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Kulturtermin - eine Reportage

 

Roger Servais

Und manchmal sogar fast prophetisch
Die vielen Heimaten des Künstlers Roger D. Servais

Von Maya Kristin Schönfelder
https://www.kulturradio.de/programm/sendungen/151007/kulturtermin_1904.html


Roger David Servais ist in Belgien zur Welt gekommen – und fast überall auf der Welt zuhause. Der Maler und Designer liebt seine Heimaten genau wie seine vielen verschiedenen Arten, sich künstlerisch auszudrücken. Die Liebe verschlug ihn einst nach Ost-Berlin. Erst nach zehn Jahren und mit Hilfe des belgischen Königs gelang der jungen Familie die Ausreise nach West-Berlin. Heute pendelt er zwischen Antwerpen, New York und Charlottenburg.

Dass er die Sprache der Mörder seiner jüdischen Familie heute mit Berliner Melodie spricht, sieht Roger David Servais als persönlichen Sieg über die Geschichte.  Maya Kristin Schönfelder hat ihm zugehört.

Gerahmte Arbeiten in allen Formaten bedecken die Wände. Skulpturen verstecken sich zwischen Topfpflanzen und lauern hinter Urlaubssouvenirs. Schmuckstücke künden von Roger Servais‘ Leidenschaft für das Spiel mit Formen und Funktion. Aufgewachsen in Lüttich und Brüssel, soll er eigentlich Bau-Ingenieur werden, aber ihn fasziniert vor allem die Kunst – und die Stadt Berlin, wohin die Familie nach dem Zweiten Weltkrieg zieht. Der junge Servais besucht die Berliner Museen in Ost und West und malt, malt die Figuren ab, die er bewundert und eignet sich so das Handwerkszeug des Zeichners an.

Wegen der Liebe nach Ost-Berlin

"Und wie das Leben so spielt, habe ich dort meine erste Frau kennengelernt, im Museum." Er schmunzelt und wird ernst. Denn er kommt aus Dahlem, sie aus Ost-Berlin. Zunächst ist das kein Problem, dann kommt der 13. August 1961. Seine spätere Frau ist in Ost-Berlin, er im Westen. Als belgischer Staatsbürger darf er sie zwar besuchen, aber auf Dauer ist das für die Beziehung nichts. Und er beschließt – der großen Liebe wegen – nach Ost-Berlin zu ziehen. Zunächst kann er sein Studium im Westen noch fortsetzen, doch dann wird die Stasi auf ihn aufmerksam und versucht den Reisenden zwischen Ost und West für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Roger Servais weigert sich – und wird schikaniert: Stundenlanges Warten beim Grenzübertritt, Ganzkörperkontrollen. "Das kann ein normaler Mensch nicht ertragen. Und deshalb habe ich mein Studium dann unterbrochen."

           

             Hölderlin unterhält sich mit Biermann - von Roger D. Servais

             Photo von Hatto Fischer

Kunst als Provokation

Er stellt Ausreiseanträge, zwei pro Jahr. Doch nichts passiert. Er beginnt in Ost-Berlin zu malen, doch um von der Kunst leben zu können, hätte er in den Verband Bildender Künstler aufgenommen werden müssen. Doch er bleibt nur "Kandidat". Servais übernimmt die Gestaltung von Bucheinbänden, denn von irgendetwas muss der Mensch ja leben – zumal mit junger Familie. Am Kollwitzplatz, wo er inzwischen wohnt, lernt er Jurek Becker, Wolfgang Thierse und Wolf Biermann kennen.  Er malt ein Bild zu einer offiziellen Ausstellung in Dresden – im neorealistischen Stil der 1920er Jahre, das seinen Protest gegen die Zustände in der DDR auf Leinwand bannt. Provokation pur. Nur durch Zufall gelingt es, das Bild vor dem großen öffentlichen Skandal wieder zurückzunehmen und heimlich zu zerstören. "Dass man ein Bild zerstören muss, um nicht ins Gefängnis zu kommen. Ich kann das heute noch nicht richtig begreifen."

1974 gelingt der Familie die Ausreise aus der DDR. Roger Servais geht nach New York und nach Italien, er arbeitet in Israel und in Schweden, er pendelt zwischen Belgien, Frankreich und Westberlin. Die DDR ist weiter weg als der Mond.

Der Sturz des Ikarus

Erst nach dem Fall der Mauer kommt ihm das Bild wieder in den Sinn. Und erst 30 Jahre nach der Zerstörung  gelingt es ihm, das Bild digital anhand eines Fotos zu rekonstruieren. Er schoß es, kurz bevor das Bild in den Ofen des Ateliers wanderte. Heute hängt es in seiner Wohnung und wartet darauf wieder ausgestellt zu werden.

Momentan ist der umtriebige Künstler dabei, bislang vergessene DDR-Künstler wieder ins Licht der Öffentlichkeit zu bringen – sozusagen als Wiedergutmachung und vor allem, damit die Versuche, missliebige Kunst totzuschweigen, nicht wirklich Erfolg hat. Überhaupt Ethik und Gerechtigkeit. Da muss Roger Servais nicht lange nachdenken. Da ist er ein entschiedener Kämpfer.

                                                 

                                                        Ikarus

Der Mensch stürzt ab, wenn er wie Ikarus überheblich wird oder wenn er sich der Ethik verweigert – solche Themen hat er in seinen Bildern verewigt – und biblische Motive.

                                               

                                                      Chasidim

Der chassidischen Bewegung fühlt sich der Sohn einer osteuropäischen Jüdin heute sehr nahe – und bei den vielen Heimaten, die er erlebt und besucht hat und dem Leben, das ihn zum Reisenden gemacht hat, ist das wahrscheinlich so etwas wie seine innere Heimat geworden – auch wenn er von sich sagt: "Ich habe eigentlich kein richtiges Zuhause, ich bin immer unterwegs."

Jürgen Gressel-Hichert mit Zitaten aus dem Kulturtermin von Maya Kristin Schönfelder
Und manchmal sogar fast prophetisch (7. Oktober 2015 19:04)

 

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