Franz Kuhn
Ausgangspunkt bildet eine bekannte Kontroverse wenn die Übertragungskunst der Dichtung und Literatur von einer in eine andere Sprache diskutiert wird, und die Franz Kuhn zugunsten der Lesbarkeit entschied:
"Bei einer europäischen Übertragung altchinesischer Prosadichtung kommen nur zwei Möglichkeiten in Betracht: entweder eine vollständige, streng philolgische Übersetzung für die Fachkreise oder eine freigestaltete Übertragung, eine freie lebensfaehige Neuschöpfung für das bücherlesende und bücherkaufende Publikum. Meine Aufgabe war: aus dem Orginal für das deutsche Publikum das zu machen, was es in China ist: ein Volksbuch. Demgemäß variiert meine Fassung von der wortwörtlichen Übersetzung über die künstlerische Übertragung bis zur freien Bearbeitung. Beispielsweise habe ich das ganze, historisch zu weit ausholende erste Kapitel des Originals mit wenigen knappen Sätzen im ersten Kapitel meiner Fassung untergebracht. Ich habe die ganze Episode Wu Sung - Goldlotos - Hsi Men (Kapitel 23 bis 32 der Hu Schi Ausgabe) ausgelassen, weil uns das wesentliche Geschehen dieser Episode bereits aus dem Kin Ping Meh bekannt ist. Ich habe dort aufgehört, wo die Erzählung die Form des schlichten Romans zu sprengen und sich zu einer förmlichen Kriegsgeschichte zu weiten beginnt...Alle Kürzungen, Streichungen, Zutaten und sonstigen Freiheiten, die ich mir erlaubt habe, glaube ich wissenschaftlich und künstlerisch verantworten zu können."
Franz Kuhn
aus dem Nachwort zu 'Die Räuber vom Liang Schan Moor'
Franz Kuhn at the wedding of Naomi and Tillo Kuhn in Toronto, Canada 1956
Franz Kuhn
(1884 - 1961)
Franz Kuhn, der Übersetzer chinesischer Romane, hinterliess ein charakterisches Merkmal seiner Person: den Strohhut. Stets unterwegs im Süden auf der Suche nach Orten mit wenigen Menschen, Zigarre oder Zigarette im Mundwinkel, den Hut auf zum Schutz gegen die brennende Sonne, machte er sich sofort wenn am stillen Ort angekommen an die schwierigen Übersetzungsarbeiten. Wie viele chinesische Zeichen er letzlich kannte, ist schwer zu schätzen. Obwohl er niemals nach China zurückkehren konnte, hatte er zum Lebensende vermutlich ein 'imaginäres Deutsch-Chinesisches Wörterbuch' im Kopfe von unglaublich vielen Ausdrücken, Idiomen, Begriffen, ja auch 'Kunstfertigkeiten', das mit seinem Tod verschwand und dem Leser lediglich fragmentarisch in den übersetzten Werken erhalten ist.
Da er oftmals in seinem Leben direkte Auseinandersetzuntgen mit anderen floh, verlief seine Lebensspur ausserhalb des Alltäglichen. Er war von den chinesischen Zeitabständen beeinflusst und zog es vor, ähnlich einem taoistischen Mönch, zwar nicht auf einem einsamen Berg, so doch in strenger Klausur mit sich selbst, das zu tun, wofür er lebte. Bereits zur Zeit seines ersten und letzten Aufenthaltes in China (Krieg, Geld und politische Ereignisse, bzw. Visumsverbot fuer Ausländer hinderten ihn an einer möglichen Rückkehr) an der damaligen Gesandschaft als junger Jurist (1909 bis 1912), spürte er das Verlangen die chinesische Zeichensprache zu studieren. Ohne solche 'Sprachkenntnisse' bliebe die 'geistige Mauer' gegenüber China weiterhin bestehen, der Zugang zu diesem Land mit unbescheiblich schönen Landschaften und einer ebenso reichen Literatur-Tradition nur blockiert.
Er kehrte 1912 nach Berlin zurück, um das Sinologie-Studium aufzunehmen. Schnell merkte er, daß die akademische Welt ihm nicht zusagte, um das zu tun, was er wollte: den fremden Kontext Chinas auf 'Deutsch' so wiederzugeben, daß jeder Leser etwas von dieser Kultur der 'Schriftzeichen' mitbekommt. China als 'Reich der Mitte' ist vor allem durch seine Übersetzungstätigkeiten (selbstverständlich neben anderen hervorragenden Sinologen seiner Zeit) nicht mehr das 'Rätsel'.
Seine literaische Erzählkunst - stets achtete er auf 'Bonmots' und Worte wie 'Schmarotzer' als Bezeichnung korrupter Beamter erhielten im Kontext Chinas eine besondere Prägung - erleichterten das Verstehen. Sehr viele Sinologie-Studenten greifen zu Texten wie 'Die Räuber vom Liang Schan Moor' (der selbst Mao beeinflusste) oder zum 'Traum der roten Kammer', um Geschichten aus China erleben zu können.
Die Ausstellung im Rahmen der 'Horizonte 85' ist eine bescheidene Würdigung eines Übersetzers, der nicht nur zum kulturell zugänglichen Verstaendnis für China beitrug, sondern ebenfalls die 'deutsche Sprache' trotz Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg bewahrte, und heute für alle eine unerschöpfliche Quelle literaischer Ausdrucksmöglichkeiten geworden ist.
Speziell zu dieser Ausstellung ist folgendes zu sagen: Sie wurde bereits von Frau Dr. Cornelia Hwang-Töpelmann in der Universitätsbibliothek München erarbeitet und dort zuerst gezeigt. Dank Dr. Rainer Krempien, von der Ostasienabteilung der Staatsbibliothek, ist sie jetzt nach Berlin, dem Ort wo Franz Kuhn studierte und immer wieder zurückkam, gekommen. Franz Kuhn wurde dreimal im Zweiten Weltkrieg ausgebombt, sodass sein Nachlass lückenhaft geblieben ist. Etliche Menschen haben deshalb versucht, das was übrig geblieben ist, zusammenzutragen. Vor allem Hatto Kuhn, Neffe von Franz Kuhn, ist seit dem Tode des Übersetzers zu einem lebendigen Impuls zur Förderung der Werke des Sinologen geworden. Dr. Gerhard Schott als auch Prof. Dr. Herbert Franke aus München waren neben vielen anderen Menschen ebenfalls behilflich, Materialien zusammenzutragen.
Merkblatt zusammen gestellt von Hatto Kuhn
Archive haben ihre eigene Gesetze. Das Material eines Übersetzers besteht, chronologisch gesehen, aus Aufträgen von Verlagen. Praktisch ist es die Folge einer geheimnisvollen Methode zur 'Annäherung' an die Welt 'dazwischen', um sowohl die chinesische als auch die deutsche Sprache im jeweiligen Kontext zu verstehen. Die Ausstellung versucht eine Auswahl an übersetzten Werken zu zeigen, ohne jedoch dem Anspruch nachzugehen, welche anderen Materialien hätten uebersetzt werden müssen, um ein vollständiges Bild von China zu erhalten. Dazu ist China mit seiner mehr als 2000 Jahre alten Geschichte zu reich an Erzählungen, Poesie und Literatur. Franz Kuhn versuchte dennoch entlang einer chronologischen Zeittafel Entwicklungen anhand bestimmter Texte aufzuzeigen. Seine Übersetzung 'Schanghai im Zwielicht' verdeutlich sogar den Einfluß der 'Moderne' in der bis dahin klassich verbliebenen Welt Chinas: verschwunden sind die 'Sänften', stattdessen tasten 'die Lichter der Scheinwerfer' eines Autos die Landstraße ab.
Hatto Fischer
Siehe außerdem
« Ernst Schnabel | Mann ohne Eigenschaften - Robert Musil »