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Jesse Jackson und die Regenbogenkoalition - SFB Sendung von Hatto Fischer Nov. '88

                                         

 

„Regenbogenfarben im Dunklen – Jesse Jackson und die Schwarze Bewegung in Amerika 1988“

eine SFB Sendung: 3. November 1988

Redaktion: Eberhard Sense

 

Die Sendung: 3.11.1988 (23.00 – eine Stunde)

Take 1: Musik-Einblendung

Take 2: Sprecher – Zitat aus Wolfgang Koeppens 'New York'

Take 3: Lutz Engelke: „Ich habe mich schon bemüht...“

Take 4: Martin Jay – die Situation an der Berkeley Universität

Take 5: Lutz Engelke: „Die Amerikaner werden immer amerikanischer...“

Take 6: Meredith: „Manche haben richtige Bilder...hier kommt das 'American girl'“

Take 7: Sprecher: Bloch Zitat

Take 8: Musik-Einblendung

Take 9: James und Grace Boggs: Jugendprobleme in Detroit und SOSAD

Take 10: Rich Feldman: „At the end of the line“ - Gespräche mit einem Arbeiter

Take 11: Musik – Jesse Song

Take 12: Jesse Jackson: Rede in Atlanta ('economic violence'): 'don't surrender“

Take 13: Sprecher – Zitat von Gwen Patton

Take 14: Musik – Jesse Jacksons Kampagne: Economic Blues

Take 15: Sprecher – Zitat von Margo Adair

Take 16: Dukakis: 'the American dream'

Take 17: Dukakis in Griechenland – griechisches Fernsehen

Take 18: Jack Reilley – Interview: Jesses Probleme mit jungen Schwarzen

Take 19: Jesse Jackson

Take 20: Sprecher – Zitat aus dem Brief von Corinna aus New York

Take 21: New York – U -Bahngeräusche

Take 22: Karin Danneker: 'Blue Note': „that's it!“

Take 23: Musik – Ausblendung

 

 

  Die Regenbogenkoalition und Jesse Jackson in 1988

 

Take 1: Musik-Einblendung

Einleitung:

Am 10.März 1988 berichtet die Frankfurter Runschau das überraschend gute Abschneiden von Jesse Jackson. Kommentiert wir dieser Erfolg, dass die Farbe er von Jesse Jackson angestrebten Regenbogenkoalition allerdings vernehmlich schwarz bliebe. Mit großer Interesse nahm ich das Kenntnis. Genau vor einem Jahr hatte ich die Gelegenheit dieses Land, wo demnächst die Präsidentschaftswahl abgehalten wird, mit eigenen Augen kennen zu lernen. Folgend einer Einladung von der Cornell Universität flog ich nach New York und empfand nach meiner Ankunft dort die Beschreibung von Wolfgang Koeppen ganz zutreffen – eine Stadt die nicht nur aus Wolkenkratzer besteht.

 

Take 2: Sprecher – Zitat aus Wolfgang Koeppens 'New York'

„Unter den höchsten Dächern duckten sich andere, die so niedriger wirkten als sie waren, einfache Schuppen schienen es zu sein, ebenerdige Baracken fast, sie zogen die Giganten zu sich herab, wollten sie gleichmachen, und alles dünkte vorläufig und willkürlich, wenn auch nach einer leicht zu begreifenden Ordnung hingestellt zu sein, wie von einem spielenden, aber nicht sehr phantasiebegabten Kind.“

                                              

Von New York nach Ithaca, wo die Cornell Universität liegt, ist es nicht weit: vier Stunden mit dem Auto oder eine mit dem Flugzeug. Als wir die Wälder voller gefärbter Herbstblätter überflogen, kamen seltsamerweise in mir Gedanken an Hollywood, an die Sehnsucht weckende Romantik amerikanischer Filme hoch, doch seitdem haben sich die Städte Amerikas gewaltig geändert. Die Massen strömen nicht mehr wie einst in großen Scharen in die Kinos 'downtown', sondern, wie es sich alsbald in Detroit oder Los Angeles herausstellen sollte, weg vom Zentrum, in Richtung der vielen Suburbs. Man müßte deshalb vorsichtshalber überall in den Städten mit sinnlos gewordenen Einbahnstraßen Walter Benjamins Schild 'Vorsicht! Baustelle!' aufstellen und mit der kleinen Unterschrift versehen: 'hier habe einer geträumt und sich dabei erschossen.' Ithaca ist dagegen eine kleine Oase, die an einem der fünf Fingerseen liegt. Lutz, der bereits vor einem Jahr an der Cornell Universität gewesen war, hatte mir seine positiven Eindrücke mit auf dem Weg gegeben.

 

Take 3: Lutz Engelke

„Ich habe mich schon bemüht...halte ich für eine hoch interessante Art.“

An der Cornell Universität lernte ich gleich am ersten Tag die Professoren auf der 'Picketing Line' kennen. Angestellte der Universität streikten wegen ihren unter dem Mindesteinkommen liegenden Gehälter. Die Professoren unterstützten den Streik. Jeder nahm ein Schild mit einer Protestschrift in die Hand und ging im Kreis herum. Michael Goldfield, dem ich die Einladung zu verdanken hatte, lief etwas leicht zur Seite gebeugt, vor mir her. Experte für Gewerkschaftsfragen, leitete er in diesem Jahr am Institut für Humanities Seminare zum Thema Rassendiskriminierungen im Süden Amerikas. Das eine Monat an der Cornell Universität wurde zu einer meiner wichtigsten Erfahrungen. Fragen, die ich glaubte seien längst in der Schublade verstaubt, wurden abermals lebendig. Die Fragen der Zuhörer bei eigenen Vorträgen regten an zum Weiterdenken.

Es gibt viele gute Leute dort.

Susan Buck-Morss

Noch heute sehe ich vor mir das Gesicht von Susan Buck-Morss etwas rot anlaufen als sie wütend in ihrem Oberseminar ausrief: „Marx hat zwar Recht gehabt, aber Max Weber haben den Sieg in den Sozialwissenschaften davon getragen.“ Von ihr erhielt ich wichtige Impulse, um meine Beziehung zu Adorno und Walter Benjamin zu überdenken. Überhaupt, die Arbeitsatmosphäre tat mir gut und eben diesen ersten Eindruck bestätigte mir Martin Jay sei ebenso der Fall an der Berkeley Universität, als ich ihn aufsuchte.

 

Take 4: Martin Jay

„Jetzt ist die Situation...diese Probleme zu lösen.“

Allerdings hatte ich gehört, dass zuerst die Aufnahmebedingungen zur Universität geändert werden sollten und dann doch wegen des scharfen Protestes der asiatischen Bevölkerung beibehalten wurden. Grund für die Aufregung war und ist, dass die weißen Kinder nicht mehr die harten Aufnahmebedingungen schaffen während die stärker motivierten Asiaten sie spielend erfüllten mit dem von Martin Jay beschriebenen Resultat. Das ist nicht selbstverständlich in der Geschichte der USA, wie von Pamela verdeutlicht, als sie mir eine Insel in der San Francisco Bucht zeigte: dort durften die Asiaten landen, aber es war ihnen untersagt das Festland zu betreten. Lutz widersprach nach meiner Rückkehr meinem positiven Eindruck, Amerika könne sich in Richtung einer pluralistischen Gesellschaft entwickeln.

 

Take 5: Lutz Engelke

„Kann ich nicht so sagen...Traum der amerikanischen Generation, die jetzt nachwächst.“

Traum! Ja, dieses Wort ist oftmals zu hören, wenn Politiker vom 'amerikanischen Traum' reden. Der Begriff wird in einem nicht freudianischen Sinne gebraucht und meint etwas unbegrenztes, zugleich wünschenswert solle sich realisieren – eine fiktive Utopie. Ich stelle fest, es ist nicht leicht solch ein Land objektiv zu betrachten, doch noch schwieriger wird es, sagt mir Meredith, wenn beides, Fiktion und realer Wunsch als Projektion auf die eigene Person erlebt wird.

 

Take 6: Meredith

„Es ist schwer zu sagen...'here is the American girl.'“

Merediths Gedanke kommt eher meinem Gedanken entgegen, dass die Identität, Amerikaner zu sein, etwas zu bröckeln beginnt. Die Vereinigten Staaten sind nicht mehr der Schmelztiegel von einst und deswegen nicht nur die konforme Gesellschaft, jederzeit bereit auf die Flagge zu schwören, um alles aber auch alles im Dienste der Nation zu tun. Bush möchte vielleicht diese Fiktion aufrecht erhalten, aber die heutigen Amerikaner, so scheint es mir, nehmen längst nicht mehr nationalistisch gefärbte Strategien zur Identitätsfindung als etwas anscheinend selbstverständliches, geschweige Gott-gewolltes hin.

Im Verlaufe meines Aufenthaltes lernte ich so viele Menschen kennen die gegen die Politik von Reagan waren, dass ich heute den Eindruck haben 2/3 der Bevölkerung steht gar nicht hinter der derzeitigen amerikanischen Politik. Zum Beispiel Freddy aus Los Angeles. Heute über siebzig, hat sie schon immer, wie sie zu pflegen sagt, für die Bewegung gearbeitet. Ging das Geld aus, verschwand sie, um zu kellnern und kam alsbald zurück, legte 100 Dollars auf den Tisch und forderte die diskutierenden Männer dazu auf weiterzumachen. In vergangenen Sommer freute sie sich als Jesse Jackson richtig loslegte und die Dinge beim Namen nannte. Sie kritisiert die Jugend da, wo sie beim ersten Weh-Wehchen zum Staate rennt und dabei nicht schaut, was sie dabei anrichtet. Nach einem Einbruch organisierte sie die Nachbarn zur Nachtwache. Der Enthusiasmus hielt zwar nur ein Monat an, aber seitdem, fügt sie stolz ihrem Bericht hinzu reden wieder alle Nachbarn miteinander, stolz darauf, etwas gemeinsames getan zu haben.

Freddy lernte ich erst in der zweiten Hälfte meiner Reise kennen. Ich hatte mir vorgenommen den Spuren der Exilleute etwas nachzugehen und gleichzeitig Amerika kennen zu lernen. Und, wie gesagt, an der Cornell Universität sprach mich das Thema 'Rassismus' an. Fünfzehn Postgraduate Studenten gingen diesem Thema nach, unter ihnen Francois Lionnet, die über die Metissage als Begriff der Negativität einer fremden Sprache für Kolonisierte forschte. Mit ihr diskutierte ich am meisten über Blochs Auffassung von Sprache, wie dargelegt von ihm auf dem Exil-Schriftstellerkongreß 1942 in New York unter dem Titel 'Wir sprechen halt mal Deutsch' (wobei damals sein anderes, sehr wichtiges Thema 'die Sklavensprache' unerwähnt blieb.)

 

Take 7: Blochs Rede vor dem Schriftsteller-Kongreß

„...nur wenige Menschen und unter ihnen äußerst wenige Schriftsteller waren je imstande, sich in einer fremden Sprache so sicher, gar so produzierend zu bewegen wie in der eigenen. Keine Nuancen sind ausdrückbar, weder Schärfe noch Tiefe. Der Sprachfluss läuft reguliert, was hier dasselbe bedeutet wie konventionell; weder im anmutigen noch im kühnen Sinn ist irgendwelche Freiheit möglich. Im allgemeinen besteht die Regel, dass einer aus der eigenen Sprache umso schwerer in die andere fallen kann, je vertrauter er mit er eigenen ist, je mehr er in ihr und durch sie erfahren hat. Freilich glänzen schauspielerisch begabte Naturen im Sprachwechsel mehr, auch Menschen, deren Lebens- und Produktionsstil eine Reihe verschiedener 'Perioden' aufweist. Sicher ist jedoch, dass der Zufall, der uns in die oder jene Sprache hinein gebar, später durch keinen anderen 'Zufall' korrigiert werden kann, auch nicht durch Emigration. Die Sprache wird dem Menschen bald ein Stück seiner selbst, und eines, das – in der Mehrzahl der Fälle – am wenigsten abgetan werden kann.“

Worüber Francoise und ich uns wunderten, war, ob es überhaupt einen Sinn hat eine sprachliche Verbindlichkeit philosophisch festzulegen. Wie viele Emigranten mussten auch die Deutschen erstmals die englische Sprache lernen, um abermals produktiv zu werden. Bloch scheint hier das Schicksal jener Exilleute zu teilen die sich gegenüber der englischen Sprache verschlossen. Sie kehrten später enttäuscht aus Amerika in ihre Heimat zurück. Noch heute herrscht hierzulande die Meinung vor, dass die Amerikaner oberflächlich seien. Doch allein die Tatsache, dass Dukakis so viele andere Sprachen außer Englisch spricht, ja seine wichtige Rede in Atlanta an einer Stelle auf Spanisch fortsetzte, deutet auf einen Umgang mit Sprachen.

Interessant ist allerdings in Hinblick auf die Sprache der Schwarzen Bewegung Blochs Inbegriff der Sklavensprache. Er meint damit ein freiwilliges Maskieren, wenn mit jemand gesprochen wird, der höher gestellt ist als man selbst. Zugleich erwähnt er das Phänomen der 'Arm-Leute Priester', und in Verbindung damit den Einfluss der Bibel, zu erkennen immer dann, wenn Leute etwas segnen, um es zu verfluchen, und umgekehrt. Doch das Scheitern an Sprache ist ebenso zu verspüren, wenn nur noch der lyrische Protest in der fremden Sprache ausdrückbar ist und darum sehr leicht in Musik übergeht.

 

Take 8:Musik

Schwarze Musik ist voller Balladen. Sie erzählen vom Tag als die Yo-Yo Schnur riss und vom Pech: 'it cannot be...' - es kann nicht sein. Im Lande von Mark Twain gibt es viele verrückte Geschichten über davon gelaufene Sklaven, doch eine, die mich am meisten ansprach, ist die persönliche Erzählung von Frederick William Douglas. Er schildert wie ihm die Flucht in den Norden gelang, vom Tabu verbunden mit dem Wort 'Abolition' und von seiner Mutter, die ihn nur ab und zu heimlich besuchen kam und schon wieder weg war als er am nächsten Morgen aufwachte. Als er noch Sklave war, verstand er nicht, was die anderen Sklaven sangen. Ihre Lieder wirkten auch nicht fröhlich auf ihn. Die Welt war vielmehr eingeengt durch die Angst vor der Peitsche und die Freiheit, die sie zwischen Weihnachten und Neujahr hatten, die ertranken sie lieber im Alkohol als dass sie Gebrauch davon machten, indem sie Lesen und Schreiben lernten.

Die schwarze Bewegung ist anscheinend sehr, sehr weit seit jenen Tagen gekommen, Jesse Jackson verkörpert für viele das. Es schien mir deshalb zuerst, dass es ganz gut der Schwarzen Bewegung ginge, doch Erfahrungen in Detroit, vorab die Gespräche mit James und Grace Boggs haben mich eines besseren Wissens belehrt. James Boggs ist der Meinung, dass es heute der Schwarzen Bewegung schlechter geht als zur Zeit von Martin Luther King. Damals hatte noch die Schwarze Bewegung ihre notwendige Einheit im Kampf um die Bürgerrechte, heute dagegen ist sie mehr denn je gespalten. Einige haben es geschafft nach oben zu kommen, die Mehrheit lebt aber weiterhin in Armut, ausgesetzt einer oftmals gewaltsamen Rassendiskriminierung und ohne Zuversicht. Neue Gettos bilden sich. Sie heißen nicht mehr Harlem, sondern z.B. die Bronx. Den Besuchern von New York wird geraten nicht dorthin zu fahren, es sei zu gefährlich.

James Boggs verweist auf die Geschichte Amerikas: was die Weißen als 'amerikanischen Traum' bezeichnen, erleben die Schwarzen als einen schlimmen Alptraum. Jede neue Welle von Emigranten kletterte bislang auf ihre Schultern, um zum Erfolg zu kommen, nur sie, die Schwarzen, sie blieben am Fußende der Himmelsleiter stehen, weil sie nirgendwo hin konnten. Immer wieder gab es faule Kompromisse in der amerikanischen Politik. Nach der Revolution wollte man trotz progressiver Verfassung nicht die Einheit gefährden und folglich konnten die Südstaaten nicht nur ihre Sklaven behalten, sie durften obendrein sie als dreiviertel eines freien Mannes zählen, um entsprechend mehr Delegierte nach Washington entsenden zu können. Diese Widersprüche belasten noch heute die Schwarze Bewegung. Und hier in Detroit wählte die schwarze Mehrheit vor fünfzehn Jahren einen schwarzen Bürgermeister, doch kaum im Amt, schaffte er nicht die diskriminierenden Polizeifahndungen ab, sondern riet jedem schwarzen Arbeitslosen sich schleunigst aus dem Staube zu machen. Zwei Probleme beschäftigen die Boggs momentan am meisten: die Jugend und die Tatsache, dass Kinder sich gegenseitig umbringen.

 

Take 9: James und Grace Boggs

Sprecher für James Boggs: „Some of them deplore you...youth is all about crisis.“

Übersetzung für James Boggs:

„Manche von ihnen lehnen dich ab, aber sie sind noch besorgt, manche von ihnen haben Angst vor dir, manche von ihnen hassen dich, aber alle werden vom Wissen getragen, dass etwas getan werden muss. Man kann etwas mit ihnen tun, so zum Beispiel wenn man sie in das Gefängnis abschiebt. Okay. Eines dürfte aber klar sein, dass die Jugend nicht mehr in irgend eine Richtung zu steuern ist. Nein, die Chance dazu ist verloren gegangen. Selbst die Schulen können das nicht. Die Jugend kennt überhaupt keine Institution mehr die sie in irgend eine Richtung steuern könnte. Alles was sie kennen, ist keine Institution mehr. Und das ist zur dauerhaften Krise geworden. Überhaupt, Jugend hat mit Krise zu tun.“

 

Sprecherin für Grace Boggs:

„That coincides ...could kill each other.“

Übersetzung von Grace Boggs:

„Und das trifft sich mit den Notstandmaßnahmen in Detroit. Da wurden 43 Kinder getötet und 55 verwundet. Viele Mütter versuchten darauf zu reagieren. Sie machten einen großen Sprung nach vorne in 1986, aber es dauerte bis 1987 das SOSAD gegründet wurde. Interessant war in 1986, dass die Leute nicht nur fragten, warum werden Kinder umgebracht, sondern was geschieht mit der ganzen Jugend. Es wurde jedem allmählich bewusst, dass man sich zusammen tun muss. SOSAD ging daraus hervor. Wichtig darin ist, dass die Mütter deren Kinder umgebracht wurden und die Organisation gründeten, es als selbstverständlich erachteten, dass sie sich nicht als alleinige Opfer betrachteten, sondern ebenso die Mütter deren Kinder getötet hatten. Jeder sah ein, dass über die Trauerarbeit hinaus etwas geschehen muss. Sie schauten sich nochmals jene Werte an, die dazu beigetragen hatten Situationen zu schaffen in den Kinder sich gegenseitig umbringen.“

SOSAD steht für 'Save our Sons and Daughters' – rettet unsere Söhne und Töchter. Es kommt vor, dass ein Kind nicht schnell genug seine Turnschuhe herausrückt und deswegen umgebracht wird. Auf der Straße versuchen sie sich gegenseitig Mut zu geben: dem werde ich es mal zeigen. In fast jedem Satz taucht das Wort 'fight' – Kampf – auf. Die Situation ist völlig außer Kontrolle geraten. Die Frauen von SOSAD versuchen ihr Bestes. Auf der Sitzung die ich erlebte, bricht eine Frau beim Erzählen wie es passierte in Tränen aus. Vergeblich bemühen sich die Frauen die Männer zur Erziehung der Kinder einzubeziehen. Ein Blick aus dem Ziegelsteingebäude worin SOSAD ihre Büroräume gefunden hat, zeigt eine einsame Straße voller Autowracks. Etwas weiter entfernt, an der Straßenkreuzung, steht ein einsames, völlig verwahrlostes Haus, heute die Notbleibe für Obdachlose. Männer überqueren ab und zu die Straßen, zögern, bleiben stehen, drehen sich um und kehren zurück von wo sie herkamen. Sie irren sinnlos umehr. In der Hand halten sie einen brauen Beutel, Zeichen dafür, dass sie gerade vom 'Liquorstore' gekommen sind. Dort sitzt die Kassiererin hinter Panzerglass.

Ich schaue mich im Raum um. Zwei Reihen vor mir spielt ein kleines schwarzes Mädchen mit einer weißen Puppe: Tinglebell aus der Peter Pan Geschichte. Ich denke an was Eldrige Cleaver in seinem Buch 'Seele auf Eis' geschrieben hat: die Schwarzen würden die Schönheitsideal der weißen Gesellschaft verinnerlichen und dadurch nur lernen sich selbst zu hassen.

Vorne steht James Boggs auf und sagt als einer der wenigen Männer im Raum, dass diese Tötung der Kinder durch Kinder Ausdruck der 'permissive society' sei, doch das sei nicht die Kultur der schwarzen Bewegung. Sie müsse sich abermals auf ihre afro-amerikanische Identität besinnen. Wichtig sei es beim ersten Missbrauch an Alkohol 'Nein' zu sagen, denn da finge es ja an und würde alsbald erst in weiche dann in harte Drogen übergehen. Grace Boggs sitzt hinten und schreibt eifrig mit. Ihre über Jahre hinweg angefertigten Protokolle halten fest die Geschichte der Bewegung. Später berichtet eine schwarze Soziologin der Versammlung dass der Krieg gegen die Drogen in Detroit bereits verloren sei. Hinzu käme die traurige Nachricht, dass 70% aller an Aids erkrankten Menschen Schwarze sind – eine Folge des Lebens im Getto, aber auch der mangelhaften Aufklärung und des Spritzen mit unsauberen Nadeln.

Als wir wegfahren, klopft ein herunter gekommener Mann an der nächsten Straßenkreuzung an die Scheibe. Früher hätte ich das Fenster sofort runter gekurbelt, erzählt Rich mir als wir weiterfahren, aber heute wüsste er nie, ob der nur Geld will oder ihn als einen Junkie betrachtet. Rich selbst arbeitet seit fast 20 Jahren bei Ford. Damals, als er anfing, hätte er es sich nicht einmal im Traum vorstellen können, dass er es so lange das Bauen von Lastwagen aushalten würde. Von seiner Erziehung und sozialem Hintergrund her gehört er der Mittelschicht an, aber die Studentenbewegung und die politische Entwicklung im Lande hatten ihn dazu bewogen diesen Schritt in die Fabrik zu tun.

Er erzählt mir, dass vor fünf Jahren die Hälfte der Belegschaft entlassen wurde als Ford in Krise geriet. Seitdem arbeitet die übrig gebliebene Belegschaft Überstunden, und das Tag für Tag. Natürlich ist jeder für sich froh darüber 50.000 Dollar mehr im Jahr nach Hause zu bringen, aber das Ganze geht auf Kosten der ganzen Gesellschaft und folglich fehlt den Gegenden wo sie wohnen wegen den vielen Arbeitslosen genau diese Sicherheit wonach sie streben, um das Geld überhaupt ausgeben zu können. Wenn nur Kriminalität die Straße beherrscht, dann ist keiner mehr sicher. Rich beendete gerade sein Buch 'At the End of the Line' – am Ende der Produktionsschiene. Es besteht aus Interviews mit Arbeitern. Sie alle zeigen, dass die Krise ihr Bewusstsein allmählich verändert.

 

Take 10: Rich Feldman im Gespräch mit einem Arbeiter

„They have to come with something...the fear, that the job might not be there any longer.“

Den Gesprächen mit den Arbeitern entnimmt Rich vor allem die Sorge um den Arbeitsplatz. Viele begreifen bereits, dass der Inhalt ihrer Arbeit davon abhängig ist, ob sie es schaffen die Qualität der Produkte zu verbessern, um so konkurrenzfähig zu sein. Anders hingegen sieht er deren Wunsch nach einer sicheren Gemeinde. Detroit ist das erschreckende Beispiel des Autos und dessen Folgen. Die Innenstadt ist eine künstliche Insel kostspieliger Erneuerungsversuche in mitten einer total verwüsteten Stadtlandschaft. Während die Reichen immer weiter raus, in die Vororte fliehen, ziehen die Armen in die verlassenen Wohngegenden ein. In der Welt der Freeways werden diese Slums in den Schatten der großen Verbindungsstraßen gedrängt. Sie verdunkeln die Lebensaussichten der dort heranwachsenden Kinder. Das macht eine Organisation wie SOSAD notwendiger denn je, und darum unterstütze er die Bemühungen der Boggs etwas auf die Beine zu stellen.

Politisch geht es der Organisation ähnlich wie der gesamten Schwarzen Bewegung darum die Optik für das menschlich mögliche zurückzugewinnen. Mit 'Moans' und woans' begleiten die Schwarzen die Redner der Bewegung. Die Zustimmung 'that is right' ist oft zu hören, besonders wenn Jesse Jackson loslegt, aber auch durch die Musik versuchen sie einen Zugang zur realen Welt aufrecht zu erhalten. Vor allem die Geschichte der 'Blues' verdeutlicht woran die Bewegung bislang gescheitert ist. Das Jesse-Lied spricht von gezinkten Karten und manipulierten Würfeln, aber auch von der Kreditkarte als schicksalhafte Begleiterscheinung eines Lebens ohne Wert, ohne Sinn.

Take 11: Jesse Song

Hier kommt Agonie zum Ausdruck: die Seele ist auf dem krummen Weg verloren gegangen. Interessant ist, dass für die Sänger der Blues es keinen brauchbaren Metapher gibt, weil anscheinend alles außer Kontrolle geraten ist, und darum höchstens ein 'Hip-Metapher' Not bedürftig dazu herhalten muss, um Realität zu beschreiben. Sie fühlen, dass sie nichts zählen, denn sie haben nichts, außer die Blues. Nachdem die Frau sie verlassen hat, wissen sie, keiner liebt sie mehr – 'no mo!'

Jesse Jackson geht in seinen Reden auf diese Agonie ein. Ich erlebte ihn als er in New York vor einer Versammlung schwarzer Gewerkschafter sprach. Da war Stimmung im Raum. Was er damals sagte, wiederholte er im gleichen stochastischen Tonfall in seiner Rede in Atlanta. Freedy Paine, jene aktive Frau in Los Angeles, hat für mich die Rede mitgeschnitten als sie im Radio gesendet wurde.Kurz vor Beginn der Rede fiel die Elektrizität aus. Freddy trug so schnell sie konnte sämtliche Batterien die im Hause waren, zusammen, um so zumindest etwas von der Rede aufs Band zu bekommen. Dies dann ist das Resultat.

 

Take 12. Jesse Jackson

„Leadership...I love you very much.“

Übersetzung für den Sprecher – die Rede Jesse Jackson

„Regierungsverantwortung

muss die moralische Herausforderung des Tages auf sich nehmen.

Was ist die moralische Herausforderung des Tages?

Wir haben öffentliche Einrichtungen,

wir haben das Wahlrecht,

wir haben einen offenen Wohnungsmarkt,

was ist die fundamentale Herausforderung des Tages?

Es ist die ökonomische Gewalt zu beendigen.

Die meisten Armen sind nicht faul,

sie sind nicht schwarz,

sie sind nicht braun,

meistens sind sie weiß, weiblich, jung,

aber irrelevant ob weiß, schwarz oder braun,

ein ausgehungertes Baby, wenn von innen nach außen gestülpt,

hat die selbe Farbe.

Nenne es Schmerz,

nenne es Leiden,

nenne es Agonie.

Die meisten Armen bekommen keine Sozialhilfe.

Manchen von ihnen sind Analphabeten,

sie können nicht die Stellenanzeigen lesen,

und wenn sie das könnten, würden sie keine Arbeit

passend zu wo sie wohnen, finden.

Sie arbeiten hart jeden Tag.

Ich weiß es, ich lebe unter ihnen.

Ich bin einer von ihnen. Ich weiß sie arbeiten.

Ich bin ein Zeuge.

Sie nehmen den Frühbus.

Sie arbeiten jeden Tag.

Sie erziehen die Kinder von anderen.

Sie arbeiten jeden Tag.

Sie säubern die Straßen.

Sie arbeiten jeden Tag.

Sie fahren die Taxis.

Sie arbeiten jeden Tag.

Sie machen die Betten in denen ihr gestern

in den Hotels geschlafen habt.

Sie bekommen keine Gewerkschaftsvereinbarung.

Sie arbeiten jeden Tag.

Nein, nein, sie sind nicht faul.

Jemand muss sie gesehen haben,

weil das nicht rechtens ist,

aber sie können nicht für sich selbst sprechen.

Sie arbeiten in Krankenhäusern ich weiß sie tun das.

Sie waschen die Körper derjenigen

die Krank mit Fieber sind und Schmerzen haben.

Sie leeren deren Bettpfannen aus.

Sie säubern die Kommode.

Keine Arbeit ist unterhalb ihrer Würde,

und dennoch wenn sie krank werden,

dann können sie nicht in jenen Betten liegen

die sie jeden Tag machen.

Amerika, das ist nicht richtig.

Wir sind eine bessere Nation als das,

wir sind eine bessere Nation als das.

 

Amerika, lasse uns expandieren.

Wenn Herr Reagan und Herr Gorbatschow sich trafen,

war das ein großes Treffen.

Zusammen repräsentieren sie ein Achtel

der Menschheit,

7/8 der Menschheit war von diesem Raum ausgesperrt,

das heisst, die meisten Menschen dieser heutigen Welt.

Die Hälfte sind Asiaten, eine Hälfte von ihnen

Chinesen,

da gibt es 22 Nationen im Nahen Osten,

dort ist Europa,

44 Millionen Latein Amerikaner nebenan,

die Karibik,

Afrika mit seiner halben Billionen Menschen.

Die meisten Menschen von heute sind geld,

sind braun, nicht Christen, arm,

weiblich, jung, und sie sprechen nicht Englisch

in der realen Welt.

Dieser Generation gegenüber muss die reale Welt

politisch verantwortlich sein.

Wir verlieren an Boden in Latein Amerika,

im Nahen Osten, Süd Afrika, weil wir uns nicht

auf die reale Welt konzentrieren.

 

Wir müssen Grundprinzipien haben.

Unterstützt das internationale Recht. Wir haben

am meisten davon zu profitieren.

Unterstützt die Menschenrechte.

Wir glauben daran. Unterstützt die Selbstbestimmung.

Wir bauen darauf. Unterstützt ökonomische Entwicklungen,

ihr wisst es das dies rechtens ist. Seid konsistent.

Und gewinnt zurück die moralische Autorität in der Welt.

Ich fordere Euch heute Abend dazu heraus, meine Freunde,

lasst uns größer und besser werden als Nation und als Partei.

 

Manchmal wird es dunkel werden, aber der Morgen wird kommen.

Wir dürfen nicht aufgeben, ihr werdet dort ankommen und vielleicht

auch nicht, aber ihr seid Eurer Qualifikation bewusst, so dass

ihr Euch daran festhalten, aufrecht erhalten könnt.

Wir müssen niemals aufgeben. Amerika wird besser und besser.

Haltet Hoffnung am Leben,

Haltet Hoffnung am Leben.

Haltet Hoffnung am Leben.

Für morgen Abend und für die Jugend.

Haltet Hoffnung am Leben.

Ich liebe Euch sehr.

 

In dieser Rede wird erkennbar wonach Jesse Jackson strebt. Er will in Anknüpfung an die 'civil rights movement' die fehlende Einheit mittels des Begriffes der ökonomischen Gewalt wieder herstellen. Angesichts den vielen ungelösten Problemen geht es ihm darum, dass die Menschen nicht aufgeben! 'Keep hope alive' – haltet die Hoffnung am Leben. Ich denke über Blochs Beschreibung der 'Arm-Leut Priester' nach und vergleiche dazu Sartres Auffassung der Negritude in seinem Aufsatz 'schwarzer Orpheus'. Denn immer wieder stosse ich bei der Schwarzen Bewegung auf eine Verbindung zwischen Hoffen und religiöser Haltung, so auch be Gwen Patton, eine Delegierte für Jackson auf dem Atlanta Parteitag.

 

Take 13: Gwen Patton

Übersetzung des Textes für die Sprecherin

„Ich behaupte noch immer, dass Hoffnung kein Zeichen der Resignation sondern des Kampfes ist. Hoffnung ist das was Menschen weiterkämpfen lässt. Bei aller intellektueller Ausstattung bleibt Zynismus, ob nun bewusst oder unbewusst, das Zugeständnis einer Niederlage oder Resignation. Das erklärt weshalb innerhalb den Perspektiven der Schwarzen Bewegung die Religion solch eine wichtige Rolle einnimmt. Sie bietet an Hoffnung 'auf Erden, wie es im Himmel ist', vorausgesetzt dass wir darum kämpfen anständige Menschen zu sein während wir diese schwierige Reise hier auf Erde hinter uns bringen.“

Gwen Patton kämpft aber spätestens seit der Wahl von Bentsen als Vizepräsidentschaftskandidat der Demokraten mit der Enttäuschung. Ihrer Meinung nach hat Dukakis eine historische Chance versäumt, indem er Jackson überging. Zwar wäre Jackson nicht der erste schwarze Vizepräsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten gewesen – Lincoln hatte in seiner ersten Amtszeit einen gehabt – doch nur mit Jackson gemeinsam hätte Dukakis die Möglichkeit gehabt die anhaltende Rassendiskriminierung zu überwinden. Für ihre Begriffe ist der Rassimus die Erklärung für die Rückständigkeit der Amerikaner. In der Kampagne '88 veranlasste Gwen Patton Bob Stewart seine 'Economics Blues' für Jackson zu singen.

 

Take 14: Bob Stewart – Musik: Economics Blues

'Um einen reichen Mann reicher zu machen, muss man einen armen Mann ärmer machen.' Die Logik die das Lied damit ausspricht, widerspricht der konservativen Ideologie, die behauptet, Armut sei eine selbst verschuldete Angelegenheit. Gleichzeitig warnt das Lied, falls Jackson nicht gewählt wird, gibt es Krieg. Die Regenbogenkoalition findest sich aber noch nicht innerlich zurecht, in ihrer Rolle als aktive Opposition zum herrschenden System. Einen Grund nennt Margo Adair aus San Francisco in ihrem Beitrag zum 'Grünen Brief':

 

Take 15: Margo Adair – Antwort auf den 'Grünen Brief'

„Manchmal denke ich unsere Organisationsarbeit wird zu sehr von einer 'prime time' Mentalität bestimmt, d.h. von einem Bedürfnis nach erhöhter Dramatik in einer auf Helden und Bösewichte reduzierten Welt. All das mag zur Unterhaltung beitragen, hat aber einen hohen Preis. Eine Auswirkung davon ist, dass wir den Medien die Entscheidung überlassen, wer der Sprecher unserer Bewegung sein soll und dann verstricken wir uns in was diese zelebrierte Persönlichkeit gesagt hat bzw. nicht gesagt hat.“

Margo Adair meint, die Regenbogenkoalition kann nur mit Hilfe einer Vision die Probleme in Griff bekommen. Sehr viel hat sie von ihrem Vater gelernt, ein bekannter Anthropologe, der 1939 bereits damit begonnen hatte eine Indianer-Familie zu filmen und sie 1980-86 abermals aufsuchte, um herauszufinden, was aus ihr geworden ist. Der einst kleine Junge ist heute Vater von vier Kindern, doch die Frau hat die Familie verlassen, um in die Stadt zum Studium zu gehen. Ein Filmausschnitt zeigt sie sitzend im Seminar zum Thema ethnische Minderheiten und hört die Professorin die bittere Wahrheit weil das ebenso auf sie zutrifft, ausspricht: 'viele Indianer hätten ihre Sprache verloren.'

Viele Regenbogenleute sind darum bemüht auf der Grundlage von sieben Generationen eine Identität aufzubauen: 'back to the roots' – zurück zu den Wurzeln nennen sie das. Vor allem bemühen sie sich vom Rassismus loszukommen. Kurse, Seminare und Therapierunden werden dazu überall angeboten. Die Frau des verstorbenen Herbert Marcuse leitet zum Beipiel eine Session mit einem Spiel ein, das auf diskriminierende, sprich rassistisch gefärbte Kategorien aufmerksam machen soll.

Bereits vor meiner Abreise hatte ich Grace Boggs Protokoll von der Arbeitsgruppe 'Regenbogen von unten' lesen können. Darin berichtet sie, dass sie seit jener Diskussion nicht mehr in der Kategorie 'Weißer' denken kann ohne dabei zu stottern. Sehr oft hat ihr James Boggs gesagt, die amerikanische Mehrheit bestünde in Wahrheit aus lauter Minderheiten, aber jetzt erst verstünde sie das. Eine Frau habe ihr eindrucksvoll erläutert, dass drei Modelle für Multi-nationale Beziehungen bislang im Lande herrschten: Assimilierer, Integrierer und Separatisten. Heute sei zu erkennen, dass alle drei Modelle gescheitert sind. Darum müsse man sich fragen, ob es überhaupt noch einen Sinn hat sich Weißer zu nennen. Ein anderer Teilnehmer meinte Weißer als Definition bestünde erst seit der Rebellion von Bacon im Jahre 1676. Damals verfolgte Bacon den Zweck eine Einheit zwischen vertraglich gebundenen Dienern und Sklaven zu verhindern. Heute würden nur in zwei Ländern solch eine Kategorie existieren, in Süd Afrika und eben in Amerika. Der Film 'Cry Freedom' deshalb ganz anders wahrgenommen, insbesondere die Stelle, wo Biko dem Richter sagt, er sei kein Weißer weil er eine rosarote Hautfarbe habe.

Rassentrennung und die damit verbundene Diskriminierung zu überwinden, das ist das Anliegen von Jesse Jackson, doch die 'Grass Roots' Leute der Regenbogenkoalition sind eher skeptisch. Sie glauben nicht daran, dass eine dritte Kraft sich neben den zwei etablierten Parteien, die Republikaner und die Demokraten, konstituieren kann. Die Schwarze Bewegung hat dagegen eine andere Tradition, erklärt mir Denis Terry von Oakland. Lange bevor sie die Bürgerrechte hatten, veranstalteten die Schwarzen bereits Wahlen im Getto und praktizierten somit demokratische Formen. Als Jesse Jackson 1984 in Berlin sprach, erinnerte er daran, dass viele Schwarze im Zweiten Weltkrieg für die Demokratie in Europa kämpften und das lange bevor sie die selben Rechte in Amerika zugestanden bekamen. Dukakis, eher bedacht auf Ausgleich zwischen linken und rechten Parteiflügel, spricht darum mehr von den demokratischen Idealen der Antike und unterschlägt dabei die Tatsache, dass es sich dabei um eine Sklavengesellschaft gehandelt hatte.

Im Vorfeld zu Atlanta machte dann Jackson auch deutlich, dass die Regenbogenkoalition nicht so einfach übergangen werden kann. Er gebrauchte dazu ein bezeichnendes Bild: „was, die Regenbogenkoalition soll die Feldarbeit leisten und wie ehemalige Sklaven die Ernste einbringen, während die Herrschaft drinnen im Herrenhaus allein darüber entscheiden will, was mit dem angehäuften Reichtum geschehen soll – nein, wir werden in das Haus hineingehen und bleiben, denn das ist es, wovor die Herren Angst haben.“

Jackson ist rein gegangen und geblieben. Es kam nicht zum Bruch zwischen ihm und Dukakis. Ergebnis der zähen Verhandlungen hinter den Kulissen sind für die Zukunft entscheidende Veränderungen in den Regeln zur Aufstellung der Delegierten und das Aufrücken von Jacksons Anhängern in der Parteihierarchie. Dukakis selbst zeigte sich anschließend zuversichtlich, dass er das 'Kopf an Kopf' Rennen gegen Bush gewinnen wird.

 

Take 16: Dukakis

„Wir werden dieses Rennen gewinnen, wir werden gewinnen, weil wir die Partei sind die an den amerikanischen Traum glaubt, ein Traum der so mächtig ist, dass keine Entfernung auf dieser Erde, keine Weite eines Ozeans, keine Sprachbarrieren, keine Unterschiede in Rasse, Farbe oder Art imstande sind seinen Halt im Herzen der Menschen zu schwächen. Und ich weiß das, meine Freunde, denn ich bin ein Produkt dieses Traumes und stolz darauf.“

Gewiss, diese Fiktion des amerikanischen Traumes gibt es nach wie vor. Ein Freund von mir verkaufte fünfzehn Monate lang Nüsse an einer Straßenecke in New York. Heute ist er Professor für Video an der Ithaca College. Mit seinen Studenten machte er zehn Aufzeichnungen des amerikanischen Traumes: eine zeigt einen Mann der lieber ins Gefängnis geht als seine mit Hakenkreuze bemalten Panzer und Minenfelder in seinem Garten aufzugeben, eine andere ist die Geschichte eines berühmten polnischen Popstars der binnen eines Jahres sein ganzes Geld in New York verschwendete und heute Taxi fährt, um zu überleben.

Jackson würde sagen, 'the real world' – die reale Welt ist was bestimmend ist und der Traum nur dazu da, dass man nicht aufgibt. Dukakis geht da behutsamer, aber nicht weniger realistisch vor. Er studierte an der Harvard und seine Eltern stammen aus Griechenland. Gerade deshalb verfolgt man dort mit besonderer Interesse sein jetziges Schicksal. Im griechischen Fernsehn hört man wie Leute auf seine Kompetenz als Manager setzen.

 

Take 17: Dukakis im griechischen Fernsehn

Und all das während Jesse Jackson völlig unerwähnt, die Regenbogenkoalition im Dunklen bleibt. Doch welche Probleme Jackson selber zu lösen hat und wie diese Koalition sich weiter entwickeln wird, darüber erfuhr ich einiges von seinem Berater Jack Reilley.

 

Take 18: Jack Reilley

„Jackson kann unheimlich gut...

...Veränderungen vom amerikanischen Bewusstsein und Politik.“

Jackson als Gewissen der Nation erinnert allerdings ein wenig an die Tragik eines Heinrich Bölls. Viel eher ich mir ihn als 'Pferdefliege' der zukünftigen amerikanischen Politik vorstellen. Diese Bezeichnung gebrauchte Sokrates, um sein Verhältnis zur griechischen Polis zu charakterisieren. Sollte der aus Griechenland abstammende Dukakis tatsächlich die Präsidentschaftswahl gewinnen, würde diese Rolle sogar eine passende sein. Jackson hat bereits in Atlanta zu seinen Anhängern gesagt, dass er kein Amt für sich persönlich anstrebe: er will ein freier Mann bleiben und das heisst für ihn das sagen, was er will und meint sei wichtig beim Namen zu nennen.

Die Reagan Administration hat er darum immer wieder als fürchterliche Aristokratie bezeichnet, die sich auf Kosten der Zukunft des Landes bereichert hat. Die Folge davon ist ein enorm großer Defizit im Staatshaushalt und somit eine schier unlösbare Aufgabe für den nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten. Und noch weitere Konflikte scheinen vorprogrammiert zu sein. Während Wallstreet sich darüber freut, dass die Arbeitslosigkeit doch nicht abnimmt und darum keine Inflationsgefahr darstellt, leben allein in Berkeley 40 000 Leute auf der Straße. Bagspeople werden sie genannt: lebende Zeichen einer anwachsenden Armut. Jackson fordert darum immer wieder dazu auf, dass das Geld von der Verteidigung z.B. in Europa abgezogen werden soll, um etwas von diesem Geld für die Erziehung der Kinder zu benutzen.

 

Take 19: Jesse Jackson

„We stand at the end...

...to put America back to work.“

Übersetzung des Textes

„Wir stehen am Ende einer langen dunklen Nacht der Reaktion.

Wir stehen heute Abend vereint und verpflichtet

einer neuen Richtung gegenüber.

Für fast achte Jahre wurden wir von jenen angeführt

die das gemeinsame Gut missachteten, weil nur von privaten Interessen

bestimmt,

die das öffentliche Leben als Möglichkeit, privaten Reichtum

zu vergrößern, betrachteten.

Sie waren bereit das gemeinsame Gut zugunsten Privatinteressen

und dem Reichtum einiger wenigen zu opfern.

Wir glauben an die Regierung als ein Werkzeug der Demokratie,

im Dienste der Öffentlichkeit,

nicht als ein Instrument der Aristokratie auf der Suche nach

privatem Reichtum.

Wir glauben an die Regierung, wenn der vom Konsensus aller getragen ist.

 

Wir müssen in die neue Richtung steuern.

Reaganökonomie basierte auf dem Glauben, dass die Reichen zu wenig Geld,

die Armen zu viel Geld hätten – das ist klassiche Reaganökonomie.

Das ist der Glaube, dass die Armen zu viel Geld und die Reichen zu wenig

haben.

Somit engagieren sie sich im umgekehrten Sinne in Robin Hoods Kleidern:

sie nehmen von den Armen, geben den Reichen, und alles wurde bezahlt

von der Mittelschicht.

Wir können nicht vier weitere Jahre Reaganökonomie ertragen,

in irgend einer Vision.

Wir sind eine Nation mit Schulden, und das heißt wir schulden viel.

Lasse Europa und Japan die Verteidigungskosten mittragen,

gebrauche etwas Geld davon für den Bau anständiger Wohnungen,

gebrauche etwas Geld davon zur Erziehung unserer Kinder,

gebrauche etwas Geld davon für eine langfristige Gesundheitsversicherung,

gebrauche etwas Geld davon, um manche dieser Gettos zu beseitigen und

um Amerika abermals Arbeit zu geben.“

 

Ob die Reaganökonomie tatsächlich nach fast achten Jahren dem Ende zugeht, wird sich erst nach dem 8.November und dem Wahlergebnis zeigen. Eines ist aber jetzt schon sicher: die Jesse Jackson Kampagne '88 hat nicht nur die Schwarze Bewegung, sondern insgesamt die Regenbogenkoalition weiter gebracht. Jackson hat es ermöglicht, sagt Grace Boggs, dass die Leute sich in einem neuen Licht zu sehen begonnen haben und das trug dazu bei, dass jeder gewillt ist neue Koalitionen einzugehen. Gleichzeitig habe er es nicht versäumt auf nationaler Ebene die Kräfte der Regenbogenkoalition institutionell einzubinden. Das gibt Grund zu hoffen. In Detroit konnte zum Beispiel Janice, die Frau von Rich, endlich ihren Kampf gegen die Fundamentalisten gewinnen und eine Beratungsstelle für Gesundheit an einer Schule eröffnen. Im entscheidenden Moment konnte sie die Beteiligten maßgeblich davon überzeugen, dass die Fundamentalisten nicht Wahrheits-gemäß Aussagen gemacht hatten. Somit deutet sich etwas an, doch ob es überall so aktiv zugeht, steht zu bezweifeln. Eine Freundin, bemüht in New York zu überleben, lässt anklingen, dass das Bewusstsein für Qualität noch nicht überall in Amerika vorhanden ist.

 

Take 20: Brief aus New York von einer Freundin

New York den 7. August 1988

„Das Leben in der Großstadt stellt immense Anforderungen und lässt keinen Raum für einen selbst. So, ein Benjamin'sches 'Eingedenken' wird kaum noch möglich, wird an den Rand gedrängt, weil man ständig unterwegs sein muss, weitere künstlerische oder filmische Aufträge zu erlangen, nicht etwas zur 'Selbstverwirklichung', sondern zum reinen Überleben - weil man sich meist mit einem Realismus der 'basic needs' schon zufrieden gibt. Lebensstil an der Basis, und was um so amerikanischer ist. Meine Erfahrungen mit Menschen in diesen 2 Jahren waren sehr intensiv und – enttäuschend: 'it comes down to the fact that the human condition is degenerated.' Alles trägt nur zur Unterhaltung des Individuums bei, und das in einer auf Individualismus basierenden Gesellschaft die zugleich logisch und eindimensional ist. Das hätte ich gleich wissen können, aus der Theorie, vor Amerika! Allerdings bin ich noch immer dabei meine angesammelten Vorurteile zu überprüfen - wenigstens das Positive am Positivismus heraus zu finden. Ein Beispiel sind die Chancen, die nicht durch eine Selektion per Ausbildung von vorn herein reduziert werden, sondern man kann sich als fähig in einer Position erweisen. Schließlich zählt die Erfahrung, nicht der Ausbildungshintergrund – und das erlaubt eine selbstverständliche Flexibilität, für mich sehr wichtig, da ich ja nie sehr lange bei einer Sache bleiben kann. In Sachen Qualität lässt vieles wiederum zu wünschen übrig. Mehr noch, und darunter leide ich, Qualität ist überhaupt kein Thema, man fragt nicht danach, kommt ohne aus, die 'basic needs', wie gesagt, die zählen, nicht Ästhetik.“

Manche Menschen können etwas erleben und danach es so erzählen, als sei man dabei gewesen. Im Falle von New York ist das allerdings etwas schwieriger. Der bei Nacht erlebte Zaun um den See im Zentralpark, ohnehin ein unheimliches Erlebnis, taucht plötzlich in Dustin Hoffmans Film, 'der Marathonläufer' auf und weckt das absurde Gefühl nicht mehr zu wissen, was ist Realität, was ist Fiktion. Die Stadt lebt ohnehin in einer eigenen, sich selbst reproduzierenden Welt. Geprägt von Krisen, bleibt sie zugleich davon völlig unberührt.

An einer Ecke des Zentralparks bemüht sich die Feuerwehr um ein totes Pferd. Ein Taxi hat die Kutsche gerammt.

Und auf der 5.Avenue erlebe ich wie Tierschützer Frauen die Pelze tragen, in ihr Gesicht schreien: 'Schande, schande!', und all das während die Masse an Menschen weiter, vorwärts drängt, um ein New Yorker Ereignis mitzubekommen: die Schaufensterdekoration zur Weihnachtszeit.

Am anderen Ende der 5.Avenue, nahe der New Yorker Universität, liegt Washington Square. In der New York Times steht ein Artikel über die Beschwerde der Anwohner weil angeblich allzu viel Drogenhandel auf dem Platz abgewickelt würde. Und tatsächlich das neuste Experiment im Kampf gegen die Drogen ist überall zu sehen: Polizisten kontrollieren überall und dennoch ist Crack in der Luft zu riechen.

Welten kreuzen sich an jeder Straßenecke.

Auf dem Gehweg verliert ein Schwarzer im plötzlich aufpeitschenden Regen seine Ware: die auf einer alten Decke ausgebreiteten Bücher für Studenten der 'New School of Scoial Research'. Dort unterrichtet jetzt Agnes Heller. In ihrem Seminar diskutiert man Descartes Versuch zwischen Gefühlen, Emotionen und Sentimenten zu unterscheiden.

Als ich das Gebäude zwei Stunden später in Richtung U-Bahn verlasse, liegt die Ware verlassen auf der Straße, unbrauchbar, ein Abfall, der wie eine runzlig gewordene Haut das Straßenpflaster überzieht.

Es regnet immer noch.

                                

Ich flüchte in den U-Bahneingang, um der kalten Nässe zu entkommen. Drinnen, auf dem Bahnsteig, empfängt mich eine seltsame Szene: ein Schwarzer kniet vor einer Sitzbank, sein Hab und Gut vor ihm auf der Bank ausgebreitet. In der Hand hält er sein kleines Adressenbuch und behandelt es aber als sei das die Bibel. Unüberhörbar ist es, dass er um Geld betet, aber an seinen Mitmenschen verzweifelt: „Morgen ist Thanks Giving und doch werden die Leute einem eben so wenig etwas geben wie zur Zeit vor Weihnachten; wie sehr ich Dich, Jesus, liebe, aber wie sehr hasse ich diese Atheisten.“ Alles weitere kann ich mehr hören. Die Geräusche der einfahrenden U-Bahn verschlucken seine Worte.

                                                    

Take 21: U-Bahngeräusche

„Geräusche einer U-Bahn...

...Gong. Abwarten für die Weiterfahrt.“

Oftmals war ich nach so vielen Erlebnissen, die U-Bahnfahrten mit ein bezogen, einfach benommen. Als ich Karin, die zwei Jahre in New York gelebt hat und jetzt immer wieder zurück kehrt, sehe, frage ich sie, wie sie all das aushält. Sie sagt, gar nicht, erstmals man einfach benommen, das braucht halt Zeit, aber dann, nach ungefähr sechs Tagen packt es einen. Diese Stadt ist wirklich aufregend, sie hat eine besondere Anziehungskraft, doch man muss erstmals ankommen, um die Vielfältigkeit, die bunten Farben und die unterschiedlichsten Menschen erleben zu können. Und da sie sich in der Stadt etwas auskennt, frage ich sie gleich nach einem der Entstehungsorte von Jazz, nämlich 'Blue Note'. Sie antwortet mir lachend, 'oh ja, lasse uns heute Abend dorthin gehen.'

 

Take 22: Karin Dannecke

„Zum Thema 'Blue Note...

...'that's it!“

 

Sources:

Jesse Jackson Speech to 1988 Convention Pt 7 - YouTube

www.youtube.com/watch?v=HHd6XYMlP4I

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