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Stratis Tsirkas

       

 

Wer ist dieser Schriftsteller?

 Folgene Auskunft wird von der CeMoG gegeben:

"Stratis Tsirkas (eigentlicher Name: Jannis Chatziandreas) studierte Wirtschaft in Kairo und arbeitete ab 1929 als Buchhalter in Baumwollfabriken in Oberägypten, später als Chef einer Fabrik für Lederverarbeitung in Alexandria, wo er Konstantinos Kavafis kennenlernte. Er gehörte der kommunistischen Bewegung an und nahm aktiv Teil am antifaschistischen Widerstand der griechischen Linken von Ägypten. 1963 ließ er sich in Athen nieder und starb dort 1980. Sein Hauptwerk, die Trilogie Steuerlose Städte, verfasste er teils in Alexandria, teils in Athen und beendete sie im August 1965."

Quelle:

http://www.cemog.fu-berlin.de/aktivitaeten/veranstaltungen/romantrilogie-tsirkas.html

Die Frage stellte sich als ich gerade mal in Berlin war, und dies nur für einen Monat, nämlich November 2015. Eine Freundin, wissend um meinen Hintergrund, hatte mich auf diese Veranstaltung aufmerksam gemacht.

Meine Verwunderung jetzt erst von diesen Autor zu erfahren, das ist vielleicht in vielerlei Hinsichten einer näheren Erklärung schuldig, besagt aber zugleich, dass ich mich nicht in einem bestimmten deutsch-griechischen Kontext bewege. Zwar lebe ich in Athen seit 1988, und hatte bereits davor Griechenland zum ersten Male in 1966 besucht, und dann nach der Zeit der Junta immer wieder in den siebziger und achtiziger Jahren, doch keiner hatte mich bislang auf Tsirkas aufmerksam gemacht. Das ist um so verwunderlich weil viele der Beitragenden auf dieser Veranstaltung seine Romane als Weltliteratur rühmten.

Mein Unkenntnis mag auch daran liegen, dass ich keineswegs in der griechischen Sprache zuhause geworden bin. Eher bewege ich mich nach wie vor im englischen Sprachraum, und das seit meinem zwölften Lebensjahr als ich mit meinen Eltern nach Kanada 1957 auswanderte, und dort bis 1969 blieb. So bekomme ich vermutlich nicht alles mit, was zu erkennen wichtig wäre, aber keineswegs soll das eine Entschuldigung für mein Nicht-Wissen sein. Denn es gibt da noch andere Gründe aber auf die jetzt einzugehen, wenig Sinn machen würde. Um so dankbarer bin ich, dass diese Veranstaltung im Literaturhaus an einem kalten Novembertag mir einen ersten, sehr ernstzunehmenden Eindruck von diesem Autor zu vermitteln vermochte.

Die Veranstaltung mutete zugleich etwas seltsam an, denn ich begegnete bestimmte Personen, so als würden Gestalten meiner Vergangenheit erneut in Erscheinung treten. Schließlich lernte ich diese Menschen in meiner Anfangszeit in Athen kennen, aber dann verschwanden sie mehr und mehr aus dem üblichen Kontaktumfeld. Es mag auch daran liegen, dass ich in Athen kaum oder keinen Kontakt zur deutschen Gemeinde habe, und das obwohl ich jeden Tag an der deutschen Kirche vorbei gehe.

Unter diesen ersten Personen zählt Botschafter a.D. Ulf Dieter Klemm der einst zur Deutsch-Griechischen Schule in Athen ging und um diese Zeit, nämlich 1988-89, Kulturattachee an der Deutschen Botschaft in Athen war. Er bemühte sich damals sehr um eine künstlerische Brücke zwischen Deutschland und Griechenland. Am dortigen Goethe Institut hatte er die Ausstellungskonzeption "Wechselwirkung" ins Leben gerufen. Erst soll ein in Deutschland lebender griechischer Künstler und dann abwechselnd ein deutscher in Griechenland ausgestellt werden. Einer dieser Künstler war Thomas Müller wonach mich auch Herr Klemm prompt fragte, als wir uns nach der Veranstaltung kurz begrüßten und unterhielten.

Um diese Zeit war außerdem Andrea Schellinger am Goethe Institut für die kulturellen Aktivitäten zuständig. Seitdem hat sie sich als Übersetzerin griechischer Literatur und Förderin eines literaischen Deutsch-Griechischen Austausches einen Namen gemacht.

Zugegen war auch Niki Eidener die mich nicht zuerst erkannte, und nur nachdem ich meinen Namen aussprach und wiederholte, erhellte sich ihr Gesicht. In meiner Anfangszeit hatte ich Kontakt zum Romiosini Verlag aufgenommen. Wichtig war vor allem die Frage, welche griechischen Dichter werden ins Deutsche übersetzt und veröffentlicht? Damals galten natürlich die drei Unsterblichen laut Katerina Anghelaki Rooke, und sie meinte nicht sich, aber Seferis, Elytis und Ritsos.

                           

                            Niki Eidener

Mit Niki Eidener und ihrem Mann vom ehemaligen Romiosini Verlag korrespondierte ich vor allem wegen Ritsos, ein Dichter der viele Jahre hinter dem Gitter verbracht hatte als die Junta im Land 1967 - 74 herrschte, und den Neruda seinen Bruder nannte. Er lebte noch als ich in Athen 1988 ankam, aber noch ehe aus unseren Telefongesprächen ein Treffen vor Ort zustande kommen konnte, starb er leider.

Im Publikum befanden sich weitere Personen die mir seit langem vertraut sind, und die eher zu den Griechen in Berlin zählen. Darunter ist auch Kostas Papanastasiou, der griechische Wirt vom TERZO MONDO. Als ich ihn 1977 kennen lernte, wurde damals seine Kneipe von den eigenen Mitarbeitern bestreikt. Angeblich wollte er nicht deren Versicherungen bezahlen. Nebenbei bemerkt, Kostas ist so etwas wie das inoffizielle kulturelle Außenamt Griechenlands in Berlin. Er ist außerdem der Wirt in der Filmserie "Die Lindenstraße", und ein sagenhafter Geschichtenerzähler. Zuletzt schilderte er mir wie er als Junge in Eleusis ankam, auf einem nahen Berg hauste, aber des öfteren zu dieser Industriestadt runter ging, um etwas Arbeit und noch eher etwas zum Essen zu bekommen. Diese Stadt bewirbt sich momentan wie viele andere griechische Städte um den Titel 'Kulturhauptstadt Europas'. Diesen Titel soll erneut eine griechische Stadt in 2021 tragen, d.h. nach Athen 1985, Thessaloniki 1997 und Patras 2006.

      

                                       

Vor allem trat an diesem Abend in Erscheinung das mir ebenso bis dahin unbekannte Centrum für modernes Griechenland. CeMoG ist die Kurzfassung dazu. Das an der FU angesiedelte Zentrum gestaltete den Abend. Als der Saal sich allmählich füllte, war das vor allem leicht in Richtung Podium wegen der Projektion erkennbar.

    

In der Einladung wird erklärt, dass CeMoG von der Niarchos Stiftung finanzielle Unterstützung erhält, im Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften an der Freien Universität von Berlin angesiedelt ist, und den Romiosini Verlag effektiv übernommen hat. Letzteres wird seitdem als die Romiosini Edition fortgesetzt.

Zeit & Ort

23.11.2015 | 20:00

Buchvorstellung "Die Romantrilogie von Stratis Tsirkas in der Edition Romiosini" im Literarturhaus von Berlin

 

Da diese Buchvorstellung am 23. November 2015 im Literaturhaus Berlin statt fand, gingen meine Gedanken zur Zeit vor 1989 zurück. Nachdem das Literaturhaus auf der Fasanenstraße 23 1986 eröffnet wurde, galt es sehr schnell als einer der begehrtesten Orte für Dichtung und Literatur. Bis 2003 hatte Herbert Wiesner, ab dann Ernest Wiechner bis heute die Leitung inne.

Das Haus entstand in einer Zeit als gewisse gesellschaftliche Kräfte eine Konkurrenz zur Akademie der Künste (West) aufbauen wollten. Weil nahe dem damals schicken K'Dam, wurde dem entsprechend ein eher bürgerliches Publikum angeworben. Übrigsten ähnliches verhielt es sich mit der Schaubühne. Als die vom Hall'schen Ufer auf den Kurfürstendam übersiedelte, veränderte sich sofort das Verhältnis von Kunst und Politik. Statt eine neue politische Identität mittels eines kulturellen Prozesses an Reflexionen und Interpretation entstehen zu lassen, dominierte ab dann ein technisch dominierter Sozialisierungsprozess zugunsten einer Staats-tragenden d.h. ideologischen Auffassung von Identität. Die damals gegründeten Literaturhäuser (also nicht nur in Berlin) reflektierten in ihrer Gleichzeitigkeit (oder Gleichschaltung des Literaturbetriebes) was vor allem die großen Verlage durch diese Häuser vermittelt bekommen wollten. Die Verlage hatten mehr oder weniger in einer arrivierten Bundesrepublik im Unterschied zu Berlin West einen anderen Blickwinkel betreffs Literatur. Sie wollten diese wirtschaftlichen und politischen Erfolge in der Ära von Helmut Kohl um so mehr mit Nachdruck in Berlin vertreten wissen.

So stellte zum Beispiel Peter Handkes Publikumsbeschimpfung einen Art Übergang zur jüngeren Generation dar. Gleichzeitig wollte ein Uwe Johnson nicht länger als Experte für die Ost-West Unterschiede zugunsten nur einer Deutschen Leseart mißbraucht werden. Er wanderte zuerst nach New York aus und liess sich dann bis zum seinem frühen Tode an der Küste Englands nieder.

Solche Beispiele besagen vieles wirkte sich fataler Weise einseitig aufs literaische und dichterische Schreiben aus, anderseits wurde die von Verlagen und Literaturhäusern beeinflusste Rezeptionshaltung zu einer starren Erwartungshaltung. Jene glich der Hoffnung der Messias bzw. das neue Genie im Land der Dichter und Denker möge kommen. Sehr gut hatte Michael Grüber in seiner Inszenierung von "Hölderlin Lesen" das heraus gearbeitet: das gestrandete Volk in der Wartehalle eines Bahnhofes wartete immer noch auf das Wort vom großen Herrn. Die lauernde Figur im Hintergrund war dabei unverkennbar immer noch Hitler. Nur einen wichtigen Unterschied gab es: Züge kamen weder an noch fuhren sie los. Folglich musste das Gestrandete-Sein insbesondere in West Berlin wörtlich genommen werden. Niemand dachte die Mauer würde so schnell am 9 November 1989 verschwinden.

Praktisch rückte damit der Literaturbetrieb in die Nähe eines Kultur-Konsums wobei ihr unterschwelliger Terror sehr wohl als das Hinterherlaufen der obskuren Begierde eines Bunels bezeichnet werden kann. So galt der Versuch Literatur zu fördern eher einer Verdrängung kritischer Fragen. Die waren trotz einer Instrumentalisierung zwecks Demokratisierung der BRD vor allem in Berlin West unbeantwortet geblieben. Auch der an diesem Abend erwähnte Peter Weiss und seiner 'Ästhetik des Widerstands' im Vergleich zur Trilogie von Tsirkas wurde zugunsten einer bestimmten Leseart von Kunst und Politik mißbraucht und dementsprechend als Mittel der neuen politischen Bildung eingesetzt.

Einer der wenigen die dagegen Stand hielten war damals Ernst Schnabel. Er kritisierte nicht nur was im Literaturhaus ablief, sondern Walter Jens der Literatur-Rezension mit theologischen Predigten verwechselte. In seiner Rhetorik als Präsident der Akademie der Künste wurde Literatur zu einem Medikament-ähnlichen Mittel zwecks Bekämpfung der Langweile beim begnadigten Bürgertum. Vor allem kam es darauf an im damaligen Literatur-Betrieb die Literatur als alles versprechende Heilmittel zu perfektionieren. Zwischentöne ergaben sich aus der Identifizierung des Feminismus West mit Christa Wolfs 'Kassandra', wobei ihr Roman 'Kein Ort! Nirgends' eine noch bessere Analyse der Verfehlnisse lieferte. Die Romantik fand keinen Ort für die Liebe. Sie war von beiden, dem gemeinen Volk und den Fortschritt diskutierenden Wissenschaftlern ausgeschlossen. Entsprechend widersprüchlich fielen die Kult-Jahre von Berlin 1987 und 1988 aus.

Das heisst bis heute wurden allzu viele literaische und dichterische Arbeiten von Kultureinrichtungen wie das Literaturhaus in Berlin immerzu auf die lange Bank geschoben. Im Korridor warteten vergeblich angehende Autoren ähnlich zur Bürokratie auf die Öffnung der Tür zum Büro des Direktors. Und wenn es mal zu einem Gespräch kam, blieb es doch meistens bei nur wohlmeintlichen Absichten das angeprochene Vorhaben irgendwann mal später aufzugreifen. Stets war da eine literaische Unverbindlichkeit zu spüren. Das zeigte sich auch wieder an diesem Abend.

Allerdings hat sich der sogenannte Literaturbetrieb dahin gehend verändert, dass das amerikanische Geschäftsmodell sich immer mehr durchsetzt, und das in Verbindung mit dem E-Book und online Zugänglichkeiten zu den Romanen. Indikativ ist dafür auch die Übernahme des Romiosini Verlags von einer Einrichtung die an der Freien Universität angesiedelt ist. Das verstärkt nicht nur das Verhältnis von Literatur zur Literaturwissenschaft, sondern die akademische Welt einmal in ein neues Geschäftsmodell gewandelt, wird ihre Wirksamkeit weg von den Studenten mehr auf Markt-bedingte Entwicklungen verlagern.

Es steht zu befürchten, dass die Rezeption einer noch strengeren Rezeptionskontrolle unterzogen wird. während der Widerspruch zwischen Gewissen und politischer Haltung nicht weiter intellektuell verfolgt, geschweige kritisisch reflektiert wird. Eher wird Literatur sprichwörtlich kategorisiert und darum unter Dach und Fach gebracht wird. So kann ohne Berührungsängste fürs eigene persönliche Leben der hoch bristante Stoff eines politischen Autors, der Tsirkas gewesen war, abgehandelt werden.

Ein wichtiger Punkt wurde allerdings an diesem Abend angesprochen. Anscheinend gibt es Zeiten in denen das Schreiben von Romanen möglich ist. Andere Zeiten haben dagegen nur einen kurzen Atem. Sie erlauben eher die Dichtung. Kommt es ferner zu einer Ablösung der Literatur durch eine neue Literatur-Ökonomie, dann verdienen viele an einem Autor. Das ist bereits anhand neu ins Leben gerufene Lehrstühle z.B. zu James Joyce, zu erkennen.

Genauere Erörterungen einer bestimmten Zeitgeschichte die im Roman festgehalten wird, und das Zwecks einem Lernen aus gemachten Fehler, die kommen wirklich zu kurz. Man muss lange warten bis mal die Widersprüche nach Facon eines Adornos als historische Romane das Tagelicht erblicken. Adorno meinte es käme darauf an fast schonungslos die Dinge so darzustellen wie es gewesen ist, um den Nachkommenden eine Chanze zu geben nicht die selben Fehler zu wiederholen.

Das Besondere an Tsirkas wurde allerdings um so mehr hervor gehoben. Er war und bleibt ein Schriftsteller der nicht nur einen Roman schrieb; vielmehr wagte er es eine Triologie und noch mehr eine politisch-kritische Reflexion einer besonderen Zeit. Es handelt sich dabei um Geschehnisse die nicht in Griechenland, sondern in Ägypten in der Zeitspanne 1942 - 1944 stattfanden.

 

die Veranstaltung

 

Die Ankündigung lautete wie folgt:

"Die Romantrilogie Steuerlose Städte (Ακυβέρνητες πολιτείες, 1961-1965) von Stratis Tsirkas ist ein Meisterwerk der literarischen Moderne, das dank der Förderung der A und A Kulturstiftung fast 45 Jahre nach seiner englischen und französischen Übersetzung im November 2015 auch in der deutschen Übersetzung von Gerhard Blümlein erscheint."

Das Program sah folgendes vor:

Der Abend wurde mit einem Grußwort für die Kulturstiftung von Martin Vöhler eröffnet:

         

          Martin Vöhler mit Andrea Schellinger im Vordergrund

Martin Vöhler erklärte kurz und knapp das Bemühen der Kulturstiftung A und A die ihren Sitz in Köln hat, und das Übersetzungsprojekt der Roman Trilogie von Tsirkas gefördert hat (siehe http://www.a-und-a-kulturstiftung.de/index.html)

Nach ihm sprach Miltos Pechlivanos (Literaturwissenschaftler und Direktor des CeMoG)

  

   Miltos Pechlivanos

Er erläuterte, dass das CeMoG ein am Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften an der Freien Universität von Berlin angesiedeltes Zentrum ist und die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Griechenland in Lehre und Forschung fördern will. Diese Tätigkeit sei als Brückenschlag im Europäischen Integrationsprozess zu begreifen. Für die Edition Romiosini werden drei Kategorien (Belletristik, Sachbuch und Fachliteratur) benutzt, wobei einiges davon bereits online erhältlich ist.

             

              Moderator Jörg Plath

Die Beiträge der Teilnehmer am Panel wurde von Jörg Plath moderiert. Er leitete das Ganze mit einer kurzen Rede am Podium ein und setzte sich dann mit der Bitte die anderen würden ebenfalls aufs Podium kommen.

      

        Jörg Plath, Joachim Satorius, Andrea Schellinger

 

der heutige kontex

 

             

            Joachim Satorius auf der Veranstaltung

Der Versuch die statt gefundene Diskussion nachzuzeichnen soll den Kontext des Verstehens für weitere Reflexionen bilden. Dazu hat außerdem Joachim Satorius eine eindrucksvolle Einleitung für die deutsche Ausgabe der Romantrilogie von Tsirkas geschrieben.

Joachim Sartorius: „So viele erregende Essenzen wie möglich“ Zu Stratis Tsirkas und seiner Trilogie Steuerlose Städte

http://www.cemog.fu-berlin.de/newsletter/newsletter-archiv/cemog-newsletter-03/lesenswert.html

 

Der Kommunismus damals und heute

Als ich nicht in Athen wohnte, aber des öfteren in den Jahren 1977-1985 besuchte, fand ich stets im Hause meines Freundes Nikos auf der Hippocratous Straße eine Bleibe. Sein Vater hatte 22 Jahre, seine Mutter 7 Jahre im Gefängnis gesessen. Warum solch eine lange Zeit? Der Vater war einer der wenigen der nie von seinem Glauben in die kommunistische Idee abrückte. Er weigerte sich ein Dokument zu unterschreiben, um zu bekunden er gäbe seinen politischen Glauben auf. Folglich wurde er zum Teil einer Minderheit unter den Anhängern der kommunistischen Partei Griechenlands die ihn wiederum mied wie der Teufel das Weihwasser. Die Mutter stammte aus Kreta. Sie servierte stets die drei Männer - Nikos hatte noch einen jüngeren Bruder der Maler wurde - tanzte jedoch oft aus der kleinen Küche herein, um ihre Lebenslust zu demonstrieren. Die Männer rührten sich nicht vom Fleck. Stets behauptete sie es sei besser in der Vergangenheit gewesen als die Griechen noch mehrere Götter und nicht nur einen wie heute hatten, weil dann konnte man den einen gegen die anderen Götter ausspielen, um so freier im eigenen Benehmen zu werden. Doch diese Vergangenheit mit der kommunistischen Partei wog schwer auf den Schultern von allen, auch Nikos und sein Bruder hatten unter der Abwesenheit der Eltern stark gelitten. All das und der harte Existenzkampf - der Vater hatte einen kleinen Bücherverlag - hatte ihre Gesichter stark gekennzeichnet. Die vielen Konturen, oder waren es sogar Narben, verursacht von den vielen Schlägen, behielten das Schweigen wie Täler voller Schatten für sich.

Ähnlich muss es Tsirkas ergangen sein. Nachdem die Kommunistische Partei in Stalinistische und anti-Stalinistische spaltete, trat er der letzteren bei. Es wehte damals der Geist der Eurokommunistischen Partei mit Ablegern in Portugal als auch in Italien. Oftmals bestand all das aus einer Mischung von Treue und Trotz, oftmals auf organisatorischer Ebene als Dogmatismus missverstanden. Doch wer diese Aus- wie Begrenzungen der Parteigenossen verstehen will, der muss noch genauer dieser besonderen Geschichte nachgehen.

Was die jüngste Geschichte betrifft, ein jeder weiss Griechenland hat etliche Phasen, ja Krisen durchlitten. Es mag mit 1821 beginnen wenn ein Teil sich vom Osmanischer Herrschaft befreite, aber erst ein anderer Teil u.a. die Stadt Ioannina ab 1913 davon loskam und nicht unbedingt darüber glücklich war weil plötzlich vom Hinterland abgeschnitten. Hagen Fleischer hat vieles über die deutsche Besatzungszeit berichtet.

Andrea Schellinger erinnerte an jenem Abend im Literaturhaus unter anderem an die Bedeutung von 'Orchi': das Nein das die damalige griechische Regierung aussprach als Mussolini ihr ein Ultimatum stellte, und weil sie sich nicht widerstandslos gab, kam es zum ersten Sieg der griechischen Kämpfer über Mussolinis Truppen. Das zwang Hitler seinen Feldzug nach Russland vom Frühling auf Herbst zu verschieben weil erst Griechenland als Brücke nach Afrika eingenommen werden musste. So fing an die Zeit einer grausamen Unterdrückung durch deutsche Truppen in Griechenland. Das ging dann fast nahlos über in einen noch blutigeren Bürgerkrieg von 1945 bis 1948. Von 1967 bis 1974 herrschte dann die Junta, eine besonders brutale Militärdiktatur, man brauche hier nur die Gedichte von Ritsos zu lesen. 1981 kam die erste sozialistische Partei Namens PASOK von Andreas Papandreou an die Macht und leitete eine Versöhnung zwischen Links und Rechts ein. 2004 musste die PASOK ihre Macht an die Konservativen unter Karamalis und der Nea Demokratie Partei abgeben. Das war das Jahr der Olympischen Spiele. Bis 2008 schien alles noch gut, aber explodierte die Jugend nachdem der fünfzehn jährige Alexandros von einer Polizeikugel am 6.Dezember 2008 nieder gestreckt wurde. Die ganze Jugend begehrte gegen die korrupte Gesellschaft auf. Dann folgte ein Jahr später die Offenbarung dass der griechische Staat in solch tiefen Schulden steckt, dass der Gang zur IMF erforderlich wurde. Seitdem steckt das Land in einer finanziellen Krise. Da Griechenland nicht ohne Unterstützung durch die EU überleben kann, bekam es harte Sparmaßnahmen von seiten der Gläubiger, anders genannt die Troika, auferlegt.

Kein Wunder wenn viele von einer seltsamen Unruhe gepackt gepackt werden wenn von diesem Land die Rede ist. Besonders das Verhältnis Griechenland-Deutschland wurde immer mehr von einem besonderen Widerspruch belastet. Neben nicht verheilten historischen Wunden wegen der deutsche Besatzung während des Zweiten Weltkrieges, und was immer noch keine klare Versöhnung gefunden hat, kam wegen der Finanzkrise der harte Umgang der Bundesregierung mit Merkel und Schäuble an der Spitze hinzu.

Die Finanzkrise erschien seit 2009 immer mehr unkontrollierbarer. Sie wird mit den Worten, die Schulden seien nicht alleine durch eine bloße Abzahlung zu tilgen, umschrieben. Die Verhandlungen zwischen der griechischen Regierung und den Europäischen Partnern der Eurozone wurden fast zur Brinkmanship mit einem offenkundigen Desaster. Dabei spielt immerzu der Mangel an Verständnis für dieses Land eine entscheidende Rolle.

In 2015 kommt noch etwas anderes hinzu. Deutschland steht vor einer neuen Probe wegen der Flüchtlingswelle die aus Syrien und sonst wo auf Europa und insbesondere auf die Bundesrepublik zurollt. Um nicht unnötige Missverständnisse zu erzeugen, soll es nicht bei einem der Natur entnommenen Metapher belassen bleiben. Stattdessen sind literaische Brücken erforderlich, um diesem Verständnis eine neue Substanz zu geben, und das nicht nur zu Griechenland sondern auch zum Nahen Osten. Damit ist aber auch eine kulturelle Ehrlichkeit und noch mehr eine selbst kritische Reflexion gemeint. Die neuen Herausforderungen von Flüchtlingen bis zu Terrorangriffen verlangen vor allem einen anderen Umgang der Politik mit den heute bestehenden Machtverhältnissen. Sie verschieben sich ständig. Es tun sich immer neue Gewalträume auf, so ein Historiker im Kulturradio Deutschlands. Die von Europa gemachten Fehler zeichneten sich bereits im falschen Umgang mit Griechenland ab, noch mehr erweist sich das als enormer Nachteil in der Europäischen Beziehung zur Arabischen Welt. Man brauche nur auf die Entwicklung in Ägypten zu schauen wo der Arabische Frühling scheiterte und die Rückkehr zu einer neu artigen Diktatur derartig negative Folgen für die Demokratie in jenem Land hat, dass es nicht ausreicht eine Kritik an Europa auszuüben. Denn das Tolerieren von Diktatoren zwecks dem Geschäftemachen trägt zum schlechten Ruf der Europäischen Union bei. Darum spielt heute mehr denn je der schlechte Umgang mit Griechenland als negatives Beispiel. Und schon immer war Griechenland eine Brücke zwischen Europa und dem Nahen Osten, Afrika und noch weiter.

Interessant ist darum, dass dieser Schriftsteller Namens Stratis Tsirkas eine Trilogie schrieb die sich genau auf das Verhältnis Europa zum Nahen Osten beziehen. Er nimmt darin nicht nur den Bürgerkrieg 1945-48 vorweg, sondern zeigt einen anderen Umgang mit der arabischen Welt auf. Seine drei Romane wurden in einem Anti-Orientalischen Sinne verfasst und beziehen sich auf drei Städte.

Steuerlose Städte: Jerusalem, Alexandria, Kairo - Stratis Tsirkas

 Weitere Information zum Roman wird unter folgendem Link angegeben: "Steuerlose Städte: Die Romantrilogie von Stratis Tsirkas in der Edition Romiosini."


Über die Trilogie:
"Jerusalem, Kairo und Alexandria, drei Städte im Kriegszustand, sind die Schauplätze der drei Romane Der Club, Ariagni, Die Fledermaus, die zu den wichtigsten Werken der neugriechischen Literatur des 20. Jahrhunderts gehören. Das Zeitfenster der Handlung beträgt gerade einmal 23 Monate, vom 7. Juni 1942 (99 Jahre nach Hölderlins Tod) bis zum Mai 1944, zur Verurteilung der griechischen Exilstreitkräfte in Ägypten und Palästina, die beim Ende des zweiten Weltkriegs die Errichtung einer Regierung der nationalen Einheit anstrebten und gegen die griechische und englische royalistische Militärführung revoltierten. Gleichzeitig sind damit die kulturellen und zeitpolitischen Bezüge vorgegeben.

Mit seinem als work in progress angelegten Hauptwerk verfolgte Tsirkas das Ziel, das historische Versagen der Revolte vom April 1944 zu verteidigen, auf die „die freie Welt keinen Grund hat stolz zu sein und [die] die Historiker gerne vertuschen“ (René Etiemble). Im Zentrum der Trilogie steht Manos Simonidis, ein griechischer Offizier und jungintellektueller Schriftsteller. Mitten im Krieg und im kulturellen und ideologischen Schmelztiegel des Nahen Ostens versucht er, der Dekadenz der Vorkriegswelt zu entgehen und sich von der ideologischen Starre seiner Parteifreunde zu distanzieren. Zweifel, Verluste, Freundschaft und Abneigung sowie die Liebe zu zwei Frauen begleiten seinen Weg bis in den Bürgerkrieg hinein.

Die drei Romane vermitteln die europäische Moderne nach Griechenland. Zugleich steht Tsírkas‘ Trilogie in intertextuellem Dialog mit der Poesie von Kavafis und Seferis. Er erschafft einen polyphonen narrativen Kosmos, ein System vielfältiger Stimmen und Perspektiven. Vor allem der erste Band bietet in dichter Komposition moderne Erzähltechniken: Rückblenden und Vorausdeutungen, die die Spannung in der quasi-kriminalistischen Handlung aufrechterhalten, oder auch den atemlosen Bewusstseinsstrom der Frau Anna, der an Joyces Molly Bloom gemahnt."

Quelle:

http://www.cemog.fu-berlin.de/aktivitaeten/veranstaltungen/romantrilogie-tsirkas.html

 

 

Wer nicht diese Städte kennt, also noch nie sie aufsuchte, geschweige in ihnen sogar eine zeitlang lebte, der kann sich dennoch mittels dieser Triologie in sie hineinversetzen.

Tsirkas hat selber in Alexandria für 24 Jahren gelebt, aber dann wurde er vertrieben. Er ging nach Athen doch er vermisste jene Welt von Alexandria sehr. Noch heute wird gesagt diese Stadt mit ihrer einst großen griechischen Gemeinde war eine Besondere weil in ihr die kulturelle Vielfalt förmlich lebte. Zum Beispiel, Mohamed Awad, Professor für Architektur an der Universität von Alexandria und Ratgeber für die neue Bibliothek von Alexandria zeichnete auf dem Symposium "The need of a constructive dialogue", 1 -7 Sept. 2015 solch ein lebhaftes Bild, in der Meinung Alexandria würde erneut aufblühen können, gäbe es nicht die besorgnis erregenden Entwicklungen in Ägypten und sonst wo im Nahen Osten. (Siehe Thematic Circle B : Art and Culture des soeben genannten Symposiums).

Beim Versuch sich nicht nur in diese Städte, sondern in jene Zeit mittels Phantasie, angeregt durchs Lesen dieser Lektüre, hinein zu versetzen, riskiert ein jeder zu erleben, was doch nicht geht. Kant stellte seinerzeit fest, obwohl er fest daran glaubte, es sei möglich als er schrieb "ich denke, ich kann überall hin meine Vorstellung begleiten", so trennen sich leider früher oder später die Wege. Das Denken geht in die eine Richtung, die Vorstellung in eine andere. Diese Absonderung der Phantasie ist ein besonderes Problem des Menschen in der Wirklichkeit. Er will die Stadtmitte finden und kommt doch wieder am anderen Ende heraus. Zeiterfahrungen werden dann von Walter Benjamin als Flaneur gedeutet oder es ist bei dem Philosophen Ernst Bloch das was um die Ecke verschwindet.

Kaum habhaft der Zeit in der wir leben, und das im literaischen Sinne, bleibt Gegenwart das was wir nicht voll und ganz wahrnehmen, so auch die Meinung von Ai Wei-wei. Kunst des Bewahrens ist darum zugleich ein Inbegriff von Literatur die sinnliche Eindrücke einsammelt und dadurch noch etwas anderes in Erinnerung ruft. Juan Gutierrez nennt das die "verrückte Güte" wenn der Mensch nicht entstellt noch als das Typische dargestellt wird, sondern die Gefahr einer bloß technischen Wiedergabe wird dadurch vermeidbar, indem das Literaische anfängt zu hummen und sogar etwas später zu singen. Kraft der Stimme wird der Wiederhall der Schritte an den Mauern hörbar.

Ein Autor wie Tsirkas atmet die Luft der Straße ein und bemerkt wie leicht die Sommerjacke an den rauhen Wänden Schaden nehmen kann. Das verdeutlicht sich in einer Stadt die aus einem Labyrinth besteht, ein Labyrinth das nur für die Außenstehende gilt, nicht aber für die lokalen Bewohner, jene die also in dieser Stadt die Araber sind.

"In der Mitte von Ariagni, dem zweiten der drei Bücher und damit an zentraler Stelle der gesamten Trilogie, verirrt sich Manos Simonides in einem Elendsviertel in der Altstadt von Kairo, wo sich das heruntergekommene Haus befindet, in dem Ariagni mit ihrem Mann wohnt und in dem sie den am Kopf schwer verletzten Manos aufgenommen hat. Nach einem Rendezvous mit Michelle Rapescu verirrt sich Manos auf der Suche nach diesem Haus in den engen Pfaden und Sackgassen des Viertels: „Ich kam zu einem runden Platz, nicht größer als ein geöffneter Fallschirm. In der Mitte stand, unerwartet, ein kurzer Stumpf einer Palme, kopflos. Aber die Häuser drum herum drängten sich eng aneinander und ließen keine Passage. [...]. Die Sackgasse. Ich kehrte um. [...]. Begab mich nach Westen und ramponierte meine Jacke an den Wänden. Um durch den Spalt zu kommen. Richtig. Der kleine Weg verlief gerade und bog später ab, später wieder [...]. Ich drehte mich um und nahm die anschließende Passage. Ich kam bei derselben Wand heraus. Wieder zurück. Die Gasse war kaum drei Finger breiter als die anderen, der Erdboden ebenso uneben, nur sorgfältiger gekehrt. So lange irrte ich umher, aber jetzt hatte ich das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein.“ Aber Manos täuscht sich, er ist nicht auf dem richtigen Weg, und er findet aus dem Labyrinth nicht heraus, unfähig, dessen Anlage und Struktur zu erkennen. Doch nur für den Fremden ist „das Labyrinth“ ein Labyrinth, für die europäische Imagination, nicht für die Araber, die darin wohnen, und auch nicht für diejenigen wie Ariagni, die in Kairo leben und in diesem Viertel ihr Zuhause haben. So ist es schließlich auch Ariagni, die Reinste aus Naxos, auch Ariadne genannt, jene mit dem Faden, oder die Shakespeare’sche Ariachne, die Manos herausführen wird: „An jenem Nachmittag holte mich Ariagni aus dem Labyrinth. Der akustische Telegraf des Viertels war wie das Tam-tam des afrikanischen Dschungels und informierte sie, dass ihr Gast, der mit der Narbe, seit Stunden versucht, sich durch die Gassen zu kämpfen.“ Durch die Kunst von Stratis Tsirkas entfaltet das Labyrinth eine beklemmende physische Präsenz und wird zugleich zum Sinnbild für die Irrungen und Wirrungen von Manos, für seine emotionalen und politischen Unzulänglichkeiten."

Joachim Sartorius: „So viele erregende Essenzen wie möglich“ Zu Stratis Tsirkas und seiner Trilogie Steuerlose Städte

Damit verschiebt sich die Lokalität des Labyrinth von König Minos auf Kreta nach Alexandria wo das Eigensinnige einer nationalen Identität und Kultur verloren geht. Heraus kommt dabei ein Art Babylon, eine Mehr-Stimmigkeit, wonach Dostoevsky in seinem polyphonischen Roman suchte. Es ist die Darstellung einer Gleichzeitigkeit verschiedener Personen die ihren Weg im Wirrwarr der Zeit suchen, und nicht immer gleich finden, wenn überhaupt.

Ansichten

 

Joachim Sartorius: „So viele erregende Essenzen wie möglich“

Andrea Schellinger: Interessant ist, daß dieser Schriftsteller nicht ein Orientalist ist, sondern die arabische Welt auf eine Weise sieht, beschreibt, versteht, die frei vom herablassenden Blick des Westen auf den Orient ist.

Es mag das Besondere an diesen drei Romanen sein, daß der Blick zugleich die Flüchtlinge beschreibt die ihre Städte verlassen müssen, weil steuerlos oder wie es auf Griechisch verlautet, unregierbar geworden sind. Kavafi nahm das vorweg, als der Dichter Alexandria Abschied sagte. Das Lebendige wird ausgetrieben, so als sei die Zeit und die Geschichte ein Besen der die Straßen leer fegt. Das mag einen unbeirrbaren Grund haben. Das besondere an Alexandria ist ja dass diese Stadt in der Geschichte durchaus harte Schläge, die heute noch im Genick zu spüren sind, erlitten hatte. Allein wer mag sich nicht daran erinnern wie das Feuer die bedeutsame Bibliothek von Alexandria vernichtete? Nur hat sich diese Stadt immer wieder erneut aufgerichtet, und wurde darum zum Standort verschiedener kultureller Reflexionen.

 

Quellen:

Joachim Sartorius: „So viele erregende Essenzen wie möglich“ Zu Stratis Tsirkas und seiner Trilogie Steuerlose Städte

http://www.cemog.fu-berlin.de/newsletter/newsletter-archiv/cemog-newsletter-03/lesenswert.html

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