop an den erhofften End-Sieg oder dem großen Erfolg, der einem dann die Erfüllung seiner Träume sichert. Bei Jürgen Stroop war das ein Gut in der Ukraine wo er jeden Tag hätte ausreiten können.

Ich horchte auf als Günter Grass zuletzt die Ausstellung von Breker befürwortete. Sein Argument war, es sei an der Zeit, dass die Öffentlichkeit sich mit den Mitläufern von Hitler insbesondere unter den Künstlern, auseinander setzen würde. Zeitungsberichten zufolge wird die Ausstellung insbesondere von jenen die sich zur rechten Szene zählen, aufgesucht. Das kann nur eines heißen: rechtes Gedankengut wird abermals hoffähig! Das setzt ebenfalls ein Zeichen der Zeit. Zuvor wäre solch eine Ausstellung undenkbar gewesen, obwohl es eine ähnliche Kontroverse im Zusammenhang mit der Flick Sammlung gab.

Bei aller Vorsicht nicht gleich die Wiederkehr des Faschismus zu vermuten, bleibt als Mahnung eine Lehre aus dieser schrecklichen Zeit bestehen, nämlich 'der Faschismus habe sich zuerst die Macht erschlichen und dann ergriffen'. Dazu gehört ebenfalls die Verharmlosung solch einer Vergangenheit wenn sie auch nicht ganz zu verdrängen ist. Denn es kommt auf eine bestimmte Rationalisierung an, um über die wirklichen Gräuel-taten hinweg sehen zu können.

In vielem ist Günter Grass sich treu geblieben, insofern er stets Position bezog die durchaus mit einer deutsch-nationalistischen Ideologie vereinbar ist. Er mag nur für eine kurze Zeit, und dem Ende des Krieges zu, bei der SS gewesen sein, aber die SS war keine beliebige Organisation. Die Mentalität die sie voraussetzte um ihr zuzugehören, das verdeutlichen die Gespräche mit den Henker. Das ist ein seltenes Buch weil es einen tiefen Einblick in die Formung von solch einer Mentalität gibt, und dazu gehört eben auch der Wunsch einem engen, autoritären Familienhaus entkommen zu wollen. Kurzum, die SS war eine Terrororganisation höchsten Grades. Gegeben die von Hitler ausgegebene Leitlinie in 'Mein Kampf', untermauert von Heideggers 'Sein und Zeit', es bedeutete das Große, das Heroische und das wirkliche Sein war nur im Konflikt, Kampf und demnach im Krieg zu suchen und zu finden. Und hier stand die SS dem Diktatur am nächsten was solch eine Gefolgs-Kompanie einem jeden abverlangte, nämlich unbedingte Gehorsamkeit, und wenn es sein muss auch ein Drauf-treten in aller Brutalität, weil Ausdruck einer Verachtung eines jeden der nicht diesem Begriff von Mensch in voller Uniform entsprach.

Jürgen Stroop spazierte bereits als fünfzehn jähriger stolz durch die kleine Stadt mit solch geputzten Stiefeln, so dass darin die Stadt sich spiegeln konnte. Er tat es um die Mädchen und vor allem sich selber zu imponieren. Moczarski beschreibt ihn als jemand der kaum sich sprachlich auszudrücken vermochte, weil er nur eine Volksausbildung hatte. Sprach er aber von den Aktionen die er 'ausführte' im Auftrag von Himmler und Hitler, dann immer mit einem Wortschatz der den Einfluss der Experten und Berater die diese Aktionen vorbereiten halfen, verrät. Von Klein-auf verstand er es, um Weiterzukommen müsse er gleich seiner Mutter nach oben dienen, nach unten aber getreten werden. Die Hierarchie der Organisation wurde aber nie angezweifelt.

Kurzum, wenn Günter Grass seine Unschuld, weil damals ein Jugendlicher von siebzehn Jahren, zu beteuern versucht, dann nehme ich ihm das nicht ab. Bereits als ich an der Münchner Schule im Alter 7 bis 12 die Verfolgung von den Jungs in meiner Klasse erlebte, nannte ich deren Anführer Stalin. Ferner hat Robert Musil in seinem 'der Zögling Törless' beschrieben wie das spätere Verhalten der SS Folterknechte bereits an der Schule vorweg genommen wurde, weil viele gegen einen eher Ausdruck einer Feigheit als politische Mut bezeugt. Mut verlangt allerdings immer das Eintreten für andere Menschen und deren Rechte zu existieren. Das wäre vor allem nötig gewesen um den Mord an 6 Millionen Juden zu verhindern.

Das Schlimmste an der ganzen Geschichte von Günter Grass ist die Täuschung der Öffentlichkeit über 60 Jahre hinweg. 60 Jahre später ist zu spät. Vermutlich hätte er nicht den Nobelpreis erhalten, wäre das über ihn bereits im Vorfeld bekannt gewesen. Es ist mir nicht vorstellbar, er hätte dann noch Zugang zu einer Würdigung bekommen die bereits solchen Schriftstellern oder Dichtern wie Böll, Neruda, Elytis, Beckett, Heaney usw. zu teil wurde. Er entehrt damit den Preis, gibt ihm einen hohlen Nachgeschmack.

Günter Grass symbolisierte bislang die Normalisierung der Bundesrepublik trotz oder wegen ihrer Vergangenheit gerade ein Beispiel für die harte Arbeit wenn eine Gesellschaft sich zu emanzipieren hat, um wirklich demokratisch zu werden. Stets agierte Grass als Nachfolger von Heinrich Böll als das 'moralische Gewissen' der Nation. Jetzt scheint mit der Veröffentlichung seiner Autobiografie der richtige Moment sei gekommen, um einen weiteren Schritt in Richtung von eben dieser Normalisierung zu tun. Allerdings verstärkt das den Verdacht 'timing is everything'! Anscheinend nach Erhalt des Nobelpreises sagte er sich jetzt kann er das wagen, und noch mehr er vermutete zu Recht nicht viele werden daran Anstoß nehmen. Eher werden sie ihm verzeihen und nachsehen weil damals noch ein Jugendlicher und es ohnehin bekannt ist laut Ernst Bloch, das Jugendliche schnell rechtes Feuer fangen. Schließlich kann jeder Jugendlicher sich verrennen, und wenn, dann ist dies nicht so schlimm weil halt nur eine Jugendsünde! Gemessen an dem was der Nationalsozialismus im Allgemeinen und die SS im Besonderen veranlasst hat, ist das gelinge gesagt, eine nicht zu akzeptierende Verharmlosung für was doch ein Inbegriff von Demokratie ist, nämlich die politische Verantwortung für wie im Lande regiert wird.

Viele sehen nicht bei dieser Verharmlosung mittels des Begriffes 'Jugendsünden' was gegenwärtig geschieht. Vor allem die rechte Szene hat stark zugenommen, siehe die Abgeordneten der NPD in Sachsen. Da gibt es viele weitere Entwicklungen die einen aufhorchen lassen. Zum Beispiel schrieb mir ein 18-jähriger Theologie-Student, dass sie vor allem die Schriften derjenigen Theologen lesen und studieren würden die bekanntlich Nationalisten waren und darum vermutlich kaum kritisch, besonders nicht in aller Öffentlichkeit, gegenüber dem Nationalsozialismus, sondern eher wie alle anderen Mitläufer gewesen waren. Die Begründung warum ausgerechnet diese Texte gelesen werden, lautet, es handele sich dabei um besonders gute Schriften. Vermutlich enthalten sie in ihrem Kern raffinierte Formen der Rationalisierung die ein Arbeit in aller Konformität zum System möglich machen. Das klingt ebenso wie die Rechtfertigung von Heidegger wo zwischen seiner politischen Haltung und seiner Philosophie ein Strich gezogen wird so als habe das eine nichts mit dem anderen zu tun.

Eine politische Naivität vorzutäuschen, ist eine Sache, zu übersehen was in einer Gesellschaft geschieht etwas anderes. Dabei wirkt mit eine schreckliche Losung die weit in der Bevölkerung nach 1919 verbreitet war, nämlich alle wollten einen starken Staat und einen glaubwürdigen Politiker der jeden eine Arbeit geben würde. Die Tatsache, dass es keine Debatte darüber gab aber unter welcher ethischen Prämisse kann eine Arbeit akzeptiert oder überhaupt angenommen werden, erklärt warum am Eingang zum KZ auch die Überschrift hängen konnte: 'Arbeit macht frei!' Solch ein Zynismus stammt eher von denjenigen die nicht wussten was eine wirkliche Arbeit zur Sicherung des Überlebens der Menschen auszeichnet. Soldat oder Befehlshaber zu sein, das ist keine Arbeit, aber stellt einen frei von den üblichen Existenzängsten nicht in einer freien Gesellschaft wirklich bestehen zu können, weil bis dahin einfach unehrlich im Wissensanspruch verblieben, nur ein Pseudo-Wissen als Ersatz vorhanden war. Das erklärt die starken Urteile und Meinungen über andere als seien nur jene faul nicht aber einer der das Selbe im Grunde genommen praktiziert, nämlich ein Leben das vorzugsweise auf Nicht-Arbeit ausgerichtet ist.

So stellt sich ebenso die Frage, wie kam Rommel dazu Hitler zu dienen? Brillant sei Rommel gewesen, heißt es immer wieder, und dennoch stellte sich der als Wüstenfuchs bekannte General vollkommen in den Dienst von Hitler und kritisierte erst viel zu spät das weitere Vorgehen von Hitler, aber erst als er einsah alles läuft auf einen fatalen Krieg, einen der niemals zu gewinnen ist, hinaus. Bertrand Russell meint zu viele hoch intelligente Leute dienten der Perfektion der Kriegsmaschine weil die neue Technologie Macht über die Menschen versprach, aber sie taten das in der Forschung und im Militärdienst ohne Moral.

Nach dem Lesen von Moczarskis Buch über Jürgen Stroop in 'Gespräche mit dem Henker', stellt sich erneut die Frage, weshalb die NS Ideologie und die Propaganda der SS so verfänglich sein konnte, dass Günter Grass dem verfiel? Mein eigener Vater, um den Einzug in die SS zu entgehen (er kam von einem reichen Familienhintergrund, war das Reiten gewöhnt und dem leichten gesellschaftlichen Leben sehr zugetan, also ein Ideal-Kandidat), meldete sich freiwillig zur Wehrmacht , und das bereits in 1937. Also sah er bereits die Gefahr die SS darstellte. All das aber lockte jemand wie Jürgen Stroop um so mehr weil straffe Uniform zur Befehlsstruktur gehörte und darum ihm einen Weg über den Endsieg zu seinem erhofften Traum von einem Gut in der Ukraine versprach. Seine Vorliebe für Pferde unterstrich er als er dabei war das Jüdische Ghetto in Warschau zu liquidieren. Er entdeckte eines Tages ein wunderschönes Pferd das offensichtlich zuvor im Besitz eines Juden gewesen war. Es bereitete ihn offensichtlich viel Genuss jeden Morgen mit diesem Pferd auszureiten noch ehe er sich zu der Kommando-Stelle begab von wo aus er die Liquidierung vorbereitete und unter anderem jene brennende Engel -Juden die von den in Brand gesteckten Häusern aus dem obersten Stockwerk brennend vom obersten Stockwerk sprangen – produzierte als Endeffekt in dieser Liquidierung. Nach Warschau ging Jürgen Stroop übrigsten nach Griechenland wo er die Neuorganisation der Polizei übersah. Noch heute sind in der Eingangstür des Hauses wo er wohnte die Hakenkreuze als Dekoration zu sehen, und das der Architekt heute im Besitz des Hauses als Testament dieser Zeit gelassen hat.

Kurzum, diese Projektion auf ein bestimmtes Leben – die SS war viel besser versorgt als alle anderen militärischen Einheiten – mag zwar verführerisch gewesen sein, eine Rechtfertigung kann es dafür dennoch geben. Es hat eben seine Preis wenn einmal in der Nähe zur Macht und zu Hitler einer kriminellen Organisation beigetreten wird. Bei allen Schandtaten der SS so war auch eine innere Feigheit gegenüber dem Befehlshaber die Folge ein noch brutaleres Auftreten gegenüber allen anderen eine Möglichkeit die innere Wut über so viel Demütigung im Folgen der Befehle abzureagieren. Ich glaube jedem fiel das unterschiedliche Auftreten von SS Angehörigen zum restlichen Militär sofort auf. Es war auch stets von einer besonderen Angst begleitet, eine Angst die den anderen die Sprache verschlug. So kam es vermutlich nur selten zu solchen Aussprachen die hätten deutlich machen können, dass nicht alles möglich oder erlaubt sein, und zwar im Namen des Mensch-Sein.

Nein, Günter Grass kann nicht so einfach seine damalige Unschuld beteuern ohne dabei zu beachten wie heute Jugendliche ähnlich verfänglich oder auch nicht sind. Wenn Bloch meinte, 'Jugendliche fangen schnell rechtes Feuer', dann in ihrer Neigung zum Idealismus aber auch zur Radikalität vor allem wenn einmal sie enttäuscht von ihrer persönlichen Umgebung, sie hinaus in die große Welt wollen und meinen dies ginge nur wenn sie große Taten vollbringen. Radikalität verwechselt sehr schnell eine einseitige Moralität, im Grunde genommen eine Ablehnung von allem, mit der Schwierigkeit in jeder Gesellschaft einen gerechten Standpunkt zu finden und zu beziehen. Oft werfen ja die Jugendlichen gerne ihren Eltern einen faulen Kompromiss vor wenn die sich mit der Gesellschaft und den Vorbedingungen Arbeit zu erhalten, arrangiert haben. Oftmals sehen gerade Jugendliche keine andere Möglichkeit sich selber gegenüber glaubhaft zu bleiben indem sie selbst den Kompromiss als Ausweg von diesem Widerspruch verwerfen, dabei sich sämtliche Wege versperren und so sich selber noch mehr ins Extreme treiben. Sie entfremden sich dadurch zusehends von ihren Eltern und Freunden bis ganz allein sie sich ganz und gar übergeordneten, zugleich aber die Menschen verachtende Organisationsprinzipien unterwerfen. Es wäre von Günter Grass konsequent gewesen er hätte von Anfang an über seine Erfahrung als Jugendlicher geschrieben und nicht darüber für 60 Jahre geschwiegen.

Seine Kritik an Brechts politischem Verhalten klingt jetzt besonders hohl. Grass war aber niemals in der Position eines Galileos. Mitgliedschaft bei der SS ist keine Wahrheit die zu verbergen gilt, um deren Autorität wie das der Kirche im Falle von Galileo unangetastet zu lassen. Sie ist vielmehr mehr als nur ein politischer Irrtum, und darum wird beim Verschweigen die Propaganda-Technik der NS Zeit fortgesetzt, insofern eine wissentliche Täuschung der Öffentlichkeit nicht nur einer Verfälschung an Wahrheiten über diese Zeit den Weg vorbereitet, sondern eben die 'politische Lüge' als Mittel zum Zweck unterstreicht. Martin Jay hat darüber geschrieben, was diese Liebe zur Lüge auszeichnet und wozu Adorno meinte, ein Deutscher könne nicht lügen sondern müsse sich selber überzeugen können, das sei die Wahrheit wenn in Wirklichkeit ihre Verdrehung ins Gegenteil. Praktisch dient die politische Lüge stets dem eigenen Machtstreben bzw. Streben nach mehr Macht und Einflussmöglichkeit.

Nichts war so geschmacklos als das Hängen des Hakenkreuzes auf der Akropolis in Athen und Männer in SS Uniformen stehend mit Jürgen Stroop als oberster Polizeichef in Griechenland neben eben diesen Säulen mehr als 2000 Jahre alt. Es ist bekannt wie die deutschen Philosophen aber auch die NS Ideologen über die Antike schwärmten, gleichzeitig aber die Juden von Thessaloniki nach Ausschwitz abtransportieren konnten, und obendrein ihnen noch abverlangten dass sie selber eine Fahrkarte für diese Reise in den sicheren Tod einlösten, insofern sie für die Transportkosten selber aufkommen. Obendrein ist bekannt dass die SS durchaus des Krieges enorme Summen an Geld und Gold für sich zur Seite schaffte. Sie eröffneten ihre privaten Bankkonten in der Schweiz und pflegten ihrerseits gut gehende Beziehungen mit dem Vatikan. Ja, interessanter Weise ist dass Grass wenn Kriegsgefangener er sich im selber Lager befand wie der heutige deutsche Papst der ehemals Mitglied der Hitlerjugend gewesen war. Komisch mutet dabei das an, denn Mitgliedschaft bei der Hitlerjugend im Unterschied zur SS war kein ernster Grund jemand in ein Lager für Kriegsgefangene zu stecken, oder lagen da noch andere Gründe bei Papst Benedikt vor, Gründe bis heute ebenso nicht publik gemacht? Bei Günter Grass hieß es bis zuletzt, dass er lediglich Flakhelfer gewesen sei und darum auch kein wirklicher Grund im Lager zu landen, doch bei ihm ist zumindest jetzt einleuchtend weil er als Mitglied der SS verhaftet wurde.

Wenn erst in 2006 Günter Grass mit seiner Autobiografie 'Schälen der Zwiebel' seine Mitgliedschaft bei der SS als Jugendlicher bekannt macht., kommt es darauf an wie er jetzt damit umgeht. Statt sich öffentlich zu rechtfertigen, wäre es angebrachter, er würde wirklich erstmals eine Phase des Schweigens einlegen. Und was die Zwiebel anbelangt, so sei eines beim Schälen zu beachten: wenn zu lange aufbewahrt mag die Zwiebel nach außen hin noch gut aussehen wenn innen sie längst verfault ist.

 

Hatto Fischer

Athen 13.8.2006


Dazu gab es folgenden Kommentar von einer Studentin:

15.August 2006

Grass gehört zu diesen Idolen 'deiner' Generation, die fast allgegenwärtig in Politik, Kultur und Bildung ist. Dass ihm das gelungen ist ohne dass jemand mal aus seiner SS Vergangenheit geplaudert hat finde ich sehr bedenklich. Kennst Du den Schwarz-Weiß Fiom „1,2,3?“? Ich habe leider vergessen von wem er ist aber er wurde in den 60ern oder 70ern gedreht und beschreibt einen ehrgeizigen Coca-Cola-Fabrikanten in Westberlin der versucht, wichtig zu werden. Eigentlich aber geht es um alle Vorurteile und Klischees über Ost- und Westdeutsche, über Nachkriegsdeutsche, Amerikaner und Russen. Es ist ein netter, lustiger Film und macht vor keiner bösen Anspielung halt Kann ich sehr empfehlen! Egal: auf jeden Fall gibt es eine Szene, in der einer der Angestellten und der Leiter der Filiale auf einen Reporter treffen, der einen Schwindel aufdecken will und den Direktor erpressen möchte. Der Angestellte sieht den Reporter, salutiert vor ihm und identifiziert ihn „aus versehen“ als wichtigen SS-Kommandeur. Der Skandalartikel wird nicht geschrieben und weg ist das Thema....

Man wusste – man weiß und man wird hoffentlich auch in Zukunft wissen, dass die Menschen damals wussten was passierte. Manche wollten nicht, manche haben an die Propaganda geglaubt oder glauben wollen oder sich blenden lassen, aber die die wollten wussten! In einem Land, das sich über Jahre im Krieg befand und versucht hat, alle Juden, Andersdenkende, Sinti und Roma, Behinderte, Homosexuelle etc. umzubringen kann es nicht nur Unschuldige und Nichtwissende gegeben haben.

Und (fast) keiner wurde gezwungen, in die SS einzutreten. Mein Opa hat es sogar geschafft, aus der Hitlerjugend wieder auszutreten nach dem er wegen genau den gleichen, von dir sehr schön genannten Gründen, eingetreten war. Er war technikbegeistert und wollte Segelfliegen lernen. Aber die Leute waren ihm zu blöd, sein katholisches Umfeld unterstützte ihn dabei und so trat er wieder aus. Vermutlich hat er sich auch nicht so viele Gedanken über eine mögliche Konsequenz eines Austrittes gemacht. Einfache Leute halt. Und als einfacher Maurer aus der Nähe von Danzig wurde er selbstverständlich eingezogen und hat sein Leben lang an den Kriegshandlungen, an deren er beteiligt war, gelitten und bei zu viel Alkohol (ich würde sagen, er war Alkoholiker bis ihn die Medikamente zu einer Mäßigung zwangen) unter Tränen davon erzählt. Und auch die Familie meines Vaters wusste um Schikanen und Ermordung von Juden. Die Idee, sich freiwillig für die SS zu melden zeugt von Opportunismus und Egoismus, davon, von den Machtstrukturen profitieren zu wollen und dafür bereit zu sein, nicht all zu viel nachzudenken oder genauer hinzuschauen.

Aus meiner Sicht wäre dieses Bekenntnis von Grass überhaupt kein Problem – wenn es nicht Grass wäre! Ein Idol wird zu einem fehlbaren Menschen, dem Anerkennung und Ruhm offensichtlich schon immer wichtig waren. Und der über Jahrzehnte hinweg bewiesen hat, das er einen guten Riecher für Zeitgeist und Momente hatte und sich gut vermarkten kann (sonst wäre er nicht dort wo er jetzt ist).

Erstens würde ich also sagen, dass es mit zu einer Vermarktungsstrategie gehören könnte und, wie ja auch viele Kommentatoren bemerken, wunderbar in die Vorbereitung zur Veröffentlichung seines neuen Buches passt.

Zweitens mache ich mir Sorgen um die Stimmung in einigen Teilen der Bevölkerung, die Grass den Eindruck vermittelt haben, dass es „OK“ ist, sich seiner „Jugendsünde“ öffentlich zu stellen und auch nichts dabei finden muss. Schließlich ist es lange her und jeder macht mal Fehler, oder? Das man gleichzeitig als Idol, als Moralstimme der Nation und Nobelpreisträger an Glaubwürdigkeit und Gewicht verliert, ja, dass man vielleicht sogar in eine andere Richtung denkend gefährliche Impulse in Deutschland setzt, daran scheint sich Grass nicht zu stören. Und das finde ich wirklich bedenklich!

Wir sind das einzige Land dieser großen weiten Welt, das sich ernsthaft mit unserer geschichtlichen „Schuld“ auseinandersetzt. Weder die Kanadier als „peacekeeping nation“ beschäftigen sich mit ihrer blutigen und grausamen Native Canadians-Geschichte noch die Italiener oder die Spanier mit ihren Diktaturen, die Belgier mit ihrer Kolonialgeschichte oder die Franzosen oder die USA mit ihrer Mitschuld am 2.Weltkrieg. Und die Schweiz ist immer schon neutral und unschuldig gewesen, die Ungarn Opfer und die Skandinavier außen vor (OK – alles etwas verkürzt und übertrieben aber ich finde, die Tendenz sieht so aus). Unsere Geschichtsaufarbeitung betrieben wir nicht immer angemessen und wir übertreiben es gerne mit deutscher Gründlichkeit und Beharren auf das Grauen des 2.Weltkrieges und unserer Mitverantwortung aber wir beschäftigen uns damit! Und das ist ein wichtiger Teil unserer, meiner Kultur. Deiner Generation, die Generation meiner Eltern und meiner Lehrer, war die Aufarbeitung der Jugendzeit ihrer Eltern als Rebellion, als Aufstand gegen das Schweigen und den Mief der biederen, harten Aufbaujahre immens wichtig. Und für viele war die Frage auch nach der eigenen Schuld, dem Mitlaufen und kollektiven Wegschauen so wichtig, dass sie sich entweder intensivst damit beschäftigten oder es so gut wie möglich verdrängten. Meine Geschichtslehrerin hat mit Begeisterung all das mit uns gemacht, was sie gerne in ihrer Schulzeit gehabt hätte...

Aber vielleicht machen wir genau dort Fehler: Wie können wir nachwachsenden Generationen einen Zugang zu deutscher Geschichte ermöglichen, ohne das sie sich abwenden (ich lese freiwillig nur sehr wenig über den zweiten Weltkrieg – nach Jahren in der Schule fühle ich mich „verpflichtet“ und das regt nur selten zum Lesen an. Ich kenne viele andere meiner Kommilitonen, denen es ähnlich geht). Und wie können wir eine Auseinandersetzung mit unserer Geschichte so gestalten dass wir und die nachfolgenden Generationen die Mitverantwortung (ich mag das Wort „Schuld“ nicht) der Generationen unserer Großeltern sehen und einfordern um sie auch von sich selber fordern und erwarten zu können? Weil selbstverständlich macht jeder Mensch Fehler und kann sich auch einmal vertun, wird geblendet etc. Wenn wir als Gesellschaft jedoch vermitteln, dass die Mitgliedschaft in der SS als Jugendsünde abgetan werden kann dann wird auch der Überfall auf einen Ausländer oder die Planung von Attentaten auf Zivilziele für arabische oder rechte „Terrorzellen“ zu einer „Jugendsünde“, etwas was man belächeln und hinterher in der Kneipe als Jugendsünde erzählen kann. Das kann weder im Interesse von Grass noch im Interesse von irgendjemanden sein!

Na ja, ich bin auf jeden Fall gespannt, wie sich die Debatte weiter entwickeln wird. Aber ich würde behaupten, dass sich unsere „endlich können wir feiern“-Gesellschaft lieber mit anderen Dingen beschäftigen und die Vergangenheit ruhen lassen möchte.

Ich habe von einem speziellen Altersheim gelesen, in dem alte Menschen mit Kriegstraumata aus dem 2.Weltkrieg aufgenommen werden weil mit dem Alter all die verdrängten Traumata wieder hochkommen. All die Vergewaltigungen, die Kriegsverbrechen, Ängste, Folter, Verfolgung, Schuldgefühle etc. die einige ihr Leben lang verdrängt haben, sie werden im Alter, insbesondere wenn Demenz einsetzt, hoch gespült. Wusstest Du das? (Ich wollte Grass jetzt keine Demenz unterstellen...aber der Gedanke kam mir gerade).

 

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